Ein Mann steht in einem Atelier und wird von Entsetzen gepackt. Die Gemälde zeigen den Zweiten Weltkrieg in trivialen Familienbildern, daneben die Verhaftung eines NS-Kriegsverbrechers und ein Porträt der Tante des Malers, die als junge Frau in der NS-Psychiatrie ermordet wurde. Für den Gast ist es ein Déjà-vu: Er sieht seine eigene Vergangenheit als SS-Arzt in den Bildern wieder auftauchen.
Florian Henckel von Donnersmarck hat schon in seinem Debütfilm „Das Leben der anderen“ (2006) die Kraft der Kunst beschworen. Die Geschichte eines Stasi-Mitarbeiters, der durch den Kontakt zu einem Künstlerpaar innerlich verwandelt wird, wurde mit internationalen Preisen überhäuft.
Nun erzählt Donnersmarck erneut eine Geschichte vor deutschem Hintergrund, in der die Kunst eine Hauptrolle bekommt. In „Werk ohne Autor“ findet ein junger Maler zu seinem Signature-Style und berührt ein dunkles Familiengeheimnis. Dazu arbeitet sich „Werk ohne Autor“ mehr als drei Stunden lang durch die deutsche Geschichte. NS-Zeit, sowjetische Besatzungszone, DDR und BRD sind der Hintergrund der Biographie eines Künstlers, den der Regisseur hier Kurt Barnert nennt (gespielt von Tom Schilling), der aber unverkennbar nach dem erfolgreichsten lebenden deutschen Maler – Gerhard Richter – modelliert ist. In dessen frühen Porträts tauchen, ohne dass Richter seinerzeit selbst den Zusammenhang verstand, die Erinnerung an seine Tante Marianne auf, die in der NS-Zeit in der Psychiatrie umkam, aber auch Richters Schwiegervater Heinrich Eufinger, der als Gynäkologe und SS-Arzt fast 1000 Zwangssterilisationen verantwortete (beinahe auch die von Richters Tante) und später erneut als Arzt Karriere in der DDR und BRD machte.
Was dabei so irritierend wirkt, ist die Erzählhaltung des Films, der von der Euthanasie-Tragödie berichtet, als wäre sie abgeschlossen und aufgehoben in der finalen Karriere Richters in der BRD: Statt Trauer gibt es eine durchs Trauma beförderte Erfolgsgeschichte. Zwischen alldem deutet sich ein Paradox an, das der Regisseur selbst in die Produktion hineingetragen hat: Dass sich in den Familienkreisen der Donnersmarcks eine zeitgenössische Verquickung mit der Welt der Täter ergibt, erzählt der Autor von „Werk ohne Autor“ nicht.
Robert Weixlbaumer führte ein Gespräch mit Florian Henckel von Donnersmarck über deutsche Familiengeschichten, Gerhard Richter als Inspiration und den Umgang mit der NS-Vergangenheit in seinem aktuellen Film.
R.W.: Herr Donnersmarck, in einem Ihrer Texte schreiben Sie von dem Scheinwerferlicht, das man in die Seele von Schauspielern werfen kann. Wie würden Sie sich in diesem Licht denn selbst charakterisieren?
Donnersmarck: Ich glaube, in meiner Funktion als Regisseur bin ich hauptsächlich ein Lügendetektor. Jemand, der bei den vielen, vielen Leuten, mit denen man einen Film gemeinsam macht, prüft, ob irgendwo ein falscher Ton ist. Und der, falls das je geschehen sollte, diesen falschen Ton dann benennen und richtig einstimmen kann.
R.W.: Und wenn man den Scheinwerfer auf Sie persönlich richtet?
Donnersmarck: Dann können wahrscheinlich Sie mir, als jemand, der meinen neuen Film gerade gesehen hat, deutlich besser sagen, was man da sieht, als ich. Ich glaube, dass man sich in einem Film vielleicht
kompletter abbildet, als man es mit Worten tun könnte. Das ist ja auch eine These des Films: Jede Form des kreativen Ausdrucks ist auch eine Form der Autobiografie.
