Für zeitgeschichte|online hat Fynn-Morten Heckert im Rahmen seines Praktikums im Sommer 2019 das Interview mit Martina Winkler geführt. Transkribiert wurde es anschließend von Niklas Rietz, ediert und veröffentlicht von der Redaktion von zeitgeschichte|online.
Heckert: Frau Winkler, Sie sind Professorin und Inhaberin des Lehrstuhls für die Geschichte Osteuropas an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Davor waren sie Professorin für die Kulturgeschichte Ostmitteleuropas mit dem Schwerpunkt der Geschichte der tschechoslowakischen Sozialistischen Republik an der Universität Bremen. Was haben Sie „richtig gemacht“, um dorthin zu gelangen, wo Sie jetzt sind?
Winkler: Mein erster Reflex wäre zu sagen, ich habe natürlich auch eine Menge falsch gemacht. Aber nein, ich sage jetzt einfach: Ich bin eine gute Historikerin. Das habe ich, glaube ich, noch nie so gesagt, aber danke für die Gelegenheit. Begeisterung für den Beruf und die Arbeit ist die wichtigste Voraussetzung. Wobei man diese sicherlich auch mit einer gewissen strategischen Ausrichtung verbinden, sich entsprechenden Rat suchen, auf diesen Rat hören und natürlich auch das Glück haben muss, die richtigen Ratgeber zu haben. Obwohl es vor allem mit Strategie zu tun hat, habe ich viel auf mein Bauchgefühl gehört. Wichtig war für mich zudem länger ins Ausland zu gehen. Das hat den Weg verändert. Der Weg wurde zwar länger und schwieriger, aber langfristig war der Auslandsaufenthalt eine kluge Entscheidung. Längere Auslandsaufenthalte sind natürlich ein dickes Plus im Lebenslauf, obwohl es erstmal Energie kostet und einen gewissen Reibungsverlust bedeutet. Im Nachhinein ist es schwierig zu sagen, welche Entscheidung wichtig war. Ich weiß ja nicht, wohin die andere geführt hätte.
Heckert: Können Sie vielleicht die strategische Komponente ein bisschen genauer erklären?
Winkler: Bis ganz nach oben zur Professur ist es ein schwieriger Weg, auf dem viele Hürden genommen werden müssen. Erst einmal die Entscheidung zu treffen: Ich will Professorin werden. Für mich stand das nicht von Anfang an fest. Während meines Studiums wäre der Gedanke „Ich will Professorin werden“ ungefähr so denkbar gewesen, wie der Entschluss: Ich werde Astronautin, genauso real war das. Die Professur war nichts, was für mich in irgendeiner Weise in Frage kam. Ich habe dann später erst gesagt, das interessiert mich. Ich schreibe gerne und vielleicht könnte ich ja promovieren. Daraufhin hat sich das so nach und nach entwickelt. Insofern war es keine Strategie von Anfang an, eher kleine strategische Schritte. Aber man muss immer überlegen, wo führt mich dieser Schritt hin. Ich finde dies vor allem im Nachhinein so wichtig weil ich, wie ich eben bereits gesagt habe, glaube, dass man Beratung braucht. Im Moment sehe ich eine Gefahr in der Veränderung der Hochschulpolitik, die dazu führt, dass vor allem Menschen in der Postdoc-Phase, also Juniorprofessoren oder -professorinnen sehr selbstständig sind. Das ist zum einen gut, mehr Autonomie und mehr Selbstständigkeit sind besser und Machtmissbrauch wird erschwert. Zugleich sind diese Leute aber allein gelassen. Sie sind noch nicht vollständig in der Lage – das war ich auch nicht und ich weiß nicht, ob ich es jetzt bin –, bestimmte Mechanismen zu durchschauen und sich zu fragen: Was mache ich jetzt? Welche Entscheidung treffe ich? Was für eine Stelle nehme ich an? Was für eine Publikation lohnt sich an dieser Stelle für mich? Was für ein Thema suche ich mir, um ein möglichst breites oder konzentriertes Themenfeld abdecken zu können? Und da kann man wahnsinnig viel falsch machen. Da braucht man einfach auch Unterstützung. Menschen, mit denen man sich beraten kann. Im Idealfall Wissenschaftler*innen, die weiter sind und das besser verstehen. Diese Rolle nimmt traditionell ein Professor oder eine Professorin ein, aber heutzutage fällt diese Aufgabe für viele weg. Umso wichtiger sind die Mentoren- und die Mentorinnenprogramme. Es ist aber auch extrem wichtig, jenen, die Beratungen brauchen, deutlich zu machen: Sucht euch diese Hilfe! Auch, wenn es kein formales Mentorenprogramm ist, sucht euch Hilfe. Fragt nach und überschätzt euch nicht. Das soll jetzt nicht arrogant klingen, überhaupt nicht. Aber ich spreche aus eigener Erfahrung, dass man einfach unglaublich viel falsch machen kann. Bei mir gab es auch so ein paar Stellen, bei denen ich im Nachhinein denke, das hätte wirklich schief gehen können. Ich hatte aber immer Glück, dass mir jemand gesagt hat: „Denk mal darüber nach! Das ist der falsche Weg.“ Ich hatte immer Menschen, die mich angeleitet haben und mir Tipps gegeben hat, denen bin ich zwar nicht immer gefolgt, manchmal aber eben doch. Es gibt ein, zwei Punkte, bei denen ich sage: „Wow, das war gut.“ Und dafür bin ich nach wie vor sehr dankbar.
