Geschichtstheorie(n)

Politisches Bewusstsein und politische Gemeinschaft in Polen

Ein Interview mit dem polnischen Philosophen Andrzej Leder * Von Magdalena Saryusz-Wolska, Katrin Stoll und Andrzej Leder * August 2016 Der polnische Philosoph Andrzej Leder im Gespräch mit Magdalena Saryusz-Wolska und Katrin Stoll über Identität, gesellschaftliche Verantwortung und die Folgen einer Hegemonie des Populismus .

Die Republik der Gerechten

Filme über Polen, die Juden retteten * Von Christian Prüfer und Piotr Forecki * Juli 2016 Oberflächlich betrachtet, hat das Thema der polnischen „Gerechten“, also jener Polen, die während des Holocaust Juden (zugleich polnische Staatsbürger) gerettet haben, nach den letzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Jahr 2015 an Bedeutung gewonnen. Im Grunde jedoch hat sich mit dem Wahlsieg der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) nicht viel geändert. Die PiS ist eine populistische, national-katholische Gruppierung, die vorgibt, um den guten Ruf der Nation besorgt zu sein und nur ungern die dunklen Seiten der polnisch-jüdischen Geschichte anspricht.

Verordnete Geschichte? Zur Dominanz nationalistischer Narrative in Polen

Eine Einführung * Von Katrin Stoll, Sabine Stach und Magdalena Saryusz-Wolska * Juli 2016 Am 17. November 2015, drei Monate nach seiner Vereidigung als neuer Staatspräsident von Polen, lud Andrzej Duda ausgewählte Historiker, Publizisten, Museumsleiter und Politiker in seinen Wohnsitz, den Warschauer Belvedere-Palast, ein. Das Treffen war als programmatischer Auftakt für die Erarbeitung einer neuen geschichtspolitischen Strategie für Polen konzipiert. In seiner Eröffnungsrede ließ Duda keinen Zweifel daran, welch hohe Priorität der „richtige“ Umgang mit der Vergangenheit für Polen – und damit für sein eigenes Amtsverständnis – habe: „Geschichtspolitik zu betreiben, ist eine der wichtigsten Tätigkeiten des Präsidenten. Der Präsident ist der höchste Vertreter der Republik Polen. Es gibt eine große Erwartung ihm gegenüber, und ich möchte dieser gerecht werden.“

Die „Verstoßenen Soldaten“

Embleme eines Erinnerungsbooms * Von Maria Kobielska * Juli 2016 Als Wissenschaftlerin, die sich mit der aktuellen polnischen Erinnerungskultur – und damit auch mit dem eigenen kulturellen Umfeld – beschäftigt, kann ich den neuesten Erinnerungsboom kaum übersehen. Dabei handelt es sich vor allem um das forcierte Gedenken an die sogenannten „Verstoßenen Soldaten“. Die polnische Erinnerungskultur konzentriert sich gegenwärtig in hohem Maße auf die militärische und politische Geschichte des Landes, auf große historische Ereignisse und die Leistungen der polnischen Armee. Diese Erinnerungskultur ist männlich, katholisch, ethnisch polnisch, zentralisiert, antikommunistisch und in jeder Hinsicht normativ. Zwar gibt es darin auch innovative, abweichende und kritische Elemente, diese nehmen jedoch stets auf die beschriebene Fokussierung der Erinnerungskultur Bezug, reagieren darauf und verarbeiten sie. Der „Boom der Verstoßenen“ treibt diese Form des Gedenkens allerdings ins Extreme.

