Visual History

Historisierung einer Ikone

Am 7. Dezember 2020 jährt sich der Kniefall Willy Brandts vor dem Denkmal für den Aufstand im Warschauer Ghetto zum fünfzigsten Mal. Zu Recht gilt er als bedeutendste Geste eines bundesdeutschen Politikers der Nachkriegszeit; seit zwanzig Jahren wird ihm auf dem nun nach Brandt benannten Platz am Ort des einstigen Ghettos sogar mit einem eigenen Denkmal gedacht.

Der Potsdamer Platz zwischen Brache und „Weltstadtplatz“

„Er ist gar kein echter Platz und scheußlich obendrein“, hieß es in einer Ausgabe der Zeitschrift „Spiegel Geschichte“ über den Potsdamer Platz im Jahr 2008.[1] Ob man dieser Aussage zustimmen oder ihr widersprechen möchte, ist letztendlich unerheblich, denn unbestritten ist die wechselhafte historische Bedeutung des Platzes, in der sich die (Zeit-)Geschichte Berlins spiegelt.

 


Vor den Toren der Stadt

Showtime

Als „Gedächtnismaschine“ (Leif Kramp) prägt das Fernsehen nicht nur die Wahrnehmung und Interpretation tagesaktueller Momente, sondern auch die Erinnerungskultur einer (zuschauenden) Gesellschaft und ihre Perzeption der Historie. Dies gilt auch für Ostdeutschland und seine DDR-Vergangenheit. Doch deren fernseh-mediale Repräsentation steht seit Jahrzehnten in der Kritik.

Young Boy Walks Past Corpses

Das Bild zeigt den siebenjährigen Simon Maandag aus Amsterdam in Bergen-Belsen. Sein „Tag der Befreiung“ war der 15. April 1945, als britische Truppen das Lager erreichten. Das Foto wurde zwei Tage (nach anderen Angaben fünf Tage) später aufgenommen. Der Junge ist bereits neu eingekleidet. Er schaut den Fotografen skeptisch an – oder blendet ihn nur die Sonne? Sein Schatten spricht für Letzteres. Würde man nur die Bäume und den Waldweg sehen, wäre es eine Spaziergangsidylle aus den 1940ern Jahren.

Fotos für die Freiheit

Ein Mensch ohne eigene Erfahrung in Diktaturen, Kriegen und Krisen denkt bei "Befreiung" zuerst in fremden Bildern, in Medienbildern und Momenten, die er oder sie nicht selbst erlebt hat. Es ist mehr als eine individuelle Erfahrungslücke. Der Soziologe Niklas Luhmann schreibt: ,,Alles, was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien."[1]

#75liberation

Dieses Jahr läuft vieles ganz anders als geplant: Wegen der Corona-Pandemie dürfen bis mindestens zum Ende des Sommers keine Großveranstaltungen stattfinden. Diese Einschränkung traf auch viele Gedenkfeierlichkeiten zum 75. Jahrestag der Befreiung nationalsozialistischer Konzentrationslager durch die Alliierten. Innerhalb von wenigen Wochen musste ein Alternativprogramm geschaffen werden. Es erfolgte eine digitale Übersetzung der Gedenkfeiern in den virtuellen Raum, um trotzdem ein würdiges Gedenken an Opfer und Befreier möglich zu machen.

 

„I had survived“

Diese Zeichnung des 15-jährigen Thomas Geve zeigt amerikanische Medienmenschen: einen Fotografen, einen Kameramann und einen Kameraassistenten mit Klappe. Sie fotografieren und filmen die Stirnwand von Block 3 im Hauptlager mit der Aufschrift: The german political prisoners welcome their american friends, während ein englischsprachiger Häftling mit Armbinde eine Gruppe bewaffneter, rauchender amerikanische Soldaten durch das Lager Buchenwald führt.

Bilder der Befreiung

Am 7. Mai 1945 unterzeichneten Vertreter des Führungstabs der Wehrmacht im amerikanischen Hauptquartier in Reims die bedingungslose Kapitulation, die einen Tag später, am 8. Mai, in Kraft trat. Damit endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Im Jahr 2020 erinnern Generationen an einen Krieg, den sie nie erlebt haben; in einer globalisierten und digitalisierten Welt und in einem Deutschland, das fünfundsiebzig Jahre lang – mal mehr und mal weniger – über den Umgang mit dem 8. Mai, dem „Tag der Befreiung“, diskutiert hat.