Brüche und Kontinuitäten

 

Wie in anderen Bereichen auch, ist das Jahr 1945 für das Theater sowohl von Historikern als auch von den Theaterschaffenden selbst lange als radikaler Bruch mit der Vergangenheit und als ein Neuanfang angesehen worden – personell, künstlerisch und inhaltlich. Die sogenannte Stunde Null schien dem Theater nach 1945 eine Rückkehr zum Theater der Weimarer Republik zu ermöglichen und wurde als Fortführung der Tradition von Bertolt Brecht, Erwin Piscator und Frank Wedekind präsentiert. Eine Kontinuität, die das „Dritte Reich“ als Anomalie erscheinen ließ, als Ausnahme in einer Theaterentwicklung, die ansonsten von ästhetischen Experimenten, radikaler künstlerischer Avantgarde und mutiger politischer Dramaturgie geprägt war. Es verwundert daher kaum, dass Darstellungen des westdeutschen Nachkriegstheaters besonderen Wert auf das Dokumentartheater legen. Ein Theater, das inhaltlich sowohl an Brecht als auch an die Neue Sachlichkeit anzuknüpfen schien und darüber hinaus auch personell Kontinuitäten zu den 1920er Jahren suggerierte: Erwin Piscator inszenierte 1965 die Uraufführung von Peter Weiss’ Die Ermittlung über den Frankfurter Auschwitz-Prozess, derselbe Erwin Piscator, der 1927 mit Brecht eine vielbeachtete Kooperation im Berliner Theater am Nollendorfplatz eingegangen war. Wenn das NS-Regime überhaupt zur Sprache kam, wurde die Qualität der Klassikerinszenierungen herausgestellt und deutlich gemacht, dass das Theater sich als Hort der Kunst politischer Einflussnahme erfolgreich widersetzt habe. Eine derartige Sicht der Dinge ermöglichte nicht nur eine erfolgreiche Ausblendung der Verstrickungen des deutschen Theaterwesens im „Dritten Reich“ und der Rolle, die es für das Regime besaß, sondern schien auch die Benennung personeller Kontinuitäten überflüssig zu machen. Eine Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit stellte sich als unnötig dar, man habe sich schließlich nichts vorzuwerfen.

Schon ein erster Blick auf die frühe Nachkriegsgeschichte deutscher Theater macht allerdings deutlich, dass nicht die Kontinuitäten zur Weimarer Zeit, sondern zum Nationalsozialismus überwiegen, sowohl in personeller als auch in inhaltlicher Sicht. Obwohl die Theater im August 1944 geschlossen worden waren und die Theaterschaffenden daher nicht an Ort und Stelle bruchlos übernommen wurden, kehrten doch die meisten an ihre alten Wirkungsstätten zurück und nahmen die alten Positionen wieder ein. Für Exilanten war die Rückkehr hingegen ungleich schwerer und in vielen Fällen nahezu unmöglich. Der Spielplan setzte bis in die 1960er Jahre weitgehend die erprobten Formate fort und vermied die Avantgarde der 1920er Jahre genauso wie die Dramatik der Exilanten. Die eher konservative Linie der Spielplangestaltung an den westdeutschen Theatern (auf die sich dieser Aufsatz im Wesentlichen bezieht) knüpfte daher tatsächlich an die Weimarer Zeit an, als Theaterprogramme entgegen weitverbreiteter Annahmen eben nicht von der radikalen Avantgarde geprägt waren, sondern dem traditionellen Publikumsgeschmack Rechnung trugen.[1] Um die Kontinuitäten nach 1945 einordnen zu können, soll im Folgenden zunächst untersucht werden, wie sich das Theater im „Dritten Reich“ darstellte. Dabei soll der Blick ganz bewusst nicht nur auf Berlin, sondern auch auf die sogenannte Provinz gerichtet werden, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf Westfalen als typischer Region liegt.[2]

 



Die staatstragende Provinz: das Theater Bielefeld im Jahr 1936 – dem Jahr, in dem der aktive Nationalsozialist Alfred Kruchen die Intendanz übernahm.
Bild: Stadtarchiv Bielefeld

 

 

I. Das Theater im Nationalsozialismus

Nach der Machtübernahme der NSDAP wurde schnell klar, dass es der Partei an grundlegenden kulturpolitischen Konzepten fehlte. Bis weit in die 1930er Jahre versuchten verschiedene Organisationen, Politiker und Ministerien entscheidenden Einfluss auf das Theaterwesen zu gewinnen. Aber auch auf den nachgeordneten Ebenen wurde mächtig um Einfluss geschachert. Gauleiter, Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten und die regionalen Gaupropagandaämter versuchten, eine eigene Kulturarbeit zu etablieren.[3] Das Reichstheatergesetz vom Mai 1934 schien Goebbels’ Führungsanspruch im Kulturbereich zu bestätigen - mit der Reichskulturkammer hatte Goebbels ein zusätzliches Kontrollorgan geschaffen und die Reichsdramaturgie schien ihm die Lenkung der Spielpläne zu ermöglichen. In Wirklichkeit war die Kontrolle des Theaterwesens allerdings keineswegs lückenlos und nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen direkten und indirekten Einflussnahmen blieb die Situation für viele Theaterschaffende undurchschaubar. Ein Intendant war nunmehr nicht mehr allein der Stadtverwaltung Rechenschaft schuldig, sondern der jeweilige Gauleiter wollte ebenfalls konsultiert werden. Organisationen wie die Deutsche Bühne, Kraft durch Freude oder die Wehrmacht versuchten Einfluss zu nehmen, und selbst einfache Parteimitglieder spielten sich oft als Hüter deutscher Kulturwerte auf.[4]

Trotz dieser Situation hatte die restriktive Kulturpolitik des Regimes unmittelbare Folgen. Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom April 1933 ermöglichte die fristlose Entlassung „nicht-arischer“ Bühnenangehöriger. Kommunistisch und sozialdemokratisch gesinnte Bühnenangestellte wurden ebenso entlassen und in vielen Fällen verhaftet, und Neubesetzungen der Intendantenposten waren an den meisten Theatern die Regel. Letzteres fand teilweise sogar dann statt, wenn Intendanten entsprechend der Gesetzeslage gar nicht hätten entlassen werden dürfen, aber von übereifrigen Stadtverwaltungen als „untragbar“ eingestuft wurden.[5] Für die Spielpläne bedeutete die antisemitische Politik ein sofortiges Verbot von Werken jüdischer Dramatiker, Librettisten und Komponisten, und sie betraf eine große Anzahl von Stücken.

Ein entscheidender Faktor, der den neuen Machthabern Zuspruch sicherte, war ihre Bereitschaft, die Theatersubventionen zum Teil drastisch zu erhöhen und damit publikumswirksam den Spar-Trend der letzten Weimarer Jahre aufzuhalten. So wurden Zusammenlegungen von Theatern rückgängig gemacht (z.B. Bochum-Duisburg, Münster-Osnabrück), Häuser wieder in kommunale Kontrolle überführt (z.B. Hagen) und sogar eine Reihe neuer Theater eröffnet (z.B. Gelsenkirchen, Dessau). Überall wurden Spielstätten renoviert und aufwendige Werbemaßnahmen gestartet. Der Aufbruch in ein neues Zeitalter kultureller Blüte und nationalen Stolzes sollte sinnbildlich vor Augen geführt werden. Das Versprechen der Nationalsozialisten, kommunale Theater nicht nur zu retten, sondern einen nationalkonservativen und „sauberen“ Spielplan zu garantieren, empfahl sie auch Bevölkerungsgruppen, die Hitler nicht unbedingt nahestanden. Im Gegenzug machte die Unterstützung breiter bürgerlicher Kreise die Nationalsozialisten auch anderen Kritikern gegenüber salonfähig.

 

   

Sondermarke der Deutschen Reichspost mit Aufschlag zur Eröffnung des 1937/38 neu errichteten „Gautheaters Saarpfalz“ in Saarbrücken (Oktober 1938; l.) und das heutige Staatstheater Saarbrücken im historischen Gebäude (Februar 2004; r.).
Quellen: Wikimedia Commons; Anghy, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

 

 

Die erste „nationale“ Spielzeit

Dennoch und trotz der hohen Erwartungen an ein neues „nationales“ Theater, das durch einen völkischen Spielplan zum Volkstheater werden und die Massen ansprechen sollte, geriet die Spielzeit 1933/34 fast überall zum Fiasko. An vielen Orten gingen die Zuschauerzahlen zurück, die neue „heroische“ Dramatik nationalsozialistischer Autoren war wenig populär, und die oft mehr aufgrund ihrer politischen „Qualitäten“ als wegen künstlerischer Fähigkeiten eingestellten neuen Intendanten erwiesen sich meist als Fehlgriffe. Die neue, aus den bisherigen Besucherorganisationen Volksbühne und Bühnenvolksbund hervorgegangene Deutsche Bühne sollte den Theaterbesuch nicht nur organisatorisch bündeln und den Theatern finanzielle Planungssicherheit verschaffen, sondern auch dem neuen nationalsozialistisch geprägten Drama die Zuschauermassen zuführen. Die Theater waren auf garantierte Kartenverkäufe in großen Kontingenten zwingend angewiesen, die die Besucherorganisationen oder die in Eigenregie organisierte Platzmiete garantierten.[6] Im Großen und Ganzen musste aber die Deutsche Bühne nicht nur die erste Spielzeit als Misserfolg abhaken, sie konnte sich auch in den Folgejahren keineswegs als alleinige Besucherorganisation durchsetzen (auch nicht nach der 1934 erfolgten Umbenennung in Nationalsozialistische Kulturgemeinde, kurz NSKG). Viele Theater fühlten sich betrogen, da die Deutsche Bühne/NSKG die hehren Versprechungen eines organisierten Theaterbesuchs weder personell noch organisatorisch einhalten konnten. Sie beklagten mangelnde Kooperation, finanzielle Forderungen und Erfolglosigkeit bei der Gewinnung neuer Besucherkreise. In der Konsequenz kehrten viele Theater zu ihrem eigenen Stammsitz zurück, da ihnen ihre Abonnenten in Scharen davonliefen.[7]

 

„Normalisierung“

Schon bald mussten die NS-Machthaber einsehen, dass sie die bürgerliche Mittelschicht mit künstlerischen Experimenten wie dem Thing-Theater, das die neue Dramatik auf riesigen Freilichtbühnen präsentierte, nur befremdete, und man kehrte zum etablierten Guckkastentheater zurück.[8] Die folgenden Jahre waren Boom-Jahre für das Theater, und bei aller fehlenden inhaltlichen Konzeption schienen die Machthaber doch ihr Versprechen betreffend einer großzügigen Förderung des Theaters einzuhalten. Die Subventionen stiegen in zuvor kaum vorstellbare Höhen. So erhielt das Bochumer Theater 1939 stattliche 945.000 Reichsmark,[9] und in Hagen stiegen die Subventionen binnen dreier Jahre um mehr als 100 Prozent von 150.000 Reichsmark in der Spielzeit 1933/34 auf 380.000 Reichsmark 1936/37.[10] Gleichzeitig wurden die Arbeitsbedingungen von Schauspielern verbessert, Ganzjahresverträge eingeführt und neue Stellen geschaffen. 1933 arbeiteten 22.000 Theaterschaffende an 147 subventionierten Theatern – nur sieben Jahre später hatte sich diese Zahl verdoppelt, und auch die Zahl der Theater war um über 60 Prozent auf 248 angewachsen.[11] In vielen Städten wurden die Preise für Eintrittskarten gesenkt, attraktive Wahlmieten angeboten, Spielzeiten verlängert und Spielstätten renoviert. Der quantitative Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: die Zuschauerzahlen verdreifachten sich zwischen 1932 und 1936 von 520.000 auf 1,6 Millionen.[12]

 



Die 1934/35 auf dem Heiligenberg bei Heidelberg errichtete Thing-Stätte, die in ihrer Ortswahl an vorgeblich germanische Traditionen, in ihrer Architektur an antike Vorbilder anknüpft. Da die Thing-Dramatik vom Publikum nicht angenommen wurde, fanden auf den Freilichtbühnen, die eigentlich nationalsozialistische Vorstellungen von „Blut und Boden“ und „Volksgemeinschaft“ erfahrbar machen sollten, schon bald herkömmliche Theaterinszenierungen, aber auch Propagandaveranstaltungen und Sonnenwendfeiern statt (Foto vom Dezember 2006).
Bild: BishkekRocks, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

 

Viele Intendanten verstanden es geschickt, die sich ihnen bietenden Karrierechancen zu nutzen. Die Zahl der für die Propaganda so wichtigen ausverkauften Veranstaltungen konnte beispielsweise dadurch erhöht werden, dass sie erst gar nicht in den freien Verkauf gelangten, sondern als geschlossene Veranstaltungen an die NS-Organisationen Kraft durch Freude (KdF), Hitlerjugend (HJ) oder die Deutsche Arbeitsfront (DAF) abgegeben wurden und damit als „ausverkauft“ galten. Stramm ideologische Stücke, die im freien Verkauf keine Chance hatten, kamen auf diese Weise wenigstens zu einer Handvoll Aufführungen. Auch inhaltlich war den meisten Intendanten die Einverleibung ihrer Kulturinstitute in die NS-Propaganda gerade recht, und sie trieben diese teilweise aktiv voran. Und schließlich verstanden es Theaterleitungen genauso wie Kulturpolitiker insgesamt, sich in größeren historischen Zusammenhängen zu positionieren und Traditionen zu betonen, die im Umkehrschluss auch ein legitimierendes Licht auf sie selbst warfen. Diese Kontextualisierung sollte die nationalsozialistische Gegenwart als Erfüllung der kulturellen Versprechen der Vergangenheit erscheinen lassen. Im Gegensatz dazu konnten die Weimarer Jahre nur als Anomalie erscheinen.

Zusätzlich zu steigenden kommunalen Zuschüssen konnten sich die Theater auch um direkte finanzielle Hilfen des Propagandaministeriums bemühen. Die Höhe dieser Sonderzuwendungen stieg von 9,7 Millionen Reichsmark in 1934 auf astronomische 45 Millionen Reichsmark im Jahr 1942.[13] Diese Zahlungen waren weniger Goebbels’ künstlerischer Ader geschuldet, sondern vielmehr ein nützliches Kontrollinstrument, da sich das Ministerium damit ein Mitspracherecht bei Personalentscheidungen und beim Spielplan sicherte und Wohlverhalten belohnte. Zusammen mit dem Dank für die zugesagten Gelder übersandten die Theater daher zumeist auch den Spielplan, der eine „ordentliche“ Verwendung des Zuschusses belegen sollte. Hagen erhielt so ab Mitte der 1930er Jahre durchschnittlich 60.000 Reichsmark jährlich,[14]  Dortmund bis zu 80.000 Reichsmark.[15] Gelsenkirchens Stadtväter spielten geschickt die Karte der aufstrebenden Industriestadt, die ihren Arbeitern die Kunst nahebringen wollte[16] und erhielten jährlich 60.000 Reichsmark.[17] Diese zusätzlichen Zahlungen des Propagandaministeriums machten bis zu einem Drittel des Gesamtzuschusses einiger Theater aus und ermöglichten – zumindest theoretisch – eine direkte Kontrolle aus Berlin ohne den „Umweg“ über die kommunalen Behörden oder das preußische Innenministerium. Die Theater selbst machten umgehend Gebrauch von dieser sich bietenden Einnahmequelle und entwickelten geradezu ein Anspruchsdenken. Ablehnende Bescheide wurden nicht einfach akzeptiert, man beschwerte sich, selbst wenn die Gründe einleuchtend hätten sein müssen.[18]

Inhaltlich ermöglichte die finanzielle Konsolidierung die Inszenierung aufwendiger Opern, prestigeträchtiger Sonderveranstaltungen und Festwochen. So veranstaltete Bochum 1934 eine Schiller-Woche, 1936 folgte eine Kleist-Woche und 1937 eine „Woche der Dramatik der HJ“ – eine von drei Festwochen allein in jenem Jahr.[19] Allzu politische Werke wurden nun vermieden, aber die aufwendig inszenierten Klassiker und Komödien, Opern und Operetten verliehen den Machthabern kulturellen Glanz. Belohnt wurden die Intendanten dafür mit Titeln. Dortmunds Peter Hoenselaars durfte sich ab 1937 Generalintendant nennen,[20] Nürnbergs Willi Hanke bekam dieselbe Auszeichnung noch 1943,[21] und Bochums Saladin Schmitt wurde 1938 von Hitler zum Professor ernannt.[22]

 

 

Vier Jahre liegen dazwischen: Programmhefte des Staatstheaters Berlin am Gendarmenmarkt (dem heutigen Konzerthaus) von 1935 mit dem während der NS-Zeit geführten Wappen Preußens (l.) und von 1939 und dem Reichsadler (r.).
Quellen: Max Beck Verlag

 

Theater im Krieg

Der Kriegsausbruch 1939 bedeutete für die deutschen Theater keine einschneidende Zäsur – im Gegenteil. Sie machten nicht nur so weiter wie bisher und schienen seltsam entrückt von der Realität, vielmehr erfreuten sie sich wachsenden Zuschauerzuspruchs. Bochums Theater erzielte mit 212.000 Zuschauern in der Spielzeit 1942/43 einen Rekord,[23] und in Gelsenkirchen verdoppelten sich die Besucherzahlen sogar von 155.000 in der Spielzeit 1935/36 auf 294.000 in 1942/43.[24] Die regionalen Propagandaämter berichteten regelmäßig voller Stolz von ausverkauften Vorstellungen in ihren Amtsbezirken. Die Subventionen stiegen ebenso, in Gelsenkirchen von 177.000 Reichsmark im Jahr 1936 auf über 700.000 Reichsmark im Jahr 1943.[25] Die Gehälter der Ensemblemitglieder erhöhten sich in vergleichbarem Maße.[26] In der Spielzeit 1942/43 besaß das Theater Hagen noch immer 14 Schauspielerinnen und Schauspieler, acht Opern- und sieben Operettensänger, ein vollwertiges Ballettensemble, einen Chor, dazu drei Kapellmeister, einen Bühnenbildner, eine Souffleuse sowie eine ganze Reihe anderer Mitarbeiter in Technik und Verwaltung.[27] Auch das relativ unbedeutende Westfälische Landestheater, das die theaterlosen Orte der westfälischen Provinz mit Aufführungen versorgte, besaß 1943 noch ein fest angestelltes Personal von 16 Damen und 18 Herren und präsentierte 250 Vorstellungen im Jahr.[28] Aufführungstechnisch zogen die Theater im Krieg alle Register. Aufwendige Operninszenierungen und Festwochen wurden fortgesetzt, Tourneen unternommen und Theaterneubauten geplant.