R.W.: Ihr Film erzählt davon, wie im Werk des Malers Gerhard Richter familiäre Episoden, Biografie, Zeitgeschichte ineinanderfließen und daraus etwas entsteht, was im Film ein Kunstkritiker mit Bezug auf Richters Bilder „EIN WERK OHNE AUTOR“ nennt. Wer ist denn der Autor von „WERK OHNE AUTOR“?
Donnersmarck: Der Film erzählt nicht die Biographie Gerhard Richters, sondern meines fiktiven Künstlers Kurt Barnert. Richter war lediglich eine von vielen Inspirationsquellen. Aber wenn Sie nach dem Autor fragen – ich habe das Gefühl, dass der Autor eigentlich das ganze Land ist und all die Geschehnisse zwischen 1937 und 1966, von denen ich erzähle. Ich hatte eine ungefähre Vorstellung von dem Erfahrungshorizont der Hauptfiguren Kurt Barnert und Ellie Seeband, weil sie ungefähr so alt sind wie meine Eltern. Es gibt ein starkes kollektives Erleben. Sie und ich sind ungefähr gleich alt und haben dadurch sehr viele, sehr ähnliche Erfahrungen gemacht, weil wir am gleichen Ort den gleichen Systemen ausgeliefert waren. Da sind sicherlich sehr viel mehr Gemeinsamkeiten, als wir uns beide wahrscheinlich in der Vorstellung von kompletter Individualität eingestehen würden.
R.W.: Ich habe gestern ein Buch des Journalisten Jürgen Schreiber gelesen, „Ein Maler aus Deutschland: Gerhard Richter. Das Drama einer Familie“.[1]
Donnersmarck: Das ganze Buch? Sie sind ja wirklich tapfer. Kennen Sie Jürgen Schreiber auch? Das ist ein ganz großartiger Journalist.
R.W.: Ich habe mich gefragt, warum Schreiber keinen Credit in „WERK OHNE AUTOR“ hat, obwohl der Film ganz offensichtlich auf seinem Buch basiert.
Donnersmarck: Hat er natürlich. Er ist in den Rolltiteln gleich nach den Schauspielern als vierte Person genannt. Zusammen mit den Künstlern, die uns geholfen haben, den Film zu machen.
R.W.: Aber nicht im Presseheft...
Donnersmarck: Ich habe das Presseheft nicht ganz gelesen – wenn es stimmt, würde ich das vielleicht einfügen lassen. Schreibers Buch war für mich nämlich die Initialzündung, das erzähle ich bei jeder Gelegenheit. Warum auch nicht? Er hat mich überhaupt erst auf die Idee gebracht, eine Geschichte über Täter und Opfer innerhalb einer Familie zu erzählen. Ich hatte ein Treffen mit Jürgen Schreiber vor rund zehn Jahren, bei der Gelegenheit erzählte er davon, dass er gerade ein großes Buch über Gerhard Richter geschrieben hatte. Eine Biografie. Und dass er herausgefunden hat, dass der spätere Schwiegervater Richters ein Euthanasie-Täter war und SS Obersturmbannführer, der dennoch nach dem Krieg freikam. Aber eben auch, dass er ein sehr bedeutender Frauenarzt und Professor war, dessen Texte sogar in der Universität gelehrt wurden. Von dessen NS-Vergangenheit wusste Gerhard Richter nichts. Ich fand die Idee faszinierend, dass der vielleicht größte Frauenarzt, ein Nazi, und der größte Maler des Landes, ein Opfer, lange unter einem Dach lebten, also bat ich Schreiber, mir sein Buch zu schicken. Das Buch war toll recherchiert, taugte aber nicht als Filmstoff. Ich habe dennoch die Rechte gekauft. Dann habe ich mir überlegt: Wie hätte so eine Geschichte über Täter und Opfer eigentlich aussehen müssen, um etwas Allgemeingültiges über diese drei Jahrzehnte deutscher Geschichte zu erzählen. Ich recherchierte viel über diese Epoche und ihre Künstler, traf mich mit David Hockney, Thomas Demand und vielen, vielen anderen, reimte mir eine Geschichte zusammen. Ich wollte auch hören, was Gerhard Richter zu so einer fiktiven Geschichte sagt, kontaktierte ihn – und war dann de facto einen ganzen Monat bei ihm, durfte die Gespräche mit ihm sogar aufzeichnen. Auch davon floss einiges in den Film ein.
