„I had survived“

Diese Zeichnung des 15-jährigen Thomas Geve zeigt amerikanische Medienmenschen: einen Fotografen, einen Kameramann und einen Kameraassistenten mit Klappe. Sie fotografieren und filmen die Stirnwand von Block 3 im Hauptlager mit der Aufschrift: The german political prisoners welcome their american friends, während ein englischsprachiger Häftling mit Armbinde eine Gruppe bewaffneter, rauchender amerikanische Soldaten durch das Lager Buchenwald führt. Diese Baracke lag weit weg vom Kleinen Lager direkt vorn am Appellplatz und die Aufschrift, die gut sichtbar für Besucher*innen platziert ist, wird häufig fotografiert.[1]

Geves Zeichnungen sind deutlich von der Perspektive der antifaschistischen Überlebenden geprägt: die Häftlinge auf den Bildern agieren mit Waffen und nehmen SS-Leute fest, während die amerikanischen Panzer außerhalb des Lagerzauns fahren. Sie sind aktiv, die Szenerie wirkt geordnet und übersichtlich. Kein Chaos, kein Dreck oder Müll auf dem Boden, auf dem kranke, apathische Überlebende dem Tod näher als dem Leben sind und auf etwas warten, wie es viele Fotos aus dem Kleinen Lager zeigen. Die amerikanischen Soldaten visualisiert Geve in ihrer Rolle als Besucher des Lagers, nachdem die Häftlinge sich selbst bereits befreit hatten.

Da Geve selbst krank war, brachte man ihn kurz nach der Befreiung in Block 29 ins Hauptlager, wo er der einzige Jugendliche und der einzige Jude unter deutschen antifaschistischen Überlebenden war. Von April bis Juni 1945 begann er dort, seine Erinnerungen zu zeichnen, die er später seinen Eltern zeigen wollte.[2] Freunde brachten ihm Papier aus dem Lagerbüro, Formulare der SS und ähnliches (etwa im Format 15 x 12 cm), auf deren Rückseiten er mit insgesamt sieben Buntstift-Stummeln zeichnete. Jeder Personengruppe ordnete er eine Farbe zu, da er keinen grauen Stift bekam, hatte die SS gelbe Uniformen, die Amerikaner braune, die Überlebenden dunkelblaue. Mit akribischer Genauigkeit gezeichnet, entstanden in diesen Monaten mindestens 79 Bilder mit detaillierten Szenen vor und nach der Befreiung, die später mit Wasserfarben ergänzt wurden.

Thomas Geve befand sich zum Zeitpunkt der Befreiung im Kleinen Lager, im Kinderblock 66 als eines von 904 Kindern und Jugendlichen, die das Lager überlebt hatten. Er erinnerte sich an Fotografen, die plötzlich in seiner Baracke auftauchten:

"Mit ihren funkelnden Kameras überfielen sie uns in unseren Schlafquartieren. ′Habt ihr was dagegen, Jungs? Nur einen kleinen Schnappschuss für unsere Leute zu Hause.′ - Aber mit Vergnügen! Wir stellten uns auf, Arm in Arm, und lächelten."[3]

Für das, was im KZ Buchenwald am 11. April 1945 geschah, haben Historiker*innen die Formulierung „Befreiung von innen und von außen“ gefunden: Häftlinge und amerikanische Truppen agierten sozusagen gleichzeitig, da ein Großteil der SS-Aufseher zu diesem Zeitpunkt auf der Flucht war.

Amerikanische Freunde in Buchenwald, 1945, Zeichnung von Thomas Geve. © Yad Vashem

Die Soldaten der US-Army, die im April 1945 ziemlich unvorbereitet die ersten großen Konzentrationslager im Deutschen Reich, Ohrdruf und Buchenwald, betraten, wussten nicht, was sie dort erwarten würde. Wenige Wochen später wurde der Name Buchenwald zum Synonym für die in den KZ begangenen Verbrechen. Die Ereignisse dazwischen lassen sich mit einer umfassenden Medialisierung der bis dahin kaum visualisierten Lager beschreiben, die vor allem zunächst in Form von Fotografien und Filmaufnahmen für die amerikanische Öffentlichkeit geschah.

Dwight D. Eisenhower, der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte, besichtigte am 12. April 1945 das Lager Ohrdruf. Schon während des Besuchs ordnete er an, dass jede amerikanische Einheit, die sich in der Umgebung befand und nicht kämpfte, das Lager besichtigen sollte. Ohrdruf stand wegen der Befreiung Buchenwalds am 11. April nur wenige Tage im Medieninteresse, doch die hier begonnene Politik der Öffnung der Lager und der Veröffentlichung der Bilder war von nun an bindend für alle weiteren befreiten Konzentrationslager.