 

 
DAF-Leiter Robert Ley (1890–1945), der Schauspieler und Intendant des Berliner Schiller-Theaters Heinrich George (1893–1946) und die Schauspielerin Gisela Uhlen (1919–2007; v.l.n.r.) nach einem Gastspiel im Théâtre des Champs Elysées im besetzten Paris, Januar 1941.
Bild: Bundesarchiv, Bild 183-R1213-0502, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

 

Trotzdem machte sich der Kriegsausbruch bemerkbar, und das vor allem in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht. Der zunehmende Mangel an Rohstoffen zwang die Theater dazu, den Umfang ihrer Programmhefte zu reduzieren, Bauvorhaben zu verschieben und von allzu aufwendigen Bühnenbildern abzusehen. Außerdem wurde von den Bühnen zunehmend erwartet, eine aktive Rolle bei den Kriegsanstrengungen zu spielen. So gab es Sondervorstellungen für die Wehrmacht und für Rüstungsbetriebe, sowie unterhaltende Programme, die in Zusammenarbeit mit KdF und DAF in Fabriken und Garnisonen organisiert wurden. Gastspielreisen ins besetzte Ausland, nach Belgien, Holland und Frankreich standen für viele Theater zu Beginn der 1940er Jahre ebenso auf dem Programm.[29] Sehr bald jedoch waren die Auswirkungen des Krieges auch physisch spürbar. Luftangriffe trafen deutsche Städte 1941 noch vereinzelt, ab 1943 verstärkt, und ab Herbst 1944 wurden vor allem die Industriestädte im Westen Deutschlands fast täglich aus der Luft angegriffen. Im Mai 1943 brannte Dortmunds Theater aus, Bochums Theater wurde im November 1944 zerstört, und das Theater Hagen lag bereits im Oktober 1943 fast vollständig in Schutt und Asche, völlig zerstört wurde es schließlich im März 1945.  Fieberhaft suchte man allerorten nach Behelfstheatern. Schon knapp zwei Wochen nach der Zerstörung des Dortmunder Theaters wurde dessen „vorübergehende“ Verlegung nach Luxemburg bekannt gegeben.[30] Schon zuvor hatten viele Theater aufgehört, Abendvorstellungen zu geben, und verlegten sich auf Matinees. Männliche Ensemblemitglieder wurden zunehmend eingezogen und hinterließen merkliche Lücken – Lücken, die man verzweifelt schließen wollte. So erhielten einige Orchester vom Propagandaministerium die Genehmigung, Musiker aus den besetzten Gebieten anzuwerben.[31] Auf der anderen Seite konnten sich Theater in den besonders betroffenen Regionen um Sonderzahlungen beim Propagandaministerium bemühen. So erhielt das Theater in Münster 1941 fast 500.000 Reichsmark, um neue Kostüme zu kaufen.[32]

 

Repertoire

Nachdem ein allzu politischer Spielplan in der ersten Spielzeit nach der Machtübernahme gescheitert war, begann auch in diesem Bereich eine „Normalisierung“. Bis zur endgültigen Schließung aller deutschen Theater im August 1944 setzten die Spielpläne vor allem auf Bewährtes und Unterhaltendes. Das klassische Drama wurde nach wie vor berücksichtigt und auch einige der völkischen Dramatiker kamen noch zu Wort, aber ansonsten spielte man Operetten und Lustspiele, Schwänke und Gesellschaftskomödien.[33] Als zusätzliche Aufgabe übernahmen die Theater Unterhaltungsabende für Wehrmachtsangehörige – die Soldaten waren zumeist ein dankbares Publikum.[34] Besonderen Wert wurde auf die Klassik gelegt. Auf diese Weise versuchte das Regime nicht nur an Traditionen anzuknüpfen, sondern sich auch dem Bildungsbürgertum zu empfehlen. Schiller und Kleist wurden geradezu als Vorkämpfer des „Dritten Reichs“ interpretiert und Shakespeare als germanischer Dramatiker gefeiert.[35]

Bei der Klassikerpflege kam es in einzelnen Fällen zu durchaus mutigen Inszenierungen, und dem Regime gelang es nie, die Theaterarbeit vollends zu kontrollieren (was auch letztendlich gar nicht in Goebbels’ Interesse lag). Die Regisseure Gustaf Gründgens, Heinz Hilpert und besonders Jürgen Fehling verstanden es, in ihren Inszenierungen den totalitären Charakter des Regimes subtil zu kritisieren. Beispielsweise wurde in Jürgen Fehlings Richard III. von 1937 Gloster als gnadenlos agierender und kühl kalkulierender Machtpolitiker dargestellt, dessen hinkender Gang an Goebbels erinnerte, und auch die Uniformen sahen denen der SS zum Verwechseln ähnlich.[36] Fehlings politische Rücksichtslosigkeit und künstlerische Kompromisslosigkeit, Hilperts Humanismus und Gründgens’ Ästhetik schienen kaum in Einklang zu bringen mit den Forderungen der NS-Kulturpolitik an ein völkisches Theater. Und dennoch passten sie ins politische Konzept. Die NS-Führung schmückte sich geradezu mit diesen Starregisseuren, erschien kultiviert, ja fast liberal, und konnte sich damit in der deutschen Öffentlichkeit – aber auch international – als kulturvolle Regierung präsentieren. Dies fiel umso leichter, als die genannten Regisseure Ausnahmen blieben und man ihnen (relative) Freiheiten einräumen konnte, die weniger berühmten Theatermachern nicht gewährt wurden. In diesem Sinne erscheinen die Inszenierungen von Hilpert und Gründgens, die von dem Theaterhistoriker Wilhelm Hortmann und anderen bis heute als Beispiele mutigen Widerstands gewertet wurden, sehr viel harmloser und weniger politisch als bisher angenommen.[37] Der Theaterkritiker Herbert Ihering nannte 1943 Heinz Hilpert einen Regisseur, der „an die Kraft der Stille [glaubt]“, einen, der „der privaten Menschlichkeit das Recht [gibt]“ und „zum unauffälligen, werkgetreuen, wesentlichen Theater [will]“.[38] Auch Gründgens’ zeitlose Betonung von Ästhetik, Form und Stil vermied laut der 2001 vorgenommenen Einschätzung Hortmanns die politische Intervention – stattdessen „achtete [er] darauf, sie nicht allzu genau in einer bestimmten historischen Zeit anzusiedeln. Er vermied aktuelle Anspielungen und alles, was das Publikum in irgendeiner Weise davon abgelenkt hätte, seine Inszenierungen als vollendete Kunstprodukte zu genießen“.[39] Mit diesem künstlerischen Konzept konnten die Nationalsozialisten gut leben, und diese Arbeit setzte Gründgens auch nach dem Krieg fort.

 

 
 
Zwei, die in Deutschland blieben: links der Regisseur Jürgen Fehling (1885–1968) bei einem Fotoshooting im Jahr 1945, rechts der ebenfalls als Regisseur und Theaterleiter tätige Heinz Hilpert (1890–1967), wahrscheinlich in den 1960er Jahren.
Bilder: Deutsche Fotothek, df_pk_0000024_a_038, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0; Heinz-Hilpert-Theater Lünen

 

Davon abgesehen, stellt sich grundsätzlich die Frage, welcher Einfluss diesen einzelnen, mehr oder weniger kritischen Inszenierungen auf die Öffentlichkeit überhaupt zugeschrieben werden kann. Wie im Folgenden weiter ausgeführt, wurde dieser Einfluss nach 1945 in der Regel hoch angesetzt und als Beispiel für mutige und kritische Theaterarbeit unter schwierigen Bedingungen interpretiert. Auch die Theaterwissenschaftlerin Jutta Wardetzky aus der DDR war der Auffassung, das Vorherrschen der Klassik auf den Spielplänen beweise, dass „die Durchsetzung eines im hitlerfaschistischen Sinne aktivierenden Spielplanes nur partiell gelungen war“.[40] Einig scheinen sich zeitgenössische wie heutige Kommentatoren darin, dass die enormen Subventionen Inszenierungen von höchster technischer Qualität und reicher Ausstattung ermöglichten. So opulent wie in der NS-Zeit war Shakespeare noch nie auf deutschen Bühnen gezeigt worden.[41] An dieser Situation änderte auch der Kriegsausbruch kaum etwas. Insgesamt gesehen waren die Jahre nach 1939 also von steigenden Besucherzahlen und Zuschüssen, sowie von zunehmenden politischen Ansprüchen geprägt, denen die Theater nach Möglichkeit nur allzu gerne nachkamen.[42] Zum 31. August 1944 wurden im Zuge des „totalen Krieges“ schließlich alle Theater geschlossen. Die kulturelle Fassade des NS-Regimes war endgültig gefallen.

 

II. Das westdeutsche Theater nach 1945

Die Schließung aller deutschen Theater ein knappes Jahr vor Kriegsende erleichterte die Rede vom Neubeginn nach dem 8. Mai 1945, denn es war tatsächlich keine Spielstätte mehr geöffnet. Kaum ein Theater war zudem von alliierten Luftangriffen verschont geblieben, nicht wenige waren restlos zerstört. Zumindest theoretisch hätte also die Möglichkeit eines grundlegenden Neuanfangs durchaus bestanden. Dass dieser nicht zustande kam, lag nicht nur daran, dass es zumeist an den entsprechenden Persönlichkeiten fehlte, die einen demokratischen Neubeginn auf dem Theater glaubhaft hätten versinnbildlichen können, es fehlte auch am Willen und an der Überzeugung von der Notwendigkeit eines solchen Schritts. Den Theaterschaffenden war es nämlich schon vor 1945 gelungen, die Legende von der unpolitischen Kunst sorgsam zu pflegen. Trotz entgegengesetzter offizieller Verlautbarungen während der NS-Zeit, die den Theatermachern eine eindeutig politische Rolle zuwiesen, stellten die Theater in diesem geschönten Selbstbild ein Rückzugsgebiet während des Krieges dar, einen Ort, an dem die Vorstellung des kultivierten Deutschlands aufrechterhalten wurde – trotz Rohstoffmangels, Personalsorgen und Luftangriffen. Selbst angesichts immer heftigerer Luftangriffe brachten die deutschen Theater noch üppige Operninszenierungen und Klassiker der Weltliteratur, und auch ein ausgebrannter Kostümfundus bedeutete nicht, dass die Theater aufhörten zu spielen.[43] Selbst in der letzten Spielzeit vor der Schließung, „trotz der immer wachsenden Kriegsnöte“ und Theatern, die „den feindlichen Bomben [...] zum Opfer gefallen waren“, kam es in ganz Deutschland noch zu 900 und zum Teil „hochachtbaren Aufführungen“ von Werken Shakespeares, wie der Kritiker und Theaterwissenschaftler Ernst Leopold Stahl 1947 schwärmte.[44]

Eine Aufarbeitung der NS-Vergangenheit schien vielen in Anbetracht solcher „Leistungen“ nicht nötig, sie hätte dem Theater geradezu Unrecht getan. Entsprechend boten etliche Theatergeschichten noch bis in die 1980er Jahre hinein keine Aufarbeitung der Verstrickung der Theater in das NS-Regime, sondern stellten lediglich die künstlerischen Leistungen während dieser Zeit heraus – wenn sie sich überhaupt damit beschäftigten. So widmete Hans Knudsen in seiner 1959 erschienenen Deutschen Theatergeschichte dem Thema „Theater und Staat“ zwar ein eigenes Kapitel, erwähnte in diesem aber weder die Versuche des NS-Regimes, Einfluss auf das Theater zu nehmen, noch die Bereitschaft der Mehrheit der Theaterschaffenden, sich darauf einzulassen.[45] Heinz Kindermanns monumentale Theatergeschichte Europas (1968) diskutiert die NS-Zeit mit keinem Wort und endet in ihrer Darstellung abrupt mit dem Jahr 1933.[46] Benno von Wieses ebenfalls 1968 veröffentlichtes Standardwerk Das Deutsche Drama klammert die Jahre zwischen 1933 und 1945 ebenfalls fast vollständig aus.[47] Andere frühe Studien attestieren den Theatern, „Inseln im Sturm“ oder „Oasen der Kultur“ gewesen zu sein und das „dunkelste Kapitel deutscher Geschichte“ einigermaßen schadlos überstanden, ja sogar der NS-Theaterpolitik erfolgreich widerstanden zu haben.[48]

Eine solche Widerstandshaltung nahm Gustaf Gründgens nach 1945 für die von ihm geführten Berliner Theater im „Dritten Reich“ in Anspruch.[49] Eine „Oase“ soll nach Meinung des Intendanten Willy Maertens auch das von ihm geleitete Hamburger Thalia-Theater gewesen sein. Die Theaterwissenschaftlerin Ilse Pitsch meinte 1952, dass „echtes ‚radikales‘ Theater […] in den Klassikeraufführungen während des Dritten Reichs bewahrt“ wurde. Die NS-Theaterpolitik sei am Widerstand des Theaters „gegen eine Entfremdung seiner künstlerischen Sinngebung“ gescheitert.[50] Anfang der 1960er Jahre betitelte der bekannte Theaterkritiker Karl Heinz Ruppel eine Sammlung seiner eigenen, während des „Dritten Reiches“ entstandenen Kritiken von Inszenierungen an den führenden Bühnen der Reichshauptstadt mit dem tonangebenden Titel „Großes Berliner Theater“ und feierte darin die Arbeit der Berliner Theater nach 1933.[51] Dieselben Errungenschaften lobte der gleichermaßen bekannte Theaterkritiker Paul Fechter in seiner 1951 erschienenen Studie bekannter zeitgenössischer Schauspieler als „Große Zeit des deutschen Theaters“.[52] Obwohl seine gesamten Beispiele aus der Zeit des „Dritten Reiches“ stammen, diskutierte Fechter den politischen Kontext, in dem die von ihm besprochenen Leistungen entstanden, mit keinem Wort. Es scheint fast, die von Fechter beschriebenen schauspielerische Glanztaten seien völlig ungebunden an einen gesellschaftlichen Kontext, ja zeitlos. Nichtsdestoweniger implizierte Fechter aber auch, dass es gerade das NS-Regime war, das eine derartige künstlerische Blütezeit überhaupt erst ermöglichte, die nun, leider, an ein Ende gekommen sei.

  

 
 
Ein Widerständler? Der wegen seiner Nähe zu NS-Machthabern wie Hermann Göring umstrittene Schauspieler, Regisseur und Indendant Gustaf Gründgens (1899–1963) als Hamlet im Jahr 1936 – dem selben Jahr, in dem Klaus Mann in Amsterdam seinen Roman Mephisto veröffentlichte, dessen opportunistischer Protagonist Hendrik Höfgen an Gründgens angelehnt ist (rechts eine Taschenbuchausgabe aus dem Jahr 2000).
Quellen: Bundesarchiv, Bild 183-S01144, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0; Rowohlt Verlag

 

 

Personelle Kontinuitäten

In dieser Sichtweise schien 1945 eine personelle Neuorientierung also gar nicht nötig. Kontinuitäten waren folglich nicht die Ausnahme, sondern die Regel. So auch im Fall des ehemaligen Bielefelder Theaterintendanten Alfred Kruchen, einem aktiven Nationalsozialisten. Nach zweijähriger Internierung durch die Briten kehrte er zum Theater zurück und war ab 1949 und bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1959 Intendant des Theaters Oberhausen.[53] In seiner Untersuchung zum Bochumer Stadttheater stellt Uwe-Karsten Ketelsen personelle Kontinuitäten über die Zäsur von 1945 hinweg nicht nur im Hinblick auf die Person des Intendanten Saladin Schmitt heraus, sondern in Bezug auf fast alle Entscheidungsträger in Bochums Kulturpolitik.[54] Und Jürgen-Dieter Waidelich zeichnet mit viel Akribie die Karrieren dreier Essener Intendanten nach, die die „Stunde Null“ unbeschadet überstanden und ihre eigene Verstrickung in das NS-Regime in den Nachkriegsjahren erfolgreich vergessen machten. In Dortmund sah es nach 1945 nicht anders aus: Willem Hoenselaars, Dortmunds erster Intendant nach 1945, war der letzte Schauspieldirektor vor 1945 – und auch sein Nachfolger Herbert Junkers war ehemaliger Dramaturg und Kritiker der stramm nationalsozialistischen Westfälischen Landeszeitung Rote Erde. Trotzdem gab die Mehrheit der Theaterschaffenden nach dem Krieg an, sich für Politik nicht interessiert zu haben – allein der Kunst habe man sich verschrieben gehabt.

Für Remigranten wie den Regisseur Erwin Piscator oder den Tänzer und Choreographen Kurt Jooss bedeutete diese Situation häufig, dass sie gezwungen waren, an nachgeordneter Stelle für diejenigen zu arbeiten, die schon während der NS-Zeit die Kulturpolitik bestimmt hatten oder sogar verantwortlich für ihre Emigration gewesen waren.[55] Im Theaterleben der Nachkriegsjahre jedenfalls waren es nicht die Emigranten, die den Ton angaben.[56] Wolfgang Benz stellt zu Recht fest: „Die Publikumslieblinge der NS-Zeit, die allesamt beteuerten, [sic] nur ihrer Kunst gelebt zu haben, die sich nicht an die Vorteile erinnern konnten, die sie erfahren hatten, waren früher oder später wieder im Geschäft: Hans Albers und Heinz Rühmann, Johannes Heesters, Zarah Leander, Marika Rökk und viele andere.“[57]

Schlimmer noch. Nicht selten wurden die Emigranten bei ihrer – oft nur temporären – Rückkehr nach Deutschland von einer aggressiven Stimmung empfangen. So wurde ihnen oft vorgeworfen, rechtzeitig aus Deutschland geflohen zu sein, bevor der Terror des Luftkriegs begonnen habe. Sie, die Daheimgebliebenen, seien deswegen die eigentlichen Opfer gewesen. Der Schauspieler Fritz Kortner musste 1950 ein Berliner Gastspiel absagen, nachdem er anonyme Drohbriefe erhalten hatte,[58] anderen Emigranten wie Marlene Dietrich ging es ähnlich. Den 1936 von Goebbels verbotenen Shakespeare-Übersetzungen von Hans Rothe, die in den 1920er und frühen 1930er Jahren äußerst erfolgreich und wegen ihrer Aktualisierung der oft als antiquiert empfundenen Schlegel/Tieck-Versionen beim Publikum besonders populär gewesen waren, blieben die deutschen Bühnen weiterhin versperrt. Der Ton der Kritik an Rothes Textfassungen ähnelte vielmehr dem während des „Dritten Reichs“ gebräuchlichen Chargon.[59] Die Berufung von P. W. Jacob, der im argentinischen Exil die Freie deutsche Bühne geleitet hatte, zum Dortmunder Intendanten blieb die Ausnahme im deutschen Theater.[60]

 

 
Zwei, die aus dem Exil nach Deutschland zurückkehrten: die Schauspieler und Regisseure Curt Bois (1901–1991; l.) und Fritz Kortner (1892–1970; r.) im Berliner Schiller-Theater, Februar 1959.
Bild: Bundesarchiv, B 145 Bild-P047613, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

 

 

Repertoire, Ästhetik und Inszenierungsstil

Wie bereits angesprochen, bezogen sich die Kontinuitäten auch auf die Spielpläne, die sowohl vor als auch nach 1933 vom konservativen Geschmack der Besuchermehrheit geprägt waren. In diesem Bereich konnte der radikale Antimodernismus der Nationalsozialisten auf gut entwickelten kleinbürgerlichen und nationalistischen Überzeugungen aufbauen, die sich schon während des Kaiserreichs bemerkbar gemacht hatten, in der Weimarer Republik noch einmal erheblichen Aufwind bekamen und sich nach dem Zweiten Weltkrieg fortsetzten. Obwohl man nach dem Ende des NS-Staats auf die völkisch-nationalistische Dramatik verzichtete, die nach 1933 zunächst eine bedeutende Rolle auf den Bühnen gespielt hatte, stellte das Kriegsende keine Zäsur dar. An einigen westdeutschen Regionaltheatern dauerte es bis spät in die 1960er Jahre, bevor Brechts Werke dort überhaupt diskutiert wurden – abgesehen von einigen isolierten Aufführungen der populären Dreigroschenoper.[61] Die künstlerische Avantgarde und das zeitgenössische Theater blieben weitgehend unberücksichtigt und stattdessen radikalkonservative Auffassungen bestimmend. Mit der „Niggerbegeisterung“, wie sie in Ernst Kreneks Oper Jonny spielt auf (1927) „ihren Kulminationspunkt“ gefunden habe, wollte man nichts zu tun haben.[62] Noch 1957 verglich Außenminister Heinrich von Brentano (CDU) Bertolt Brechts Lyrik mit dem Horst-Wessel-Lied.[63] Inhaltlich kam es nach Ende des Krieges damit keineswegs zu einer allgemeinen Hinwendung zu Werken der unter Hitler verfemten Künstler oder zu einer verstärkten Berücksichtigung zeitgenössischer Dramatik, sondern ganz im Gegenteil zu einer Rückkehr zur angeblich unpolitischen Klassik, zu „Kultur“ und „Harmonie“.[64]

Das deutsche Theater setzte im Sommer 1945 also dort wieder an, wo es im Spätsommer 1944 gezwungen war aufzuhören. Ästhetik, Dramaturgie und Formensprache blieben weitgehend unverändert, und die Aufführungen des klassischen Kanons wurden weiterhin als höchste Aufgabe eines erzieherischen und bildenden Theaters betrachtet. Aufführungen von Shakespeares Dramen reflektierten weiterhin Auseinandersetzungen um heldenhaftes Handeln und die selbstlose Aufgabe der Protagonisten und wurden weiterhin in neoklassizistischen Bühnenbildern inszeniert – und zwar von Regisseuren, die schon in der NS-Zeit erfolgreich gewesen waren. Dargestellt wurden sie von Schauspielern, die Repräsention und Pathos pflegten, die neuen Ansätze im Schauspiel – wie das epische Theater – allerdings kaum rezipierten. „Reichskanzleistil“ nannte der Emigrant Berthold Viertel die deutsche Theaterästhetik der 1950er Jahre[65] – ein Theater, das weder in der Lage schien, die radikalen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen im Nachkriegsdeutschland zu reflektieren, noch dies letztlich wollte. Stattdessen schien die Flucht in die Klassik und eine „zeitlose“ Formensprache die Möglichkeit zu eröffnen, dieser Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen und gleichzeitig das Theater in der Bedeutung eines kulturellen Kompass in turbulenter Zeit herauszustellen. Diese Art von Theater wollte nach wie vor daran glauben, dass „gute“ Kunst politisch neutral sein könnte, außerhalb politischer Debatten und sozio-ökonomischer Entwicklungen stehend. Wilhelm Hortmann wies Viertels Kritik vehement zurück und betonte die Bedeutung von Ruppels Vision eines politisch unbeeinflussten „großen Berliner Theaters“. Es ist diese Sichtweise, die Hortmann als Rahmen für seine 2001 publizierte Untersuchung des deutschen Theaters im „Dritten Reich“ wählte.[66] Trotzdem musste auch Hortmann eingestehen, dass nach 1945 die ästhetische Formensprache des nationalsozialistischen Theaters weitgehend übernommen wurde und bis in die 1950er Bestand hatte. Man kann sogar davon ausgehen, dass sich diese Ästhetik noch viel länger an und auf den Bühnen hielt und erst mit dem Aufkommen des Dokumentartheaters Mitte der 1960er Jahre ernsthaft in Frage gestellt wurde.

