Das Zeitalter des Kolonialismus liegt mehr als ein halbes Jahrhundert zurück, und noch immer sind „westliche Gesellschaften“ gegenüber den ehemaligen Kolonien nicht frei von Missionierung und Überheblichkeit. Im Zuge der Jahrhunderte andauernden Kolonialpolitik wurden religiöse politische und sprachliche Argumente bemüht, um die europäische Herrschaft über große Teile der Welt zu rechtfertigen. Konzeptuelle Metaphern[1], mit denen die Kolonisierenden ihre Überlegenheit und die Andersartigkeit der Kolonisierten[2] konstruierten, ziehen sich wie ein roter Faden durch den kolonialen Diskurs, beispielsweise als Gegensatz zwischen Erwachsenen–Kindern, Eltern–Kindern oder Lehrenden– Lernenden. Noch 1922 schrieb Frederick Lugard in seinem Dual Mandate in British Tropical Africa über „den Afrikaner“: ‚He is an apt pupil‘.[3]
Um dieses Lehr-Lern-Verständnis umzukehren, fand unter dem Namen Learning from Africa: Equal opportunities for women in academia vom 28.-30. Oktober 2019 eine Konferenz an der Universität Potsdam statt. Dazu waren Forscherinnen aus Südafrika, Ghana und Nigeria eingeladen, um die Karrieremöglichkeiten von Wissenschaftlerinnen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Ergänzt wurde das Vortragsprogramm von lokalen Expertinnen aus den Bereichen Nachwuchs-/Talentförderung und Gleichstellung.
Die Idee zu dieser Veranstaltung entstand zufällig. In einer Sitzung der Universität Potsdam saßen Stephanie Wittenburg vom Koordinationsbüro für Chancengleichheit und Prof. Hans-Georg Wolf vom Lehrstuhl Entwicklung und Variation der englischen Sprache (Institut für Anglistik und Amerikanistik) nebeneinander und beschlossen, einen Workshop mit Afrika-Schwerpunkt zu initiieren. Für diese Kooperation wurden daraufhin die finanziellen Mittel und persönlichen Kontakte gebündelt und ich wurde, als Doktorandin von Prof. Wolf, als hauptverantwortliche Organisatorin bestimmt.
Nach einer kurzen und intensiven Vorbereitungsphase, in der aus dem geplanten Workshop eine Konferenz wurde („wenn schon, denn schon“), war es Ende Oktober so weit. Die ersten beiden Konferenztage bestanden aus einem vielfältigen Vortragsprogramm, in dem die geladenen Expertinnen ihre Sichtweisen unter Einbindung länderspezifischer Statistiken, Gesetzgebungen und persönlicher Erfahrungsberichte präsentierten. In entspannt-konzentrierter Atmosphäre entwickelte sich eine thematisch kohärente Diskussion, die sich wie ein roter Faden durch die Konferenz zog und nach jedem Vortrag neu aufgenommen wurde. Die Beiträge der Zuhörer*innen, die aus unterschiedlichen Fachgebieten und Institutionen kamen, ergänzten die vorgestellten Perspektiven. Im Gegensatz zu sonst auf Konferenzen üblichen kurzen und thematisch diversen Diskussionen machte diese Kohärenz nicht nur die Komplexität des Themas deutlich, sondern ermöglichte auch die Zusammenfassung der Ergebnisse für die öffentliche Podiumsdiskussion am dritten Konferenztag in der Wissenschaftsetage Potsdam.
Die Haupterkenntnisse können in zwei Bereiche gegliedert werden:
Strukturen von Wissenschaftssystemen (Hindernisse und Chancen)
Übliche Karrierewege für Wissenschaftler*innen sind oft mit großer Unsicherheit verbunden – dies gilt nicht ausschließlich, aber insbesondere für Frauen. Die Finanzierung der Promotion bzw. der Verbleib in der Wissenschaft scheint ein auch außerhalb Deutschlands verbreitetes Problem zu sein. Gerade in der Phase der Familienplanung, die oft mit dem Start in der Karriere zusammenfällt, führt dies dazu, dass Frauen entweder zurückstecken oder sich verausgaben. Chantelle Kruger (Südafrika) erzählte, dass ihr neben Arbeit und Schlaf keine Zeit und Bereitschaft für die Partnersuche bleibe. Ihre Doktorschwester Pheladi Fakude berichtete, dass sie nach jedem Arbeitstag ihre „zweite Schicht“ als Mutter antrete. Der Präsident der Universität Potsdam, Prof. Dr. Oliver Günther, bezeichnete in seinen Grußworten die Universität Potsdam als gutes Beispiel im Hinblick auf den Frauenanteil, jedoch zeigten die von der zentralen Gleichstellungsbeauftragten Christina Wolff präsentierten Zahlen, dass dies nicht in allen Bereichnen der Fall ist. Frauenquoten sind in Deutschland nicht per Gesetz verankert, weshalb der Anteil der Frauen zumeist vom jeweiligen Management abhängig ist – ebenso natürlich auch in der Wirtschaft, wie Kave Bulambo, Gründerin der Karriereplattform My Career Path, erörterte. Im Gegensatz dazu gibt es in Südafrika entsprechende Gesetzgebung zur Gleichstellung, was von Prof. Susan Coetzee-Van Rooy als wichtiger Faktor eingeschätzt wurde. Laut Prof. Anderson (Ghana) werden schriftliche studentische Leistungen an ihrer Universität anonymisiert, sodass sozialdemografische Kriterien für deren Bewertung nicht ausschlaggebend sind. Auf großes Interesse stieß Dr. Heike Küchmeister mit ihrer Darstellung der Förderangebote an der Potsdam Graduate School. Graduiertenschulen sind nicht überall strukturell eingebettet, obwohl sie wichtigen Halt für Promovierende und Post-Docs bieten.
