Nichts weniger als eine außenpolitische Katastrophe war die Ankündigung des US-Präsidenten Donald Trump am 8. Mai 2018, das „Atom-Abkommen“, Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), mit der iranischen Regierung aufzukündigen. Der jahrelange Prozess der Annäherung, ein hoffnungsvoller Aufstieg liberalerer Kräfte um den iranischen Präsidenten Hassan Rohani stehen durch das Statement des US-Präsidenten auf dem Spiel. Doch es kann noch schlimmer kommen: Die US-Administration zieht offenbar ernsthaft Bestrebungen nach einem Regimewechsel im Iran in Betracht.[1] Wenig Grund zur Hoffnung auf Besserung besteht, sieht man sich die Position des einflussreichen Nationalen Sicherheitsberaters John Bolton, den Trump im März 2018 ins Amt berief, zum Iran an.
Der republikanische Hardliner Bolton äußert sich bereits seit längerem positiv zu Regimewechseln, insbesondere im Iran, wie er bereits 2016 nach der Wahl Trumps verkündete.[2] Darüber hinaus spürt Bolton eine besondere Nähe zu den Volksmojahedin (Mojahedin-e-Khalq), für die er sich seit Jahren ausspricht und auf deren US-amerikanischer Jahreskonferenz 2017 er als Redner auftrat. In westlichen Medien wird inzwischen darüber spekuliert, dass die Volksmojahedin die neuen Verbündeten der US-Administration auf dem Weg zum Sturz der iranischen Regierung seien. Doch wer sind die Volksmojahedin eigentlich? Mit dem Blick in die Vergangenheit schwinden die Hoffnungen auf eine friedliche Lösung des Konflikts angesichts dieser möglichen Allianz.
Für eine Analyse der politischen Verhältnisse und ihrer Akteure im Iran sollte man mit einem Blick auf die Regierungszeit des Schahs Reza Pahlavi und der islamischen Revolution von 1979 beginnen. Die Volksmojahedin gründeten sich in den 1960er Jahren als oppositionelle Bewegung zum damaligen Schah. Eine klare Einordnung ihrer politischen Ausrichtung fiel und fällt nicht leicht: Eine recht widersprüchliche Verbindung von Marxismus und Islam liegt ihrer Ideologie zugrunde. Sie bezeichnen sich selbst als muslimisch, hatten jedoch stets die Errichtung eines sozialistischen, nie eines islamischen Staates zum Ziel. In den 1970er Jahren bekämpften sie die Regierung des westlich orientierten Schahs.
Der Schah ließ mit seinem Geheimdienst SAVAK[3] regierungskritische Linke und Geistliche einsperren und foltern. Innerhalb der Opposition waren im Iran lebende Staatsbürger_innen aus dem Westen, wie den USA und Großbritannien, sehr unbeliebt. Aufgrund ihrer Beziehungen zum Schah verkörperten sie für viele Iraner_innen die Ausbeutung der iranischen Erdölvorkommen und die postkolonialitäre[4] Abhängigkeit Persiens. Um ihrem Unmut darüber Ausdruck zu verleihen, machten die Volksmojahedin auch vor extremer Gewalt nicht Halt: In den 1970er Jahren verübten sie mehrere Anschläge auf ranghohe iranische Beamte und US-Amerikaner im Iran. Unter anderem töteten sie 1972 den iranischen Polizeigeneral Said Taheri, 1975 den Oberstleutnant der US-Luftwaffe Jack Turner sowie 1976 drei zivile Angestellte der US-Firma Rockwell International.
In den chaotischen Monaten der Revolution im Iran um den Jahreswechsel 1978/79 spielten die Volksmojahedin eine gewichtige Rolle, und nur durch das geschickte Ziehen der strategischen Fäden von Ayatollah Ruhollah Khomeini konnten sie in keine Machtposition gelangen. Daher gingen die Volksmojahedin in der im März 1979 konstituierten Islamischen Republik Iran wieder in die Opposition und verübten weitere Bombenanschläge, nun jedoch ausschließlich gegen iranische Politiker. Bis 1981 töteten sie durch Bombenanschläge den Staatspräsidenten, den Ministerpräsidenten und im Parteigebäude der Islamischen-Republikanischen Partei 70 regierungsnahe Iraner_innen. Zudem versuchten sie mit einem Anschlag Ali Chameini, das spätere und noch heutige Staatsoberhaupt Irans, zu töten, scheiterten jedoch dabei. Als daraufhin Khomeini die Volksmojahedin verbot und gnadenlos verfolgen ließ, gingen manche in den Untergrund, viele flohen in den Westen. Insbesondere in Frankreich erhielten viele Asyl. Für die iranische Regierung war die Gefahr somit zunächst gebannt.
In den 1980er Jahren etablierten die Volksmojahedin im europäischen Ausland ein dichtes Netzwerk und fungierten teilweise schon unter der Bezeichnung Nationaler Widerstandsrat. Sie konzentrierten sich fortan mit großem Erfolg auf die Öffentlichkeitsarbeit in ihren westlichen Exilländern. Am 22. Juli 1985 veröffentlichte die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ einen Aufruf des Vorsitzenden der Volksmojahedin Masud Radjavi zum Protest gegen den „Terrorismus Khomeinis“. Zu den Unterzeichner_innen des Aufrufs gehörten 76 CDU/CSU-, 30 SPD- und 6 Grünen-Bundestagsabgeordnete. Zudem unterstützte das Europäische Parlament in der Resolution 849 vom 30. September 1985 ihr Anliegen.[5] Die Unterschriften hatte die Mehrzahl der Abgeordneten bereits im Februar geleistet. Der Außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag Hans Klein schickte einen Rundbrief an die Bundestagsabgeordneten, in dem er auf die terroristischen und radikalen Hintergründe der Volksmojahedin hinwies.[6]
Auch wenn manche Abgeordnete danach ihre Unterstützung zurücknehmen wollten und sich getäuscht fühlten, war die Tinte der Unterschriften bereits getrocknet. Die Volksmojahedin ließen den Aufruf in der FAZ mit der Unterstützung zahlreicher ranghoher deutscher Politiker_innen abdrucken. Die iranische Botschaft in Bonn reagierte höchst verärgert, und die Bundesregierung sowie das Auswärtige Amt gerieten in große Probleme bei dem Versuch, den diplomatischen Schaden einzugrenzen.
