„Fall der Berliner Mauer (dafür sind wir 1989 nicht zu Hause geblieben)“

 

Was Zigarettenstummel über den Fall der Berliner Mauer aussagen können, zeigt die am 14. April 2018 in Leipzig im Zentrum für zeitgenössische Kunst „Halle 14“ eröffnete Ausstellung „Requiem For A Failed State“. Sie widmet sich der Frage, wie ab 1980 geborene Kunstschaffende auf die „Wendereignisse und die Dekade der Orientierungslosigkeit der 1990er Jahre“[1] zurückschauen. Die Kurator*innen verbinden mit dieser Auswahl die Erwartung, eine für diese Altersgruppe typische Perspektive auf scheinbar bekannte Themen und Ereignisse aufzudecken. Während viele der gezeigten Werke ganz selbstverständlich biografische Bezüge als Ausgangspunkt für die künstlerische Auseinandersetzung benennen, sieht die Situation in der Zeitgeschichte anders aus. Hier nimmt die eigene biografische Involviertheit eine ambivalente Position ein, die zwischen subjektivem Wissen und kritisch-wissenschaftlicher Selbstreflexion changiert. Im Falle dieses Textes liegt ein solcher Fall vor: der Autor berichtet von einer Ausstellung, an der seine Partnerin mit einer künstlerischen Position beteiligt ist. Doch was ist die Alternative? Nur in informellen und privaten Kontexten über die Ausstellung sprechen, eine*n andere Autor*in zu suchen oder gar nicht erst darüber zu schreiben?

Der folgende Text ist der Versuch, ähnlich wie die Künstler*innen, offensiv mit der eigenen Herkunft umzugehen und gleichzeitig das Verhältnis der Ausstellung zu aktuellen zeithistorischen Fragen auszuloten.

 

Im Zentrum der Ausstellung standen beim Besuch des Autors zwei raumgreifende Arbeiten, die das Spektrum der künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Thema „Spätfolgen der DDR“, so der Text der Pressemitteilung, paradigmatisch in sich vereinten. Die beiden Arbeiten wurden von Studierenden der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB), Eric Meier und Jane Beran, im Rahmen des zweisemestrigen Seminars „Unter dem Eis“ entwickelt. Nach Ablauf der Hälfte der Ausstellungsdauer werden die Arbeiten ausgetauscht und die Werke der anderen Seminarteilnehmenden gezeigt. Der erläuternde Ausstellungstext ordnet die in der Ausstellung versammelten Künstler*innen, wenn auch in Anführungsstrichen, der „3. Generation Ost“ zu. Die Einpassung der künstlerischen Ansätze in etablierte erinnerungskulturelle Denkkategorien enttäuscht insofern, als dass gerade eine kritisch-künstlerische Reflexion eben dieser Selbstetikettierungen Impulse für eine perspektivische Neuformatierung altbekannter Themen versprochen hätte.

SadBoys2k1 von Eric Meier
Foto: Sad Boys2k1. Copyright: Eric Meier

 

Erfreulicherweise widersetzt sich das Werk „SadBoys2K1“ von Eric Meier diesen Zuordnungen, indem es einen offeneren Ansatz wählt. Die Installation zeigt Waschbetonbrocken, die zu skulpturalen Formen arrangiert sind, oder Statusobjekte, wie eine gefälschte Louis Vuitton Tasche beschweren. Dazwischen angeordnet sind verformte Glasflaschen sowie ein Ensemble, das sich aus einem Sechserträger Energydrinks (Drei Liter Plastikflaschen) und einem Pappkarton gefüllt mit Wodka zusammensetzt. In der Mitte des Raumes hängen an einer Kettenkonstruktion zwei sich umarmende Jacken der Nationalen Volksarmee (NVA). Aufgrund ihrer assoziativen Formensprache und ungewöhnlichen Kombination von Materialien widersetzt sich die Installation einer eindeutigen Interpretation. Sie zwingt die Betrachtenden einerseits zum Nachdenken und lenkt den Blick andererseits auf die emotionalen Facetten des Umbruchs in Ostdeutschland. Auf den Autor wirkte die Arbeit wie eine Erkundung jugendlich-männlicher Adoleszenz, zwischen Gewalt, Geld und Selbstzweifeln.

