1900-1945

Unreife Jugend oder antidemokratische Verfassungstradition?

Nationalistische und rassistische Organisationen haben in der Bundesrepublik Tradition. Das gleiche gilt für den gesellschaftlichen Umgang mit ihnen. (Neo)nazistische Organisationen und die gesellschaftlichen Reaktionen darauf können folglich auch aus einer historischen Perspektive betrachtet werden. Das müssen sie sogar, nimmt man das heute so selbstverständlich scheinende „Nie wieder!“ der „wehrhaften Demokratie“ beim Wort.

„Das sind Staatsfeinde“

Vor 50 Jahren wurde der sogenannte „Homosexuellenparagraf 175“ reformiert. Nach fast 100 Jahren fiel damit ein Straftatbestand fort, der homosexuellen Männern unendliches Leid gebracht hatte. Höhepunkt der Homosexuellenverfolgung war die NS-Zeit. Doch auch nach 1945 machten Polizei und Justiz noch Jagd auf schwule Männer. In der Bundesrepublik blieb der Paragraf bis 1969 unverändert in der von den Nationalsozialisten verschärften Fassung bestehen.

Deutsche Kolonialgeschichte vor Gericht

Der Völkermord an den Ovaherero und Nama gehört seit einigen Jahren zu den großen geschichtspolitischen Themen der Bundesrepublik und findet aktuell auch international eine bis dato ungekannte Aufmerksamkeit. Hintergrund hierfür ist die Klage der Ovaherero und Nama, die im Januar 2017 am Bundesbezirksgericht in New York eingereicht wurde. Dabei handelt es sich um eine Sammelklage gegen die Bundesregierung, mit der die KlägerInnen Entschädigung für den Genozid und den Verlust von Eigentum erwirken wollen.

Die ersten 100 Tage der Regierung Hitlers

Die wichtigsten Stationen der ersten 100 Tage der Hitler-Regierung sind hinlänglich bekannt: Am 30. Januar ernannte Reichspräsident v. Hindenburg Hitler zum Reichskanzler und schrieb auf dessen ausdrücklichen Wunsch am nächsten Tag Neuwahlen zum Reichstag am 5. März aus; der Wahlkampf war von staatlicher Repression gegen Sozialdemokraten und Kommunisten geprägt, besonders nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar setzte eine vehemente Verfolgung der linken Opposition ein.

Der Ort des Verbrechens – eine Beobachtung

Sergei Loznitsas Dokumentarfilm „Austerlitz“ * Von Elena Demke * Januar 2017 Der Film ist aus Sequenzen mit und ohne Ton, Nahaufnahmen und Totalen sowie dem Wechsel zwischen Innen und Außen komponiert. Die ersten Blicke auf schlendernde Menschen, die an einem gleißend-sonnigen, durch harte Schwarz-Weiß-Aufnahmen begünstigenden Tag mit seltsam großen Geräten zu telefonieren scheinen, werfen die ZuschauerInnen durch Bäume und Büsche, also aus dem Verborgenen. Erst langsam wird deutlich, dass die Leute Audioguides in den Händen halten. Nach und nach nehmen die ZuschauerInnen Kontakt auf mit den BesucherInnen des historischen Ortes, die ihrerseits mit Formen der Kontaktaufnahme befasst sind.

Der Anti-Knopp

Martin Gressmanns Dokumentarfilm „Das Gelände“ * Von Hanno Hochmuth * November 2016 „Meine Großmutter erzählte mir einmal, dass es in der Nazizeit in Berlin eine bestimmte Straße gegeben hätte, durch die man einfach nicht durchging, die man nicht betrat.“ Wie ein dunkles Märchen beginnt der Film, den Martin Gressmann über das Gelände der ehemaligen Prinz-Albrecht-Straße in Berlin gedreht hat. Hier befand sich seit 1933 die Zentrale der nationalsozialistischen Terrorherrschaft. In den Hauptquartieren der Gestapo, der SS und des SD, die 1939 zum Reichssicherheitshauptamt zusammengefasst wurden, wurden tausende Menschen verhört und gefoltert; hier wurde der Massenmord an den europäischen Juden organisiert. Nach 1945 fiel der stark kriegsbeschädigte Ort dem Vergessen anheim.

„Belgium is a beautiful city“* und andere Verzerrungen beim Blick auf Belgien

* Von Claudia Kemper * Dezember 2016 Wenn der nunmehr designierte US-Präsident Donald Trump während einer Wahlkampfveranstaltung Belgien von Brüssel nicht zu unterscheiden weiß und insgesamt ein eher schwaches geographisches Grundwissen zu erkennen gibt, können Europäer resigniert bis gelassen reagieren. Lausige Geographiekenntnisse gehören zu den eher kleineren Problemen dieser neuen Präsidentschaft. Dennoch passt es in das Gesamtbild, wenn ausgerechnet Belgien zum Opfer solcher Marginalisierungen wird, die auch auf dem europäischen Kontinent verbreitet sind. Die Frankfurter Buchmesse 2016 zum Beispiel warb für ihren Ehrengast „Flandern und die Niederlande“ mit dem Slogan „Dies ist, was wir teilen“ und begründete in einer Pressemitteilung, auf Grenzüberwindungen und Gemeinsamkeiten zu schauen, denn keine „Nation“ sei zu Gast, „sondern ein Sprach- und Kulturraum“. Also Flandern statt Belgien, womit sich einige geschichtspolitische und erinnerungskulturelle Fragen auftun, die über die Buchmesse hinausreichen.

Die Erfindung des Biodeutschen

Die Erfindung des Biodeutschen * Von Bodo Mrozek * November 2016 Als Erich Mühsam den Monte Verità bei Locarno erklomm, kam ihm „recht lächerlich“ vor, was er auf dem Berggipfel erblickte: Menschen mit langen Haaren und wallenden Bärten bar jeglicher Textilien bei der Feldarbeit. Den kommunistischen Schriftsteller Erich Weinert inspirierte die Szene wenig später zu einigen respektlosen Versen: „Wer sich von innen her beschaut / und Nietzsche liest, und Rüben kaut / was kümmern den die andern? / Juchu! Wir müssen wandern!“. Weinerts „Gesang der Edellatscher“ und Mühsams Spott, den der Essener Historiker Jürgen Reulecke auf einer Tagung über „Avantgarden der Biopolitik“ im Archiv der Jugendbewegung zitierte, scheinen einen maximalen Abstand zwischen der im Mythischen irrlichternden Lebensreform und der politischen Linken zu illustrieren. Doch der Schein trügt.