Heckert: Wie ist es um die Gleichstellung im Bereich der osteuropäischen Geschichte gestellt? Würden Sie den Fachbereich als männlich dominiert beschreiben?
Winkler: Männlich dominiert ist, glaube ich, etwas zu scharf formuliert. In den letzten zehn Jahren hat sich sehr viel bewegt. Es gab einen Generationenwechsel. Sehr viele Lehrstühle im deutschsprachigen Bereich, ich beziehe Österreich und die Schweiz mit ein, sind von Frauen und mit Frauen besetzt worden. Einerseits haben wir diese Zahlen und den Fakt, dass viele Lehrstühle der osteuropäischen Geschichte mit Frauen besetzt wurden. Eine Kollegin von mir allerdings, Ricarda Vulpius, die sehr engagiert und kompetent ist in diesen Fragen, hat sich diesen Generationswechsel und die Neubesetzung mit Frauen ein bisschen genauer angeschaut. Die allgemeine Wahrnehmung geht oft in die Richtung: Die Lehrstühle wurden weitestgehend mit Frauen besetzt. Das geht soweit, dass Aussagen gemacht werden wie zum Beispiel: „Männer haben im Moment in der osteuropäischen Geschichte sehr schlechte bis gar keine Chancen.“ Ricarda Vulpius hat die Neubesetzungen durchgezählt. Wir haben ihre Ergebnisse gemeinsam mit anderen Kolleginnen angeschaut und zusammengestellt. Und es stellte sich heraus, dass in den letzten zehn Jahren sehr viele Lehrstühle neu besetzt wurden, 40% davon mit Frauen. Das ist ordentlich und fast paritätisch. Aber es ist nun wirklich nicht so, dass Männer keine Chancen hätten. Die Wahrnehmung, dass es nur noch Frauen sind, lässt doch aber schon sehr, sehr tief blicken. Die Wahrnehmung suggeriert, das Gleichstellung als Gefahr von vielen wahrgenommen wird. Ich nehme mich von dieser Wahrnehmung übrigens gar nicht aus, denn ich hatte auch das Gefühl, dass es fast nur noch Frauen sind, die neue Stellen besetzen. Also sind es nicht nur die Männer, die eine etwas verquere Perspektive haben. Die haben wir auch, zumindest ich.
Heckert: Sie haben als wissenschaftliche Referentin im brandenburgischen Landtag gewirkt. Sehen Sie in diesem Bereich Karrierewege für Geisteswissenschaftlerinnen? Spielen Chancengleichheit und Geschlechterrollen in den politiknahen Feldern eine größere Rolle als in der akademischen Welt?
Winkler: Ich glaube die zweite Frage kann ich nicht aus eigener Erfahrung beantworten. Das ist lange her, ein Jahr vor meiner Promotion. Ich muss sagen, und das ist meine ganz subjektive Perspektive, dass ich mich in diesem Bereich stärker als Frau anders behandelt gefühlt habe als jemals in der Wissenschaft. Ich sollte beispielsweise immer wieder Kaffee kochen und Frauen ohne Make-Up gingen gar nicht. Aber wie gesagt, das ist schon sehr lange her. Un das ist eine besondere Situation gewesen im Vergleich zu vielen Stellen, die ich in der Wissenschaft hatte. Deswegen ist das ein komplett asymmetrischer und damit unfairer Vergleich. Aus diesem Grund kann ich das nicht beantworten.
