Michele Montagano

Michele Montagano
Wir haben Nein gesagt in Deutschland, und das ist es, was sie über uns erzählen sollen...

 

Michele Montagano. Foto: mit freundlicher Genehmigung: Sarah Mayr. All rights reserved.

 

Möchten Sie mir etwas aus Ihrem Leben vor dem Krieg erzählen?

Ich wurde am 27. Oktober 1921 geboren, in der Region Casacalenda, in Süditalien. Das Leben war beschwerlich. Es ging den Menschen schlecht, sehr schlecht. Ich war auf dem Gymnasium in Campobasso, es war ein Internat. Eigentlich habe ich nie gelernt, ich habe sehr wenig gelernt, ich bin immer durch Empfehlungen weitergekommen. Mein Vater war Lehrer, Grundschullehrer, und später ein respektierter Parteileiter der Faschisten. Ich war ein Papasöhnchen, und so ging es mir später ähnlich. In der Schule und zu Hause war die Atmosphäre faschistisch. Mein Vater war bereits im Ersten Weltkrieg gewesen, kam nach Italien zurück und wurde von den Sozialisten und Kommunisten bekämpft, weil er Nationalist war. Und so bin ich in einem faschistischen Umfeld groß geworden, also war auch ich Faschist, bevor ich zur Armee ging. Nicht richtig Faschist, eher Mussolini-Aanhänger - ich bewunderte ihn. Ich wurde von so etwas angezogen. Ich wusste nicht, was Faschismus philosophisch bedeutete, aber als ich Mussolini auf seinem Balkon sah, war er für mich wie ein Gott, der Gottvater. So bin ich groß geworden.

Als ich dann im Krieg war, habe ich verstanden, dass alles nur ein großer Bluff war. Italien war überhaupt nicht auf einen Krieg vorbereitet. Als Mussolini den Krieg erklärte, waren wir begeistert, das muss man zugeben. Die Antifaschisten waren es nicht, aber von ihnen gab es nur sehr wenige. Die große Masse war faschistisch. Wir sind in den Krieg eingetreten und glaubten, wir könnten sonst was erreichen, so voller Enthusiasmus. Wir hatten einfach einen Herrscher. All die verhängnisvollen Lügen aus Rom, all diese schönen Worte Mussolinis, die wir einfach so glaubten. Wir waren Dummerjane.

Michele Montagano (rechts), 1942.  Foto: privat. All rights reserved.

Ich kam nach Jugoslawien, nach Slowenien. Ich war zwischen Gorizia und Ljubljana, dort habe ich gedient. Ich kämpfte gegen die Partisanen von Tito. Wir haben einen heimtückischen Krieg geführt, einen schrecklichen Krieg. Es gab einen Feind von vorne, der Feind konnte aber auch hinter dir sein. Du wusstest es nicht, man stand unter durchgehender Anspannung.

 

Wann sind Sie von den Deutschen verhaftet worden?

Am 8. September 1943. Die Deutschen waren schon nach wenigen Tagen auf unseren Rückzug vorbereitet, nahmen alle strategisch wichtigen Standorte ein und hatten alle Italiener, in Italien ebenso wie außerhalb, in Gefangenschaft genommen. Sie nahmen uns fest und brachten uns nach Villa Opicina. Jedem Einzelnen von uns haben sie die gleiche Frage gestellt: „Willst du mit uns kollaborieren oder bist du gegen uns?“ Der größte Teil hat geantwortet: „Nein, wir wollen nicht kollaborieren, wir sind das italienische Heer und haben mit euch nichts gemein.“ Sie steckten uns in Viehwaggons und brachten uns nach Norden. Und so haben sie uns gekriegt. Viele Leute dachten, sie würden uns in den Zügen zurück nach Italien bringen. Die Deutschen haben uns oft getäuscht.

 

Wie war der Transport?

Von Triest wurde ich nach Thorn, südlich von Danzig, gebracht. Die Reise war furchtbar. Wir wurden in Viehwaggons eingesperrt - wenn sie einmal zu waren, hast du nichts mehr gesehen. Sie ließen uns 24 Stunden lang eingeschlossen, nur morgens um vier Uhr öffneten sie kurz die Türen und sagten: „Abort“, damit wir das Nötigste verrichten konnten. Wir waren 40 bis 50 Personen in einem Waggon, in jedem Wagen gab es eine kleine Schüssel, die nach einer Stunde schon voll war. Nach zwei Stunden floss Sie über. Stell dir vor wie die, die direkt daneben standen, leiden mussten. Es begannen die ersten Fröste, ohne Essen, ohne Trinken, es war Folter. Wir konnten uns nicht alle hinsetzen, weil der Waggon zu klein war. Also du musst dir 40 Menschen vorstellen, die Hälfte musste stehen, und die andere Hälfte konnte sich etwas mehr ausbreiten.

Und die, die sich etwas ausbreiten konnten, wollten ihre Plätze nicht aufgeben, und so kam es auch zu Streit zwischen uns. Es dauerte acht oder neun Tage, um in Thorn, in Polen, anzukommen, weil die Züge nicht direkt fuhren, sie mussten die normalen Züge durchlassen. Sie stellten uns so lange auf ein totes Gleis, und wir mussten warten, Stunde um Stunde. Du wusstest nicht, wo du bist, wo du hinfährst... Psychologisch warst du völlig aufgeschmissen, du hast den Orientierungssinn verloren, das Bewusstsein, wo du bist, oder nicht bist... Die Reisen waren das Bestialischste in all der Gefangenschaft... Der Zustand des Eingesperrtseins hatte bei vielen Rückkehrern Klaustrophobie zur Folge, sie konnten keine Aufzüge mehr benutzen. Das ist etwas Furchtbares, Entsetzliches.