R.W.: Jetzt fühle ich mich zu der Frage eingeladen, was man über die Donnersmarcks von 1919 bis 1945 in diesem Zusammenhang wissen müsste. Was hat das alles auch mit Ihrer Familie zu tun?
Donnersmarck: Ach. Unsere Familie kommt aus Schlesien, und das ging ja 1945 verloren, an Polen. Vertreibung und die Folgen einer extremen politischen Ideologie haben mein Vater und meine Mutter sehr stark gespürt. Meine Mutter kommt auch aus dem Osten, ist in Magdeburg geboren. Sie konnten gegen Ende des Krieges noch fliehen. Glücklicherweise gab's in unserer direkten Familie soweit ich weiß keine Verstrickungen mit den Nazis. Für die waren fromme Katholiken und Adelige sowieso ein Feindbild. Insofern gehörte das dann irgendwie auch zum Selbstverständnis, sich antifaschistisch zu definieren.
R.W.: Ihre Familie ist doch sehr groß …
Donnersmarck: Nicht größer als die anderer Menschen. Ich spreche von meiner direkten Familie. Ich bin kein Familienhistoriker, der jeden Aspekt durchleuchtet hätte. Ich spreche von meinen Eltern und Großeltern und deren Erlebnissen. Mein Großvater hatte einen landwirtschaftlichen Betrieb und wurde erst im allerletzten Moment eingezogen und hat sich dann gleich ergeben. Der andere, auf der Seite meiner Mutter, war an der Ostfront. Ich habe keine persönlichen familiengeschichtlichen Dinge in meinem Film beleuchtet.
Aber was die Kriegserlebnisse bedeuten, was Bombardierung und sowjetische Okkupation bedeuten, das wusste ich schon recht genau aus den Schilderungen meiner Eltern und Großeltern.
R.W.: Die Donnersmarcks waren am Ende des Wilhelminischen Kaiserreiches eine der mächtigsten Familien Deutschlands. Historiker behaupten, dass sie durchaus dazu beigetragen haben, die Nazis salonfähig zu machen – etwa durch den vermögenden Guidotto Fürst von Donnersmarck …
Donnersmarck: Das habe ich noch nie gehört. Wo hätten Sie das gefunden?
R.W.: Der deutsche Historiker Stephan Malinowski hat davon 2003 in seiner Studie „Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im Deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat“[2] geschrieben.
Donnersmarck: Und was hat er gesagt?
R.W.: Dass Guidotto Graf von Henckel Fürst von Donnersmarck (1888-1959) in der Zwischenkriegszeit in seiner Villa am Tegernsee prominente NS-Führer empfing. In der Familie gab es NSDAP-Mitglieder wie Guidottos Bruder Kraft Graf Henckel von Donnersmarck (1890-1977) …
Donnersmarck: Vielleicht müsste man in Erfahrung bringen, was bei solchen Treffen gesprochen worden ist. Er galt keineswegs als radikal, hat sich zum Beispiel sehr für Menschen mit Behinderung eingesetzt. Es gibt ja die Fürst-Donnersmarck-Stiftung in Berlin für Menschen mit Behinderung. Aber mein letzter gemeinsamer Ahne mit der fürstlichen, der evangelischen Linie ist 1671 gestorben – mit ihr besteht eine Freundschaft, aber praktisch keine Verwandtschaft – deshalb weiß ich über deren Geschichte nicht viel, kann Ihnen dazu also gar nichts sagen. Ich ahne aber, auch dort werden Sie sich vergeblich abmühen.[3]
R.W.: Der Theaterregisseur René Pollesch hat Ihnen nach Ihrem ersten Film das Stück „L'AFFAIRE MARTIN!“ gewidmet. Es kreist um die Frage, warum jemand aus der Familie Donnersmarck sich für das „Leben der Anderen“ interessiert und ob es da nicht einen blinden Fleck in Bezug auf die eigene, schlesische Familiengeschichte und die historische Rolle der Donnersmarcks gibt.[4]
Donnersmarck: Ich weiß von dem Stück, habe es aber nicht gesehen. Soweit ich weiß, war es eher dadaistisch und vertritt keine Thesen. Der Titel „Das Leben der Anderen“ meinte auch nicht die Menschen in der DDR oder im Osten, sondern, dass da eine ganze Organisation, die Staatssicherheit, nicht auf sich selbst schaute, sondern sich ausschließlich mit dem Leben der anderen beschäftigt.