Grundsätzlich ist es aber natürlich so, dass für Geisteswissenschaftler und Geisteswissenschaftlerinnen nicht nur die wissenschaftliche Perspektive wichtig ist, sondern dass man als Student oder Studentin überlegen sollte, dass man mit Geschichte nicht für einen ganz bestimmten Beruf qualifiziert ist, wie etwa im Medizinstudium. Das Berufsfeld ist wahnsinnig breit. Das bedeutet aber auch, dass man sich zu der im Studium erlangten akademischen Qualifikation zusätzlich weitere berufliche Qualifikationen erarbeiten sollte, indem man Praktika macht oder vielleicht ein Volontariat. Man kann sich das auch ein bisschen offen lassen und beruflich experimentieren. Damit sollte man allerdings schon relativ früh anfangen und sich nicht nach dem Abschluss erst nach einem Beruf für sich suchen, nur um sich urplötzlich zu fragen: „Oh, hier bin ich, was mache ich jetzt?“ Das funktioniert nicht.
Aber ansonsten würde ich sagen, dieser ganze Kultur- und Politikbereich, Politikberatung, das war zwar jetzt nichts, was ich letztlich gemacht habe, aber das sind hochinteressante Berufsfelder. Da kann man vieles machen, übrigens auch nach der Promotion. Mir passiert es häufig, dass Studierende sagen: „Ich denke darüber nach, zu promovieren, aber ich bin sehr unsicher, weil die Wissenschaft ein schwieriger Bereich ist, mit Familie und all den Dingen.“ Aber das muss man jedoch nicht vorher entscheiden. Nach der Promotion sind alle Wege offen. Die Lebensentscheidung wird danach getroffen und die sollte man auch sehr ernst nehmen. Aber mit einer fertigen Promotion kann man wunderbar in Verlagen, Stiftungen und im Kulturbereich arbeiten. Diese Offenheit macht das attraktiv, finde ich.
Heckert: Sie haben die Vereinbarkeit von Familie, Kindern und Wissenschaft angesprochen. Sie sind verheiratet und haben ein Kind. Welche Erfahrungen haben Sie bei der Vereinbarkeit von Wissenschaft und Elternschaft gemacht?
Winkler: Das kommt darauf an, ob Sie nach meiner privaten Situation oder nach Strukturen fragen. Ich gehe jetzt einfach auf beides ein. Persönlich hatte ich großes Glück. Ich habe viel Unterstützung von meinem Mann erfahren, der beruflich auch sehr zurückgesteckt hat. Für diese Unterstützung bin ich sehr dankbar. Das ist aber eine Frage, die innerhalb der Partnerschaft gelöst wird. Das muss jeder selbst für sich entscheiden.
Sie fragen aber auch nach den Strukturen. Ich glaube, grundsätzlich ist es so, dass Wissenschaft Vor- und Nachteile hat. Die große Flexibilität, die der Beruf mit sich bringt, ist gut. Man muss nicht einen Laden öffnen oder eine Praxis und dann acht Stunden am Tag dort sein. Man kann auch flexibler sein und auch mal für den Kindergeburtstag sagen, dass nicht ins Büro kommt und stattdessen einmal am Sonntag arbeitet. Das ist möglich, das ist ein großer Vorteil. Zugleich haben wir aber auch die Situation, dass erwartet wird, an Abenden, an Wochenenden auf Tagungen und Gremien usw. präsent zu sein. Da muss man entweder nein sagen, oder sich die Frage stellen, was jeweils wichtiger ist. Für mich war klar, dass ich ab und zu nein sagen muss. Eine Frage ist diejenige nach der Infrastruktur wie zum Beispiel Kindergarten und Schule. In dem Fall war ich oft ziemlich entsetzt und höre auch schlimme Dinge von anderen Kolleg*innen. Es gibt in Deutschland viele Universitäten, die sich als familienfreundlich bezeichnen und auch häufig das Label in ihrem Namen tragen, es aber nicht sind. Das ist oft eine Farce. Kindergartenplätze, die einem in fünf Jahren in Aussicht gestellt werden, bringen nicht wirklich etwas. Kindergärten, die zur Universität gehören, aber am anderen Ende der Stadt sind, sind keine Lösung. Das sind so Sachen, die einfach gar nicht gehen. Oder, dass Semester- und Schulferien überhaupt nicht zueinander passen, obwohl sie von der gleichen Behörde erlassen werden. Das hat dann nichts mehr mit Familienfreundlichkeit zu tun oder mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Da ist noch ganz viel zu tun. Dabei sind es Kleinigkeiten, das kann gar nicht so ein riesiges Problem sein. Da gibt es ganz andere Probleme, die viel schwerer anzugehen sind. Aber diese strukturellen Defizite müssten sich viel schneller verändern.