 

Wo sind Sie angekommen?

In Thorn, dann bin ich nach Czestochowa gekommen. Von dort wurde ich in die Ukraine nach Tarnopol gebracht. Als aber die Russen näher rückten im Dezember 1943 transportierten sie mich wieder nach Polen. Von dort wurde ich nach Sielce gebracht. Dort fand ich in einem faschistischen Magazin den Namen Michele Montagano. Es war eine Suchanfrage von meinem Vater, aus einem Lager, das sich Biala Podlaska nannte. Sofort bin ich zum Kommandanten und habe ihn gefragt: „Lass uns mit den Deutschen reden, dass sie mich in das Lager schicken, in dem mein Vater ist!“ und die Deutschen haben Ja gesagt. Nach einigen Tagen brachten sie mich in das Lager, in dem mein Vater war. Es war das Zweiglager von Sielce und hatte den gleichen Kommandanten aus Biala Podlaska, nur 20 km entfernt. Als ich ankam, sah ich, dass 96 % der Offiziere übergetreten waren. Sie waren verängstigt, einer war tot, zwei oder drei starben an Krankheiten, an Tuberkulose. Sie hatten schreckliche Angst vor dem Lagerkommandanten.

Die Gefängniskapläne, die Ärzte und alle anderen hatten unterschrieben überzulaufen. Unter den Unterzeichnern war sogar mein Vater, er war gealtert, er hatte schon den anderen Krieg erlebt. Was hätte er tun sollen? Alle hatten unterzeichnet. Also auch er. Da habe ich verstanden, warum der Kommandant so schnell Ja gesagt hatte: Weil mein Vater es auch getan hatte. Aber als ich meinen Vater dann traf, sagte ich: „Ich mache mein Leben, und du deins.“

Ich habe mich für die Deutschen nicht einen Millimeter bewegt. Wir trennten uns, und ich verbrachte meine Tage ohne ihn. Ich war im Lager mit den Partisanen und Republikanhängern, er mit den Faschisten. Wir mussten jeden Tag zusehen, wie sie behandelt wurden. Sie haben besser gegessen, fast wie die deutschen Soldaten, es ging ihnen gut. Ich hatte mich in den 24 Tagen, in denen ich bei meinem Vater war, gesundheitlich etwas erholt, denn natürlich hat er mir von seinem Essen etwas abgegeben. Aber als ich von meinem Vater getrennt wurde, teilte ich ihm mit, dass ich für die Deutschen keinen Finger krumm machen würde. Ob wir uns wiedersehen würden? Ich hatte eher das Gefühl, wir würden uns nicht wiedersehen... Ich kam von Biala Podalska nach Sandbostel, das war im Februar 1944.

 

Wie war die Situation in Sandbostel?

Sandbostel war meine Universität. Ich hatte mich in Rom eingeschrieben, war dann zur Armee gegangen und hatte keinen Abschluss. Aber in Sandbostel habe ich Professoren von der Universität getroffen - ich habe bei ihnen viele Lektionen in Zivilrecht und Strafrecht gemacht. Ich habe dort nicht nur studiert, sondern bin dort auch erwachsener geworden. Als ich eingezogen wurde, war ich Student, immer noch Student und halber Faschist. Und dann, in Sandbostel, traf ich zum Beispiel Natta. Er war ein richtiger Kommunist, kam von der Scuola Normale Superiore in Pisa[1], ein wirklich außerordentlicher Geist. Er wurde später Chef der kommunistischen Partei. Sechs Monate verbrachten wir zusammen, er schlief über mir. All diese Leute dort waren vielleicht drei oder vier Jahre älter als ich, aber sie hatten diese herausragende Schule besucht, und so waren sie vorbereitet. Ich habe viel von ihnen gelernt. Ich war zutiefst überzeugt, Widerstand zu leisten. Ich würde eher sterben, als den Deutschen zu helfen.

 

Wollen Sie mir etwas aus Sandbostel erzählen? Wie wurden Sie ernährt, wie war die Situation der Kranken und hatten Sie Kontakt zu den anderen Gefangen?

In Sandbostel waren auch Gefangene aus anderen Nationen. Wir haben gesehen, dass wir zum Beispiel besser behandelt wurden als die Russen. Die anderen Gefangenen wiederum wurden besser behandelt als wir - sie hatten Versorgungspakete vom Roten Kreuz, sie waren Kriegsgefangene, Punkt. Wir wurden nicht als Kriegsgefangene gezählt, sondern als Häftlinge, also waren wir nicht unter dem Schutz des Roten Kreuzes. Ich bekam nur das, was die Deutschen mir gaben, meine Ration. Sieben bis acht Gramm Fleisch, irgendwelche Stückchen in Spülwasser, ein mieser Fraß. Dann gab es sechs bis sieben Kartoffeln, 25 Gramm Margarine, manchmal etwas Zucker. Ab und zu gab es Käse, aber der war abgelaufen und stank so fürchterlich, dass wir dachten, sie wollten uns damit foltern, damit wir eines Tages übertreten würden.
Sehr viele waren krank, wir wurden einmal unter Quarantäne gestellt. Die Deutschen ließen niemanden mehr raus oder rein, weil Fleckfieber grassierte. So waren wir einige Monate unter uns, und es gab, Gott sei Dank, keine Appelle mehr. Sie ließen uns in Ruhe. Wir mussten nichts tun, außer unser Essen entgegenzunehmen. In dieser Zeit bauten die Techniker unter uns ein Radio, wir empfingen die berühmte Radiowelle Catarina, und so haben wir von der Invasion in der Normandie gehört. In unserer Nähe gab es einen kleinen Teich, dort ließen wir dann kleine gebastelte Boote auf das Wasser, um den Deutschen klar zu machen, dass wir von der Invasion wussten...