 

 
Die Ermittlung – Oratorium in elf Gesängen von Peter Weiss thematisiert den ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963–65. Hier eine Aufführung des Staatstheaters Nürnberg in den Katakomben der Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände mit Stefan Lorch, Thomas L. Dietz, Ole Eisfeld, Jochen Kuhl und Heimo Essl (v.l.n.r.) im Juni 2009.
Bild: Marion Bührle, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

 

 

Theaterkritik und Historiographie

Die bereits diskutierten Theaterwissenschaftler und Kritiker Karl Heinz Ruppel und Paul Fechter weisen auf eine weitere bedeutende Kontinuität nach 1945 hin: die der Kritiker. Nicht nur die Schauspieler, Theaterleitungen und Kulturreferate überstanden das Kriegsende relativ unbeschadet, sondern auch diejenigen blieben dieselben, die die Theatergeschehnisse für die Öffentlichkeit interpretierten und bestimmte Lesarten etablierten. Kritiker, die die öffentliche Meinungsbildung schon vor 1945 mitbestimmt hatten und sich bereitwillig nationalsozialistische Interpretationsmuster angeeignet oder diese sogar aktiv vorangetrieben und etabliert hatten, blieben von Entlassungen weitgehend verschont. Von den großen Theaterkritikern der 1920er Jahre, und vor allem von der produktiven Konkurrenz zwischen Alfred Kerr und Herbert Ihering war nur der Nicht-Emigrant Ihering übriggeblieben. Siegfried Jacobsohn starb bereits 1926, Alfred Kerr war genauso in die Emigration getrieben worden wie Julius Bab.

Es nimmt daher kaum Wunder, dass eine kritische Auseinandersetzung mit der Bühnenproduktion weitgehend ausblieb. Gefeiert wurden stattdessen einige wenige Inszenierungen, wie Wolfgang Langhoffs Nathan der Weise, mit der er 1945 das Deutsche Theater in Berlin wiedereröffnete, oder Wolfgang Borcherts Draußen vor der Tür (1947), die beide angeblich den wahren Geist des deutschen Theaters darstellten. Obwohl derartige Inszenierungen die Ausnahme blieben, wurden sie doch besonders herausgehoben und stellen bis heute sinnbildlich den vermeintlichen Neuanfang 1945 dar.

 

 
Paul Wegener (1874–1948) als Nathan in Lessings Nathan der Weise am Deutschen Theater in Berlin, September 1945.
Bild: Deutsche Fotothek, df_pk_0000018_021, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

 

In der Provinz war noch weniger Wechsel als in den Großstädten zu verzeichnen, und die etablierte Kritikergeneration machte einfach weiter. Was nun gefragt war, war keine kritische Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Vergangenheit, sondern die Mitarbeit an einer kontinuierlichen Weiterentwicklung auf dem Weg zu „Wahrheit“ und „reiner Kunst“. Bezogen auf das Bielefelder Theater stellte der Kritiker Kurt Uthoff 1954 fest: „Politik hin, Politik her. Im Grunde ging es wohl allen Bielefelder Intendanten und den Musikdirektoren [...] um die Verwirklichung des Wortes, das Landgraf Hermann im Tannhäuser seinen Minnesängern beschwörend zuruft: ‚Die holde Kunst, sie werde jetzt zur Tat!‘“[67]

Ernst Leopold Stahl behauptete 1947 in seinem Mammutwerk Shakespeare und das deutsche Theater sogar, dass die Machtübernahme der Nationalsozialisten ein notwendiger Schritt gewesen sei und zu einer lange ersehnten „Klärung“ der Verhältnisse geführt habe. Nachdem er – nationalsozialistischen Argumentationsmustern bereitwillig folgend – das Berliner Theater Anfang der 1930er Jahre als von einem „Zersetzungsprozeß“ befallen charakterisiert hatte, fasste er zusammen: „Alles in allem gesehen, drängten also die organisatorischen wie die künstlerischen Verhältnisse des Theaters in Berlin nach einer Klärung. Sie ist alsbald, in allzu naher Verbindung mit den politischen Entscheidungen, die der 30. Januar 1933 brachte, erfolgt.“ Die neuen Machthaber hätten dann tatsächlich „nach verhältnismäßig kurzer Zeit [...] eine organisierte Ordnung geschaffen“. Mit Bezug auf Shakespeare-Inszenierungen stellte Stahl nicht ohne Bewunderung fest, dass nach der Machtübernahme „blutvolles Theater“ und „selbstverständlich die nordisch-germanische Grundhaltung Shakespeares besondere Betonung“ erfahren habe.[68]

Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten in diesem Zusammenhang die etablierten Lokalhistoriker, oft bekannte Honoratioren, die die Deutungshoheit zu Recht für sich zu beanspruchen schienen. Beispielsweise etablierten Arthur Mämpel in Dortmund, Wilhelm Vernekohl in Münster und Karl Kühling in Osnabrück nach 1945 ganz bestimmte Lesarten der NS-Zeit, die die politische Unabhängigkeit und ästhetische Qualität ihrer künstlerischen Produktion betonten. Für Dortmund sprach Mämpel davon, dass sich das Theater den Vereinnahmungsversuchen der Nationalsozialisten weitgehend entzogen hätte.[69] Für ihn war die Zeit Mitte der 1930er Jahre sogar eine der künstlerisch erfolgreichsten der Dortmunder Theatergeschichte überhaupt. Intendant Georg Hartmann habe „künstlerische Großtaten nachgewiesen“ und „ein Ensemble und ein Repertoire-Theater [geschaffen – A.H.], das noch einmal an die großen Zeiten der Dortmunder Theatergeschichte erinnerte“.[70] Der Chronist des Münsteraner Theaters Josef Prinz stellte 1956 in Bezug auf die Geschichte des Hauses in der NS-Zeit fest, dass „das Stadttheater in Münster bis in die Kriegsjahre hinein auf einem für eine Provinzbühne beachtlich hohen Niveau“ gestanden habe.[71] Die Spielplangestaltung während des „Dritten Reichs“ sei allenfalls „entsprechend den Zeitströmungen“ erfolgt.[72] Die Entlassung des jüdischen Intendanten Fritz Berend verschwieg Prinz, stattdessen erwähnte er bewundernd, dass der neue (nationalsozialistisch orientierte) Intendant Otto Liebscher „das große Haus nach völliger Renovierung am 1.10.1933 festlich neu eröffnet“ habe.[73] An der münsterschen Niederdeutschen Bühne verlief die Vergangenheitsbewältigung ähnlich kritiklos. Deren 1959 erschienene Chronik pries das „Dritte Reich“ als „eine spielfreudige und premierenreiche Zeit“, in der man „wohlwollende Förderung“ genossen habe.[74] Noch 1995 behauptete die Bühne, sie sei „vor den nationalsozialistischen Karren gespannt“ worden.[75]

 

 
Ohne eigenes Zutun von den Nationalsozialisten instrumentalisiert – noch in den 1990er Jahren hörte man solches von der Niederdeutschen Bühne Münster. Beheimatet ist das Ensemble hier, im 1954 errichteten Nachkriegsgebäude des Theaters Münster (Foto von 2009).

 

Der Blick auf die Theatergeschichtsschreibung nach 1945 zeigt, dass nicht nur bei Quellen und Literatur aus der NS-Zeit besondere Vorsicht zu walten hat, sondern genauso bei der Interpretation der historischen Überlieferung nach 1945. So gilt beispielsweise Arthur Mämpel  bis heute als der beste Kenner der Dortmunder Theatergeschichte;[76] sein umfangreicher Nachlass bietet reichhaltige Informationen und ist von unschätzbarem Wert für alle, die sich mit Dortmunds Theater auseinander setzen wollen. Gleichzeitig ist zu beachten, dass  Mämpel nicht als neutraler Beobachter und Berichterstatter gelten kann, sondern selbst in das NS-Regime verstrickt war.[77] Er war Ortsreferent für Volkstum/Brauchtum der KdF und seit April 1938 NSDAP-Mitglied. Mit Beginn der Spielzeit 1935/36 verfasste Mämpel regelmäßig die „Mitteilungen der Nationalsozialistischen Kulturgemeinde“ und war als Leiter der Presse- und Propagandaabteilung der NSKG Dortmund auch für den Inhalt des monatlichen Mitteilungsblatts verantwortlich.[78] In diesen Publikationen mahnte Mämpel „weltanschauliche Festigkeit“ bei der Spielplangestaltung an, lobte das Publikum, „das von sich aus Fremdartiges langsam abzulehnen gelernt hat“ und forderte die „Indienststellung“ der Kulturpolitik „in den Ideenbereich einer germanischen Rassenpsychologie“.[79] Den Krieg überstand Mämpel schadlos, und schon 1948 erschien seine nächste Publikation zum Thema, die die Zeit des „Dritten Reiches“ nur am Rande streifte und seine eigene Rolle vollends ausklammerte.[80]

Die Karrieren der Kritiker, Theaterhistoriker und Kulturpolitiker erlebten 1945 in der Regel keinen Bruch, ganz gleich welche Positionen sie während der NS-Zeit vertreten hatten. So stieg Wilhelm Vernekohl, vor 1945 ein glühender Anhänger des NS-Regimes und führender Theaterkritiker der Stadt, im Münster der 1950er Jahre zum gefeiertern Kulturdezernenten auf; eine vergleichbare Karriere hat auch der Osnabrücker Theaterkritiker Karl Kühling vorzuweisen. Dass insbesondere die münstersche Niederdeutsche Bühne mit ihrer eigenen Vergangenheit so gnädig umging, mag nicht zuletzt daran liegen, dass ihr langjähriger Leiter, Josef Bergenthal, als Landesleiter der Reichsschrifttumskammer an maßgeblicher Stelle im NS-Regime gewirkt hatte.

 

Zusammenfassende Bemerkungen

In den 1950er und 1960er Jahren ging es Kulturpolitikern, Bühnenschaffenden und denen, die ihre Arbeit interpretierten und einem breiten Publikum zugänglich machten, kaum um eine kritische Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit und der Funktion, die das Theater und die dort Tätigen für das NS-Regime freiwillig oder unfreiwillig ausfüllten. Ästhetik, Kritik und Wissenschaft blieben auf Jahre hinaus von den während des Nationalsozialismus angeeigneten Ausdrucksformen geprägt, beschönigende und apologetische Deutungsmuster zum Theater und der NS-Zeit teils über Jahrzehnte hinaus stabil. Eine „Stunde Null“ des Theaters hat es nicht gegeben, personelle Kontinuitäten waren die Regel und wurden nicht kritisch hinterfragt – remigrierte Theaterschaffende nahmen in der Theaterlandschaft der Nachkriegszeit längst nicht den Platz ein, den man zunächst vielleicht vermuten würde. Noch 1962 konnte Karl-Heinz Ruppel seine im „Dritten Reich“ verfassten Theaterkritiken ungekürzt und ohne kritische Anmerkungen erneut publizieren und die „Leistungen“ der Berliner Theater zwischen 1933 und 1944  weiter feiern. Gleichzeitig schreckte er aber auch nicht davor zurück, im Vorwort des Bandes seine Kritikertätigkeit als Akt des Widerstands gegen das NS-Regime auszugeben – eine Deutung, die sich selbst bei entsprechend wohlwollender Lektüre seiner Kritiken nicht nachvollziehen lässt. Wenig kritische Selbstreflexion ist auch für die Theaterwissenschaftler an den Hochschulen nach 1945 festzustellen. Carl Niessen, theoretischer Vordenker der Thing-Spiele und zugleich früheres SA-Mitglied, blieb an der Universität Köln nach 1945 nicht nur Professor für Theaterwissenschaft, sondern vielmehr Institutsleiter. Auch Heinz Kindermann, der 1943 mit Hilfe der NS-Kulturpolitik das Zentralinstitut für Theaterwissenschaft in Wien gegründet hatte, galt weiterhin als einer der führenden deutschsprachigen Theaterwissenschaftler und ist mit der zehnbändigen Theatergeschichte Europas auch noch Jahrzehnte nach ihrer Publikation Verfasser des umfangreichsten deutschsprachigen Handbuchs zur Theatergeschichte.[81]

Die Rolle dieser Kommentatoren und die Deutungshoheit über die jüngste Vergangenheit, die sie für sich beanspruchten und ausübten, bleibt ein bedeutendes Forschungsdesiderat. Für Jahre bestimmten sie den mehr oder weniger kritischen fachlichen und öffentlichen Diskurs, betonten die Widerstandskraft des deutschen Theaters angesichts der NS-Ideologie sowie die Qualität der Inszenierungen, die es trotz „widriger Umstände“ zustande gebracht habe. Und sie feierten die vermeintlich erfolgreiche Rückkehr emigrierter Theaterschaffender auf die deutschen Bühnen, die nach 1945 das kulturelle Leben wieder entscheidend bereichert hätten.[82] Die kritische Auseinandersetzung mit der Theatergeschichte im „Dritten Reich“ begann erst in den 1980er Jahren, die Auseinandersetzung mit den Kommentatoren, die sie der Öffentlichkeit über Jahre hinweg vermittelten, hat noch nicht einmal angefangen.

 

 

Abkürzungen:

DAF Deutsche Arbeitsfront

HJ Hitlerjugend

KdF Kraft durch Freude

NSKG Nationalsozialistische Kulturgemeinde

 

[1] Vgl. Schmidt, Dörte, Brigitte Weber (Hg.). Keine Experimentierkunst: Musikleben an Städtischen Theatern der Weimarer Republik. Stuttgart: Metzler, 1995. Zu Recht stellt Karl Christian Führer fest, dass „our understanding of Weimar culture is incomplete without a grasp of broader patterns of cultural production and consumption, and skewed if it does not take into account the conservative tastes and the forces of tradition which also characterized it“ (Führer, Karl Christian. “High Brow and Low Brow Culture” McElligott, Anthony (Hg.). Weimar Germany. Oxford: Oxford University Press, 2009, S. 260; vgl. auch ders., „‚Pfui! Gemeinheit! Skandal!‘ Bürgerlicher Kunstgeschmack und Theaterskandale in der Weimarer Republik“. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 57 (2009). S. 389-412. Zu Gegenpositionen vgl. u.a. Lacquer, Walter. Weimar. A Cultural History 1918-1933. London: Weidenfeld, 1974. S. 140-154; Hermand, Jost, Frank Trommler. Die Kultur der Weimarer Republik. Frankfurt/M.: Fischer, 1988. S. 193-260; Schöne, Lothar. Neuigkeiten vom Mittelpunkt der Welt. Der Kampf ums Theater in der Weimarer Republik. Frankfurt/M.: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1994.

[2] Zum Regionaltheater in Westfalen im „Dritten Reich“ vgl. Heinrich, Anselm. Theater in der Region. Westfalen und Yorkshire 1918-1945. Paderborn: Schöningh, 2012.

[3] Vgl. z.B. Mecking, Sabine, Andreas Wirsching (Hg.). Stadtverwaltung im Nationalsozialismus. Systemstabilisierende Dimensionen kommunaler Herrschaft. Paderborn: Schöningh, 2005; Möller, Horst, Andreas Wirsching, Walter Ziegler (Hg.). Nationalsozialismus in der Region. München: Oldenbourg, 1996.

[4] Hierzu auch Strobl, Gerwin. The Swastika and the Stage. German Theatre and Society, 1933-1945. Cambridge: Cambridge University Press, 2009. S. 167f. Die Besucherorganisation „Deutsche Bühne“ war im Frühjahr 1933 aus dem erzwungenen Zusammenschluss der Volksbühnenvereine mit dem konservativen Bühnenvolksbund entstanden und hatte danach rund 800.000 Mitglieder (Zahlen zitiert in Rischbieter, Henning. „NS-Theaterpolitik; NS-Theaterpolitik als Prozeß; Theatermetropole Berlin; Die deutsche Theaterlandschaft 1933-44.“ Rischbieter, Henning (Hg.). Theater im ‚Dritten Reich‘. Theaterpolitik, Spielplanstruktur, NS-Dramatik. Seelze: Kallmeyer, 2000. S. 30).

[5] Wie beispielsweise Intendanten in Dortmund und Bielefeld. Jürgen-Dieter Waidelich geht davon aus, dass in Essen im März 1933 etwa 20 Künstler aus politischen oder rassistischen Gründen entlassen wurden (vgl. Waidelich, Jürgen-Dieter. Essen spielt Theater. 1000 und Einhundert Jahre. Zum 100. Geburtstag des Grillo-Theaters. Bd. 1. Düsseldorf: Econ-Verlag, 1992. S. 341).

[6] Vgl. Schmidt/Weber, Keine Experimentierkunst, S. 18-32, 65-70.

[7] In Dortmund behauptete die NSKG, dass durch sie „zwei Drittel des Theateretats getragen werden“ und dass man „ohne Überhebung“ feststellen müsse, „daß diese Organisation das Dortmunder Theater gerettet hat“ (Westfälische Landeszeitung Rote Erde, 26. November 1934). Auf eine Anfrage bezüglich der Aktivitäten der NSKG antworteten viele Theater, dass sie sich von den finanziellen Forderungen der Organisation bedrängt fühlten und eine fruchtbare Zusammenarbeit vermissten (vgl. Stadtarchiv Hagen, Ha 1/9224). In einer Umfrage des Preußischen Theaterausschusses betreffs der Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Theatern und den jeweiligen Ortsgruppen der Deutschen Bühne Anfang 1934 kam heraus, dass an vielen Orten geradezu Chaos herrschte (vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde [BArch], R56 I/58, Bl. 72-79 für Göttingen, R56/50, Bl. 81 für Rheine, R56 I/53, Bl. 96 für Koblenz und Bl. 102f. für Köln).

[8] Zum Thing-Spiel vgl. Eichberg, Henning, Michael Dultz, Glen Gadberry, Günther Rühle. Massenspiele. NS-Thingspiel, Arbeiterweihespiel und olympisches Zeremoniell. Stuttgart: Frommann-Holzboog, 1977. Siehe auch Heinrich, Anselm. “Germania on Stage – the Nazi Thing Theatre.” Lee, Christina, Nicola McLelland (Hg.). Germania Remembered. Commemorating and Inventing a Germanic Past. (in Vorbereitung).

[9] Vgl. Bericht über den Bochumer Theaterhaushalt, 27. Februar 1940. Stadtarchiv Bochum, BO 20/234.

[10] Stadtarchiv Hagen, Stadttheater, Zuschüsse 1934/35, Ha 1/9275.

[11] Vgl. Daiber, Hans. Schaufenster der Diktatur. Theater im Machtbereich Hitlers. Stuttgart: Neske, 1995. S. 11.

[12] Vgl. Drewniak, Boguslaw. Das Theater im NS-Staat. Szenarium deutscher Zeitgeschichte 1933-1945. Düsseldorf: Droste, 1983. S. 39.

[13] Vgl. ebd.

[14] Vgl. Stadtarchiv Hagen, Stadttheater, Reichszuschuss Spielzeit 1936/37, Ha 1/9278 und Stadtarchiv Hagen, Monatsübersichten zu Einnahmen und Ausgaben des Stadttheaters zwischen 1934/1935 und 1938/1939, Ha 1/9326.