R.W.: In „Das Leben der Anderen“ wie in „Werk ohne Autor“ und auch in einigen Ihrer Texte findet sich ein sehr emphatischer Kunstbegriff. Die Idee, dass es durch Kunst so etwas wie eine moralische Läuterung geben könne. Eine Verwandlung des Betrachters. Sie selbst sprechen in Interviews von Negativität und Trauma, die in einem Kunstwerk aufgehoben werden könnten.
Donnersmarck: Um beim Beispiel Richter zu bleiben. Für ihn war es sicherlich traumatisch, dass seine Tante von den Nazis ermordet wurde. Aber ich finde es hochinteressant zu sehen, dass jemand, der all das und noch sehr viel mehr Furchtbares erlebt hat, beschließt: Ich lasse mich davon nicht brechen, sondern verwende alles in meiner Kunst. Und er hat zum Beispiel ein wunderbares Bild von seiner Tante gemacht, wie sie ihn als Kind hält. Der Regisseur Elia Kazan hat einmal gesagt: Künstlerisches Talent ist nur der Schorf, der sich auf den Wunden des Lebens gebildet hat. Es ist doch wirklich bedeutsam, dass aus dem Versuch, die Nazizeit – das heißt, das Schrecklichste, was Deutschland je hervorgebracht hat – zu verarbeiten, zum Teil so große Kunst wie die der frühen 1960er-Jahre in Düsseldorf entstehen konnte. Wenn man sich überlegt, wie in einem kleinen Städtchen plötzlich Beuys, Uecker, Polke, Mack, Piene zu wirken beginnen, viele von ihnen hatten Diktaturen erlebt. Das fand ich faszinierend.
R.W.: In Ihren Filmen wählen Sie allerdings einen Stil, der deutlich weniger radikal, weniger modern ist: Ihr Kino ist sehr klassizistisch, fasziniert von Hollywood.
Donnersmarck: Mein Kino ist grammatisch. Immer unter Verwendung der modernsten Techniken. Man kann schreiben wie Tolstoi, bei dem auch Word mit dem Satzbau einverstanden wäre, oder wie Elfriede Jelinek, wo der Computer explodiert. Eines ist nicht unbedingt moderner als das andere. Es gibt nur halt unterschiedliche Temperamente und Neigungen; und Entscheidungen darüber, was man in den Vordergrund stellen will – den eigenen Stil oder den Inhalt. Und Amerika, Deutschland, Frankreich, England – die Filmgrammatik dieser Länder hat sich sehr stark angeglichen. Ein befreundeter Regisseur hat einmal den Film als das Esperanto der Welt bezeichnet.
R.W.: Man könnte sagen, Sie vertrauen der „guten und schönen Form“, mit der man auch extrem Traumatisches abbilden kann.
Donnersmarck: Ich glaube nicht, dass man Hässlichkeit braucht, um Furchtbares darzustellen. Eine Beethoven-Symphonie vermittelt Gefühle von Trauer in dem einem, von Glückseligkeit im nächsten Moment, aber immer durch Wohlklang. So muss für mich auch ein Kinobild nicht unbedingt hässlich sein, um etwas Hässliches auszudrücken.