Es gab auch Todesfälle in Sandbostel. An einem Tag, neben meiner Baracke, kam ein armer Mann, ein Leutnant, der seine Unterhose und andere Sachen gewaschen hatte, zu nah an den Stacheldraht, um sie zu trocknen. Die Wache hat das gesehen, ihn geschnappt und erschossen. Dafür bekam der Schütze sogar eine Prämie. Er wurde nach Hause geschickt, um dann wieder zurück in den Dienst zu kommen. Das war ein außergewöhnlicher Tod, der nicht hätte sein müssen. Warum einen Menschen ermorden, der seine Unterhosen wäscht? Es gab auch diese Art von Tod, dort...
Im Juli 1944 erließ Mussolini ein Gesetz, dass u.a. aus den Internierten Zivilisten machte, und so sagten sich viele: „Die Arbeit ist jetzt sowieso obligatorisch, und wenn wir uns weigern, wer weiß, wo sie uns dann hinbringen?“ Und sie meldeten sich und sagten: „Ich bin Tierarzt, ich möchte auf's Land!“ Oder „Ich bin Bauer! Ich gehe dorthin.“ „Ich bin Barbier, ich gehe Bärte schneiden.“ Jeder Blödsinn wurde erzählt, nur um rauszukommen. Draußen konnte man an etwas mehr Essen kommen. Die Deutschen hatten nicht mehr genug Männer, die arbeiten konnten, sie waren alle an der Front. Deutschland wurde gestürmt, alle stellten sich gegen den Feind, zurück blieben nur die Jugendlichen. Demzufolge gab es keine Arbeiter mehr auf dem Land, und auch wir Offiziere mussten arbeiten.
Ganz zum Schluss blieben wir mit drei- oder viertausend Mann übrig. Sie brachten mich von Sandbostel nach Wietzendorf in ein Lager (Stalag X D), etwas weiter südlich. Wietzendorf war ein Verteilungslager zur Zwangsarbeit. Ich wurde in ein Flughafenlager geschickt, ich sollte mauern. Sie gaben uns Schubkarren, Pickel und Schaufeln. Wir kamen morgens an und haben nur die Arme verschränkt, wir haben uns fünf Tage lang geweigert zu arbeiten. Der Kommandant des Lagers, der seinen Flughafen in Ordnung bringen musste, sagte zu uns: „So Kinder, jetzt kommt gleich die Gestapo und für euch ist es vorbei.“ Die Gestapo kam. Sie haben uns alle in eine Reihe gestellt und haben mit der Dezimierung begonnen. Sie riefen Namen auf, und die Personen traten nach vorne. 21 von 214. Sie nahmen diese 21 Offiziere und sagten: „Die hier werdet ihr nicht wiedersehen!“ Daraufhin traten einige, einer nach dem anderen, vor. Wir traten hervor und sagten: „Wir möchten die Plätze der Dezimierten übernehmen.“ - Völlig verrückt! - Der von der Gestapo stand da und machte nichts weiter, womit er uns zu verstehen gab: „Gut, ich sollte 21 nehmen, dann nehme ich jetzt eben 44, bitteschön.“
Die vorherigen Dezimierten gingen zurück in die Reihe, und wir wurden an die Wand gestellt. Sie ließen uns fünf, sechs Stunden an der Mauer stehen, in Erwartung der Dezimierung, der Erschießung. Das war wirklich eine hässliche Szene. Ich stand da, ich war jung, hatte mich sowieso schon von meinem Vater verabschiedet - das war erledigt. Ich malte mir mit etwas Blut ein „Viva l' Italia“ auf die Brust. Ich war verrückt. Neben mir waren andere, sie waren schon 30 oder 32 Jahre alt und hatten Familie, Frauen und Kinder. Sie holten die Fotos raus, küssten sie und weinten. Einer begann rumzulaufen wie ein Verrückter, auf und ab. Einer nahm seinen Kopf in die Hände, er weinte nicht, er tat nichts, aber du konntest sehen, dass er völlig aufgelöst war...eine hässliche Szene.
Ich war eigentlich ganz ruhig. Am Abend, während der Dämmerung, erreichte uns der Gegenbefehl: Wir wurden zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie packten uns in einen Lkw und brachten uns nach Unterlüß in ein berühmtes Lager, ein „Arbeitsumerziehungslager“.

 

Wo ist Unterlüß?