 

18.04.81, 11:30 Berlin, Alex' im Schmuck zum X. Parteitag Fotografie aus der Serie Farbfilm Notizen (2014 - 2018) von Jane Beran
Foto: 18.04.81, 11:30 Berlin, Alex' im Schmuck zum X. Parteitag Fotografie aus der Serie Farbfilm Notizen (2014 - 2018). Copyright - Jane Beran

 

Das Werk „Farbfilmnotizen“ von Jane Beran repräsentiert einen eher biografisch-dokumentarischen Zugriff auf die Thematik der Ausstellung. Sie beschäftigt sich mit dem fotografischen Archiv ihres Großvaters, der als Hobbyfotograf sowohl den Alltag seiner Familie, als auch die Lebensumstände des Sozialismus dokumentierte. Durch das Übereinanderlegen der Aufnahmen und durch räumliche Projektionsflächen verleiht sie nicht nur den Bildern eine dreidimensionale Tiefe, sondern regt auch dazu an, die Bilder aus verschiedenen Blickwinkeln neu zu betrachten. Zusätzlich präsentiert Beran einen Bücherschrank auf dessen Ablage die akribischen Aufzeichnungen des Großvaters zu den einzelnen Fotografien zu sehen sind.

Wie die beiden exemplarisch besprochenen Arbeiten lassen sich fast alle Arbeiten der Ausstellungen in zwei verschiedene Arten des Zugangs unterteilen: einen dokumentarisch-biografischen und einen assoziativ konzipierten Ansatz.

 

Dokumentarische Zugriffe auf die Geschichte Ostdeutschlands

Hierunter lassen sich, neben der Arbeit von Jane Beran, beispielsweise die Werke von Tamani Iinuma oder Malte Wandel fassen, die aufzeigen, dass Ostdeutschland eben nicht von der Welt abgeschlossen, sondern in weltweite Prozesse wie Arbeitsmigration oder postmoderne Architekturströmungen eingebunden war. Tamani Iinuma präsentiert in Fotografien und Texten ihren Rechercheprozess zu japanischen Architekturen in der DDR. Mehr als die überraschende Erkenntnis, dass in der DDR drei Hotelbauten von japanischen Architekten errichtet wurden, bietet die Arbeit jedoch nicht an, da sie zu sehr im Dokumentarischen verharrt und keine Thesen aus den Funden ableitet. Hier blieb beim Autor der Eindruck zurück, dass zeithistorische Ausstellungen, wenn auch ästhetisch meist nicht so ansprechend, durchaus mit künstlerischen Ansätzen mithalten können.

Malte Wandel beschäftigt sich in drei biografischen Portraits mit der Geschichte von mosambikanischen Vertragsarbeiter*innen. Die Mischung von Medien, historischen Dokumenten und das Arrangement der Rechercheergebnisse im Raum öffnen den Blick auf die Diversität und Globalität der „Wende“, die mit dem engen Blick auf Ostdeutschland häufig vergessen wird. Beide Arbeiten könnten von einer engeren Kooperation mit zeithistorisch Forschenden profitieren, um das interessante Recherchematerial zu Thesen zu verdichten. Wie sich der dokumentarische Ansatz produktiv erweitern lässt, zeigt die Arbeit „Wanderungen durch die Lausitz“ von Sven Johne. Mit Bildern und Texten dokumentiert Johne seine Reise entlang der Spuren eines Wolfrudels von Polen bis in die Lausitz. Auf seiner Route entdeckt Johne zwar keine Wölfe, begegnet dafür aber immer wieder Menschen und Orten in Regionen, die so verödet sind, dass sich dort sogar wieder wilde Tiere ansiedeln. Die mikrohistorischen Studien illustrieren aus Perspektive der Tiere und dadurch auf wertfreie Weise, welche Strategien Menschen anwenden, um sich in den durch Abwanderung geprägten Landstrichen einzurichten.

 

Anregungen zum Nachdenken durch assoziative Ansätze

Einen Position, die zwischen assoziativem und biografischen Ansatz liegt, nimmt das Künstlerduo KOLZIN (Wilhelm Klotzek und David Polzin) ein, die aus Zigarettenstummeln gebastelte Dioramen präsentieren. Die unter dem Titel „Transgender in Hoyerswerda“ versammelten Miniaturen bilden bekannte, medial häufig erzählte Ereignisse, wie den Fall der Berliner Mauer, aber auch individuelle Situationen, wie die des Vertrinkens des Begrüßungsgeldes in einer Neuköllner Kneipe ab. Bekannte Medienbilder und Narrative werden durch die Materialität der Zigarettenstummel gebrochen und auf diese Weise für eine Neubewertung freigegeben.

„Fall der Berliner Mauer (dafür sind wir 1989 nicht zu Hause geblieben)“ Berlin 1989, aus: „Transgender in Hoyerswerda“, 2015 von KLOZIN (Wilhelm Klotzek und David Polzin)
Foto: „Fall der Berliner Mauer (dafür sind wir 1989 nicht zu Hause geblieben)“ Berlin 1989, aus: „Transgender in Hoyerswerda“, 2015. KLOZIN (Wilhelm Klotzek und David Polzin). All Rights by: Halle 14, Leipzig / Büro für Fotografie.