[15] Die Lücken in Dortmunds Haushalt waren enorm: In seinem Antrag auf Förderung für die Spielzeit 1935/36 vom 27. Februar 1935 macht Oberbürgermeister Kaiser die Lage auf drastische Weise deutlich. Bei einem Zuschussbedarf von 1.256.100 RM entstünde ein Fehlbetrag von 869.700 RM, von dem die Stadt aber nur 725.500 RM übernehmen könne. Daher beantrage er einen Zuschuss von 100.000 RM. Warum der beantragte Zuschuss damit in zwei Jahren um ein Drittel gestiegen war, erläuterte Kaiser allerdings nicht. Ungeachtet dessen überwies das Propagandaministerium dem Theater 70.000 RM (vgl. BArch R55/20349, Bl. 169-175, 188f., 213, 244f., 280, 290, 332, 359, sowie BArch R55/20314, Bl. 18.).

[16] Das Stadtbild war dominiert von Kohleförderung und Schwerindustrie, 55% aller Arbeitsplätze waren in diesen Bereichen zu finden.

[17] Vgl. Schmidt, Christoph. Nationalsozialistische Kulturpolitik im Gau Westfalen-Nord. Regionale Strukturen und lokale Milieus (1933-1945). Paderborn: Schöningh, 2006. S. 125-137.

[18] Nach der Annektion Österreichs wurde beispielsweise dem Stadttheater Dortmund deutlich gemacht, dass man von nun an mit Fördergeldern nicht mehr rechnen könne, da „die sofortige Stützung bezw. Sanierung des gesamtösterreichischen Theaterlebens vor jeder bisher reichsdeutschen Angelegenheit bevorzugt werden muss“ (Brief von Hofrat Schwebel vom 12. April 1938 (vgl. BArch, R55/20349, Bl. 287)). Statt diesen Bescheid zu akzeptieren, beschwerte sich Dortmunds Oberbürgermeister Kaiser und erhielt kurz danach prompt den Bescheid, dass Berlin erneut 50.000 RM zu zahlen bereit sei (vgl. BArch, R55/20349, Bl. 288 (Beschwerde Juni 1938) und Bl. 290 (Zusage der Förderung Juli 1938)). Diese Sachlage macht auch deutlich, dass man selbst Ende der 1930er Jahre von blindem Gehorsam in einer totalen Diktatur nicht sprechen konnte – zumal, wenn es ums Geld ging.

[19] Vgl. Dramatiker der HJ. Bochum 1937. Die Veranstaltungen der Woche der Dramatiker der HJ und der Reichstheatertagung der HJ vom 11. bis 18. April 1937. Bochum, 1937.

[20] Noch im August 1933 hatte sich die Stadtverwaltung in einem Brief an den preußischen Theaterausschuss gegen die Bezeichnung Hartmanns als Operndirektor ausgesprochen „mit Rücksicht auf die Dortmunder Arbeiterbevölkerung“. Der Magistrat erinnerte dabei an ein Rundschreiben von Staatskommissar Hinkel, in dem dieser deutlich gemacht habe, dass man eine „unverantwortlich häufige Benutzung großer Titulationen“ ablehne (BArch, R56 I/56, Bl. 73). Bei Hoenselaars machte man nur vier Jahre später offenbar gerne eine Ausnahme.

[21] Hanke musste allerdings auf seinen Titel fast zehn Jahre warten. Schon zu seiner Zeit in Münster hatte er versucht, den Karrieresprung zu initiieren, war aber immer wieder gescheitert, obwohl er sich künstlerisch und politisch „ausgezeichnet“ hatte. Sogar Goebbels erwähnte Hanke mehrmals lobend (vgl. Fröhlich, Elke (Hg.). Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil 2. Diktate 1941-1945. München: Saur, 1993-1996, hier: Bd. 4. Eintrag 19. November 1940. S. 303f.). 1938 hatte Münsters Gauleiter Meyer beim Propagandaministerium angefragt, ob man Hanke nicht den Titel des Generalintendanten verleihen könne. Das Ministerium lehnte ab mit dem Hinweis, dass Hanke noch nicht die dafür notwendigen herausragenden künstlerischen Leistungen gezeigt habe. Aber Hanke gab nicht auf: 1940 und 1941 schaltete sich Nürnbergs Oberbürgermeister Liebel ein, Hankes Fürsprecher wurden aber nun darauf verwiesen, dass im Krieg Titelverleihungen auf Eis lägen. Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky im Propagandaministerium machte Liebel dabei unmissverständlich, dass er die Sache bis nach Kriegsende ruhen lassen sollte. Dennoch gelang es Hanke nach weiteren Interventionen im September 1943 tatsächlich, den Titel des Generalintendanten zu erlangen (vgl. BArch, R55/72, Bl. 198-212, 231, 234, 256).

[22] Metzger, Hans-Ulrich. 25 Jahre Stadttheater Bochum. Unveröffentlichtes Manuskript (1943). Stadtarchiv Bochum, S. 40.

[23] Vgl. Dörnemann, Kurt. Theater im Krieg. Bochum 1939-1944. Bochum: Stadt Bochum, 1990. S. 5.

[24] Vgl. Schmidt, NS-Kulturpolitik, S. 151.

[25] Vgl. ebd., S. 153.

[26] So stieg der Anteil der Personalkosten am Gesamthaushalt des Bochumer Theaters zwischen 1925 und 1940 von 42% auf 63% (vgl. Bericht über den Bochumer Theaterhaushalt vom 27. Februar 1940 (Stadtarchiv Bochum, BO 20/234)).

[27] Vgl. Stadtarchiv Hagen, finanzielle Lage des Stadttheaters in den Spielzeiten 1924/25 bis 1936/37, Ha 1/9272.

[28] Vgl. Soester Anzeiger, 16. Oktober 1943. Zum wirtschaftlichen Erfolg vgl. Stadtarchiv Soest, D 1050. Für 1943/44 waren die Zahlen ähnlich beeindruckend (vgl. Jahresbericht des Westfälischen Landestheaters, April 1943 bis März 1944 (Stadtarchiv Soest, Westfälisches Landestheater, D 1050)).

[29] Vgl. Ketelsen, Uwe- Karsten. Ein Theater und seine Stadt. Die Geschichte des Bochumer Schauspielhauses. Köln: SH-Verlag, 1999. S. 145. Vgl. auch BArch, Reichstheater-Berichte, R55/20700, Bl. 106f.

[30] Vgl. Brief von Referent Scherzer in der Theaterabteilung an Goebbels vom 5. Juni 1943 (BArch, R55/20349, Bl. 5). Aus diesem Plan ist allerdings nie etwas geworden (vgl. dazu ebd., Bl. 153).

[31] Vgl. Bericht von Herrn Grolle vom Rechnungsprüfungsamt Weser-Ems vom 20. November 1942 als Antwort auf das Rundschreiben von Herrn Lang im Propagandaministerium. (BArch, R55/20700, Reichstheater-Berichte, Bl. 121.)

[32] Vgl. Stadtarchiv Münster, Theatergeschichtliche Sammlung Edith Lippold, Ordner 2. Der Gau Weser-Ems profitierte von einem vom Propagandaministerium 1942 aufgelegten Notprogramm für die Künste in vom Luftkrieg betroffenen Gebieten. Die Gesamtsumme betrug 800.000 RM, davon erhielt Osnabrück 50.000 RM (vgl. BArch, Reichszuschüsse [1942], R55/20263, Bl. 65-69). 1944 wurde dieses Notprogramm ausgeweitet und weitere 500.000 RM verteilt (vgl. BArch, Theaterhaushalt, R55/20249, Bl. 115-117, 122).

[33] Vgl. Dussel, Konrad. Ein neues, ein heroisches Theater? Nationalsozialistische Theaterpolitik und ihre Auswirkungen in der Provinz. Bonn: Bouvier, 1988. S. 245. Besonders der Anteil der Operette nahm stark zu (vgl. ebd., S. 273). Deutlich wird diese Erhöhung mit Blick auf die Aufführungsanteile der einzelnen Sparten des Theaters. Bezogen auf den Zeitraum 1919 bis 1944 fiel der Anteil des Schauspiels um 8% und derjenige der Oper um 15%. Die Operette gewann 23% hinzu (vgl. ebd., S. 241).

[34] Dazu und zur Einrichtung von Fronttheatern Körner, Ludwig. „Das deutsche Theater, eine Waffe des Geistes“. Bühnenjahrbuch 1940 (Berlin 1939). S. 1-4; sowie Schrade, Erich. Bühnenjahrbuch 1944 (Berlin 1944). S. 1-4.

[35] Vgl. Heinrich, Anselm. “‘It is Germany where He Truly Lives’: Nazi Claims on Shakespearean Drama”. New Theatre Quarterly 28.3 (2012): 230-242.

[36] Vgl. Rühle, Günther. „Ich bin Fehling. Shakespeares Richard III., eine Inszenierung in der Diktatur – Jürgen Fehlings nicht geheures Theater“. Theater heute (Oktober 2002). S. 34-41. Vgl. auch Hortmann, Wilhelm. Shakespeare und das deutsche Theater im 20. Jahrhundert. Mit einem Kapitel über Shakespeare auf den Bühnen der DDR von Maik Hamburger. Berlin: Henschel, 2001. S. 151-155; siehe auch London, John. “Non-German Drama in the Third Reich”. London, John (Hg.). Theatre under the Nazis. Manchester: Manchester University Press, 2000. S. 247-250.

[37] Vgl. Elisabeth Schulz Hostetter. The Berlin State Theatre under the Nazi Regime – A Study of the Administration, Key Productions, and Critical Responses from 1933-1944. New York: Mellen Press, 2004. S. 185-188. Schulz-Hostetter urteilt differenzierter, indem sie Gründgens und Fehling zwar zugesteht, kritische Töne angeschlagen zu haben, andererseits aber auch deutlich macht, dass ihre Inszenierungen eindeutig „products of their time“ gewesen seien (ebd., S. 187).

[38] Ihering, Herbert. Regie. Berlin: Hans von Hugo Verlag, 1943. S. 79, 80.

[39] Hortmann, Shakespeare und das deutsche Theater im 20. Jahrhundert, S. 144.

[40] Wardetzky, Jutta. Theaterpolitik im faschistischen Deutschland. Studien und Dokumente. Berlin (Ost): Henschel, 1983. S. 85.

[41] Vgl. zum Beispiel: Stahl, Ernst Leopold. „Theaterschau. Shakespeare im Aufführungsjahr 1943/44“. Shakespeare-Jahrbuch 80/81 (1946), S. 109.

[42] Nach den ersten Kriegsmonaten nahm der Eifer, geschlossene Veranstaltungen für Wehrmachtsangehörige zu organisieren, allerdings merklich ab – vielleicht, weil dabei die Einnahmen zu gering waren (vgl. beispielsweise die Berichte des Gaupropagandaamts Westfalen-Süd [BArch, R55/20261, Bl. 348, 379, 426]).

[43] Nachdem beispielsweise die Kostüme des Essener Theaters in einem verheerenden Luftangriff im März 1943 in Flammen aufgegangen waren, half das Theater in Straßburg mit der Ausstattung für Beethovens Fidelio, das Theater in Darmstadt bei Calderons Leben ein Traum und das Theater Chemnitz bei Nedbals Erntebraut. Vgl. Waidelich, Essen spielt Theater, Bd. 2, S. 149.

[44] Stahl, Ernst Leopold. Shakespeare und das deutsche Theater. Wanderung und Wandelung seines Werkes in dreieinhalb Jahrhunderten. Stuttgart: Kohlhammer, 1947. S. 721.

[45] Knudsen, Hans. Deutsche Theatergeschichte. Stuttgart: Kröner, 1959. Knudsens Weigerung, sich mit dem NS-Regime kritisch auseinanderzusetzen, mag daran gelegen haben, dass er selbst glühender Verehrer Hitlers und NSDAP-Mitglied war und sich aktiv für das „Dritte Reich“ einsetzte (siehe dazu Wulf, Joseph. Theater und Film im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Berlin: Ullstein, 1989 [1963]. S. 228-236).

[46] Kindermann, Heinz. Theatergeschichte Europas. VIII. Band. Naturalismus und Impressionismus. 1. Teil. Deutschland/Österreich/Schweiz. Salzburg: Otto Müller, 1968.

[47] Wiese, Benno von (Hg.). Das Deutsche Drama. Bd. II. Vom Realismus bis zur Gegenwart. Düsseldorf: August Bagel, 1968.

[48] Eine Auffassung, die z.B. von Jutta Wardetzky vertreten wurde (Wardetzky, Theaterpolitik im faschistischen Deutschland).

[49] Vgl. dazu auch Hostetter, The Berlin State Theatre under the Nazi Regime, S. 179-182.

[50] Pitsch, Ilse. Das Theater als politisch- publizistisches Führungsmittel im Dritten Reich. Diss. Münster 1952 [masch.]. S. 237, 289.

[51] Ruppel, Karl-Heinz. Großes Berliner Theater. Hannover: Friedrich, 1962.

[52] Fechter, Paul. Große Zeit des deutschen Theaters. Gütersloh: Bertelsmann, 1951.

[53] Vgl. Schütze, Peter. „Annalen des Stadttheaters.“ Bühnen der Stadt Bielefeld (Hg.). 75 Jahre Stadttheater Bielefeld 1904-1979. Bielefeld: Kramer, 1979. S. 56.

[54] Vgl. Ketelsen, Ein Theater und seine Stadt, S. 149f.

[55] Vgl. Waidelich, Essen spielt Theater, Bd. 2, S. 137, 143.

[56] Vgl. dazu auch Berghaus, Günter. “Producing Art in Exile: Perspectives on the German Refugees’ Creative Activities in Great Britain”. Berghaus, Günter (Hg.). Theatre and Film in Exile. German Artists in Britain, 1933-1945. Oxford: Berg, 1989. S. 33f.

[57] Benz, Wolfgang. Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949. Stuttgart: Klett-Cotta, 2009. S. 127. Die Situation beim Film sah nicht anders aus, obwohl Thomas Elsaesser diesen Punkt in seinem Standardwerk nur am Rande anspricht (Elsaesser, Thomas. Der Neue Deutsche Film. Von den Anfängen bis zu den Neunziger Jahren. München: Heyne, 1994. S. 28ff.).

[58] Vgl. Die neue Münchner Illustrierte 47 (1950). S. 11.

[59] Vgl. „Rothes Irrungen“. Der Spiegel 44/1960. S. 84. Ganz ähnlich Stahl, Shakespeare und das deutsche Theater, S. 620ff. „Schlechthin undichterisch“ seien seine Übersetzungen von Shakespeares Tragödien und „gröblich banalisiert“ (S. 622).

[60] Zu Jacobs Intendanz sehr überzeugend Karhardt, Sigrid. „Auferstanden aus den Trümmern. Die Interimszeit des Dortmunder Theaters nach dem Krieg“. Theater Dortmund (Hg.). 100 Jahre Theater Dortmund. Dortmund: Harenberg, 2004. S. 131-135.

[61] In Münster dauerte es bis 1969, ehe der Kaukasische Kreidekreis mit Erfolg gegeben wurde. Die Vernachlässigung Brechts nach 1945 glich der Situation vor 1933.

[62] Stahl, Shakespeare und das deutsche Theater, S. 625.

[63] Vgl. Buchloh, Stephan. „Pervers, jugendgefährdend, staatsfeindlich“. Zensur in der Ära Adenauer als Spiegel des gesellschaftlichen Klimas. Frankfurt/M.: Campus, 2002. S. 144.

[64] Vgl. dazu zum Beispiel Lehmann, Hans-Thies. Postdramatic Theatre. Translated and with an Introduction by Karen Jürs-Munby. London: Routledge, 2007. S. 52.

[65] Viertel, Berthold. Studienausgabe Bd. 1. Die Überwindung des Übermenschen: Exilschriften. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik, 1989. S. 276.

[66] Vgl. Hortmann, Shakespeare und das deutsche Theater im 20. Jahrhundert, S. 138.

[67] Uthoff, Kurt. „Ein halbes Jahrhundert“. Städtische Bühnen Bielefeld (Hg.). 50 Jahre Stadttheater Bielefeld, Bielefeld, 1954. S. 9.

[68] Stahl, Shakespeare und das deutsche Theater, S. 669, 701, 703ff.

[69] Zur Geschichte des Dortmunder Theaters während des Nationalsozialismus vgl. Heinrich, Anselm. „Erbauung und Unterhaltung. Das Dortmunder Stadttheater zwischen 1933 und 1945.“ Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark 96/97 (2007). S. 293-322.

[70] Mämpel, Arthur. Theater am Hiltropwall. 40 Jahre im Hause von Martin Duelfer (Dortmund 1904 bis 1944). Dortmund: Ernst Arnold, 1955. S. 33. Genauso in ders. „500 Jahre Tradition. 75 Jahre im kommunalen Auftrag“. Direktorium der Städtischen Bühnen Dortmund (Hg). 75 Jahre Städtisches Theater in Dortmund 1904-79. Dortmund: Wulff, 1979. S. 81-87. Die NS-Verbrechen erwähnt Mämpel mit keinem Wort.

[71] Prinz, Josef. „Die Geschichte des münsterschen Theaters bis 1945“. Vernekohl, Wilhelm (Hg.). Das neue Theater in Münster. Festschrift zur Eröffnung des Hauses. Münster: Werbe- und Verkehrsamt, 1956. S. 65f.

[72] Ebd. S. 75f.

[73] Ebd. S. 65.

[74] Vgl. Bergenthal, Josef. „Die niederdeutsche Bühne am Theater der Stadt Münster.“ Das schöne Münster 18 (1959). S. 11f.

[75] Taubken, Hans. 75 Jahre Niederdeutsche Bühne an den Städtischen Bühnen Münster e.V. Münster, 1995. S. 16.

[76] Eine Würdigung der Person Arthur Mämpels und der Bedeutung seines Nachlasses findet sich in Bausch, Hermann Josef. „Der Nachlass der Theaterhistorikers Dr. Arthur Mämpel im Stadtarchiv Dortmund“. Heimat Dortmund 2/2004. S. 44-46).

[77] Siehe Stadtarchiv Dortmund. Nachlass Mämpel. Bestand 481 (besonders Nummer 76, die Schriftwechsel mit dem Fachverband der Reichsschrifttumskammer, der DAF, der NSDAP im Gau Westfalen-Süd, sowie Buchverlegern und Druckereien enthält).

[78] Vgl. Stadttheater Dortmund 1935/36. Programmhefte. Hg. von der Intendanz. Hefte Nr. 11, 13, 16, 17, 18. Alfred Rosenbergs radikal ausgerichtete NSKG versuchte besonders die völkisch-nationalistischen Werke vermehrt auf die Spielpläne zu bringen. Während Robert Leys KdF aus der massenhaften Anwesenheit breiter Bevölkerungsschichten im bürgerlichen Theater öffentlichkeitswirksames Kapital schlagen wollte, bestand die NSKG auf ideologisch „einwandfreie“ Spielpläne. Diese Ausrichtung scheint Mämpel durch seine Leitungstätigkeit innerhalb der NSKG bewusst unterstützt zu haben.

[79] Vgl. Stadttheater Dortmund 1935/36, Programmhefte, Hefte Nr. 11, 12 und 16. Das Drama der Weimarer Zeit lehnte Mämpel radikal ab und urteilte: „Eine aus den Fugen geratene Sittlichkeitsordnung beherrschte die Bretter und predigte die Thesen eines schrankenlosen Individualismus. Die infolge der blutmäßigen und geistigen Bastardisierung in allen Graden ihrer Zusammensetzungen im Menschen auftauchenden zwei Seelen in einer Brust zerissen, im Kampf miteinander, den Menschen“ (ebd., Heft 18). Vgl. dazu auch Mämpel, Arthur. „So wuchsen die Aufgaben der NS-Kulturgemeinde.“ Mitteilungsblatt der NS- Kulturgemeinde Ortsverband Dortmund 1 (1936). S. 3f.

[80] Mämpel, Arthur. „Das Dortmunder Theater von seinen Anfängen bis zur Gegenwart. Ein Überblick.“ Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark 47 (1948). S. 99-138, hier besonders S. 137f.

[81] Kindermann, Heinz. Theatergeschichte Europas. 10 Bde. Wien: Müller, 1957ff.

[82] Noch heute findet sich eine derartige Lesart der jüngsten Geschichte beispielsweise auf den Internetseiten von Touristik-Unternehmen, wie hier bezogen auf das Deutsche Theater in Berlin (http://www.berlin.city-map.de/03033300).