Es ist in der Nähe von Wietzendorf, immer in der gleichen Gegend. Bei Celle, etwas südlicher. Wir kamen in dieses Lager, es war ein Lager der Gestapo, von der SS geführt, nicht von den Soldaten. Von der SS, also stell dir vor, welche Art von „Rücksäuberung“ (Umerziehung) dort stattfinden sollte. Als wir am Eingang ankamen, mussten wir an zwei mit einem Stock bewaffneten Typen vorbei. Einer gab Kopfnüsse, Stockhiebe, Faustschläge. Du fielst zu Boden, und auch da droschen sie auf dich ein. Endlich durftest du weitergehen, dann ein Bellen hinter dir, und alles begann von vorne. Danach haben sie uns im Kreis aufgestellt, wie man es mit Pferden in der Manege tut, und haben gebrüllt: „Rennt!“ Im Inneren stand ein Marschall der SS, der seinen Spaß daran hatte, jedem, der anhielt, vor die Füße zu schießen, so dass derjenige sich wieder aufraffte und weiterlief. Es dauerte so zwei bis drei Stunden und war maßlos, wir konnten nicht mehr. Als es dunkel war, konnten wir endlich in die Baracke.
Als wir eintraten, nahmen wir einen furchtbaren Gestank wahr. Da haben wir gesehen, dass alle Tuberkulösen und Kranken dort waren. Es war Blut auf dem Boden, Leute spuckten, andere hatten Beine voller Wunden. „Meine Güte!“ Und niemand wurde behandelt, sondern sie wurden einfach da liegengelassen. Wenn Du morgens aufwachtest, war schon wieder jemand nicht mehr da, so war das dort.
Weil wir Italiener waren, wussten alle, dass wir von den Deutschen Verräter genannt und wie Verräter behandelt wurden. „Badoglio!“[2] Sie nannten uns Verräter, Badoglio, und alle anderen taten es ihnen nach... Dort gab es keine Befehle, es gab von morgens bis abends Stockschläge. Warum sie das taten? Weil wir irgendwann nicht mehr können würden. Wir hatten nicht einmal mehr die Kraft, nach Brot zu fragen oder nach dem bisschen, was sie uns gaben, oder es wurde uns gestohlen.
Wir waren 500 Leute, aber es gab nur 200 Mal Essgeschirr. Die ersten 200 Rasenden, die, die am stärksten waren, konnten sich etwas nehmen. Wir hatten weder Löffel noch irgendetwas anderes, es gab kein Wasser zum Spülen, nichts dergleichen. Der eine oder andere leckte mit seiner Zunge die Teller ab, mit den blutigen Zungen säuberten sie die Teller und warfen sie auf den Boden. Da mussten wir schnell machen, und auch unter uns mussten wir um das Geschirr kämpfen. Wenn du keins abbekamst, hattest du keins. Es war schrecklich. Das Schlimmste war, dass es auch unter uns zu Konkurrenz kam.
Wir wurden zum Arbeiten gebracht, und dort konntest du nicht mehr sagen, du würdest nicht arbeiten. Wir wurden immer bewacht, mit Stockhieben, da musstest du mitkommen. Wir mussten die Fahrzeuge wegräumen, die durch den Krieg beschädigt worden waren, von den Bomben. Von morgens bis abends mussten wir diese Arbeit tun. Von denen, die im Lager andere Arbeiten verrichten mussten, haben wir von Morden erfahren, die im Lager verübt wurden. Sie haben gesehen, wie Menschen umgebracht wurden, erschossen, erhängt oder in Gruben ertränkt wurden.

Wir waren 500 Leute in einer Baracke, die Baracken waren zweigeteilt. Männer und Frauen, es gab auch Frauen, verurteilte Frauen. Die Armen, sie waren noch viel schlechter dran als wir. Tagsüber mussten sie sowieso arbeiten, aber nachts mussten sie außerdem den deutschen Soldaten zur Verfügung stehen. Stell dir das mal vor, die Ärmsten! Wir hatten drei Tote in 45 Tagen, und weitere drei Tote sind in den Tagen nach der Befreiung gestorben, das italienische Heer hat später allen sechs die silberne Tapferkeitsmedaille verliehen.
45 Tage, dann kamen die Amerikaner und die Engländer, wir konnten Schüsse hören. Also erhielten die Deutschen den Befehl, alles wegzuschaffen oder zu zerstören. Man sollte nicht mehr sehen, dass es hier ein solches Lager gegeben hatte, also wurde alles zerstört und wir Italiener entlassen. Unterlüß war eine Abteilung von Bergen-Belsen und wurde als Vernichtungslager eingestuft. Es war der Ort mit den vielen Toten und der Ort unserer Qualen. Es war bekannt, alle wussten es...
Als wir am Morgen das Lager verließen, arbeiteten wir auf den Bahnhöfen, wir sollten ein- und ausladen. Und weißt du, was die Wachen taten? Sie gaben uns leere Benzinkanister und sagten: „Ihr müsst die Benzinkanister tragen.“ Wir nahmen zwei, in jede Hand einen. „Nein, ihr müsst vier tragen!“ Zwei in einer Hand konntest du aber nicht tragen, also musstest du ein Stück Stoff finden, um sie zu verbinden. So beladen ließen sie uns durch die ganze Stadt laufen, durch das Zentrum, um zu sagen: Das sind die italienischen Offiziere, die Badoglio, die Verräter, das sind sie... Wir wurden dem Spott ausgesetzt, und wer es wusste, spuckte...(...) Sie gaben dir Stockschläge, und du musstest still sein, denn wenn du nur eine falsche Bewegung machtest, würde es schlimmer werden, also ertrugst du es und basta.

Unterlüß wurde einfach geschlossen, sie bekamen den Befehl, und es gibt keine Dokumente darüber. Weder in der Schweiz noch in Arolsen[3] wussten sie etwas über die Existenz dieser Lager. Diese kleinen Lager waren von Leuten kommandiert worden, die im Krieg verletzt worden waren, die zum Beispiel ihr Bein verloren hatten oder ihr Augenlicht. Es waren Leute, die gegen uns waren und ihre Wut an uns ausließen, an all den armen Menschen, die dort waren.

Entlassungsschein der Gestapo vom 9.4.1945. Foto: privat. All rights reserved.

 

Was denken Sie heute über ihre Zeit als Gefangener?