Kampfbilder

Der visuelle Diskurs der rechtskonservativen Presse in Polen * Von Magdalena Saryusz-Wolska * Juli 2016 Geschichtspolitik manifestiert sich nicht nur in Worten und Taten, sondern auch in den dazugehörigen Bildern. Die öffentliche Ikonosphäre, um den treffenden Begriff des polnischen Kunsthistorikers Mieczysław Porębski zu nutzen, ist ein interessantes Analyseobjekt, in dem aktuelle Tendenzen der polnischen Geschichtspolitik beobachtet werden können. Obwohl die allermeisten Texte, die derzeit in den Medien erscheinen, illustriert werden, finden Bilder wenig Beachtung in der diskursanalytischen Forschung. Dabei sind es oft erst Fotografien, Zeichnungen oder Collagen, die unsere Aufmerksamkeit auf die schriftlichen Äußerungen lenken. „Ein ausdrucksstarkes Titelbild erhöht den Verkauf um zwanzig- bis dreißigtausend Exemplare“ schätzt Rafał Kalukin, ein Publizist der linksliberalen, polnischen Ausgabe der Wochenzeitschrift „Newsweek“.

Von totalitären Schäferhunden und libertären Mauerkaninchen

Alles von Relevanz? Ein Beitrag über zweifelhafte wissenschaftliche Standards und die angezogene Handbremse in der akademischen Debattenkultur * Von Florian Peters * Februar 2016 Der Aufsatz der 26-jährigen Doktorandin versprach viel: Nicht weniger als „die zentrale Bedeutung der Human-Animal Studies für die neuere Totalitarismusforschung“ wollte „Christiane Schulte“ in ihrem „Beitrag zur Gewaltgeschichte des Jahrhunderts der Extreme“ unter Beweis stellen, der im Dezember 2015 in „Totalitarismus und Demokratie“ erschien, der Hauszeitschrift des Dresdner Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung.[1] Entsprechend steil waren die Thesen des Beitrags, der um die Frage „Waren deutsche Hunde […] immer schon deutsche Täter?“ kreiste und unter anderem mit der Behauptung aufwartete, direkte Nachfahren von Wachhunden aus den Konzentrationslagern Buchenwald und Sachsenhausen seien nach Kriegsende in den dortigen sowjetischen Speziallagern und sogar bei den DDR-Grenztruppen an der innerdeutschen Grenze eingesetzt worden. Das Problem: Sowohl die empirischen Belege für diese vermeintliche „Gewalttradition“, die „beide totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts verband“, als auch die Identität der Doktorandin selbst waren offenbar frei erfunden.

Paris – Syrien

Öffentlichen Debatte nach den Anschlägen vom 13. November 2015 in Paris * Von Teresa Koloma Beck * Dezember 2015 Am Abend des 13. November 2015 kamen in Paris mindestens 150 Menschen in einer Serie koordinierter Anschläge ums Leben. Politische Gewalt dieses Ausmaßes hat es in Europa seit den Zuganschlägen von Madrid am 3. April 2004 nicht mehr gegeben. Rasch werden Verbindungen der Täter zur militärisch im Irak und Syrien operierenden bewaffneten Gruppe »Islamischer Staat« (IS) deutlich. Seitdem scheint die Agenda der europäischen Politik von diesem Thema bestimmt: Wie war das möglich? Und was ist nun zu tun?

Politik mit der Vergangenheit

Geschichte, Erinnerung und Gedenken an die Vergangenheit sind in der Bundesrepublik und den USA in unterschiedliche diskursive Formationen eingebunden und funktional auf ein je spezifisches Selbstverständnis und auf andere jeweils aktuelle Themen bezogen.

Eine andere Wissenschaft – eine bessere Wissenschaft?

Kann es Wissenschaft geben, die auf anderen epistemologischen Voraussetzungen aufbaut als jene, die heute an den Hochschulen der westlichen Welt praktiziert wird? Ist es möglich, sich außerhalb aller etablierten disziplinären Traditionen zu stellen und dennoch wissenschaftlich zu arbeiten? Ist ein wissenschaftliches Wissen denkbar, dass sich nicht der Anwendung des zurzeit weitgehend akzeptierten Sets methodischer Prinzipien verdankt? Die Antwort muss vermutlich in allen Fällen „ja“ lauten.