Dies alles geschah nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen und während des Krieges in Afghanistan. In einer der Hochphasen des Kalten Krieges galten in Westdeutschland alle Sympathien den afghanischen Widerstandskämpfern, den Mojahedin; also die den Dschihad begehen; oder noch genauer: denen, die sich anstrengen, auf dem Weg Gottes zu gehen. Viele Bundestagsabgeordnete, die offensichtlich ahnungslos waren, sahen offenbar eine Nähe der iranischen Volksmojahedin zu den afghanischen Mojahedin, was auch Klein in seinem Brief an die Unions-Parlamentarier andeutete. Dass die Volksmojahedin aber kaum als friedliebende Gruppierung eingestuft werden konnte, hätte schon ein Blick in ihre deutschsprachige Zeitung „Freiheit für Iran“ offenbart, in der „revolutionäre Hinrichtungen“ und durchgeführte Terrorakte im Iran verherrlicht wurden.[7]
Im Laufe der Zeit wurden auch westliche Politiker_innen sensibler gegenüber den Volksmojahedin und ihren oppositionellen Heilsversprechen. Um sich einen gehobeneren Anstrich zu geben, konstituierte sich 1993 der Nationale Widerstandsrat des Iran (NWRI) in Paris. Die Volksmojahedin sind die wichtigste der fünf Organisationen, die den NWRI gründeten. Maryam Radjavi, die seit 1985 zusammen mit ihrem Mann die Doppelspitze der Volksmojahedin innehat, wurde 1993 vom NRWI als alleinige „künftige Präsidentin des Iran“ gewählt. 2003 ging ihr Mann in den Irak, um Saddam Hussein im Dritten Golfkrieg gegen die USA zu unterstützen. Seitdem gilt er als „verschwunden“ oder tot, sodass Maryam Radjavi die alleinige Führerin der Volksmojahedin und des NWRI ist. Einen Führerinnenkult um ihre Person attestierte ihr der Bundesverfassungsschutz sowohl für die Volksmojahedin als auch den NWRI.[8]
Die EU führte die Volksmojahedin von 2001 bis 2009 als Terrororganisation, wobei sie eine indifferente Haltung gegenüber dem NWRI einnahm, gleichwohl sie wusste, dass die Organisationen kaum voneinander zu trennen sind. Einen anderen Weg beschritten die Behörden in den USA. In der Regierungszeit Mahmud Ahmadinedschads (2005-2013) nutzte die CIA der Logik folgend „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ die sich als marxistisch und partiell radikal islamisch bezeichnenden Volksmojahedin als Informant_innen im Iran.
Die Annäherungsversuche der Volksmojahedin an den Westen scheinen auch beim US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsberater Bolton wieder zu fruchten. Er sieht in den Volksmojahedin die möglichen verlässlichen Partner des Westens im Iran. Nicht nur er ließ sich mit Maryam Radjavi zusammen ablichten, auch der einflussreiche republikanische US-Senator John McCain traf sich 2017 mit ihr. Dass die einseitige Unterstützung einer zu Gewalt bereiten Gruppierung kurzsichtig ist, selten nachhaltig für Frieden sorgt und diese sich letztlich auch gegen ihre Unterstützer_innen wenden kann, sollten westliche Politiker_innen spätestens seit dem Desaster in Afghanistan und der Etablierung der Taliban, die nur mit der vorherigen Unterstützung durch die USA zustande kamen, wissen.
Andererseits ist die Unterstützung der Volksmojahedin vielleicht nur ein konsequenter weiterer Schritt: Bombenanschläge und Terrorakte haben sie schließlich schon verübt. Was soll da noch Schlimmeres kommen?
[1] Stephen M. Walt: „Regime Change for Dummies“. Foreign Policy, 14.05.2018 (aufgerufen am 28.06.2018).
[2] Jessica Schulberg: „John Bolton, Top Contender for Secretary Of State, Calls For Regime Change In Iran“. Huffington Post, 17.11.2017 (aufgerufen am 28.06.2018).
[3] Abkürzung in Farsi für „Organisation für Informationen und Sicherheit des Landes“.
[4] Damit ist nach Robert C . Young die negative Abhängigkeit von einer hegemonialen Macht wie beispielsweise der USA gemeint; eine vorherige koloniale Herrschaft muss es dafür nicht gegeben haben.
[5] Johannes Reissner: „Opposition gegen Khomeini: Das Beispiel der Volksmojahedin“. SWP-Studie Februar 1987, in: Archiv Christlich-Demokratischer Politik (ACDP) 08-006-159/2.
[6] Schreiben Hans Klein (CDU-MdB) an alle CDU/CSU-MdB, 24.02.1985, in: ACDP 08-006-159/4.
[7] Vgl. Reissner: Opposition gegen Khomeini.
[8] Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.): „Volksmojahedin Iran“ und ihre Frontorganisation „Nationaler Widerstandsrat Iran“ (aufgerufen am 28.06.2018).
Die Geister, die wir schon wieder rufen
Die Kurzsichtigkeit westlicher Annäherung an die iranischen Volksmojahedin