Also ich muss sagen, dass es eine Erfahrung war, die mich reifer gemacht hat. Ich bin als Schüler und, sagen wir mal, Jungspund eingezogen worden und bin als Mann rausgekommen. Die Gefangenschaft hat aus mir einen Mann gemacht. Ich habe verstanden, was Leben heißt und Tod. Ich war dabei, habe ihn begleitet, verstehst du? Ich habe das echte Leben gesehen, vom Nullpunkt. Wir hatten nichts mehr, und wir haben uns irgendwie durchgeschlagen. Wir waren nicht so grausam, wie sie sagen. Wir waren Menschen, die reagieren mussten. Und wir haben unsere Würde behalten, gegenüber den Deutschen. Eine ganz bestimmte Würde, die haben wir behalten. Wir mussten zwar oft das von der Erde kratzen, was sie uns hinwarfen, wie es die Hunde oder Katzen machen, aber wir taten es, um zu überleben. Sandbostel war meine Universität, dort habe ich viele Leute kennengelernt, gute Menschen, die intelligent waren.

 

Haben Sie für ihre Zeit als Gefangener in Deutschland eine finanzielle Entschädigung bekommen?

Ob Deutschland mir Geld gegeben hat?
Ja, aber die Entschädigung war nicht für mich als Militär, sondern für mich als Häftling eines Vernichtungslagers. Ich wollte sie nicht nehmen. Ich wollte sie nicht, weil ich Deutschland bekämpft habe. Es ist nicht so, dass ich gearbeitet hätte und dafür Geld bekommen sollte. Ich habe das Geld der A.N.R.P.[4] gespendet, damit haben wir ein Buch gemacht, und mit dem Rest haben wir ein Forschungsstipendium für meine Frau bezahlt. Ich selbst habe nicht eine Lira davon gehabt.
Es ist ein wunderschönes Buch entstanden - die Gefangenschaft der Väter aus den Augen der Kinder. Es geht darum, wie die Kinder erfahren, verstanden und reflektiert haben, dass ihre Väter in Gefangenschaft waren. Es ist sehr interessant, aber wenig verbreitet. Es ist in unserem Umfeld geblieben, in Campobasso, weil es von dieser Region handelt, über die Gefangenen aus Molise. Es ist so interessant, weil es das erste Mal ist, dass nicht die Zeitzeugen sprechen, sondern ihre Nachfahren.

 

Wie ist Ihr Verhältnis zu Deutschland heute?

Sehr gut, ich schätze die Deutschen enorm, ich bewundere sie. Alle Deutschen, die ich getroffen habe, nach dem Krieg, waren gute Menschen. Sie waren in Ordnung, ernsthafte Menschen. Es war die Ernsthaftigkeit der Deutschen oder des deutschen Volkes, die mich berührt hat. Die Ernsthaftigkeit hat mich berührt, weil wir nicht ernst sind, wir sind Clowns. Man muss es kennen, um das zu verstehen. Je nördlicher man kommt, umso mehr siehst du den Unterschied. In Rom flegelt einer mit dem anderen rum, und je höher du kommst, desto weniger wird dann geredet, und es wird ruhiger....Und dann kommst du nach Deutschland, und natürlich, es ist das Höchste: Dort siehst du saubere Straßen, niemand wirft ein Papier auf die Straße, im Gegensatz dazu, bei uns.... Es gibt so viele Unterschiede. Ich bin der Meinung, dass die Deutschen so derart ernst sind und so im Guten herausragend sein können und im Schlechten genauso. In der Tat, sie haben sechs Millionen Juden umgebracht, ein anderes Volk hätte dies nicht tun können. Aber das taten sie, weil sie angepasst waren. Das Gefährliche an den Deutschen ist, dass sie sich anpassen.

 

Wollen Sie der Generation, die den Krieg nicht gesehen hat, etwas sagen?

Ja, das was ich immer sage, ich will nicht durch mein Leiden in Erinnerung bleiben, ich teile nicht alles, was in Büchern steht. In den Tagebüchern, in denen sie weinen, die Kälte, das Elend, die Kartoffeln... Das ist was Normales. Für jemanden, der in den Krieg geht, der Soldat wird, ist das normal, das ist stinknormal. An uns muss sich erinnert werden, weil wir Mut hatten, nicht in Italien, sondern in Deutschland, Nein zu sagen. Wir haben Nein gesagt in Deutschland, und das ist es, was sie über uns erzählen sollen. Das bedeutet moralische Integrität. Deshalb sollte man sich an uns erinnern, nicht wegen dem Leid. Das Leid vergeht, wer denkt jetzt noch an das Leid? Und betrüblicherweise können wir das Leiden nicht ungeschehen machen.

Das Interview mit Michele Montagano führte Sarah Mayr am 18. Juli 2014 in Meran, gedolmetscht hat Roberta Gibertoni.

 


[1] Italienische Elitehochschule in Pisa.
[2] Marschall Pietro Badoglio wurde vom italienischen König Viktor Emanuel III, im Sommer 1943 zum Ministerpräsidenten ernannt. Er führte Waffenstillstandsverhandlungen mit den Alliierten und leitete damit einen Seitenwechsel ein.
[3] Im deutschen Bad Arolsen befindet sich der Internationale Suchdienst
[4] Associazione Nazionale Reduci dalla Prigionia: Italienische Vereinigung der ehemaligen Militärinternierten.


 

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Michele Montagano
Wir haben Nein gesagt in Deutschland, und das ist es, was sie über uns erzählen sollen...

 



Michele Montagano. Foto: mit freundlicher Genehmigung: Sarah Mayr. All rights reserved.