 

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Wie in anderen Bereichen auch, ist das Jahr 1945 für das Theater sowohl von Historikern als auch von den Theaterschaffenden selbst lange als radikaler Bruch mit der Vergangenheit und als ein Neuanfang angesehen worden – personell, künstlerisch und inhaltlich. Die sogenannte Stunde Null schien dem Theater nach 1945 eine Rückkehr zum Theater der Weimarer Republik zu ermöglichen und wurde als Fortführung der Tradition von Bertolt Brecht, Erwin Piscator und Frank Wedekind präsentiert. Eine Kontinuität, die das „Dritte Reich“ als Anomalie erscheinen ließ, als Ausnahme in einer Theaterentwicklung, die ansonsten von ästhetischen Experimenten, radikaler künstlerischer Avantgarde und mutiger politischer Dramaturgie geprägt war. Es verwundert daher kaum, dass Darstellungen des westdeutschen Nachkriegstheaters besonderen Wert auf das Dokumentartheater legen. Ein Theater, das inhaltlich sowohl an Brecht als auch an die Neue Sachlichkeit anzuknüpfen schien und darüber hinaus auch personell Kontinuitäten zu den 1920er Jahren suggerierte: Erwin Piscator inszenierte 1965 die Uraufführung von Peter Weiss’ Die Ermittlung über den Frankfurter Auschwitz-Prozess, derselbe Erwin Piscator, der 1927 mit Brecht eine vielbeachtete Kooperation im Berliner Theater am Nollendorfplatz eingegangen war. Wenn das NS-Regime überhaupt zur Sprache kam, wurde die Qualität der Klassikerinszenierungen herausgestellt und deutlich gemacht, dass das Theater sich als Hort der Kunst politischer Einflussnahme erfolgreich widersetzt habe. Eine derartige Sicht der Dinge ermöglichte nicht nur eine erfolgreiche Ausblendung der Verstrickungen des deutschen Theaterwesens im „Dritten Reich“ und der Rolle, die es für das Regime besaß, sondern schien auch die Benennung personeller Kontinuitäten überflüssig zu machen. Eine Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit stellte sich als unnötig dar, man habe sich schließlich nichts vorzuwerfen.

Schon ein erster Blick auf die frühe Nachkriegsgeschichte deutscher Theater macht allerdings deutlich, dass nicht die Kontinuitäten zur Weimarer Zeit, sondern zum Nationalsozialismus überwiegen, sowohl in personeller als auch in inhaltlicher Sicht. Obwohl die Theater im August 1944 geschlossen worden waren und die Theaterschaffenden daher nicht an Ort und Stelle bruchlos übernommen wurden, kehrten doch die meisten an ihre alten Wirkungsstätten zurück und nahmen die alten Positionen wieder ein. Für Exilanten war die Rückkehr hingegen ungleich schwerer und in vielen Fällen nahezu unmöglich. Der Spielplan setzte bis in die 1960er Jahre weitgehend die erprobten Formate fort und vermied die Avantgarde der 1920er Jahre genauso wie die Dramatik der Exilanten. Die eher konservative Linie der Spielplangestaltung an den westdeutschen Theatern (auf die sich dieser Aufsatz im Wesentlichen bezieht) knüpfte daher tatsächlich an die Weimarer Zeit an, als Theaterprogramme entgegen weitverbreiteter Annahmen eben nicht von der radikalen Avantgarde geprägt waren, sondern dem traditionellen Publikumsgeschmack Rechnung trugen.[1] Um die Kontinuitäten nach 1945 einordnen zu können, soll im Folgenden zunächst untersucht werden, wie sich das Theater im „Dritten Reich“ darstellte. Dabei soll der Blick ganz bewusst nicht nur auf Berlin, sondern auch auf die sogenannte Provinz gerichtet werden, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf Westfalen als typischer Region liegt.[2]

 



Die staatstragende Provinz: das Theater Bielefeld im Jahr 1936 – dem Jahr, in dem der aktive Nationalsozialist Alfred Kruchen die Intendanz übernahm.
Bild: Stadtarchiv Bielefeld

 

 

I. Das Theater im Nationalsozialismus

Nach der Machtübernahme der NSDAP wurde schnell klar, dass es der Partei an grundlegenden kulturpolitischen Konzepten fehlte. Bis weit in die 1930er Jahre versuchten verschiedene Organisationen, Politiker und Ministerien entscheidenden Einfluss auf das Theaterwesen zu gewinnen. Aber auch auf den nachgeordneten Ebenen wurde mächtig um Einfluss geschachert. Gauleiter, Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten und die regionalen Gaupropagandaämter versuchten, eine eigene Kulturarbeit zu etablieren.[3] Das Reichstheatergesetz vom Mai 1934 schien Goebbels’ Führungsanspruch im Kulturbereich zu bestätigen - mit der Reichskulturkammer hatte Goebbels ein zusätzliches Kontrollorgan geschaffen und die Reichsdramaturgie schien ihm die Lenkung der Spielpläne zu ermöglichen. In Wirklichkeit war die Kontrolle des Theaterwesens allerdings keineswegs lückenlos und nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen direkten und indirekten Einflussnahmen blieb die Situation für viele Theaterschaffende undurchschaubar. Ein Intendant war nunmehr nicht mehr allein der Stadtverwaltung Rechenschaft schuldig, sondern der jeweilige Gauleiter wollte ebenfalls konsultiert werden. Organisationen wie die Deutsche Bühne, Kraft durch Freude oder die Wehrmacht versuchten Einfluss zu nehmen, und selbst einfache Parteimitglieder spielten sich oft als Hüter deutscher Kulturwerte auf.[4]

Trotz dieser Situation hatte die restriktive Kulturpolitik des Regimes unmittelbare Folgen. Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom April 1933 ermöglichte die fristlose Entlassung „nicht-arischer“ Bühnenangehöriger. Kommunistisch und sozialdemokratisch gesinnte Bühnenangestellte wurden ebenso entlassen und in vielen Fällen verhaftet, und Neubesetzungen der Intendantenposten waren an den meisten Theatern die Regel. Letzteres fand teilweise sogar dann statt, wenn Intendanten entsprechend der Gesetzeslage gar nicht hätten entlassen werden dürfen, aber von übereifrigen Stadtverwaltungen als „untragbar“ eingestuft wurden.[5] Für die Spielpläne bedeutete die antisemitische Politik ein sofortiges Verbot von Werken jüdischer Dramatiker, Librettisten und Komponisten, und sie betraf eine große Anzahl von Stücken.

Ein entscheidender Faktor, der den neuen Machthabern Zuspruch sicherte, war ihre Bereitschaft, die Theatersubventionen zum Teil drastisch zu erhöhen und damit publikumswirksam den Spar-Trend der letzten Weimarer Jahre aufzuhalten. So wurden Zusammenlegungen von Theatern rückgängig gemacht (z.B. Bochum-Duisburg, Münster-Osnabrück), Häuser wieder in kommunale Kontrolle überführt (z.B. Hagen) und sogar eine Reihe neuer Theater eröffnet (z.B. Gelsenkirchen, Dessau). Überall wurden Spielstätten renoviert und aufwendige Werbemaßnahmen gestartet. Der Aufbruch in ein neues Zeitalter kultureller Blüte und nationalen Stolzes sollte sinnbildlich vor Augen geführt werden. Das Versprechen der Nationalsozialisten, kommunale Theater nicht nur zu retten, sondern einen nationalkonservativen und „sauberen“ Spielplan zu garantieren, empfahl sie auch Bevölkerungsgruppen, die Hitler nicht unbedingt nahestanden. Im Gegenzug machte die Unterstützung breiter bürgerlicher Kreise die Nationalsozialisten auch anderen Kritikern gegenüber salonfähig.

 

   

Sondermarke der Deutschen Reichspost mit Aufschlag zur Eröffnung des 1937/38 neu errichteten „Gautheaters Saarpfalz“ in Saarbrücken (Oktober 1938; l.) und das heutige Staatstheater Saarbrücken im historischen Gebäude (Februar 2004; r.).
Quellen: Wikimedia Commons; Anghy, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

 

 

Die erste „nationale“ Spielzeit

Dennoch und trotz der hohen Erwartungen an ein neues „nationales“ Theater, das durch einen völkischen Spielplan zum Volkstheater werden und die Massen ansprechen sollte, geriet die Spielzeit 1933/34 fast überall zum Fiasko. An vielen Orten gingen die Zuschauerzahlen zurück, die neue „heroische“ Dramatik nationalsozialistischer Autoren war wenig populär, und die oft mehr aufgrund ihrer politischen „Qualitäten“ als wegen künstlerischer Fähigkeiten eingestellten neuen Intendanten erwiesen sich meist als Fehlgriffe. Die neue, aus den bisherigen Besucherorganisationen Volksbühne und Bühnenvolksbund hervorgegangene Deutsche Bühne sollte den Theaterbesuch nicht nur organisatorisch bündeln und den Theatern finanzielle Planungssicherheit verschaffen, sondern auch dem neuen nationalsozialistisch geprägten Drama die Zuschauermassen zuführen. Die Theater waren auf garantierte Kartenverkäufe in großen Kontingenten zwingend angewiesen, die die Besucherorganisationen oder die in Eigenregie organisierte Platzmiete garantierten.[6] Im Großen und Ganzen musste aber die Deutsche Bühne nicht nur die erste Spielzeit als Misserfolg abhaken, sie konnte sich auch in den Folgejahren keineswegs als alleinige Besucherorganisation durchsetzen (auch nicht nach der 1934 erfolgten Umbenennung in Nationalsozialistische Kulturgemeinde, kurz NSKG). Viele Theater fühlten sich betrogen, da die Deutsche Bühne/NSKG die hehren Versprechungen eines organisierten Theaterbesuchs weder personell noch organisatorisch einhalten konnten. Sie beklagten mangelnde Kooperation, finanzielle Forderungen und Erfolglosigkeit bei der Gewinnung neuer Besucherkreise. In der Konsequenz kehrten viele Theater zu ihrem eigenen Stammsitz zurück, da ihnen ihre Abonnenten in Scharen davonliefen.[7]

 

„Normalisierung“

Schon bald mussten die NS-Machthaber einsehen, dass sie die bürgerliche Mittelschicht mit künstlerischen Experimenten wie dem Thing-Theater, das die neue Dramatik auf riesigen Freilichtbühnen präsentierte, nur befremdete, und man kehrte zum etablierten Guckkastentheater zurück.[8] Die folgenden Jahre waren Boom-Jahre für das Theater, und bei aller fehlenden inhaltlichen Konzeption schienen die Machthaber doch ihr Versprechen betreffend einer großzügigen Förderung des Theaters einzuhalten. Die Subventionen stiegen in zuvor kaum vorstellbare Höhen. So erhielt das Bochumer Theater 1939 stattliche 945.000 Reichsmark,[9] und in Hagen stiegen die Subventionen binnen dreier Jahre um mehr als 100 Prozent von 150.000 Reichsmark in der Spielzeit 1933/34 auf 380.000 Reichsmark 1936/37.[10] Gleichzeitig wurden die Arbeitsbedingungen von Schauspielern verbessert, Ganzjahresverträge eingeführt und neue Stellen geschaffen. 1933 arbeiteten 22.000 Theaterschaffende an 147 subventionierten Theatern – nur sieben Jahre später hatte sich diese Zahl verdoppelt, und auch die Zahl der Theater war um über 60 Prozent auf 248 angewachsen.[11] In vielen Städten wurden die Preise für Eintrittskarten gesenkt, attraktive Wahlmieten angeboten, Spielzeiten verlängert und Spielstätten renoviert. Der quantitative Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: die Zuschauerzahlen verdreifachten sich zwischen 1932 und 1936 von 520.000 auf 1,6 Millionen.[12]

 



Die 1934/35 auf dem Heiligenberg bei Heidelberg errichtete Thing-Stätte, die in ihrer Ortswahl an vorgeblich germanische Traditionen, in ihrer Architektur an antike Vorbilder anknüpft. Da die Thing-Dramatik vom Publikum nicht angenommen wurde, fanden auf den Freilichtbühnen, die eigentlich nationalsozialistische Vorstellungen von „Blut und Boden“ und „Volksgemeinschaft“ erfahrbar machen sollten, schon bald herkömmliche Theaterinszenierungen, aber auch Propagandaveranstaltungen und Sonnenwendfeiern statt (Foto vom Dezember 2006).
Bild: BishkekRocks, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

 

Viele Intendanten verstanden es geschickt, die sich ihnen bietenden Karrierechancen zu nutzen. Die Zahl der für die Propaganda so wichtigen ausverkauften Veranstaltungen konnte beispielsweise dadurch erhöht werden, dass sie erst gar nicht in den freien Verkauf gelangten, sondern als geschlossene Veranstaltungen an die NS-Organisationen Kraft durch Freude (KdF), Hitlerjugend (HJ) oder die Deutsche Arbeitsfront (DAF) abgegeben wurden und damit als „ausverkauft“ galten. Stramm ideologische Stücke, die im freien Verkauf keine Chance hatten, kamen auf diese Weise wenigstens zu einer Handvoll Aufführungen. Auch inhaltlich war den meisten Intendanten die Einverleibung ihrer Kulturinstitute in die NS-Propaganda gerade recht, und sie trieben diese teilweise aktiv voran. Und schließlich verstanden es Theaterleitungen genauso wie Kulturpolitiker insgesamt, sich in größeren historischen Zusammenhängen zu positionieren und Traditionen zu betonen, die im Umkehrschluss auch ein legitimierendes Licht auf sie selbst warfen. Diese Kontextualisierung sollte die nationalsozialistische Gegenwart als Erfüllung der kulturellen Versprechen der Vergangenheit erscheinen lassen. Im Gegensatz dazu konnten die Weimarer Jahre nur als Anomalie erscheinen.

Zusätzlich zu steigenden kommunalen Zuschüssen konnten sich die Theater auch um direkte finanzielle Hilfen des Propagandaministeriums bemühen. Die Höhe dieser Sonderzuwendungen stieg von 9,7 Millionen Reichsmark in 1934 auf astronomische 45 Millionen Reichsmark im Jahr 1942.[13] Diese Zahlungen waren weniger Goebbels’ künstlerischer Ader geschuldet, sondern vielmehr ein nützliches Kontrollinstrument, da sich das Ministerium damit ein Mitspracherecht bei Personalentscheidungen und beim Spielplan sicherte und Wohlverhalten belohnte. Zusammen mit dem Dank für die zugesagten Gelder übersandten die Theater daher zumeist auch den Spielplan, der eine „ordentliche“ Verwendung des Zuschusses belegen sollte. Hagen erhielt so ab Mitte der 1930er Jahre durchschnittlich 60.000 Reichsmark jährlich,[14]  Dortmund bis zu 80.000 Reichsmark.[15] Gelsenkirchens Stadtväter spielten geschickt die Karte der aufstrebenden Industriestadt, die ihren Arbeitern die Kunst nahebringen wollte[16] und erhielten jährlich 60.000 Reichsmark.[17] Diese zusätzlichen Zahlungen des Propagandaministeriums machten bis zu einem Drittel des Gesamtzuschusses einiger Theater aus und ermöglichten – zumindest theoretisch – eine direkte Kontrolle aus Berlin ohne den „Umweg“ über die kommunalen Behörden oder das preußische Innenministerium. Die Theater selbst machten umgehend Gebrauch von dieser sich bietenden Einnahmequelle und entwickelten geradezu ein Anspruchsdenken. Ablehnende Bescheide wurden nicht einfach akzeptiert, man beschwerte sich, selbst wenn die Gründe einleuchtend hätten sein müssen.[18]

Inhaltlich ermöglichte die finanzielle Konsolidierung die Inszenierung aufwendiger Opern, prestigeträchtiger Sonderveranstaltungen und Festwochen. So veranstaltete Bochum 1934 eine Schiller-Woche, 1936 folgte eine Kleist-Woche und 1937 eine „Woche der Dramatik der HJ“ – eine von drei Festwochen allein in jenem Jahr.[19] Allzu politische Werke wurden nun vermieden, aber die aufwendig inszenierten Klassiker und Komödien, Opern und Operetten verliehen den Machthabern kulturellen Glanz. Belohnt wurden die Intendanten dafür mit Titeln. Dortmunds Peter Hoenselaars durfte sich ab 1937 Generalintendant nennen,[20] Nürnbergs Willi Hanke bekam dieselbe Auszeichnung noch 1943,[21] und Bochums Saladin Schmitt wurde 1938 von Hitler zum Professor ernannt.[22]

 

 

Vier Jahre liegen dazwischen: Programmhefte des Staatstheaters Berlin am Gendarmenmarkt (dem heutigen Konzerthaus) von 1935 mit dem während der NS-Zeit geführten Wappen Preußens (l.) und von 1939 und dem Reichsadler (r.).
Quellen: Max Beck Verlag

 

Theater im Krieg

Der Kriegsausbruch 1939 bedeutete für die deutschen Theater keine einschneidende Zäsur – im Gegenteil. Sie machten nicht nur so weiter wie bisher und schienen seltsam entrückt von der Realität, vielmehr erfreuten sie sich wachsenden Zuschauerzuspruchs. Bochums Theater erzielte mit 212.000 Zuschauern in der Spielzeit 1942/43 einen Rekord,[23] und in Gelsenkirchen verdoppelten sich die Besucherzahlen sogar von 155.000 in der Spielzeit 1935/36 auf 294.000 in 1942/43.[24] Die regionalen Propagandaämter berichteten regelmäßig voller Stolz von ausverkauften Vorstellungen in ihren Amtsbezirken. Die Subventionen stiegen ebenso, in Gelsenkirchen von 177.000 Reichsmark im Jahr 1936 auf über 700.000 Reichsmark im Jahr 1943.[25] Die Gehälter der Ensemblemitglieder erhöhten sich in vergleichbarem Maße.[26] In der Spielzeit 1942/43 besaß das Theater Hagen noch immer 14 Schauspielerinnen und Schauspieler, acht Opern- und sieben Operettensänger, ein vollwertiges Ballettensemble, einen Chor, dazu drei Kapellmeister, einen Bühnenbildner, eine Souffleuse sowie eine ganze Reihe anderer Mitarbeiter in Technik und Verwaltung.[27] Auch das relativ unbedeutende Westfälische Landestheater, das die theaterlosen Orte der westfälischen Provinz mit Aufführungen versorgte, besaß 1943 noch ein fest angestelltes Personal von 16 Damen und 18 Herren und präsentierte 250 Vorstellungen im Jahr.[28] Aufführungstechnisch zogen die Theater im Krieg alle Register. Aufwendige Operninszenierungen und Festwochen wurden fortgesetzt, Tourneen unternommen und Theaterneubauten geplant.