Auf die Befreier folgten zuerst Fotografen und Filmleute sowie die deutsche Zivilbevölkerung, dann Delegationen von amerikanischen und englischen Politikern, Pressevertretern und alliierten Strafverfolgungsbehörden und auch einfache GIs, die sich in den soldier tours of Buchenwald von englischsprachigen ehemaligen Häftlingen in einer genau festgelegten Reihenfolge durch das Lager führen ließen. Diese Häftlinge trugen dabei Armbinden mit der Aufschrift guide, wie sie auch auf Geves Bild erkennbar ist. Bei solchen Touren mussten sich die Amerikaner und die ehemaligen Häftlinge genau überlegen, was sie zeigen wollten und mussten, um ein authentisches und zugleich eindrucksvolles Bild zu vermitteln.

Die Bilder des U.S. Army Signal Corps und der professionellen Pressefotografen für jene, die nicht vor Ort selbst zu Augenzeugen werden konnten, konzentrierten sich auf die sichtbare Gestalt des Lagers, das zu diesem Zeitpunkt von Überbelegung, Schwäche, Hunger und Tod der Häftlinge und von der Abwesenheit der SS geprägt war. Aus Sicht der Amerikaner war die Engführung der fotografischen Motive auf wenige Ikonen wie die Toten auf dem Anhänger, die Öfen des Krematoriums, die Haufen von Knochenasche und die abgezehrten Körper der Überlebenden auf den Pritschen der Pferdestallbaracken im Kleinen Lager eine gute Strategie. Um die Authentizität der Aufnahmen zu erhöhen, wurden amerikanische Soldaten oder Zivilvertreter als anwesende Augenzeugen häufig mit ins Bild genommen.

Zwar wurden auch andere Fotografien, Blicke und Perspektiven auf das Lager Buchenwald aufgenommen. Sie fanden jedoch meist keinen Weg in die Öffentlichkeit, da sie nicht in die amerikanische Militärzensur überwanden und danach in die picture pools gelangten, aus denen sich die Bildredakteure der Tageszeitungen ihre Bilder passend zu den Nachrichten aussuchten.

Diese alternativen Bildproduzenten waren weitere amerikanische Militärangehörige wie medizinisches Personal des 45th Evacuation Hospital im Lager. Sie erfüllten keinen fotografischen Auftrag und knipsten privat als Amateure mit eigenen Kameras. Die Bilder sollten sie an ihre eigenen Eindrücke vor Ort erinnern, doch ob sie die Fotos bei ihrer Rückkehr den Familien in den USA wirklich zeigten, wurde individuell entschieden.

Ebenso fotografierten ehemalige Häftlinge, die zuvor für die Fotoabteilung des Erkennungsdienstes gearbeitet hatten und Zugang zu den Fotoapparaten des Lagers hatten, wie Heinrich Albrecht und Alfred Stüber (dazu Annette Vowinckel). Diese Häftlinge machten im Auftrag des Internationalen Lagerkomitees systematisch mindestens 74 Fotoaufnahmen, von besonderen Verbrechensorten und von für Täter relevanten Orten im Lager, die nur den langjährigen Häftlingen bekannt waren. In Serien wurden diese Bilder Häftlingen verschiedener Nationen bei ihrer Heimreise mitgegeben, um besser über das Lager berichten zu können und ihren Aussagen mehr Gewicht zu verleihen.

Viele der ehemaligen Häftlinge, die keinen Zugang zu Kameras hatten, fertigten aus ihrer Erinnerung und aus ihren Erfahrungen oft eindrückliche und sehr persönliche Zeichnungen an. Die Zeichnungen hatten keinen Anspruch auf dokumentarischen Überblick, sondern waren von Anfang an subjektiven Eindrücken gewidmet.

Für Mel Mermelstein, der sich selbst auf einer der Buchenwalder Ikonen des Fotografen Harry Miller[4] erkannt hatte, erfüllen die Bilder vor allem den Zweck der Selbstvergewisserung der neuen Identität ehemaliger Häftlinge als Überlebende: „Slowly, ever so slowly, I began to accept the fact that the portrait bore witness to: I had survived.“[5] 

 


[1] Fotoarchiv Buchenwald: 020-17.002, 020-31.013, 020-38.007

[2] Seine Mutter Bertha war in Auschwitz ermordet worden, was er zu diesem Zeitpunkt nicht wusste. Sein Vater war schon vor Kriegsbeginn nach England emigriert, zu dem er im Herbst 1945 ausreisen konnte.

[3] GEVE, Thomas: Geraubte Kindheit, Konstanz 2000, S. 235.

[4] Digitalisierte Originalfotografie von Harry Miller, Fotoarchiv Buchenwald.

[5] MERMELSTEIN, Mel: By bread alone: the story of A-4685. Auschwitz Study Fndn. 1979, S. 223.

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„I had survived“

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Die Medialisierung von Konzentrationslagern nach ihrer Befreiung

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