 

Wie fruchtbar die Kooperation von Wissenschaften und Kunst sein kann, zeigt die aus einem Video und einer skulpturalen Installation bestehende Arbeit „The Watch“, die mit Abdeckungen des DDR-Rasenmähermodells „Trolli“ arbeitet. Diese wirken, ihrem eigentlichen Zwecke entzogen, auf den ersten Blick wie militärische Ausrüstungsteile aus dem Weltraum. Im Video wird eine der Abdeckungen im Stile der Präsentation eines I-Phones in Szene gesetzt und somit ästhetisch zum einem begehrenswerten Konsumobjekt aufgewertet. Der damit einhergehende Effekt steht im krassen Gegenteil zur technischen Ausstattung des Rasenmähers. Indem die Künstlerin Darsha Hewitt mit der Medien- und Kulturwissenschaftlerin Sophia Gräfe kooperierte, gelingt es Fragen technologischer Entwicklung in der DDR und Erinnerungen an den Alltag im Sozialismus mit heutigen Konsumverhalten zu verbinden und in eine relativ abstrakte, aber dennoch eingängige Form der Darstellung zu finden.

 

Link zum Video „The Watch“ von Darsha Hewitt und Sophia Gräfe

 

 

Kunst und zeithistorische Forschung: Plädoyer für engere Zusammenarbeit

Zunächst bleibt festzuhalten, dass die von Michael Arzt, dem künstlerischen Direktor der Halle 14, in einem Interview geäußerte Vermutung, dass jüngere oder ohne biografische Bezüge „belastete“ Künstler*innen einen radikal neuen Blick auf die mentale Einstellungen, ungeklärte Fragen oder offene Wunden der ostdeutschen Geschichte richten können, sich nur eingeschränkt bestätigt. Die Arbeiten zeigen deutlich, dass die Art und Weise der (Selbst-) Reflexion der „Spätfolgen“[2] der DDR keine Frage des Alters, sondern der künstlerischen Arbeit ist. Insofern führt die Idee, nur die Perspektive einer bestimmten Alterskohorte auszustellen, zu der Erkenntnis, dass sich biografische Einflüsse und mediale Prägungen nicht einfach durch eine späte Geburt überwinden lassen. Eine der Besonderheiten dieser Altersgruppe scheint die Verwendung von Performance, Video und Fotografien als Medien der künstlerischen Auseinandersetzung zu sein. Malerei wird in der Ausstellung überhaupt nicht gezeigt.

Für den Autor wurde die Ausstellung immer dann besonders spannend und inspirierend, wenn sich die Arbeiten einer künstlerischen Formsprache bedienten, die sich nicht den gängigen Narrativen, Formaten und Medien von historischen Ausstellungen bediente. Gerade für Zeithistoriker*innen ist die Ausstellung dennoch besonders empfehlenswert, da einzelne Arbeiten die Überprüfung eigener Denkmuster herausfordern. Genau diese Prozesse regen dazu an Kunstwerke auf historischen Tagungen zu zeigen und Künstler*innen als Vortragende einzuladen. Im Gegenzug kann die zeitgenössische Kunst einiges von der zeithistorischen Forschung lernen, etwa das Übersetzen von dokumentarischen Material in Thesen.

 

 

Requiem for a Failed State

 

Mitwirkende Künstler*innen: Nadja Buttendorf & Anne Baumann, Ariamna Contino & Alex Hernández, Susan Donath, Darsha Hewitt in Zusammenarbeit mit Sophia Gräfe, Tamami Iinuma, Sven Johne, KLOZIN (Wilhelm Klotzek & David Polzin), Henrike Naumann, Carsten Saeger, Malte Wandel, Katrin Winkler, Jane Beran, Katrin Esser, Eric Meier, Stefania T. Smolkina, Sarah Veith, Brenda M. Wald, Florian Weber

Artist in Residence: Henry Bradley

 Die Ausstellung läuft bis zum 5. August 2018.

Öffnungszeiten: Di-So, 11-18 Uhr

Eintritt: 4 €, ermäßigt 2 € (Mittwochs freier Eintritt)

Ort: HALLE 14 — Zentrum für zeitgenössische Kunst

 

 

[1] Pressemitteilung zur Ausstellung „Requiem Für A Failed State“, URL: http://www.halle14.org/fileadmin/files/documents/presse/Pressemitteilung/2018/PM_RequiemforaFailedState_DE.pdf (Eingesehen am 14.5.2018)

[2] Pressemitteilung zur Ausstellung „Requiem Für A Failed State“, URL: http://www.halle14.org/fileadmin/files/documents/presse/Pressemitteilung/2018/PM_RequiemforaFailedState_DE.pdf (Eingesehen am 14.5.2018)

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„Fall der Berliner Mauer (dafür sind wir 1989 nicht zu Hause geblieben)“

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Künstlerische Positionen zu den Spätfolgen der DDR

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