 

 
DAF-Leiter Robert Ley (1890–1945), der Schauspieler und Intendant des Berliner Schiller-Theaters Heinrich George (1893–1946) und die Schauspielerin Gisela Uhlen (1919–2007; v.l.n.r.) nach einem Gastspiel im Théâtre des Champs Elysées im besetzten Paris, Januar 1941.
Bild: Bundesarchiv, Bild 183-R1213-0502, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

 

Trotzdem machte sich der Kriegsausbruch bemerkbar, und das vor allem in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht. Der zunehmende Mangel an Rohstoffen zwang die Theater dazu, den Umfang ihrer Programmhefte zu reduzieren, Bauvorhaben zu verschieben und von allzu aufwendigen Bühnenbildern abzusehen. Außerdem wurde von den Bühnen zunehmend erwartet, eine aktive Rolle bei den Kriegsanstrengungen zu spielen. So gab es Sondervorstellungen für die Wehrmacht und für Rüstungsbetriebe, sowie unterhaltende Programme, die in Zusammenarbeit mit KdF und DAF in Fabriken und Garnisonen organisiert wurden. Gastspielreisen ins besetzte Ausland, nach Belgien, Holland und Frankreich standen für viele Theater zu Beginn der 1940er Jahre ebenso auf dem Programm.[29] Sehr bald jedoch waren die Auswirkungen des Krieges auch physisch spürbar. Luftangriffe trafen deutsche Städte 1941 noch vereinzelt, ab 1943 verstärkt, und ab Herbst 1944 wurden vor allem die Industriestädte im Westen Deutschlands fast täglich aus der Luft angegriffen. Im Mai 1943 brannte Dortmunds Theater aus, Bochums Theater wurde im November 1944 zerstört, und das Theater Hagen lag bereits im Oktober 1943 fast vollständig in Schutt und Asche, völlig zerstört wurde es schließlich im März 1945.  Fieberhaft suchte man allerorten nach Behelfstheatern. Schon knapp zwei Wochen nach der Zerstörung des Dortmunder Theaters wurde dessen „vorübergehende“ Verlegung nach Luxemburg bekannt gegeben.[30] Schon zuvor hatten viele Theater aufgehört, Abendvorstellungen zu geben, und verlegten sich auf Matinees. Männliche Ensemblemitglieder wurden zunehmend eingezogen und hinterließen merkliche Lücken – Lücken, die man verzweifelt schließen wollte. So erhielten einige Orchester vom Propagandaministerium die Genehmigung, Musiker aus den besetzten Gebieten anzuwerben.[31] Auf der anderen Seite konnten sich Theater in den besonders betroffenen Regionen um Sonderzahlungen beim Propagandaministerium bemühen. So erhielt das Theater in Münster 1941 fast 500.000 Reichsmark, um neue Kostüme zu kaufen.[32]

 

Repertoire

Nachdem ein allzu politischer Spielplan in der ersten Spielzeit nach der Machtübernahme gescheitert war, begann auch in diesem Bereich eine „Normalisierung“. Bis zur endgültigen Schließung aller deutschen Theater im August 1944 setzten die Spielpläne vor allem auf Bewährtes und Unterhaltendes. Das klassische Drama wurde nach wie vor berücksichtigt und auch einige der völkischen Dramatiker kamen noch zu Wort, aber ansonsten spielte man Operetten und Lustspiele, Schwänke und Gesellschaftskomödien.[33] Als zusätzliche Aufgabe übernahmen die Theater Unterhaltungsabende für Wehrmachtsangehörige – die Soldaten waren zumeist ein dankbares Publikum.[34] Besonderen Wert wurde auf die Klassik gelegt. Auf diese Weise versuchte das Regime nicht nur an Traditionen anzuknüpfen, sondern sich auch dem Bildungsbürgertum zu empfehlen. Schiller und Kleist wurden geradezu als Vorkämpfer des „Dritten Reichs“ interpretiert und Shakespeare als germanischer Dramatiker gefeiert.[35]

Bei der Klassikerpflege kam es in einzelnen Fällen zu durchaus mutigen Inszenierungen, und dem Regime gelang es nie, die Theaterarbeit vollends zu kontrollieren (was auch letztendlich gar nicht in Goebbels’ Interesse lag). Die Regisseure Gustaf Gründgens, Heinz Hilpert und besonders Jürgen Fehling verstanden es, in ihren Inszenierungen den totalitären Charakter des Regimes subtil zu kritisieren. Beispielsweise wurde in Jürgen Fehlings Richard III. von 1937 Gloster als gnadenlos agierender und kühl kalkulierender Machtpolitiker dargestellt, dessen hinkender Gang an Goebbels erinnerte, und auch die Uniformen sahen denen der SS zum Verwechseln ähnlich.[36] Fehlings politische Rücksichtslosigkeit und künstlerische Kompromisslosigkeit, Hilperts Humanismus und Gründgens’ Ästhetik schienen kaum in Einklang zu bringen mit den Forderungen der NS-Kulturpolitik an ein völkisches Theater. Und dennoch passten sie ins politische Konzept. Die NS-Führung schmückte sich geradezu mit diesen Starregisseuren, erschien kultiviert, ja fast liberal, und konnte sich damit in der deutschen Öffentlichkeit – aber auch international – als kulturvolle Regierung präsentieren. Dies fiel umso leichter, als die genannten Regisseure Ausnahmen blieben und man ihnen (relative) Freiheiten einräumen konnte, die weniger berühmten Theatermachern nicht gewährt wurden. In diesem Sinne erscheinen die Inszenierungen von Hilpert und Gründgens, die von dem Theaterhistoriker Wilhelm Hortmann und anderen bis heute als Beispiele mutigen Widerstands gewertet wurden, sehr viel harmloser und weniger politisch als bisher angenommen.[37] Der Theaterkritiker Herbert Ihering nannte 1943 Heinz Hilpert einen Regisseur, der „an die Kraft der Stille [glaubt]“, einen, der „der privaten Menschlichkeit das Recht [gibt]“ und „zum unauffälligen, werkgetreuen, wesentlichen Theater [will]“.[38] Auch Gründgens’ zeitlose Betonung von Ästhetik, Form und Stil vermied laut der 2001 vorgenommenen Einschätzung Hortmanns die politische Intervention – stattdessen „achtete [er] darauf, sie nicht allzu genau in einer bestimmten historischen Zeit anzusiedeln. Er vermied aktuelle Anspielungen und alles, was das Publikum in irgendeiner Weise davon abgelenkt hätte, seine Inszenierungen als vollendete Kunstprodukte zu genießen“.[39] Mit diesem künstlerischen Konzept konnten die Nationalsozialisten gut leben, und diese Arbeit setzte Gründgens auch nach dem Krieg fort.

 

 
 
Zwei, die in Deutschland blieben: links der Regisseur Jürgen Fehling (1885–1968) bei einem Fotoshooting im Jahr 1945, rechts der ebenfalls als Regisseur und Theaterleiter tätige Heinz Hilpert (1890–1967), wahrscheinlich in den 1960er Jahren.
Bilder: Deutsche Fotothek, df_pk_0000024_a_038, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0; Heinz-Hilpert-Theater Lünen

 

Davon abgesehen, stellt sich grundsätzlich die Frage, welcher Einfluss diesen einzelnen, mehr oder weniger kritischen Inszenierungen auf die Öffentlichkeit überhaupt zugeschrieben werden kann. Wie im Folgenden weiter ausgeführt, wurde dieser Einfluss nach 1945 in der Regel hoch angesetzt und als Beispiel für mutige und kritische Theaterarbeit unter schwierigen Bedingungen interpretiert. Auch die Theaterwissenschaftlerin Jutta Wardetzky aus der DDR war der Auffassung, das Vorherrschen der Klassik auf den Spielplänen beweise, dass „die Durchsetzung eines im hitlerfaschistischen Sinne aktivierenden Spielplanes nur partiell gelungen war“.[40] Einig scheinen sich zeitgenössische wie heutige Kommentatoren darin, dass die enormen Subventionen Inszenierungen von höchster technischer Qualität und reicher Ausstattung ermöglichten. So opulent wie in der NS-Zeit war Shakespeare noch nie auf deutschen Bühnen gezeigt worden.[41] An dieser Situation änderte auch der Kriegsausbruch kaum etwas. Insgesamt gesehen waren die Jahre nach 1939 also von steigenden Besucherzahlen und Zuschüssen, sowie von zunehmenden politischen Ansprüchen geprägt, denen die Theater nach Möglichkeit nur allzu gerne nachkamen.[42] Zum 31. August 1944 wurden im Zuge des „totalen Krieges“ schließlich alle Theater geschlossen. Die kulturelle Fassade des NS-Regimes war endgültig gefallen.

 

II. Das westdeutsche Theater nach 1945

Die Schließung aller deutschen Theater ein knappes Jahr vor Kriegsende erleichterte die Rede vom Neubeginn nach dem 8. Mai 1945, denn es war tatsächlich keine Spielstätte mehr geöffnet. Kaum ein Theater war zudem von alliierten Luftangriffen verschont geblieben, nicht wenige waren restlos zerstört. Zumindest theoretisch hätte also die Möglichkeit eines grundlegenden Neuanfangs durchaus bestanden. Dass dieser nicht zustande kam, lag nicht nur daran, dass es zumeist an den entsprechenden Persönlichkeiten fehlte, die einen demokratischen Neubeginn auf dem Theater glaubhaft hätten versinnbildlichen können, es fehlte auch am Willen und an der Überzeugung von der Notwendigkeit eines solchen Schritts. Den Theaterschaffenden war es nämlich schon vor 1945 gelungen, die Legende von der unpolitischen Kunst sorgsam zu pflegen. Trotz entgegengesetzter offizieller Verlautbarungen während der NS-Zeit, die den Theatermachern eine eindeutig politische Rolle zuwiesen, stellten die Theater in diesem geschönten Selbstbild ein Rückzugsgebiet während des Krieges dar, einen Ort, an dem die Vorstellung des kultivierten Deutschlands aufrechterhalten wurde – trotz Rohstoffmangels, Personalsorgen und Luftangriffen. Selbst angesichts immer heftigerer Luftangriffe brachten die deutschen Theater noch üppige Operninszenierungen und Klassiker der Weltliteratur, und auch ein ausgebrannter Kostümfundus bedeutete nicht, dass die Theater aufhörten zu spielen.[43] Selbst in der letzten Spielzeit vor der Schließung, „trotz der immer wachsenden Kriegsnöte“ und Theatern, die „den feindlichen Bomben [...] zum Opfer gefallen waren“, kam es in ganz Deutschland noch zu 900 und zum Teil „hochachtbaren Aufführungen“ von Werken Shakespeares, wie der Kritiker und Theaterwissenschaftler Ernst Leopold Stahl 1947 schwärmte.[44]

Eine Aufarbeitung der NS-Vergangenheit schien vielen in Anbetracht solcher „Leistungen“ nicht nötig, sie hätte dem Theater geradezu Unrecht getan. Entsprechend boten etliche Theatergeschichten noch bis in die 1980er Jahre hinein keine Aufarbeitung der Verstrickung der Theater in das NS-Regime, sondern stellten lediglich die künstlerischen Leistungen während dieser Zeit heraus – wenn sie sich überhaupt damit beschäftigten. So widmete Hans Knudsen in seiner 1959 erschienenen Deutschen Theatergeschichte dem Thema „Theater und Staat“ zwar ein eigenes Kapitel, erwähnte in diesem aber weder die Versuche des NS-Regimes, Einfluss auf das Theater zu nehmen, noch die Bereitschaft der Mehrheit der Theaterschaffenden, sich darauf einzulassen.[45] Heinz Kindermanns monumentale Theatergeschichte Europas (1968) diskutiert die NS-Zeit mit keinem Wort und endet in ihrer Darstellung abrupt mit dem Jahr 1933.[46] Benno von Wieses ebenfalls 1968 veröffentlichtes Standardwerk Das Deutsche Drama klammert die Jahre zwischen 1933 und 1945 ebenfalls fast vollständig aus.[47] Andere frühe Studien attestieren den Theatern, „Inseln im Sturm“ oder „Oasen der Kultur“ gewesen zu sein und das „dunkelste Kapitel deutscher Geschichte“ einigermaßen schadlos überstanden, ja sogar der NS-Theaterpolitik erfolgreich widerstanden zu haben.[48]

Eine solche Widerstandshaltung nahm Gustaf Gründgens nach 1945 für die von ihm geführten Berliner Theater im „Dritten Reich“ in Anspruch.[49] Eine „Oase“ soll nach Meinung des Intendanten Willy Maertens auch das von ihm geleitete Hamburger Thalia-Theater gewesen sein. Die Theaterwissenschaftlerin Ilse Pitsch meinte 1952, dass „echtes ‚radikales‘ Theater […] in den Klassikeraufführungen während des Dritten Reichs bewahrt“ wurde. Die NS-Theaterpolitik sei am Widerstand des Theaters „gegen eine Entfremdung seiner künstlerischen Sinngebung“ gescheitert.[50] Anfang der 1960er Jahre betitelte der bekannte Theaterkritiker Karl Heinz Ruppel eine Sammlung seiner eigenen, während des „Dritten Reiches“ entstandenen Kritiken von Inszenierungen an den führenden Bühnen der Reichshauptstadt mit dem tonangebenden Titel „Großes Berliner Theater“ und feierte darin die Arbeit der Berliner Theater nach 1933.[51] Dieselben Errungenschaften lobte der gleichermaßen bekannte Theaterkritiker Paul Fechter in seiner 1951 erschienenen Studie bekannter zeitgenössischer Schauspieler als „Große Zeit des deutschen Theaters“.[52] Obwohl seine gesamten Beispiele aus der Zeit des „Dritten Reiches“ stammen, diskutierte Fechter den politischen Kontext, in dem die von ihm besprochenen Leistungen entstanden, mit keinem Wort. Es scheint fast, die von Fechter beschriebenen schauspielerische Glanztaten seien völlig ungebunden an einen gesellschaftlichen Kontext, ja zeitlos. Nichtsdestoweniger implizierte Fechter aber auch, dass es gerade das NS-Regime war, das eine derartige künstlerische Blütezeit überhaupt erst ermöglichte, die nun, leider, an ein Ende gekommen sei.

  

 
 
Ein Widerständler? Der wegen seiner Nähe zu NS-Machthabern wie Hermann Göring umstrittene Schauspieler, Regisseur und Indendant Gustaf Gründgens (1899–1963) als Hamlet im Jahr 1936 – dem selben Jahr, in dem Klaus Mann in Amsterdam seinen Roman Mephisto veröffentlichte, dessen opportunistischer Protagonist Hendrik Höfgen an Gründgens angelehnt ist (rechts eine Taschenbuchausgabe aus dem Jahr 2000).
Quellen: Bundesarchiv, Bild 183-S01144, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0; Rowohlt Verlag

 

 

Personelle Kontinuitäten

In dieser Sichtweise schien 1945 eine personelle Neuorientierung also gar nicht nötig. Kontinuitäten waren folglich nicht die Ausnahme, sondern die Regel. So auch im Fall des ehemaligen Bielefelder Theaterintendanten Alfred Kruchen, einem aktiven Nationalsozialisten. Nach zweijähriger Internierung durch die Briten kehrte er zum Theater zurück und war ab 1949 und bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1959 Intendant des Theaters Oberhausen.[53] In seiner Untersuchung zum Bochumer Stadttheater stellt Uwe-Karsten Ketelsen personelle Kontinuitäten über die Zäsur von 1945 hinweg nicht nur im Hinblick auf die Person des Intendanten Saladin Schmitt heraus, sondern in Bezug auf fast alle Entscheidungsträger in Bochums Kulturpolitik.[54] Und Jürgen-Dieter Waidelich zeichnet mit viel Akribie die Karrieren dreier Essener Intendanten nach, die die „Stunde Null“ unbeschadet überstanden und ihre eigene Verstrickung in das NS-Regime in den Nachkriegsjahren erfolgreich vergessen machten. In Dortmund sah es nach 1945 nicht anders aus: Willem Hoenselaars, Dortmunds erster Intendant nach 1945, war der letzte Schauspieldirektor vor 1945 – und auch sein Nachfolger Herbert Junkers war ehemaliger Dramaturg und Kritiker der stramm nationalsozialistischen Westfälischen Landeszeitung Rote Erde. Trotzdem gab die Mehrheit der Theaterschaffenden nach dem Krieg an, sich für Politik nicht interessiert zu haben – allein der Kunst habe man sich verschrieben gehabt.

Für Remigranten wie den Regisseur Erwin Piscator oder den Tänzer und Choreographen Kurt Jooss bedeutete diese Situation häufig, dass sie gezwungen waren, an nachgeordneter Stelle für diejenigen zu arbeiten, die schon während der NS-Zeit die Kulturpolitik bestimmt hatten oder sogar verantwortlich für ihre Emigration gewesen waren.[55] Im Theaterleben der Nachkriegsjahre jedenfalls waren es nicht die Emigranten, die den Ton angaben.[56] Wolfgang Benz stellt zu Recht fest: „Die Publikumslieblinge der NS-Zeit, die allesamt beteuerten, [sic] nur ihrer Kunst gelebt zu haben, die sich nicht an die Vorteile erinnern konnten, die sie erfahren hatten, waren früher oder später wieder im Geschäft: Hans Albers und Heinz Rühmann, Johannes Heesters, Zarah Leander, Marika Rökk und viele andere.“[57]

Schlimmer noch. Nicht selten wurden die Emigranten bei ihrer – oft nur temporären – Rückkehr nach Deutschland von einer aggressiven Stimmung empfangen. So wurde ihnen oft vorgeworfen, rechtzeitig aus Deutschland geflohen zu sein, bevor der Terror des Luftkriegs begonnen habe. Sie, die Daheimgebliebenen, seien deswegen die eigentlichen Opfer gewesen. Der Schauspieler Fritz Kortner musste 1950 ein Berliner Gastspiel absagen, nachdem er anonyme Drohbriefe erhalten hatte,[58] anderen Emigranten wie Marlene Dietrich ging es ähnlich. Den 1936 von Goebbels verbotenen Shakespeare-Übersetzungen von Hans Rothe, die in den 1920er und frühen 1930er Jahren äußerst erfolgreich und wegen ihrer Aktualisierung der oft als antiquiert empfundenen Schlegel/Tieck-Versionen beim Publikum besonders populär gewesen waren, blieben die deutschen Bühnen weiterhin versperrt. Der Ton der Kritik an Rothes Textfassungen ähnelte vielmehr dem während des „Dritten Reichs“ gebräuchlichen Chargon.[59] Die Berufung von P. W. Jacob, der im argentinischen Exil die Freie deutsche Bühne geleitet hatte, zum Dortmunder Intendanten blieb die Ausnahme im deutschen Theater.[60]

 

 
Zwei, die aus dem Exil nach Deutschland zurückkehrten: die Schauspieler und Regisseure Curt Bois (1901–1991; l.) und Fritz Kortner (1892–1970; r.) im Berliner Schiller-Theater, Februar 1959.
Bild: Bundesarchiv, B 145 Bild-P047613, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

 

 

Repertoire, Ästhetik und Inszenierungsstil

Wie bereits angesprochen, bezogen sich die Kontinuitäten auch auf die Spielpläne, die sowohl vor als auch nach 1933 vom konservativen Geschmack der Besuchermehrheit geprägt waren. In diesem Bereich konnte der radikale Antimodernismus der Nationalsozialisten auf gut entwickelten kleinbürgerlichen und nationalistischen Überzeugungen aufbauen, die sich schon während des Kaiserreichs bemerkbar gemacht hatten, in der Weimarer Republik noch einmal erheblichen Aufwind bekamen und sich nach dem Zweiten Weltkrieg fortsetzten. Obwohl man nach dem Ende des NS-Staats auf die völkisch-nationalistische Dramatik verzichtete, die nach 1933 zunächst eine bedeutende Rolle auf den Bühnen gespielt hatte, stellte das Kriegsende keine Zäsur dar. An einigen westdeutschen Regionaltheatern dauerte es bis spät in die 1960er Jahre, bevor Brechts Werke dort überhaupt diskutiert wurden – abgesehen von einigen isolierten Aufführungen der populären Dreigroschenoper.[61] Die künstlerische Avantgarde und das zeitgenössische Theater blieben weitgehend unberücksichtigt und stattdessen radikalkonservative Auffassungen bestimmend. Mit der „Niggerbegeisterung“, wie sie in Ernst Kreneks Oper Jonny spielt auf (1927) „ihren Kulminationspunkt“ gefunden habe, wollte man nichts zu tun haben.[62] Noch 1957 verglich Außenminister Heinrich von Brentano (CDU) Bertolt Brechts Lyrik mit dem Horst-Wessel-Lied.[63] Inhaltlich kam es nach Ende des Krieges damit keineswegs zu einer allgemeinen Hinwendung zu Werken der unter Hitler verfemten Künstler oder zu einer verstärkten Berücksichtigung zeitgenössischer Dramatik, sondern ganz im Gegenteil zu einer Rückkehr zur angeblich unpolitischen Klassik, zu „Kultur“ und „Harmonie“.[64]

Das deutsche Theater setzte im Sommer 1945 also dort wieder an, wo es im Spätsommer 1944 gezwungen war aufzuhören. Ästhetik, Dramaturgie und Formensprache blieben weitgehend unverändert, und die Aufführungen des klassischen Kanons wurden weiterhin als höchste Aufgabe eines erzieherischen und bildenden Theaters betrachtet. Aufführungen von Shakespeares Dramen reflektierten weiterhin Auseinandersetzungen um heldenhaftes Handeln und die selbstlose Aufgabe der Protagonisten und wurden weiterhin in neoklassizistischen Bühnenbildern inszeniert – und zwar von Regisseuren, die schon in der NS-Zeit erfolgreich gewesen waren. Dargestellt wurden sie von Schauspielern, die Repräsention und Pathos pflegten, die neuen Ansätze im Schauspiel – wie das epische Theater – allerdings kaum rezipierten. „Reichskanzleistil“ nannte der Emigrant Berthold Viertel die deutsche Theaterästhetik der 1950er Jahre[65] – ein Theater, das weder in der Lage schien, die radikalen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen im Nachkriegsdeutschland zu reflektieren, noch dies letztlich wollte. Stattdessen schien die Flucht in die Klassik und eine „zeitlose“ Formensprache die Möglichkeit zu eröffnen, dieser Auseinandersetzung aus dem Weg zu gehen und gleichzeitig das Theater in der Bedeutung eines kulturellen Kompass in turbulenter Zeit herauszustellen. Diese Art von Theater wollte nach wie vor daran glauben, dass „gute“ Kunst politisch neutral sein könnte, außerhalb politischer Debatten und sozio-ökonomischer Entwicklungen stehend. Wilhelm Hortmann wies Viertels Kritik vehement zurück und betonte die Bedeutung von Ruppels Vision eines politisch unbeeinflussten „großen Berliner Theaters“. Es ist diese Sichtweise, die Hortmann als Rahmen für seine 2001 publizierte Untersuchung des deutschen Theaters im „Dritten Reich“ wählte.[66] Trotzdem musste auch Hortmann eingestehen, dass nach 1945 die ästhetische Formensprache des nationalsozialistischen Theaters weitgehend übernommen wurde und bis in die 1950er Bestand hatte. Man kann sogar davon ausgehen, dass sich diese Ästhetik noch viel länger an und auf den Bühnen hielt und erst mit dem Aufkommen des Dokumentartheaters Mitte der 1960er Jahre ernsthaft in Frage gestellt wurde.