Heckert: Haben Sie im Verlauf ihres wissenschaftlichen Werdegangs beispielswiese bei der Promotion oder Habilitation Unterstützung erfahren?
Winkler: Natürlich. Ohne Unterstützung wäre es überhaupt nicht gegangen. Das ist absolut notwendig. Ich hatte einen Doktorvater an der Universität Leipzig, der mich sehr unterstützt hat, zugleich aber auch in Ruhe gelassen hat. Das war für mich genau die richtige Mischung. Das muss aber jeder selber wissen, wie viel Unterstützung er braucht, wieviel Rahmen oder auch Freiheiten. Und auch drumherum hatte ich sehr viele Personen, anfangs vor allem Männer, zunehmend dann aber auch Frauen, denen ich vertrauen konnte, bei denen ich um Rat fragen konnte und die mich unterstützt haben. Eine sehr enge Einbindung in einen Lehrstuhl hatte ich allerdings nie. Ich weiß gar nicht, ob das schlecht war. Im Nachhinein denke ich, hat es mir mehr Freiheiten gegeben, meinen Weg zu gehen. Aber auch das ist eine Sache, die sich manchmal ergibt, aber die jeder für sich selbst entscheiden muss, wie nah er oder sie sich dann auch an Mentoren, Professoren oder Schulen bindet.
Heckert: Hatten sie eher männliche oder weibliche Vorbilder oder Mentor*innen?
Winkler: Ich war nie in einem formalisierten Mentor*innenverhältnis. Aber ich hatte immer Leute, denen ich vertraut habe, die mich auch beraten haben. Dazu zählten sowohl Männer als auch Frauen. Das habe ich bereits angedeutet, das waren anfangs mehr Männer, später mehr Frauen. Das liegt vor allem daran, dass es in meiner Promotionsphase um mich herum weniger Frauen in einer fortgeschrittenen wissenschaftlichen Karrierestufe gab, mit denen ich viel zu tun hatte. Wenn ich darüber nachdenke: Das ist interessant, ich glaube, ich habe diese Männer nie als Vorbilder verstanden. Vorbild hat für mich viel mit Persönlichkeit zu tun, mit dem Gedanken, jemandem ähnlich sein zu wollen. Also, will ich so werden wie sie? Und das funktioniert bei mir einfach eher mit Frauen. Das ist etwas, das ist mir erst im Nachhinein aufgefallen ist. Das habe ich zum ersten Mal erlebt nach der Promotion, da war ich in den USA. Da habe ich sehr viele unfassbar beeindruckende Frauen kennengelernt, die ich sowohl wissenschaftlich als auch persönlich wirklich bewundere. Das ist ja das, was die Definition für ein Vorbild wäre. Und damit hatte ich erstmals in den USA zu tun und als ich zurückkam, habe ich hier in Deutschland mehr und mehr Frauen erlebt, die für mich diese Rolle spielen oder gespielt haben.
Heckert: Hat diese Erfahrung, dass sie in den USA Frauen kennengelernt haben, die sie sich zum Vorbild nahmen, Ihren Blick verändert? Haben Sie Frauen in der Wissenschaft daraufhin anders betrachtet?
Winkler: Ja. Das Konzept des Vorbilds, das war mir davor fremd. Deshalb hat es mir vorher nicht gefehlt. Da kam dann der Moment, in dem ich realisiert habe, das ist gut – dann kann man sich an jemandem orientieren. Das hat mir geholfen, hat mir sozusagen die Möglichkeiten eröffnet, das geht – das kann man machen. Gerade in den USA war es übrigens wichtig, dass viele dieser Frauen, die für mich zum Vorbild wurden, Kinder hatten, teilweise zwei, drei, vier Kinder. Das hat mich sehr beeindruckt. Das kannte ich aus Deutschland nicht. Nicht, dass es das gar nicht gab, aber ich glaube, es lag daran, dass die Amerikanerinnen im wissenschaftlichen Bereich vielleicht eine Generation vor uns so weit waren. Es gab schon eine Generation früher viele Professorinnen. In Deutschland hat das etwas länger gedauert. Und es gab in den USA eben auch viele Verheiratete oder in einer Beziehung Lebende und Professorinnen mit Kindern. Das war auch für mich immer wichtig, das muss nicht jeder wollen, aber für mich war es wichtig, zu sehen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie funktionieren kann. Interessant ist es natürlich insofern, als dass die Strukturen in den USA für diese Doppelbelastung bzw. Vereinbarkeit sehr schlecht sind. Ich habe über die Kindergartenplätze hier geschimpft, wenn man das aber mit den USA vergleicht, dann leben wir hier im Paradies. Kindergartenplätze sind dort gar nicht bezahlbar, wenn man überhaupt welche bekommt. Das ist alles extrem schwierig, es gibt ja nicht einmal Mutterschutz. Diese Strukturen sind also ganz anders und viel schlechter als hier. Eine Sache, die aber in der Wissenschaft eine große Rolle spielt, ist die Tatsache, dass man mit einer Tenure-Track-Stelle, die man im Normalfall nach der Promotion bekommt, schon eine halbwegs sichere Perspektive oder überhaupt eine Perspektive hat. Bei uns, mit dieser langen Post-Doc-Phase, die ja erst einmal ins Nichts führt,ist diese Sicherheit einfach nicht gegeben. Das ist für die Familienplanung problematisch. Und das wiederum wirkt sich vor allem auf Frauen aus, wenn auch nicht nur. Für Männer ist das sicher auch ein Problem. Aber ich würde behaupten, dass das bei Frauen eine stärkere Wirkung zeigt.