 

Möchten Sie mir etwas aus Ihrem Leben vor dem Krieg erzählen?

Ich wurde am 27. Oktober 1921 geboren, in der Region Casacalenda, in Süditalien. Das Leben war beschwerlich. Es ging den Menschen schlecht, sehr schlecht. Ich war auf dem Gymnasium in Campobasso, es war ein Internat. Eigentlich habe ich nie gelernt, ich habe sehr wenig gelernt, ich bin immer durch Empfehlungen weitergekommen. Mein Vater war Lehrer, Grundschullehrer, und später ein respektierter Parteileiter der Faschisten. Ich war ein Papasöhnchen, und so ging es mir später ähnlich. In der Schule und zu Hause war die Atmosphäre faschistisch. Mein Vater war bereits im Ersten Weltkrieg gewesen, kam nach Italien zurück und wurde von den Sozialisten und Kommunisten bekämpft, weil er Nationalist war. Und so bin ich in einem faschistischen Umfeld groß geworden, also war auch ich Faschist, bevor ich zur Armee ging. Nicht richtig Faschist, eher Mussolini-Aanhänger - ich bewunderte ihn. Ich wurde von so etwas angezogen. Ich wusste nicht, was Faschismus philosophisch bedeutete, aber als ich Mussolini auf seinem Balkon sah, war er für mich wie ein Gott, der Gottvater. So bin ich groß geworden.

Als ich dann im Krieg war, habe ich verstanden, dass alles nur ein großer Bluff war. Italien war überhaupt nicht auf einen Krieg vorbereitet. Als Mussolini den Krieg erklärte, waren wir begeistert, das muss man zugeben. Die Antifaschisten waren es nicht, aber von ihnen gab es nur sehr wenige. Die große Masse war faschistisch. Wir sind in den Krieg eingetreten und glaubten, wir könnten sonst was erreichen, so voller Enthusiasmus. Wir hatten einfach einen Herrscher. All die verhängnisvollen Lügen aus Rom, all diese schönen Worte Mussolinis, die wir einfach so glaubten. Wir waren Dummerjane.

Michele Montagano (rechts), 1942. Foto: privat. All rights reserved.

Michele Montagano (rechts), 1942. Foto: privat. All rights reserved.

Ich kam nach Jugoslawien, nach Slowenien. Ich war zwischen Gorizia und Ljubljana, dort habe ich gedient. Ich kämpfte gegen die Partisanen von Tito. Wir haben einen heimtückischen Krieg geführt, einen schrecklichen Krieg. Es gab einen Feind von vorne, der Feind konnte aber auch hinter dir sein. Du wusstest es nicht, man stand unter durchgehender Anspannung.

Wann sind Sie von den Deutschen verhaftet worden?

Am 8. September 1943. Die Deutschen waren schon nach wenigen Tagen auf unseren Rückzug vorbereitet, nahmen alle strategisch wichtigen Standorte ein und hatten alle Italiener, in Italien ebenso wie außerhalb, in Gefangenschaft genommen. Sie nahmen uns fest und brachten uns nach Villa Opicina. Jedem Einzelnen von uns haben sie die gleiche Frage gestellt: „Willst du mit uns kollaborieren oder bist du gegen uns?“ Der größte Teil hat geantwortet: „Nein, wir wollen nicht kollaborieren, wir sind das italienische Heer und haben mit euch nichts gemein.“ Sie steckten uns in Viehwaggons und brachten uns nach Norden. Und so haben sie uns gekriegt. Viele Leute dachten, sie würden uns in den Zügen zurück nach Italien bringen. Die Deutschen haben uns oft getäuscht.

Wie war der Transport?

Von Triest wurde ich nach Thorn, südlich von Danzig, gebracht. Die Reise war furchtbar. Wir wurden in Viehwaggons eingesperrt - wenn sie einmal zu waren, hast du nichts mehr gesehen. Sie ließen uns 24 Stunden lang eingeschlossen, nur morgens um vier Uhr öffneten sie kurz die Türen und sagten: „Abort“, damit wir das Nötigste verrichten konnten. Wir waren 40 bis 50 Personen in einem Waggon, in jedem Wagen gab es eine kleine Schüssel, die nach einer Stunde schon voll war. Nach zwei Stunden floss Sie über. Stell dir vor wie die, die direkt daneben standen, leiden mussten. Es begannen die ersten Fröste, ohne Essen, ohne Trinken, es war Folter. Wir konnten uns nicht alle hinsetzen, weil der Waggon zu klein war. Also du musst dir 40 Menschen vorstellen, die Hälfte musste stehen, und die andere Hälfte konnte sich etwas mehr ausbreiten.

Und die, die sich etwas ausbreiten konnten, wollten ihre Plätze nicht aufgeben, und so kam es auch zu Streit zwischen uns. Es dauerte acht oder neun Tage, um in Thorn, in Polen, anzukommen, weil die Züge nicht direkt fuhren, sie mussten die normalen Züge durchlassen. Sie stellten uns so lange auf ein totes Gleis, und wir mussten warten, Stunde um Stunde. Du wusstest nicht, wo du bist, wo du hinfährst... Psychologisch warst du völlig aufgeschmissen, du hast den Orientierungssinn verloren, das Bewusstsein, wo du bist, oder nicht bist... Die Reisen waren das Bestialischste in all der Gefangenschaft... Der Zustand des Eingesperrtseins hatte bei vielen Rückkehrern Klaustrophobie zur Folge, sie konnten keine Aufzüge mehr benutzen. Das ist etwas Furchtbares, Entsetzliches.