 

 
Die Ermittlung – Oratorium in elf Gesängen von Peter Weiss thematisiert den ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963–65. Hier eine Aufführung des Staatstheaters Nürnberg in den Katakomben der Kongresshalle auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände mit Stefan Lorch, Thomas L. Dietz, Ole Eisfeld, Jochen Kuhl und Heimo Essl (v.l.n.r.) im Juni 2009.
Bild: Marion Bührle, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

 

 

Theaterkritik und Historiographie

Die bereits diskutierten Theaterwissenschaftler und Kritiker Karl Heinz Ruppel und Paul Fechter weisen auf eine weitere bedeutende Kontinuität nach 1945 hin: die der Kritiker. Nicht nur die Schauspieler, Theaterleitungen und Kulturreferate überstanden das Kriegsende relativ unbeschadet, sondern auch diejenigen blieben dieselben, die die Theatergeschehnisse für die Öffentlichkeit interpretierten und bestimmte Lesarten etablierten. Kritiker, die die öffentliche Meinungsbildung schon vor 1945 mitbestimmt hatten und sich bereitwillig nationalsozialistische Interpretationsmuster angeeignet oder diese sogar aktiv vorangetrieben und etabliert hatten, blieben von Entlassungen weitgehend verschont. Von den großen Theaterkritikern der 1920er Jahre, und vor allem von der produktiven Konkurrenz zwischen Alfred Kerr und Herbert Ihering war nur der Nicht-Emigrant Ihering übriggeblieben. Siegfried Jacobsohn starb bereits 1926, Alfred Kerr war genauso in die Emigration getrieben worden wie Julius Bab.

Es nimmt daher kaum Wunder, dass eine kritische Auseinandersetzung mit der Bühnenproduktion weitgehend ausblieb. Gefeiert wurden stattdessen einige wenige Inszenierungen, wie Wolfgang Langhoffs Nathan der Weise, mit der er 1945 das Deutsche Theater in Berlin wiedereröffnete, oder Wolfgang Borcherts Draußen vor der Tür (1947), die beide angeblich den wahren Geist des deutschen Theaters darstellten. Obwohl derartige Inszenierungen die Ausnahme blieben, wurden sie doch besonders herausgehoben und stellen bis heute sinnbildlich den vermeintlichen Neuanfang 1945 dar.

 

 
Paul Wegener (1874–1948) als Nathan in Lessings Nathan der Weise am Deutschen Theater in Berlin, September 1945.
Bild: Deutsche Fotothek, df_pk_0000018_021, Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0

 

In der Provinz war noch weniger Wechsel als in den Großstädten zu verzeichnen, und die etablierte Kritikergeneration machte einfach weiter. Was nun gefragt war, war keine kritische Auseinandersetzung mit der unmittelbaren Vergangenheit, sondern die Mitarbeit an einer kontinuierlichen Weiterentwicklung auf dem Weg zu „Wahrheit“ und „reiner Kunst“. Bezogen auf das Bielefelder Theater stellte der Kritiker Kurt Uthoff 1954 fest: „Politik hin, Politik her. Im Grunde ging es wohl allen Bielefelder Intendanten und den Musikdirektoren [...] um die Verwirklichung des Wortes, das Landgraf Hermann im Tannhäuser seinen Minnesängern beschwörend zuruft: ‚Die holde Kunst, sie werde jetzt zur Tat!‘“[67]

Ernst Leopold Stahl behauptete 1947 in seinem Mammutwerk Shakespeare und das deutsche Theater sogar, dass die Machtübernahme der Nationalsozialisten ein notwendiger Schritt gewesen sei und zu einer lange ersehnten „Klärung“ der Verhältnisse geführt habe. Nachdem er – nationalsozialistischen Argumentationsmustern bereitwillig folgend – das Berliner Theater Anfang der 1930er Jahre als von einem „Zersetzungsprozeß“ befallen charakterisiert hatte, fasste er zusammen: „Alles in allem gesehen, drängten also die organisatorischen wie die künstlerischen Verhältnisse des Theaters in Berlin nach einer Klärung. Sie ist alsbald, in allzu naher Verbindung mit den politischen Entscheidungen, die der 30. Januar 1933 brachte, erfolgt.“ Die neuen Machthaber hätten dann tatsächlich „nach verhältnismäßig kurzer Zeit [...] eine organisierte Ordnung geschaffen“. Mit Bezug auf Shakespeare-Inszenierungen stellte Stahl nicht ohne Bewunderung fest, dass nach der Machtübernahme „blutvolles Theater“ und „selbstverständlich die nordisch-germanische Grundhaltung Shakespeares besondere Betonung“ erfahren habe.[68]

Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten in diesem Zusammenhang die etablierten Lokalhistoriker, oft bekannte Honoratioren, die die Deutungshoheit zu Recht für sich zu beanspruchen schienen. Beispielsweise etablierten Arthur Mämpel in Dortmund, Wilhelm Vernekohl in Münster und Karl Kühling in Osnabrück nach 1945 ganz bestimmte Lesarten der NS-Zeit, die die politische Unabhängigkeit und ästhetische Qualität ihrer künstlerischen Produktion betonten. Für Dortmund sprach Mämpel davon, dass sich das Theater den Vereinnahmungsversuchen der Nationalsozialisten weitgehend entzogen hätte.[69] Für ihn war die Zeit Mitte der 1930er Jahre sogar eine der künstlerisch erfolgreichsten der Dortmunder Theatergeschichte überhaupt. Intendant Georg Hartmann habe „künstlerische Großtaten nachgewiesen“ und „ein Ensemble und ein Repertoire-Theater [geschaffen – A.H.], das noch einmal an die großen Zeiten der Dortmunder Theatergeschichte erinnerte“.[70] Der Chronist des Münsteraner Theaters Josef Prinz stellte 1956 in Bezug auf die Geschichte des Hauses in der NS-Zeit fest, dass „das Stadttheater in Münster bis in die Kriegsjahre hinein auf einem für eine Provinzbühne beachtlich hohen Niveau“ gestanden habe.[71] Die Spielplangestaltung während des „Dritten Reichs“ sei allenfalls „entsprechend den Zeitströmungen“ erfolgt.[72] Die Entlassung des jüdischen Intendanten Fritz Berend verschwieg Prinz, stattdessen erwähnte er bewundernd, dass der neue (nationalsozialistisch orientierte) Intendant Otto Liebscher „das große Haus nach völliger Renovierung am 1.10.1933 festlich neu eröffnet“ habe.[73] An der münsterschen Niederdeutschen Bühne verlief die Vergangenheitsbewältigung ähnlich kritiklos. Deren 1959 erschienene Chronik pries das „Dritte Reich“ als „eine spielfreudige und premierenreiche Zeit“, in der man „wohlwollende Förderung“ genossen habe.[74] Noch 1995 behauptete die Bühne, sie sei „vor den nationalsozialistischen Karren gespannt“ worden.[75]

 

 
Ohne eigenes Zutun von den Nationalsozialisten instrumentalisiert – noch in den 1990er Jahren hörte man solches von der Niederdeutschen Bühne Münster. Beheimatet ist das Ensemble hier, im 1954 errichteten Nachkriegsgebäude des Theaters Münster (Foto von 2009).

 

Der Blick auf die Theatergeschichtsschreibung nach 1945 zeigt, dass nicht nur bei Quellen und Literatur aus der NS-Zeit besondere Vorsicht zu walten hat, sondern genauso bei der Interpretation der historischen Überlieferung nach 1945. So gilt beispielsweise Arthur Mämpel  bis heute als der beste Kenner der Dortmunder Theatergeschichte;[76] sein umfangreicher Nachlass bietet reichhaltige Informationen und ist von unschätzbarem Wert für alle, die sich mit Dortmunds Theater auseinander setzen wollen. Gleichzeitig ist zu beachten, dass  Mämpel nicht als neutraler Beobachter und Berichterstatter gelten kann, sondern selbst in das NS-Regime verstrickt war.[77] Er war Ortsreferent für Volkstum/Brauchtum der KdF und seit April 1938 NSDAP-Mitglied. Mit Beginn der Spielzeit 1935/36 verfasste Mämpel regelmäßig die „Mitteilungen der Nationalsozialistischen Kulturgemeinde“ und war als Leiter der Presse- und Propagandaabteilung der NSKG Dortmund auch für den Inhalt des monatlichen Mitteilungsblatts verantwortlich.[78] In diesen Publikationen mahnte Mämpel „weltanschauliche Festigkeit“ bei der Spielplangestaltung an, lobte das Publikum, „das von sich aus Fremdartiges langsam abzulehnen gelernt hat“ und forderte die „Indienststellung“ der Kulturpolitik „in den Ideenbereich einer germanischen Rassenpsychologie“.[79] Den Krieg überstand Mämpel schadlos, und schon 1948 erschien seine nächste Publikation zum Thema, die die Zeit des „Dritten Reiches“ nur am Rande streifte und seine eigene Rolle vollends ausklammerte.[80]

Die Karrieren der Kritiker, Theaterhistoriker und Kulturpolitiker erlebten 1945 in der Regel keinen Bruch, ganz gleich welche Positionen sie während der NS-Zeit vertreten hatten. So stieg Wilhelm Vernekohl, vor 1945 ein glühender Anhänger des NS-Regimes und führender Theaterkritiker der Stadt, im Münster der 1950er Jahre zum gefeiertern Kulturdezernenten auf; eine vergleichbare Karriere hat auch der Osnabrücker Theaterkritiker Karl Kühling vorzuweisen. Dass insbesondere die münstersche Niederdeutsche Bühne mit ihrer eigenen Vergangenheit so gnädig umging, mag nicht zuletzt daran liegen, dass ihr langjähriger Leiter, Josef Bergenthal, als Landesleiter der Reichsschrifttumskammer an maßgeblicher Stelle im NS-Regime gewirkt hatte.

 

Zusammenfassende Bemerkungen

In den 1950er und 1960er Jahren ging es Kulturpolitikern, Bühnenschaffenden und denen, die ihre Arbeit interpretierten und einem breiten Publikum zugänglich machten, kaum um eine kritische Aufarbeitung der jüngsten Vergangenheit und der Funktion, die das Theater und die dort Tätigen für das NS-Regime freiwillig oder unfreiwillig ausfüllten. Ästhetik, Kritik und Wissenschaft blieben auf Jahre hinaus von den während des Nationalsozialismus angeeigneten Ausdrucksformen geprägt, beschönigende und apologetische Deutungsmuster zum Theater und der NS-Zeit teils über Jahrzehnte hinaus stabil. Eine „Stunde Null“ des Theaters hat es nicht gegeben, personelle Kontinuitäten waren die Regel und wurden nicht kritisch hinterfragt – remigrierte Theaterschaffende nahmen in der Theaterlandschaft der Nachkriegszeit längst nicht den Platz ein, den man zunächst vielleicht vermuten würde. Noch 1962 konnte Karl-Heinz Ruppel seine im „Dritten Reich“ verfassten Theaterkritiken ungekürzt und ohne kritische Anmerkungen erneut publizieren und die „Leistungen“ der Berliner Theater zwischen 1933 und 1944  weiter feiern. Gleichzeitig schreckte er aber auch nicht davor zurück, im Vorwort des Bandes seine Kritikertätigkeit als Akt des Widerstands gegen das NS-Regime auszugeben – eine Deutung, die sich selbst bei entsprechend wohlwollender Lektüre seiner Kritiken nicht nachvollziehen lässt. Wenig kritische Selbstreflexion ist auch für die Theaterwissenschaftler an den Hochschulen nach 1945 festzustellen. Carl Niessen, theoretischer Vordenker der Thing-Spiele und zugleich früheres SA-Mitglied, blieb an der Universität Köln nach 1945 nicht nur Professor für Theaterwissenschaft, sondern vielmehr Institutsleiter. Auch Heinz Kindermann, der 1943 mit Hilfe der NS-Kulturpolitik das Zentralinstitut für Theaterwissenschaft in Wien gegründet hatte, galt weiterhin als einer der führenden deutschsprachigen Theaterwissenschaftler und ist mit der zehnbändigen Theatergeschichte Europas auch noch Jahrzehnte nach ihrer Publikation Verfasser des umfangreichsten deutschsprachigen Handbuchs zur Theatergeschichte.[81]

Die Rolle dieser Kommentatoren und die Deutungshoheit über die jüngste Vergangenheit, die sie für sich beanspruchten und ausübten, bleibt ein bedeutendes Forschungsdesiderat. Für Jahre bestimmten sie den mehr oder weniger kritischen fachlichen und öffentlichen Diskurs, betonten die Widerstandskraft des deutschen Theaters angesichts der NS-Ideologie sowie die Qualität der Inszenierungen, die es trotz „widriger Umstände“ zustande gebracht habe. Und sie feierten die vermeintlich erfolgreiche Rückkehr emigrierter Theaterschaffender auf die deutschen Bühnen, die nach 1945 das kulturelle Leben wieder entscheidend bereichert hätten.[82] Die kritische Auseinandersetzung mit der Theatergeschichte im „Dritten Reich“ begann erst in den 1980er Jahren, die Auseinandersetzung mit den Kommentatoren, die sie der Öffentlichkeit über Jahre hinweg vermittelten, hat noch nicht einmal angefangen.

 

 

Abkürzungen:

DAF Deutsche Arbeitsfront

HJ Hitlerjugend

KdF Kraft durch Freude

NSKG Nationalsozialistische Kulturgemeinde

 

[1] Vgl. Schmidt, Dörte, Brigitte Weber (Hg.). Keine Experimentierkunst: Musikleben an Städtischen Theatern der Weimarer Republik. Stuttgart: Metzler, 1995. Zu Recht stellt Karl Christian Führer fest, dass „our understanding of Weimar culture is incomplete without a grasp of broader patterns of cultural production and consumption, and skewed if it does not take into account the conservative tastes and the forces of tradition which also characterized it“ (Führer, Karl Christian. “High Brow and Low Brow Culture” McElligott, Anthony (Hg.). Weimar Germany. Oxford: Oxford University Press, 2009, S. 260; vgl. auch ders., „‚Pfui! Gemeinheit! Skandal!‘ Bürgerlicher Kunstgeschmack und Theaterskandale in der Weimarer Republik“. Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 57 (2009). S. 389-412. Zu Gegenpositionen vgl. u.a. Lacquer, Walter. Weimar. A Cultural History 1918-1933. London: Weidenfeld, 1974. S. 140-154; Hermand, Jost, Frank Trommler. Die Kultur der Weimarer Republik. Frankfurt/M.: Fischer, 1988. S. 193-260; Schöne, Lothar. Neuigkeiten vom Mittelpunkt der Welt. Der Kampf ums Theater in der Weimarer Republik. Frankfurt/M.: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1994.

[2] Zum Regionaltheater in Westfalen im „Dritten Reich“ vgl. Heinrich, Anselm. Theater in der Region. Westfalen und Yorkshire 1918-1945. Paderborn: Schöningh, 2012.

[3] Vgl. z.B. Mecking, Sabine, Andreas Wirsching (Hg.). Stadtverwaltung im Nationalsozialismus. Systemstabilisierende Dimensionen kommunaler Herrschaft. Paderborn: Schöningh, 2005; Möller, Horst, Andreas Wirsching, Walter Ziegler (Hg.). Nationalsozialismus in der Region. München: Oldenbourg, 1996.

[4] Hierzu auch Strobl, Gerwin. The Swastika and the Stage. German Theatre and Society, 1933-1945. Cambridge: Cambridge University Press, 2009. S. 167f. Die Besucherorganisation „Deutsche Bühne“ war im Frühjahr 1933 aus dem erzwungenen Zusammenschluss der Volksbühnenvereine mit dem konservativen Bühnenvolksbund entstanden und hatte danach rund 800.000 Mitglieder (Zahlen zitiert in Rischbieter, Henning. „NS-Theaterpolitik; NS-Theaterpolitik als Prozeß; Theatermetropole Berlin; Die deutsche Theaterlandschaft 1933-44.“ Rischbieter, Henning (Hg.). Theater im ‚Dritten Reich‘. Theaterpolitik, Spielplanstruktur, NS-Dramatik. Seelze: Kallmeyer, 2000. S. 30).

[5] Wie beispielsweise Intendanten in Dortmund und Bielefeld. Jürgen-Dieter Waidelich geht davon aus, dass in Essen im März 1933 etwa 20 Künstler aus politischen oder rassistischen Gründen entlassen wurden (vgl. Waidelich, Jürgen-Dieter. Essen spielt Theater. 1000 und Einhundert Jahre. Zum 100. Geburtstag des Grillo-Theaters. Bd. 1. Düsseldorf: Econ-Verlag, 1992. S. 341).

[6] Vgl. Schmidt/Weber, Keine Experimentierkunst, S. 18-32, 65-70.

[7] In Dortmund behauptete die NSKG, dass durch sie „zwei Drittel des Theateretats getragen werden“ und dass man „ohne Überhebung“ feststellen müsse, „daß diese Organisation das Dortmunder Theater gerettet hat“ (Westfälische Landeszeitung Rote Erde, 26. November 1934). Auf eine Anfrage bezüglich der Aktivitäten der NSKG antworteten viele Theater, dass sie sich von den finanziellen Forderungen der Organisation bedrängt fühlten und eine fruchtbare Zusammenarbeit vermissten (vgl. Stadtarchiv Hagen, Ha 1/9224). In einer Umfrage des Preußischen Theaterausschusses betreffs der Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Theatern und den jeweiligen Ortsgruppen der Deutschen Bühne Anfang 1934 kam heraus, dass an vielen Orten geradezu Chaos herrschte (vgl. Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde [BArch], R56 I/58, Bl. 72-79 für Göttingen, R56/50, Bl. 81 für Rheine, R56 I/53, Bl. 96 für Koblenz und Bl. 102f. für Köln).

[8] Zum Thing-Spiel vgl. Eichberg, Henning, Michael Dultz, Glen Gadberry, Günther Rühle. Massenspiele. NS-Thingspiel, Arbeiterweihespiel und olympisches Zeremoniell. Stuttgart: Frommann-Holzboog, 1977. Siehe auch Heinrich, Anselm. “Germania on Stage – the Nazi Thing Theatre.” Lee, Christina, Nicola McLelland (Hg.). Germania Remembered. Commemorating and Inventing a Germanic Past. (in Vorbereitung).

[9] Vgl. Bericht über den Bochumer Theaterhaushalt, 27. Februar 1940. Stadtarchiv Bochum, BO 20/234.

[10] Stadtarchiv Hagen, Stadttheater, Zuschüsse 1934/35, Ha 1/9275.

[11] Vgl. Daiber, Hans. Schaufenster der Diktatur. Theater im Machtbereich Hitlers. Stuttgart: Neske, 1995. S. 11.

[12] Vgl. Drewniak, Boguslaw. Das Theater im NS-Staat. Szenarium deutscher Zeitgeschichte 1933-1945. Düsseldorf: Droste, 1983. S. 39.

[13] Vgl. ebd.

[14] Vgl. Stadtarchiv Hagen, Stadttheater, Reichszuschuss Spielzeit 1936/37, Ha 1/9278 und Stadtarchiv Hagen, Monatsübersichten zu Einnahmen und Ausgaben des Stadttheaters zwischen 1934/1935 und 1938/1939, Ha 1/9326.