Heckert: Sie sind selbst Professorin und Lehrstuhlinhaberin. Sind Sie mittlerweile selbst Mentorin für Nachwuchswissenschaftlerinnen?
Winkler: Ich bin in keinem Programm dabei. Aber ich würde das sehr gerne machen, denn ich finde Mentoring sehr wichtig. Ich bemühe mich um diese Rolle und würde mich freuen, wenn es Studentinnen und Doktorandinnen gäbe, die mich als so etwas sehen würden. Ich bemühe mich um diese Rolle. Auch hier an unserer Universität soll es nun bald ein Mentoring-Programm für Doktorandinnen geben. Ich hoffe, dass sich in dieser Richtung etwas für mich ergibt. Auf der formalen Ebene hat das eine andere Relevanz und eine andere Macht, aber auch auf der informellen Ebene ist es sehr wichtig. Und ich würde sagen, ja, das bin ich.
Heckert: Welche Vorschläge haben Sie, um der strukturellen Chancenungleichheit im Wissenschaftsbetrieb zu begegnen?
Winkler: Das ist natürlich schwierig, weil es unglaublich viel ist. Ganz wichtig ist, das hatte ich vorhin schon kurz angedeutet, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Was jetzt natürlich nicht nur eine Sache ist, die Frauen angeht. Auch generell sind die stärkere soziale Sicherung, feste Stellen im Mittelbau, überhaupt mehr Sicherheit, mehr Möglichkeiten, das Leben mit der Karriere zu verbinden, entscheidend. Das ist etwas, was beide Geschlechter angeht. Deshalb würde ich nicht nur von Frauenförderung, sondern von Elternförderung sprechen. Wenn es gut läuft, hilft es beiden. Aber wenn es nicht gut läuft – das ist nun mal so –, baden es die Frauen aus. Deswegen läuft es dann doch vor allem auf Frauenförderung hinaus. Das spielt eine ganz große Rolle und wäre eine entscheidende Sache.
Ansonsten gibt es vieles, was noch in den Köpfen passieren muss. Es ändert sich schon einiges und so passiert es mir heute nicht mehr unbedingt, dass ich selbstverständlich für eine Sekretärin gehalten werde. Das war am Anfang so, aber das ist natürlich etwas, was strukturell schwer zu greifen ist. Das dauert lange.
Heckert: Was würden Sie sich vom weiblichen Nachwuchs in der Wissenschaft wünschen? Und was raten Sie dem Nachwuchs?
Winkler: Viel Selbstbewusstsein. Zugleich aber eben auch eine Art Vorsicht. Nicht Vorsicht im Sinne von sich nichts zutrauen, aber einen Blick zu entwickeln für mögliche Probleme. Und: sich Hilfe holen und Netzwerke zu bilden. Was mich aber persönlich ärgert, sind Studentinnen – das passiert selten –, die sagen, Feminismus brauchen wir nicht, das sind doch alte Geschichten. Nein! Ohne die Feministinnen, die das alles erkämpft haben, würdet ihr hier gar nicht sitzen. Wichtig ist ein Bewusstsein dafür, dass das wertvoll ist, dass man da natürlich auch weiterkämpfen muss und dass es auch immer Rückschläge gibt. Aber grundsätzlich erstmal mehr Selbstbewusstsein. Traut euch und tut das, was Spaß macht.
„Traut euch!“
Ein Interview mit Martina Winkler über Gleichstellungsprobleme und -erfolge in der Universitätslandschaft Deutschlands