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Interview stills: (v.l.) Teresa Koloma Beck, Irmgard Zündorf, Janine Funke, Anna Kaminsky, Annette Vowinckel, Lale Yildirim, Julia Gül Erdogan, Carla Schriever, Eva Schlotheuber.

Die Gleichstellung der Geschlechter ist verfassungsrechtlich verankert. Seit knapp dreißig Jahren gibt es bundesweit Gesetze, die die Chancengleichheit von Männern* und Frauen* zumindest in staatlichen und kommunalen Institutionen garantieren sollen. Doch wirft man einen Blick auf den Frauen*anteil unter allen Professor*innen an den fünfzig größten staatlichen Universitäten in Deutschland, wie es das ZEIT Magazin im Dezember 2018 getan hat, zeigen sich wenige wirklich frauenfreundliche Hochschulen, also solche, die über 30 Prozent Frauen*anteil innerhalb der Professor*innenschaft vorweisen können. Der bundesweite Durchschnitt liegt gerade einmal bei 23 Prozent.
Wo liegen die Ursachen der Unterrepräsentanz von Frauen* in höheren wissenschaftlichen Karrierestufen? In der soziologischen, geschichts- und politikwissenschaftlichen Literatur existieren ganze Regalmeter, die bei der Beantwortung dieser Frage helfen.
Wir haben in unserem Themenschwerpunkt die Wissenschaftler*innen selbst befragt und unseren Fokus dabei auf das eigene Fach, die Geschichtswissenschaften, gelegt: Wir luden zum Gespräch und baten um Beiträge aus der Forschung.
Heraus kamen vielschichtige Gespräche, in denen Frauen* jeweils unterschiedlicher Generationen und Phasen ihrer Berufsbiographie ihre Erfahrungen im wissenschaftlichen Arbeitsalltag mit uns teilten. Alle vereint der Wunsch nach einem „Klimawandel“ im Wissenschaftsbetrieb: Er sollte weniger von Konkurrenz als von Teamgeist geprägt sein, es sollte die Möglichkeit geben, sich auch ohne passgenauen Lebenslauf in den Wissenschaftsbetrieb zu begeben, und Lebensbereichen, die sich außerhalb der Wissenschaft abspielen, sollte größere Wertschätzung entgegengebracht werden.
Wir werden Chancengleichheit, so die Erkenntnis, nicht allein mit neuen Kennziffern erreichen. Was nicht heißt, dass „die Quote“ – zumindest in einer Übergangszeit – nicht hilfreich wäre. All unsere Gesprächspartnerinnen bestätigten, dass sich innerhalb des Wissenschaftsbetriebes Veränderungen hin zu mehr Geschlechtergleichheit zeigen, aber, und auch darin waren sich alle einig: Es gibt noch viel zu tun. Denn es geht längst nicht mehr nur um die zahlenmäßige Erhöhung des Frauen*anteils, es geht um einen Strukturwandel im Wissenschaftsbetrieb, um intersektionale Chancengleichheit für Zugehörige aller strukturell benachteiligten Gruppen jenseits der Mann*-Frau*-Ebene – es geht um ein Klima, in dem diese Vielfalt gedeihen kann.
Wie unsere Interviewpartner*innen in den zusammenfassenden Empfehlungen an den Nachwuchs betonen, muss weiter und mehr gefördert und ermuntert werden, aber auch die Nachwuchswissenschaftler*innen selbst können sich zusammenschließen und an der Schaffung neuer Netzwerke arbeiten.
Wir danken allen Wissenschaftler*innen für ihre Bereitschaft, mit uns zu sprechen und sich noch dazu viel Zeit dafür zu nehmen!
Da das Thema nicht nur am 8. März, sondern 365 Tage im Jahr sicht- und hörbar sein soll, werden wir diesen Themenschwerpunkt laufend erweitern.
Sophie Genske, Annette Schuhmann und Rebecca Wegmann am 8. März 2019
Artikel
Karen Hagemann
Langsamer Fortschritt: Frauen in der Geschichtswissenschaft
Julia Barbara Köhne
Männliche Genieformel und ihre Irritationen. Essay zur Frage weiblicher Genialität
Anja Schröter
Geteilt und vereint – Frauenbilder in Ost und West
Sindy Duong
Lückenbüßerinnen. Lehrerarbeitslosigkeit als Frauenarbeitslosigkeit, 1975–1990
Interviews
Ziel sollte es sein, Chancengleichheit für alle „Ungleichen“ herzustellen
Interview mit Josephine Bürgel, Stellvertreterin der zentralen Frauenbeauftragten der FU
Hacker- und Haecksenräume. (Unsichtbare) Frauen in der Computergeschichte des 20. Jahrhunderts
Interview mit Julia Erdogan, assoziierte Doktorandin am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam
Über das Promovieren mit Kindern
Interview mit Janine Funke, assoziierte Doktorandin am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam
„Ein jegliches hat seine Zeit“
Interview mit Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur
Über das Zusammenspiel von struktureller Ausgrenzung und individuellen Handlungsweisen
Interview mit Teresa Koloma Beck, Professorin für Soziologie der Globalisierung an der Universität der Bundeswehr München
„Von égalité sind wir auch jenseits des Rheins entfernt!”
Interview mit Mareike König, Abteilungsleiterin Digital Humanities am Deutschen Historischen Institut Paris
„Wir sollten immer das Ziel verfolgen, uns dem Ideal anzunähern“
Interview mit Simone Lässig, Direktorin des GHI Washington
Diese Empörung braucht es!
Interview mit Sylvia Necker über ihre Erfahrungen als Gleichstellungsbeauftragte am Institut für Zeitgeschichte in München
„Ich frage mich, ob diese Frage auch Männern* gestellt würde“
Promovierende am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Postdam zur Chancengleichheit
„Alle reden und keiner hört zu“
Interview mit der VHD-Vorsitzenden Eva Schlotheuber
„Still missing women in academia?“
Interview mit Carla Schriever, Gründerin von fem4scholar
„Die Hälfte-vom-Kuchen-Strategie“
Interview mit Annette Vowinckel, Abteilungsleiterin am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam
„Frau Maskell wäre auch heute noch eine Ausnahmeerscheinung“
Interview mit Sybille Wüstemann, Leiterin Pressearbeit und Veranstaltungsmanagement der Gerda Henkel Stiftung
Über das Jonglieren im „Gläsernen Kasten“
Interview mit Lale Yildirim, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Arbeitsbereich Didaktik der Geschichte am Friedrich-Meinecke Institut der Freien Universität Berlin
„Netzwerke aufbauen, nach vorne gehen und sagen: Ich bin die Richtige für diesen Job!“
Interview mit Irmgard Zündorf, Koordinatorin des Studiengangs Public History der Freien Universität Berlin
Empfehlungen unserer Interviewpartner*innen an den Nachwuchs
zusammengestellt von Sophie Genske und Rebecca Wegmann
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