[15] Die Lücken in Dortmunds Haushalt waren enorm: In seinem Antrag auf Förderung für die Spielzeit 1935/36 vom 27. Februar 1935 macht Oberbürgermeister Kaiser die Lage auf drastische Weise deutlich. Bei einem Zuschussbedarf von 1.256.100 RM entstünde ein Fehlbetrag von 869.700 RM, von dem die Stadt aber nur 725.500 RM übernehmen könne. Daher beantrage er einen Zuschuss von 100.000 RM. Warum der beantragte Zuschuss damit in zwei Jahren um ein Drittel gestiegen war, erläuterte Kaiser allerdings nicht. Ungeachtet dessen überwies das Propagandaministerium dem Theater 70.000 RM (vgl. BArch R55/20349, Bl. 169-175, 188f., 213, 244f., 280, 290, 332, 359, sowie BArch R55/20314, Bl. 18.).

[16] Das Stadtbild war dominiert von Kohleförderung und Schwerindustrie, 55% aller Arbeitsplätze waren in diesen Bereichen zu finden.

[17] Vgl. Schmidt, Christoph. Nationalsozialistische Kulturpolitik im Gau Westfalen-Nord. Regionale Strukturen und lokale Milieus (1933-1945). Paderborn: Schöningh, 2006. S. 125-137.

[18] Nach der Annektion Österreichs wurde beispielsweise dem Stadttheater Dortmund deutlich gemacht, dass man von nun an mit Fördergeldern nicht mehr rechnen könne, da „die sofortige Stützung bezw. Sanierung des gesamtösterreichischen Theaterlebens vor jeder bisher reichsdeutschen Angelegenheit bevorzugt werden muss“ (Brief von Hofrat Schwebel vom 12. April 1938 (vgl. BArch, R55/20349, Bl. 287)). Statt diesen Bescheid zu akzeptieren, beschwerte sich Dortmunds Oberbürgermeister Kaiser und erhielt kurz danach prompt den Bescheid, dass Berlin erneut 50.000 RM zu zahlen bereit sei (vgl. BArch, R55/20349, Bl. 288 (Beschwerde Juni 1938) und Bl. 290 (Zusage der Förderung Juli 1938)). Diese Sachlage macht auch deutlich, dass man selbst Ende der 1930er Jahre von blindem Gehorsam in einer totalen Diktatur nicht sprechen konnte – zumal, wenn es ums Geld ging.

[19] Vgl. Dramatiker der HJ. Bochum 1937. Die Veranstaltungen der Woche der Dramatiker der HJ und der Reichstheatertagung der HJ vom 11. bis 18. April 1937. Bochum, 1937.

[20] Noch im August 1933 hatte sich die Stadtverwaltung in einem Brief an den preußischen Theaterausschuss gegen die Bezeichnung Hartmanns als Operndirektor ausgesprochen „mit Rücksicht auf die Dortmunder Arbeiterbevölkerung“. Der Magistrat erinnerte dabei an ein Rundschreiben von Staatskommissar Hinkel, in dem dieser deutlich gemacht habe, dass man eine „unverantwortlich häufige Benutzung großer Titulationen“ ablehne (BArch, R56 I/56, Bl. 73). Bei Hoenselaars machte man nur vier Jahre später offenbar gerne eine Ausnahme.

[21] Hanke musste allerdings auf seinen Titel fast zehn Jahre warten. Schon zu seiner Zeit in Münster hatte er versucht, den Karrieresprung zu initiieren, war aber immer wieder gescheitert, obwohl er sich künstlerisch und politisch „ausgezeichnet“ hatte. Sogar Goebbels erwähnte Hanke mehrmals lobend (vgl. Fröhlich, Elke (Hg.). Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Teil 2. Diktate 1941-1945. München: Saur, 1993-1996, hier: Bd. 4. Eintrag 19. November 1940. S. 303f.). 1938 hatte Münsters Gauleiter Meyer beim Propagandaministerium angefragt, ob man Hanke nicht den Titel des Generalintendanten verleihen könne. Das Ministerium lehnte ab mit dem Hinweis, dass Hanke noch nicht die dafür notwendigen herausragenden künstlerischen Leistungen gezeigt habe. Aber Hanke gab nicht auf: 1940 und 1941 schaltete sich Nürnbergs Oberbürgermeister Liebel ein, Hankes Fürsprecher wurden aber nun darauf verwiesen, dass im Krieg Titelverleihungen auf Eis lägen. Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky im Propagandaministerium machte Liebel dabei unmissverständlich, dass er die Sache bis nach Kriegsende ruhen lassen sollte. Dennoch gelang es Hanke nach weiteren Interventionen im September 1943 tatsächlich, den Titel des Generalintendanten zu erlangen (vgl. BArch, R55/72, Bl. 198-212, 231, 234, 256).

[22] Metzger, Hans-Ulrich. 25 Jahre Stadttheater Bochum. Unveröffentlichtes Manuskript (1943). Stadtarchiv Bochum, S. 40.

[23] Vgl. Dörnemann, Kurt. Theater im Krieg. Bochum 1939-1944. Bochum: Stadt Bochum, 1990. S. 5.

[24] Vgl. Schmidt, NS-Kulturpolitik, S. 151.

[25] Vgl. ebd., S. 153.

[26] So stieg der Anteil der Personalkosten am Gesamthaushalt des Bochumer Theaters zwischen 1925 und 1940 von 42% auf 63% (vgl. Bericht über den Bochumer Theaterhaushalt vom 27. Februar 1940 (Stadtarchiv Bochum, BO 20/234)).

[27] Vgl. Stadtarchiv Hagen, finanzielle Lage des Stadttheaters in den Spielzeiten 1924/25 bis 1936/37, Ha 1/9272.

[28] Vgl. Soester Anzeiger, 16. Oktober 1943. Zum wirtschaftlichen Erfolg vgl. Stadtarchiv Soest, D 1050. Für 1943/44 waren die Zahlen ähnlich beeindruckend (vgl. Jahresbericht des Westfälischen Landestheaters, April 1943 bis März 1944 (Stadtarchiv Soest, Westfälisches Landestheater, D 1050)).

[29] Vgl. Ketelsen, Uwe- Karsten. Ein Theater und seine Stadt. Die Geschichte des Bochumer Schauspielhauses. Köln: SH-Verlag, 1999. S. 145. Vgl. auch BArch, Reichstheater-Berichte, R55/20700, Bl. 106f.

[30] Vgl. Brief von Referent Scherzer in der Theaterabteilung an Goebbels vom 5. Juni 1943 (BArch, R55/20349, Bl. 5). Aus diesem Plan ist allerdings nie etwas geworden (vgl. dazu ebd., Bl. 153).

[31] Vgl. Bericht von Herrn Grolle vom Rechnungsprüfungsamt Weser-Ems vom 20. November 1942 als Antwort auf das Rundschreiben von Herrn Lang im Propagandaministerium. (BArch, R55/20700, Reichstheater-Berichte, Bl. 121.)

[32] Vgl. Stadtarchiv Münster, Theatergeschichtliche Sammlung Edith Lippold, Ordner 2. Der Gau Weser-Ems profitierte von einem vom Propagandaministerium 1942 aufgelegten Notprogramm für die Künste in vom Luftkrieg betroffenen Gebieten. Die Gesamtsumme betrug 800.000 RM, davon erhielt Osnabrück 50.000 RM (vgl. BArch, Reichszuschüsse [1942], R55/20263, Bl. 65-69). 1944 wurde dieses Notprogramm ausgeweitet und weitere 500.000 RM verteilt (vgl. BArch, Theaterhaushalt, R55/20249, Bl. 115-117, 122).

[33] Vgl. Dussel, Konrad. Ein neues, ein heroisches Theater? Nationalsozialistische Theaterpolitik und ihre Auswirkungen in der Provinz. Bonn: Bouvier, 1988. S. 245. Besonders der Anteil der Operette nahm stark zu (vgl. ebd., S. 273). Deutlich wird diese Erhöhung mit Blick auf die Aufführungsanteile der einzelnen Sparten des Theaters. Bezogen auf den Zeitraum 1919 bis 1944 fiel der Anteil des Schauspiels um 8% und derjenige der Oper um 15%. Die Operette gewann 23% hinzu (vgl. ebd., S. 241).

[34] Dazu und zur Einrichtung von Fronttheatern Körner, Ludwig. „Das deutsche Theater, eine Waffe des Geistes“. Bühnenjahrbuch 1940 (Berlin 1939). S. 1-4; sowie Schrade, Erich. Bühnenjahrbuch 1944 (Berlin 1944). S. 1-4.

[35] Vgl. Heinrich, Anselm. “‘It is Germany where He Truly Lives’: Nazi Claims on Shakespearean Drama”. New Theatre Quarterly 28.3 (2012): 230-242.

[36] Vgl. Rühle, Günther. „Ich bin Fehling. Shakespeares Richard III., eine Inszenierung in der Diktatur – Jürgen Fehlings nicht geheures Theater“. Theater heute (Oktober 2002). S. 34-41. Vgl. auch Hortmann, Wilhelm. Shakespeare und das deutsche Theater im 20. Jahrhundert. Mit einem Kapitel über Shakespeare auf den Bühnen der DDR von Maik Hamburger. Berlin: Henschel, 2001. S. 151-155; siehe auch London, John. “Non-German Drama in the Third Reich”. London, John (Hg.). Theatre under the Nazis. Manchester: Manchester University Press, 2000. S. 247-250.

[37] Vgl. Elisabeth Schulz Hostetter. The Berlin State Theatre under the Nazi Regime – A Study of the Administration, Key Productions, and Critical Responses from 1933-1944. New York: Mellen Press, 2004. S. 185-188. Schulz-Hostetter urteilt differenzierter, indem sie Gründgens und Fehling zwar zugesteht, kritische Töne angeschlagen zu haben, andererseits aber auch deutlich macht, dass ihre Inszenierungen eindeutig „products of their time“ gewesen seien (ebd., S. 187).

[38] Ihering, Herbert. Regie. Berlin: Hans von Hugo Verlag, 1943. S. 79, 80.

[39] Hortmann, Shakespeare und das deutsche Theater im 20. Jahrhundert, S. 144.

[40] Wardetzky, Jutta. Theaterpolitik im faschistischen Deutschland. Studien und Dokumente. Berlin (Ost): Henschel, 1983. S. 85.

[41] Vgl. zum Beispiel: Stahl, Ernst Leopold. „Theaterschau. Shakespeare im Aufführungsjahr 1943/44“. Shakespeare-Jahrbuch 80/81 (1946), S. 109.

[42] Nach den ersten Kriegsmonaten nahm der Eifer, geschlossene Veranstaltungen für Wehrmachtsangehörige zu organisieren, allerdings merklich ab – vielleicht, weil dabei die Einnahmen zu gering waren (vgl. beispielsweise die Berichte des Gaupropagandaamts Westfalen-Süd [BArch, R55/20261, Bl. 348, 379, 426]).

[43] Nachdem beispielsweise die Kostüme des Essener Theaters in einem verheerenden Luftangriff im März 1943 in Flammen aufgegangen waren, half das Theater in Straßburg mit der Ausstattung für Beethovens Fidelio, das Theater in Darmstadt bei Calderons Leben ein Traum und das Theater Chemnitz bei Nedbals Erntebraut. Vgl. Waidelich, Essen spielt Theater, Bd. 2, S. 149.

[44] Stahl, Ernst Leopold. Shakespeare und das deutsche Theater. Wanderung und Wandelung seines Werkes in dreieinhalb Jahrhunderten. Stuttgart: Kohlhammer, 1947. S. 721.

[45] Knudsen, Hans. Deutsche Theatergeschichte. Stuttgart: Kröner, 1959. Knudsens Weigerung, sich mit dem NS-Regime kritisch auseinanderzusetzen, mag daran gelegen haben, dass er selbst glühender Verehrer Hitlers und NSDAP-Mitglied war und sich aktiv für das „Dritte Reich“ einsetzte (siehe dazu Wulf, Joseph. Theater und Film im Dritten Reich. Eine Dokumentation. Berlin: Ullstein, 1989 [1963]. S. 228-236).

[46] Kindermann, Heinz. Theatergeschichte Europas. VIII. Band. Naturalismus und Impressionismus. 1. Teil. Deutschland/Österreich/Schweiz. Salzburg: Otto Müller, 1968.

[47] Wiese, Benno von (Hg.). Das Deutsche Drama. Bd. II. Vom Realismus bis zur Gegenwart. Düsseldorf: August Bagel, 1968.

[48] Eine Auffassung, die z.B. von Jutta Wardetzky vertreten wurde (Wardetzky, Theaterpolitik im faschistischen Deutschland).

[49] Vgl. dazu auch Hostetter, The Berlin State Theatre under the Nazi Regime, S. 179-182.

[50] Pitsch, Ilse. Das Theater als politisch- publizistisches Führungsmittel im Dritten Reich. Diss. Münster 1952 [masch.]. S. 237, 289.

[51] Ruppel, Karl-Heinz. Großes Berliner Theater. Hannover: Friedrich, 1962.

[52] Fechter, Paul. Große Zeit des deutschen Theaters. Gütersloh: Bertelsmann, 1951.

[53] Vgl. Schütze, Peter. „Annalen des Stadttheaters.“ Bühnen der Stadt Bielefeld (Hg.). 75 Jahre Stadttheater Bielefeld 1904-1979. Bielefeld: Kramer, 1979. S. 56.

[54] Vgl. Ketelsen, Ein Theater und seine Stadt, S. 149f.

[55] Vgl. Waidelich, Essen spielt Theater, Bd. 2, S. 137, 143.

[56] Vgl. dazu auch Berghaus, Günter. “Producing Art in Exile: Perspectives on the German Refugees’ Creative Activities in Great Britain”. Berghaus, Günter (Hg.). Theatre and Film in Exile. German Artists in Britain, 1933-1945. Oxford: Berg, 1989. S. 33f.

[57] Benz, Wolfgang. Deutschland unter alliierter Besatzung 1945-1949. Stuttgart: Klett-Cotta, 2009. S. 127. Die Situation beim Film sah nicht anders aus, obwohl Thomas Elsaesser diesen Punkt in seinem Standardwerk nur am Rande anspricht (Elsaesser, Thomas. Der Neue Deutsche Film. Von den Anfängen bis zu den Neunziger Jahren. München: Heyne, 1994. S. 28ff.).

[58] Vgl. Die neue Münchner Illustrierte 47 (1950). S. 11.

[59] Vgl. „Rothes Irrungen“. Der Spiegel 44/1960. S. 84. Ganz ähnlich Stahl, Shakespeare und das deutsche Theater, S. 620ff. „Schlechthin undichterisch“ seien seine Übersetzungen von Shakespeares Tragödien und „gröblich banalisiert“ (S. 622).

[60] Zu Jacobs Intendanz sehr überzeugend Karhardt, Sigrid. „Auferstanden aus den Trümmern. Die Interimszeit des Dortmunder Theaters nach dem Krieg“. Theater Dortmund (Hg.). 100 Jahre Theater Dortmund. Dortmund: Harenberg, 2004. S. 131-135.

[61] In Münster dauerte es bis 1969, ehe der Kaukasische Kreidekreis mit Erfolg gegeben wurde. Die Vernachlässigung Brechts nach 1945 glich der Situation vor 1933.

[62] Stahl, Shakespeare und das deutsche Theater, S. 625.

[63] Vgl. Buchloh, Stephan. „Pervers, jugendgefährdend, staatsfeindlich“. Zensur in der Ära Adenauer als Spiegel des gesellschaftlichen Klimas. Frankfurt/M.: Campus, 2002. S. 144.

[64] Vgl. dazu zum Beispiel Lehmann, Hans-Thies. Postdramatic Theatre. Translated and with an Introduction by Karen Jürs-Munby. London: Routledge, 2007. S. 52.

[65] Viertel, Berthold. Studienausgabe Bd. 1. Die Überwindung des Übermenschen: Exilschriften. Wien: Verlag für Gesellschaftskritik, 1989. S. 276.

[66] Vgl. Hortmann, Shakespeare und das deutsche Theater im 20. Jahrhundert, S. 138.

[67] Uthoff, Kurt. „Ein halbes Jahrhundert“. Städtische Bühnen Bielefeld (Hg.). 50 Jahre Stadttheater Bielefeld, Bielefeld, 1954. S. 9.

[68] Stahl, Shakespeare und das deutsche Theater, S. 669, 701, 703ff.

[69] Zur Geschichte des Dortmunder Theaters während des Nationalsozialismus vgl. Heinrich, Anselm. „Erbauung und Unterhaltung. Das Dortmunder Stadttheater zwischen 1933 und 1945.“ Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark 96/97 (2007). S. 293-322.

[70] Mämpel, Arthur. Theater am Hiltropwall. 40 Jahre im Hause von Martin Duelfer (Dortmund 1904 bis 1944). Dortmund: Ernst Arnold, 1955. S. 33. Genauso in ders. „500 Jahre Tradition. 75 Jahre im kommunalen Auftrag“. Direktorium der Städtischen Bühnen Dortmund (Hg). 75 Jahre Städtisches Theater in Dortmund 1904-79. Dortmund: Wulff, 1979. S. 81-87. Die NS-Verbrechen erwähnt Mämpel mit keinem Wort.

[71] Prinz, Josef. „Die Geschichte des münsterschen Theaters bis 1945“. Vernekohl, Wilhelm (Hg.). Das neue Theater in Münster. Festschrift zur Eröffnung des Hauses. Münster: Werbe- und Verkehrsamt, 1956. S. 65f.

[72] Ebd. S. 75f.

[73] Ebd. S. 65.

[74] Vgl. Bergenthal, Josef. „Die niederdeutsche Bühne am Theater der Stadt Münster.“ Das schöne Münster 18 (1959). S. 11f.

[75] Taubken, Hans. 75 Jahre Niederdeutsche Bühne an den Städtischen Bühnen Münster e.V. Münster, 1995. S. 16.

[76] Eine Würdigung der Person Arthur Mämpels und der Bedeutung seines Nachlasses findet sich in Bausch, Hermann Josef. „Der Nachlass der Theaterhistorikers Dr. Arthur Mämpel im Stadtarchiv Dortmund“. Heimat Dortmund 2/2004. S. 44-46).

[77] Siehe Stadtarchiv Dortmund. Nachlass Mämpel. Bestand 481 (besonders Nummer 76, die Schriftwechsel mit dem Fachverband der Reichsschrifttumskammer, der DAF, der NSDAP im Gau Westfalen-Süd, sowie Buchverlegern und Druckereien enthält).

[78] Vgl. Stadttheater Dortmund 1935/36. Programmhefte. Hg. von der Intendanz. Hefte Nr. 11, 13, 16, 17, 18. Alfred Rosenbergs radikal ausgerichtete NSKG versuchte besonders die völkisch-nationalistischen Werke vermehrt auf die Spielpläne zu bringen. Während Robert Leys KdF aus der massenhaften Anwesenheit breiter Bevölkerungsschichten im bürgerlichen Theater öffentlichkeitswirksames Kapital schlagen wollte, bestand die NSKG auf ideologisch „einwandfreie“ Spielpläne. Diese Ausrichtung scheint Mämpel durch seine Leitungstätigkeit innerhalb der NSKG bewusst unterstützt zu haben.

[79] Vgl. Stadttheater Dortmund 1935/36, Programmhefte, Hefte Nr. 11, 12 und 16. Das Drama der Weimarer Zeit lehnte Mämpel radikal ab und urteilte: „Eine aus den Fugen geratene Sittlichkeitsordnung beherrschte die Bretter und predigte die Thesen eines schrankenlosen Individualismus. Die infolge der blutmäßigen und geistigen Bastardisierung in allen Graden ihrer Zusammensetzungen im Menschen auftauchenden zwei Seelen in einer Brust zerissen, im Kampf miteinander, den Menschen“ (ebd., Heft 18). Vgl. dazu auch Mämpel, Arthur. „So wuchsen die Aufgaben der NS-Kulturgemeinde.“ Mitteilungsblatt der NS- Kulturgemeinde Ortsverband Dortmund 1 (1936). S. 3f.

[80] Mämpel, Arthur. „Das Dortmunder Theater von seinen Anfängen bis zur Gegenwart. Ein Überblick.“ Beiträge zur Geschichte Dortmunds und der Grafschaft Mark 47 (1948). S. 99-138, hier besonders S. 137f.

[81] Kindermann, Heinz. Theatergeschichte Europas. 10 Bde. Wien: Müller, 1957ff.

[82] Noch heute findet sich eine derartige Lesart der jüngsten Geschichte beispielsweise auf den Internetseiten von Touristik-Unternehmen, wie hier bezogen auf das Deutsche Theater in Berlin (http://www.berlin.city-map.de/03033300).

 

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