R.W.: Sie spitzen die reale Geschichte von Richters Tante Marianne zu, fusionieren sie mit einer zweiten Geschichte aus Schreibers Buch, mit dem Schicksal einer Künstlerin, Elfriede Lohse-Wächtler, die in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein ermordet wurde. Es war jahrzehntelang ein Tabu, den Tod in der Gaskammer in einem deutschen Film zu inszenieren, der danach diese Wunde nicht offen lässt. Ich habe den Eindruck, dass es bei Ihnen den Impetus gibt, das einzubetten, um etwas Übergeordnetes, hier die Trauma-überwindende Kunstproduktion, in seiner Schönheit darzustellen.
Donnersmarck: Nein, da missverstehen Sie jetzt, was ich mit Schönheit meine. Es ist natürlich nicht so, dass man der Tatsache, dass diese Morde an den Kranken geschehen sind, auch nur irgendetwas Schönes abgewinnen könnte. Das ist eines der furchtbarsten Dinge der deutschen Geschichte. Und auch, damit so etwas nie wieder geschehen kann, beschäftige ich mich damit in meinem Film und rufe es dadurch ins Gedächtnis. Wir müssen diesen Entsetzlichkeiten so ins Auge blicken, dass wir anfangen können, sie auf verschiedene Arten wissenschaftlich, künstlerisch zu verarbeiten. Ich spreche jetzt von Deutschland, Österreich, den Ländern, die von der NS-Diktatur betroffen waren ....
R.W.: … Sie meinen die Täter.
Donnersmarck: Ich meine das gesamte Land, die gesamte Nation, nicht nur die spezifischen Täter. Es ist wichtig, Problemen direkt ins Auge zu blicken. Hoffnungsschimmer gibt es da immer, auch im größten Dunkel. Das sogenannte Euthanasieprogramm etwa, zumindest die große erste Welle, wurde durch massiven Protest ja schon damals gestoppt. Es gab den Kardinal Galen, der große Predigten dagegen gehalten hat, woraufhin zum Beispiel dieses Zentrum von Pirna-Sonnenstein[5], von dem Sie gesprochen haben, geschlossen werden musste. Wir haben diese Szene vom Mord an den Kranken am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus gedreht und hatten zwei Historiker von der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein mit dabei. Wir waren vorher mit unserer ganzen Mannschaft an jenem Ort, an dem tatsächlich die Menschen mit Behinderungen ermordet wurden, und haben dort der Opfer gedacht. Ich finde, dass der Versuch der Vergangenheitsbewältigung und der Aufarbeitung dieser Dinge in unseren Ländern etwas Großes und Wichtiges ist. Die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein beschäftigt sich auch mit der Frage, inwieweit das Euthanasieprogramm eine Art Vorlauf, auch methodisch, für die Shoah war. Es ist wichtig, dem allen ins Auge zu blicken.
R.W.: Was mich zu der Frage nach der Erzählhaltung gebracht hat, war mein Eindruck, dass der Film mit einem Lächeln der Hauptfigur über den künstlerischen Erfolg zu enden scheint.
Donnersmarck: Das sehen Sie dann doch zu einfach. Ob Erfolg oder nicht, das haben wir nicht einmal thematisiert. Man erfährt nicht, ob Kurt in seinem Leben auch nur ein einziges Bild verkauft. Nur die Tatsache, dass es ein Mensch geschafft hat, trotz der Traumata seines Lebens nicht zu zerbrechen, sondern ein Ventil zu finden, einen künstlerischen Ausdruck, der ihm helfen konnte. In uns allen steckt diese alchemistische Fähigkeit, aus dem Blei des Lebens das Gold der Kunst zu machen. Ich glaube, dass Joseph Beuys mit seinem berühmten Spruch „Jeder Mensch ist ein Künstler“ Recht hat. Dieser kreative Prozess, diese Verwandlung von Furchtbarem in Glorreiches – dieses Potenzial steckt in uns allen. Und das Lächeln am Ende des Films hat für mich ausschließlich damit zu tun.