Wo sind Sie angekommen?

In Thorn, dann bin ich nach Czestochowa gekommen. Von dort wurde ich in die Ukraine nach Tarnopol gebracht. Als aber die Russen näher rückten im Dezember 1943 transportierten sie mich wieder nach Polen. Von dort wurde ich nach Sielce gebracht. Dort fand ich in einem faschistischen Magazin den Namen Michele Montagano. Es war eine Suchanfrage von meinem Vater, aus einem Lager, das sich Biala Podlaska nannte. Sofort bin ich zum Kommandanten und habe ihn gefragt: „Lass uns mit den Deutschen reden, dass sie mich in das Lager schicken, in dem mein Vater ist!“ und die Deutschen haben Ja gesagt. Nach einigen Tagen brachten sie mich in das Lager, in dem mein Vater war. Es war das Zweiglager von Sielce und hatte den gleichen Kommandanten aus Biala Podlaska, nur 20 km entfernt. Als ich ankam, sah ich, dass 96 % der Offiziere übergetreten waren. Sie waren verängstigt, einer war tot, zwei oder drei starben an Krankheiten, an Tuberkulose. Sie hatten schreckliche Angst vor dem Lagerkommandanten.

Die Gefängniskapläne, die Ärzte und alle anderen hatten unterschrieben überzulaufen. Unter den Unterzeichnern war sogar mein Vater, er war gealtert, er hatte schon den anderen Krieg erlebt. Was hätte er tun sollen? Alle hatten unterzeichnet. Also auch er. Da habe ich verstanden, warum der Kommandant so schnell Ja gesagt hatte: Weil mein Vater es auch getan hatte. Aber als ich meinen Vater dann traf, sagte ich: „Ich mache mein Leben, und du deins.“

Ich habe mich für die Deutschen nicht einen Millimeter bewegt. Wir trennten uns, und ich verbrachte meine Tage ohne ihn. Ich war im Lager mit den Partisanen und Republikanhängern, er mit den Faschisten. Wir mussten jeden Tag zusehen, wie sie behandelt wurden. Sie haben besser gegessen, fast wie die deutschen Soldaten, es ging ihnen gut. Ich hatte mich in den 24 Tagen, in denen ich bei meinem Vater war, gesundheitlich etwas erholt, denn natürlich hat er mir von seinem Essen etwas abgegeben. Aber als ich von meinem Vater getrennt wurde, teilte ich ihm mit, dass ich für die Deutschen keinen Finger krumm machen würde. Ob wir uns wiedersehen würden? Ich hatte eher das Gefühl, wir würden uns nicht wiedersehen... Ich kam von Biala Podalska nach Sandbostel, das war im Februar 1944.

Wie war die Situation in Sandbostel?

Sandbostel war meine Universität. Ich hatte mich in Rom eingeschrieben, war dann zur Armee gegangen und hatte keinen Abschluss. Aber in Sandbostel habe ich Professoren von der Universität getroffen - ich habe bei ihnen viele Lektionen in Zivilrecht und Strafrecht gemacht. Ich habe dort nicht nur studiert, sondern bin dort auch erwachsener geworden. Als ich eingezogen wurde, war ich Student, immer noch Student und halber Faschist. Und dann, in Sandbostel, traf ich zum Beispiel Natta. Er war ein richtiger Kommunist, kam von der Scuola Normale Superiore in Pisa[1], ein wirklich außerordentlicher Geist. Er wurde später Chef der kommunistischen Partei. Sechs Monate verbrachten wir zusammen, er schlief über mir. All diese Leute dort waren vielleicht drei oder vier Jahre älter als ich, aber sie hatten diese herausragende Schule besucht, und so waren sie vorbereitet. Ich habe viel von ihnen gelernt. Ich war zutiefst überzeugt, Widerstand zu leisten. Ich würde eher sterben, als den Deutschen zu helfen.

Wollen Sie mir etwas aus Sandbostel erzählen? Wie wurden Sie ernährt, wie war die Situation der Kranken und hatten Sie Kontakt zu den anderen Gefangen?

In Sandbostel waren auch Gefangene aus anderen Nationen. Wir haben gesehen, dass wir zum Beispiel besser behandelt wurden als die Russen. Die anderen Gefangenen wiederum wurden besser behandelt als wir - sie hatten Versorgungspakete vom Roten Kreuz, sie waren Kriegsgefangene, Punkt. Wir wurden nicht als Kriegsgefangene gezählt, sondern als Häftlinge, also waren wir nicht unter dem Schutz des Roten Kreuzes. Ich bekam nur das, was die Deutschen mir gaben, meine Ration. Sieben bis acht Gramm Fleisch, irgendwelche Stückchen in Spülwasser, ein mieser Fraß. Dann gab es sechs bis sieben Kartoffeln, 25 Gramm Margarine, manchmal etwas Zucker. Ab und zu gab es Käse, aber der war abgelaufen und stank so fürchterlich, dass wir dachten, sie wollten uns damit foltern, damit wir eines Tages übertreten würden.
Sehr viele waren krank, wir wurden einmal unter Quarantäne gestellt. Die Deutschen ließen niemanden mehr raus oder rein, weil Fleckfieber grassierte. So waren wir einige Monate unter uns, und es gab, Gott sei Dank, keine Appelle mehr. Sie ließen uns in Ruhe. Wir mussten nichts tun, außer unser Essen entgegenzunehmen. In dieser Zeit bauten die Techniker unter uns ein Radio, wir empfingen die berühmte Radiowelle Catarina, und so haben wir von der Invasion in der Normandie gehört. In unserer Nähe gab es einen kleinen Teich, dort ließen wir dann kleine gebastelte Boote auf das Wasser, um den Deutschen klar zu machen, dass wir von der Invasion wussten...

