Editorial

Im März 2013 wurde der ZDF-Mehrteiler „Unsere Mütter, unsere Väter“ sowohl im deutschen als auch im österreichischen Fernsehen gesendet. Bereits im Vorfeld der Ausstrahlung warben die deutschen „Leitmedien“ kräftig für die Produktion von Nico Hofmann. So missionierte etwa Frank Schirrmacher in der FAZ „Die Geschichte deutscher Albträume“ und forderte die Fernsehzuschauer/innen auf: „Warten Sie nicht auf einen hohen Feiertag, versammeln Sie jetzt ihre Familie“.[1]
Gemessen an den üblichen Quoten der öffentlich-rechtlichen „Rentnersender“ erreichte die Serie sehr hohe Einschaltquoten: Sechseinhalb Millionen Zuschauer waren es bereits in Teil 1 der Serie, über siebeneinhalb Millionen waren es in Teil 3.
Mit Ausnahme des Beitrags von Ulrich Herbert in der taz wurde die Serie nach ihrer Ausstrahlung in Deutschland zunächst einhellig gelobt, wenn nicht gar gefeiert. Die Euphorie reißt bis heute nicht ab. So wurde die Serie mit Auszeichnungen und Branchenpreisen überhäuft. [2]
Ein Film wie „Unsere Mütter, unsere Väter“ bildet für Historiker/innen in zweierlei Hinsicht ein spannendes Beobachtungsfeld: Zum einen ist es der Umgang mit der Geschichte, vielmehr noch ihrer Interpretation, der aus wissenschaftlicher Perspektive von Interesse ist, und zum anderen ist es die Rezeptionsgeschichte einer Serie, die ein sehr unscharfes, wenn nicht geschöntes Bild der Deutschen im Krieg zeichnet.[3] Schließlich sind auch in diesem Film, wie Ulrich Herbert schrieb, nicht unsere Mütter und Väter die Nazis, sondern immer „die anderen“.
Zeitgeschichte-online veröffentlichte unter dem Titel „Unsere Nazis, unser Fernsehen“ bereits kurz nach der Ausstrahlung des Films einen Beitrag des Medienhistorikers Christoph Classen. In Proportion zu den enorm hohen Einschaltquoten des Films bewegten sich in der Folge auch die Zugriffszahlen seines Beitrags  - gemessen an den ansonsten üblichen Zugriffszahlen unseres Portals. Der Artikel ist bis heute einer der am häufigsten angeklickten Beiträge von Zeitgeschichte-online.
Drei Monate nach der Ausstrahlung der Serie in Deutschland wurde sie, im Juni 2013, im polnischen Fernsehen gezeigt, was ein absolutes Novum in der Fernsehgeschichte Polens darstellt, da das „Deutsche Geschichtsfernsehen“ in der Regel dort keinen Platz hat. 
Die Kritiken, die in der polnischen Presse folgten, angefangen von der nationalkonservativen Zeitschrift „Uwazam Rze“, über den katholisch-intellektuellen „Tygodnik Powszechny“ bis hin zur deutschlandfreundlichen liberalen „Gazeta Wyborcza“ waren vernichtend.[4] Entlang sämtlicher politischer Richtungen herrschte Einigkeit - auch das ein recht seltenes Phänomen, wie der Polen-Korrespondent der FAZ, Konrad Schuller bemerkte.[5] In den sozialen Medien brachen Stürme der Entrüstung los. Und schließlich diskutierten auch die polnischen Historiker/innen die Serie. Ursache der Empörung war vor allem die stereotype und historisch falsche Darstellung der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa).
Diese Debatten erreichten weder die deutsche Öffentlichkeit noch die Fachcommunity, sieht man von wenigen Ausnahmen ab. Aus diesem Grund schlug Maren Röger, Mitarbeiterin am Deutschen Historischen Institut in Warschau und Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Zeitgeschichte-online, vor, den Stimmen der polnischen Historiker/innen ein Forum auf Zeitgeschichte-online zu bieten.

Wir nehmen den 70. Jahrestag des Warschauer Aufstands zum Anlass, die Rezeption des Films von Seiten polnischer Historiker/innen darzustellen und zu zeigen, dass die Serie, die nach Meinung Frank Schirrmachers „das Zeug dazu (hat), die Seele des Landes anzurühren“,[6] in unserem Nachbarland zu Recht für Empörung sorgte.

 

[1] Frank Schirrmacher, Die Geschichte deutscher Albträume. Warten Sie nicht auf einen hohen Feiertag, versammeln Sie jetzt ihre Familie (...). In: FAZ vom 15.3.2013 (Letzter Aufruf: 27.7.2013).
[2] 2013: Bayerischer Fernsehpreis – Sonderpreis für das Schauspieler-Ensemble: Volker Bruch, Tom Schilling, Katharina Schüttler, Miriam Stein und Ludwig Trepte; Deutscher Fernsehpreis in der Kategorie Bester Mehrteiler; Sieben Auszeichnungen der Deutschen Akademie für Fernsehen (Regie: Philipp Kadelbach, Schauspieler Hauptrolle: Tom Schilling, Szenenbild: Thomas Stammer, Kostümbild: Wiebke Kratz, Maskenbild: Gerhard Zeiß, Stunt: Sandra Barger & Wanja Götz, Casting: Sarah Lee & Nina Haun). 2014: Goldene Kamera in der Kategorie Bester Fernsehfilm; Jupiter in der Kategorie Bester deutscher TV-Spielfilm. Der Regisseur Philipp Kadelbach erhielt auf dem Shanghai International TV Festival (2014) den Magnolia Award für "Beste Regie eines Fernsehfilms". Außerdem waren Regie und Drehbuch für den Grimme-Preis (Kategorie: Serie/Mehrteiler) nominiert.
[3] Dazu: Ulrich Herbert, Nazis sind immer die anderen. Der ZDF-Dreiteiler zeigt oft Verschwiegenes – doch das Entscheidende fehlt: Die Begeisterung der Jugend für Hitler, in: taz vom 21.3.2013 (Letzter Aufruf: 27.7.2014). Äußerst kritisch zeigte sich auch Georg Diez auf „Spiegel-online“: „Hefte raus zum Opfer-Täter-Diktat! Fernsehen, das man mögen kann oder nicht? Nein, in Deutschland muss eine TV-Serie über den Zweiten Weltkrieg natürlich ein volkspädagogisches Projekt sein. Umso übler, dass ‚Unsere Mütter, unsere Väter‘ mit sehr viel Gefühl eine uralte Opfer-Täter-Verkehrung wieder hervorzaubert“,  22.3.2014  (Letzter Aufruf: 27.7.2014).
[4] Siehe zu den Reaktionen in der polnischen Presse: Konrad Schuller, Über Widerstand und Antisemitismus. Der deutsche Fernseh-Dreiteiler hat in Polen eine heftige Debatte entfacht. Anlass ist vor allem die Darstellung der polnischen Heimatarmee, in: FAZ vom 9.4.2013 (Letzter Aufruf: 27.7.2014).
[5] Ebd.
[6] Siehe Anmerkung 1.


 

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