1940er

Der Anti-Knopp

Martin Gressmanns Dokumentarfilm „Das Gelände“ * Von Hanno Hochmuth * November 2016 „Meine Großmutter erzählte mir einmal, dass es in der Nazizeit in Berlin eine bestimmte Straße gegeben hätte, durch die man einfach nicht durchging, die man nicht betrat.“ Wie ein dunkles Märchen beginnt der Film, den Martin Gressmann über das Gelände der ehemaligen Prinz-Albrecht-Straße in Berlin gedreht hat. Hier befand sich seit 1933 die Zentrale der nationalsozialistischen Terrorherrschaft. In den Hauptquartieren der Gestapo, der SS und des SD, die 1939 zum Reichssicherheitshauptamt zusammengefasst wurden, wurden tausende Menschen verhört und gefoltert; hier wurde der Massenmord an den europäischen Juden organisiert. Nach 1945 fiel der stark kriegsbeschädigte Ort dem Vergessen anheim.

Die Erfindung des Biodeutschen

Die Erfindung des Biodeutschen * Von Bodo Mrozek * November 2016 Als Erich Mühsam den Monte Verità bei Locarno erklomm, kam ihm „recht lächerlich“ vor, was er auf dem Berggipfel erblickte: Menschen mit langen Haaren und wallenden Bärten bar jeglicher Textilien bei der Feldarbeit. Den kommunistischen Schriftsteller Erich Weinert inspirierte die Szene wenig später zu einigen respektlosen Versen: „Wer sich von innen her beschaut / und Nietzsche liest, und Rüben kaut / was kümmern den die andern? / Juchu! Wir müssen wandern!“. Weinerts „Gesang der Edellatscher“ und Mühsams Spott, den der Essener Historiker Jürgen Reulecke auf einer Tagung über „Avantgarden der Biopolitik“ im Archiv der Jugendbewegung zitierte, scheinen einen maximalen Abstand zwischen der im Mythischen irrlichternden Lebensreform und der politischen Linken zu illustrieren. Doch der Schein trügt.

Ambivalenzen der Wirklichkeit

„Lee Miller – Fotografien“ im Berliner Gropius-Bau * Von Michael Wildt * Mai 2016 „I was living in Hitler’s private apartment in Munich, when his death was announced“, begann Lee Miller ihre Reportage, die in der “Vogue” Juli/August 1945 erschien. Das dort veröffentlichte Foto David E. Schermans von Miller in Hitlers Badewanne, ironisch arrangiert mit Führerbild, Telefonanschluss und kitschiger Frauenskulptur sowie den eigenen Uniformstücken und Stiefeln vor der Wanne, gehört neben ihren Aufnahmen von den befreiten Konzentrationslagern Buchenwald und Dachau sicher zu den bekanntesten Bildern, die man mit Lee Miller verbindet. Doch zeigt die Ausstellung von ihrem fotografischen Werk im Berliner Martin-Gropius-Bau mit knapp 100 Fotografien in fünf chronologisch wie thematisch angeordneten Kapiteln, dass sie nicht bloß Kriegsreporterin und Fotojournalistin war, sondern weit darüber hinaus eine künstlerische Fotografin mit einem genauen Blick für die Ambivalenzen der Wirklichkeit.

Patriotische Geschichtsschreibung im Staatsauftrag

Polens neue Rechtsregierung bricht mit der historischen Legitimation des Neuanfangs von 1989 * Von Florian Peters * Mai 2016 Nachdem die nationalkonservative polnische Regierung in den ersten Monaten ihrer Amtszeit bereits das Verfassungsgericht lahmgelegt und den öffentlichen Rundfunk nach parteipolitischen Kriterien gesäubert hat, nimmt sie nun die Geschichtspolitik ins Visier: Ende April verabschiedete der Sejm mit den Stimmen der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) und der rechtspopulistischen Kukiz-Bewegung eine Gesetzesnovelle zum „Institut des Nationalen Gedächtnisses“ (Instytut Pamięci Narodowej, IPN), mit der das polnische Äquivalent zur ostdeutschen Gauck-Behörde zum zentralen Instrument einer „patriotischen“ Geschichtspolitik umgebaut werden soll. Das kurz vor der Eröffnung stehende, multiperspektivisch angelegte Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig würde der Kulturminister hingegen am liebsten zu einem regionalgeschichtlichen Zentrum für Militaria-Enthusiasten degradieren. Während die regierungsnahen Medien neu aufgetauchte Stasi-Unterlagen zur öffentlichen Demontage des Solidarność-Führers und Freiheitssymbols Lech Wałęsa nutzen, fördert die PiS-Regierung den Kult der antikommunistischen Widerstandskämpfer der späten 1940er Jahre nach Kräften. Anstelle der kompromissbereiten Solidarität der friedlichen Revolutionäre von 1989 soll offenbar der rücksichtslose „Patriotismus“ dieser sogenannten „verfemten Soldaten“ (żołnierze wyklęci) zur neuen Leitlinie staatlicher Geschichtspolitik in Polen werden. Damit stellt die Partei Jarosław Kaczyńskis die historische Legitimation des demokratischen Neuanfangs seit 1989 grundsätzlich infrage.

Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus

Auszug aus der Studie * Von Christian Mentel und Niels Weise * Februar 2016 Mit der im Februar 2016 veröffentlichten, von Frank Bösch, Martin Sabrow und Andreas Wirsching herausgegebenen Studie „Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus - Stand und Perspektiven der Forschung“ entsprechen das Institut für Zeitgeschichte München – Berlin (IfZ) und das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) der Bitte der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), in einer Bestandsaufnahme den aktuellen Forschungsstand und den bestehenden Forschungsbedarf zur Aufarbeitung der frühen Nachkriegsgeschichte von Bundesministerien und Behörden in der Bundesrepublik Deutschland und der Ministerien und Behörden der DDR in Bezug auf die NS-Vergangenheit zu ermitteln. Im Folgenden wird die um umfangreiche Nachweise gekürzte Schlussbetrachtung der hier in vollständiger Fassung abrufbaren Studie, die von Mai bis Oktober 2015 erarbeitet wurde, bereitgestellt.

Vom Ende aller Gewissheiten - Auschwitz auf der Bühne

Vor 50 Jahren wurde „Die Ermittlung“ von Peter Weiss uraufgeführt

„Wir alle das möchte ich nochmals betonen haben nichts als unsere Schuldigkeit getan selbst wenn es uns oft schwer fiel und wenn wir daran verzweifeln wollten Heute da unsere Nation sich wieder zu einer führenden Stellung emporgearbeitet hat sollten wir uns mit anderen Dingen befassen als mit Vorwürfen die längst als verjährt angesehen werden müßten“

- Schlusssequenz aus „Die Ermittlung“[1]

Der Fall Reinefarth, 1944-2014

Informationen zum Foto: 
Reinefarth war als Leiter der Waffen-SS und der Polizei verantwortlich für die Massaker der SS an der polnischen Zivilbevölkerung im Verlauf des Warschauer Aufstandes. In Polen wurde er der „Schlächter von Wola“ genannt. Auf dem Foto ist er mit Jakub Bondarenko, dem Kommandeur des III. Kuban-Kosakenregiments während des Warschauer Aufstandes in der Nähe der Wolska-Straße zu sehen.