„WERK OHNE AUTOR“, Regie: Florian Henckel von Donnersmarck (Deutschland, 2018)
Filmverleih: Walt Disney Studios Motion Pictures Germany
Kinostart: 3. Oktober 2018
Der Text ist in einer leicht gekürzten Version erstmals erschienen im Kulturteil des österreichischen Nachrichtenmagazins profil, Ausgabe 40, 1.10. 2018, Wien, S. 104-108.
[1] Jürgen Schreiber, Ein Maler aus Deutschland: Gerhard Richter. Das Drama einer Familie, Piper 2017 (erstmals erschienen im Pendo-Verlag München/Zürich 2005).
[2] Siehe dazu die Rezension der Monographie von Christoph Franke auf H-Soz-Kult vom 1.8.2003.
[3] Anm. RW.: Die 1916 ins Leben gerufene Fürst-Donnersmarck-Stiftung hat sich erst nach 1945 unter Druck der alliierten Besatzer von ihrer militärärztlichen Vergangenheit gelöst. Das Kuratorium der Stiftungwar vor 1945 neben den Fürstensöhnen Guidotto und Kraft u.a. mit weiteren NSDAP-Mitgliedern und mit hochrangigen Funktionären des NS-Staates besetzt, die vor allem das Stiftungsvermögen bewahrten.
Kuratoriumsmitglied bis 1945 war u.a. Siegfried Handloser, der als Sanitätsinspekteur des Heeres auch für die SS-Ärzte (und damit auch für die Menschenversuche in den deutschen KZs) verantwortlich war.
Bei den Nürnberger Ärzteprozessen wurde er 1947 zu lebenslanger Haft verurteilt. Operativ tätig wurde die in Berlin ansässige Stiftung erst in den 1950er Jahren, seitdem unterstützt sie in großem Maßstab Menschen mit Behinderungen und Mehrfachbehinderungen.
Dazu: Sebastian Weinert, „100 Jahre Fürst-Donnersmarck-Stiftung 1916 – 2016“, Berlin 2016 (Langfassung). Die Fürst-Donnersmarck-Stiftung bemüht sich in dieser von ihr in Auftrag gegebenen Studie auch um eine Aufarbeitung der NS-Bezüge in ihrer Vergangenheit. Der aus der gräflichen Linie stammende Vater des Regisseurs, Leo-Ferdinand Graf Henckel von Donnersmarck (1935-2009), war ab 2003 Kuratoriumsmitglied der Fürst-Donnersmarck-Stiftung.
[4] Donnersmarcks Langfilmdebüt „Das Leben der Anderen“ aus dem Jahr 2006 handelt von der Beobachtung der Ostberliner Kultur-Bohéme durch die Staatssicherheit. Der Film erhielt, neben vielen anderen Auszeichnungen, im Jahr 2007 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film. Siehe den Beitrag zum Film von Jens Gieseke, Der traurige Blick des Hauptmanns Wiesler. Ein Kommentar zum Stasi-Film „Das Leben der anderen“, in: Zeitgeschichte-online, April 2006.
[5] Gemeint ist die heutige sächsische Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein. In der „Heil- und Pflegeanstalt“ Pirna-Sonnenstein wurden 1940/41 über 13.000 Menschen mit Behinderungen ermordet, über 1000 KZ-Häftlinge starben hier außerdem an den Folgen medizinischer Versuche. Zur zögerlichen Aufarbeitung der NS-Medizinverbrechen: Ralf Forsbach, Abwehren, Verschweigen, Aufklären. Der Umgang mit den NS-Medizinverbrechen seit 1945, in: Zeitgeschichte-online, Dezember 2013.
„Wo hätten Sie das gefunden?“
Florian Henckel von Donnersmarck über seinen Film "Werk ohne Autor", NS-Geschichte und die Kraft moderner Kunst