Genderkonzepte (Hindernisse und Chancen)
Genderkonzepte waren der zweite Bereich, der wiederholt als relevant bezeichnet wurde. Sicherlich entstand dieser Fokus durch den (kognitiv-)linguistischen Schwerpunkt eines Großteils der Vortragenden, doch der Einfluss von Rollenbildern auf das Denken und Handeln kann nicht genug betont werden. Nicht nur in Deutschland sind Frauen in den MINT-Fächern unterrepräsentiert. Grace Dawson-Ahmoah referierte darüber, dass diese in Ghana als „half-men“ bezeichnet werden, was nicht als Kompliment verstanden werden sollte. Dr. Lillian Brise diskutierte den vermeintlich hohen Frauenanteil in Nigeria kritisch: Als Teil einer überwiegend patriarchalen Gesellschaft streben Frauen zwar eine gute akademische Ausbildung an, jedoch oft nur um ihren Wert als „wife material“ zu erhöhen; die Absicht, in der Wissenschaft zu bleiben, besteht dabei nicht. Ungleiche Konzeptualisierungen des vermeintlichen Werts eines Menschens können dabei schwerwiegende Folgen haben: Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt in Südafrika, beispielsweise die vergewaltigte und ermordete Studentin Uyinene Mrwetyana, schüren die Debatte um die Sicherheit von Frauen auf dem Universitätscampus. Als positives Beispiel sind die Akan zu nennen, die etwa die Hälfte der Bevölkerung Ghanas darstellen. Kinder gehören in deren matrilinearer Gesellschaftsstruktur der Familie der Frau. Das Bild der unabhängigen Frau, die beispielsweise auch das Recht auf Landbesitz hat, ist in Ghana immer noch weit verbreitet und konnte durch Kolonialisierung und Christianisierung nicht vollständig verdrängt werden.
Insgesamt kristallisierten sich zwei hilfreiche Faktoren heraus. Zum einen ist das familiäre Umfeld ausschlaggebend: Unterstützung in Form einer „extended family“ (Dt. in etwa übersetzbar mit „Großfamilie“), egalitäre Partnerschaften und progressive Erziehungsmethoden, über welche keine bestimmte Rollenverteilung in Sachen Karriere und Haushaltspflichten vermittelt wird, wurden als persönliche Erfolgskriterien genannt. Im Gegensatz dazu sind autoritäre Vaterfiguren und die Definition von Männlichkeit als „Dominanz“ hinderlich. Zum anderen kann die Bedeutung von Netzwerken nicht oft genug betont werden: Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung stellt für Frauen eine bislang weniger beachtete Komponente dar, die jedoch unabdingbar ist. Männer müssen davon nicht ausgeschlossen sein, doch für das Erreichen von Zielen ist Eigeninitiative besser als Abwarten. In diesem Sinne bestand zu Ende der Konferenz Konsens darüber, dass der Konferenztitel zu einem „Voneinander lernen“ umgedeutet werden könne.
Was wird nun weiter geschehen? Wir wollen vor allem gemeinsam forschen – und natürlich netzwerken! Aus der interdisziplinären Zusammensetzung der Teilnehmenden gingen Ideen für zukünftige spannende und vor allem internationale Kooperationen hervor. Die Publikation der Konferenzergebnisse ist bereits in Vorbereitung. Einladungen für mögliche Folgekonferenzen an der University of Ghana in Accra und der North-West University in Vanderbijlpark wurden ausgesprochen. Für die bessere Koordination wurde eine Website erstellt (derzeit noch als ehrenamtliches Ein-Frau-Projekt), über die sich alle Interessierten informieren und austauschen können. Neue Netzwerkmitglieder sind herzlich willkommen!
[1] Siehe George Lakoff und Mark Johnson (1980). Metaphors We Live By. Chicago und London: University of Chicago Press.
[2] Im Sinne des von Edward Said theorisierten Orientalismus; Edward Said (1978). Orientalism. New York: Pantheon Books.
[3] Lugard, Frederick ([1922] 1965). The Dual Mandate in British Tropical Africa. 5. Auflage. Abingdon: Frank Cass & Co., S. 70. Den Anstoß zu diesen Überlegungen verdanke ich Prof. Dr. Frank Polzenhagen (Universität KoblenzLandau), mit dem momentan ein gemeinsamer Artikel zum Thema „Colonial cultural conceptualisations and World Englishes“ entsteht.
Learning from Africa
Konferenz zur Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen im internationalen Vergleich