Es gab auch Todesfälle in Sandbostel. An einem Tag, neben meiner Baracke, kam ein armer Mann, ein Leutnant, der seine Unterhose und andere Sachen gewaschen hatte, zu nah an den Stacheldraht, um sie zu trocknen. Die Wache hat das gesehen, ihn geschnappt und erschossen. Dafür bekam der Schütze sogar eine Prämie. Er wurde nach Hause geschickt, um dann wieder zurück in den Dienst zu kommen. Das war ein außergewöhnlicher Tod, der nicht hätte sein müssen. Warum einen Menschen ermorden, der seine Unterhosen wäscht? Es gab auch diese Art von Tod, dort...
Im Juli 1944 erließ Mussolini ein Gesetz, dass u.a. aus den Internierten Zivilisten machte, und so sagten sich viele: „Die Arbeit ist jetzt sowieso obligatorisch, und wenn wir uns weigern, wer weiß, wo sie uns dann hinbringen?“ Und sie meldeten sich und sagten: „Ich bin Tierarzt, ich möchte auf's Land!“ Oder „Ich bin Bauer! Ich gehe dorthin.“ „Ich bin Barbier, ich gehe Bärte schneiden.“ Jeder Blödsinn wurde erzählt, nur um rauszukommen. Draußen konnte man an etwas mehr Essen kommen. Die Deutschen hatten nicht mehr genug Männer, die arbeiten konnten, sie waren alle an der Front. Deutschland wurde gestürmt, alle stellten sich gegen den Feind, zurück blieben nur die Jugendlichen. Demzufolge gab es keine Arbeiter mehr auf dem Land, und auch wir Offiziere mussten arbeiten.
Ganz zum Schluss blieben wir mit drei- oder viertausend Mann übrig. Sie brachten mich von Sandbostel nach Wietzendorf in ein Lager (Stalag X D), etwas weiter südlich. Wietzendorf war ein Verteilungslager zur Zwangsarbeit. Ich wurde in ein Flughafenlager geschickt, ich sollte mauern. Sie gaben uns Schubkarren, Pickel und Schaufeln. Wir kamen morgens an und haben nur die Arme verschränkt, wir haben uns fünf Tage lang geweigert zu arbeiten. Der Kommandant des Lagers, der seinen Flughafen in Ordnung bringen musste, sagte zu uns: „So Kinder, jetzt kommt gleich die Gestapo und für euch ist es vorbei.“ Die Gestapo kam. Sie haben uns alle in eine Reihe gestellt und haben mit der Dezimierung begonnen. Sie riefen Namen auf, und die Personen traten nach vorne. 21 von 214. Sie nahmen diese 21 Offiziere und sagten: „Die hier werdet ihr nicht wiedersehen!“ Daraufhin traten einige, einer nach dem anderen, vor. Wir traten hervor und sagten: „Wir möchten die Plätze der Dezimierten übernehmen.“ - Völlig verrückt! - Der von der Gestapo stand da und machte nichts weiter, womit er uns zu verstehen gab: „Gut, ich sollte 21 nehmen, dann nehme ich jetzt eben 44, bitteschön.“
Die vorherigen Dezimierten gingen zurück in die Reihe, und wir wurden an die Wand gestellt. Sie ließen uns fünf, sechs Stunden an der Mauer stehen, in Erwartung der Dezimierung, der Erschießung. Das war wirklich eine hässliche Szene. Ich stand da, ich war jung, hatte mich sowieso schon von meinem Vater verabschiedet - das war erledigt. Ich malte mir mit etwas Blut ein „Viva l' Italia“ auf die Brust. Ich war verrückt. Neben mir waren andere, sie waren schon 30 oder 32 Jahre alt und hatten Familie, Frauen und Kinder. Sie holten die Fotos raus, küssten sie und weinten. Einer begann rumzulaufen wie ein Verrückter, auf und ab. Einer nahm seinen Kopf in die Hände, er weinte nicht, er tat nichts, aber du konntest sehen, dass er völlig aufgelöst war...eine hässliche Szene.
Ich war eigentlich ganz ruhig. Am Abend, während der Dämmerung, erreichte uns der Gegenbefehl: Wir wurden zu lebenslanger Haft verurteilt. Sie packten uns in einen Lkw und brachten uns nach Unterlüß in ein berühmtes Lager, ein „Arbeitsumerziehungslager“.


Wo ist Unterlüß?

Es ist in der Nähe von Wietzendorf, immer in der gleichen Gegend. Bei Celle, etwas südlicher. Wir kamen in dieses Lager, es war ein Lager der Gestapo, von der SS geführt, nicht von den Soldaten. Von der SS, also stell dir vor, welche Art von „Rücksäuberung“ (Umerziehung) dort stattfinden sollte. Als wir am Eingang ankamen, mussten wir an zwei mit einem Stock bewaffneten Typen vorbei. Einer gab Kopfnüsse, Stockhiebe, Faustschläge. Du fielst zu Boden, und auch da droschen sie auf dich ein. Endlich durftest du weitergehen, dann ein Bellen hinter dir, und alles begann von vorne. Danach haben sie uns im Kreis aufgestellt, wie man es mit Pferden in der Manege tut, und haben gebrüllt: „Rennt!“ Im Inneren stand ein Marschall der SS, der seinen Spaß daran hatte, jedem, der anhielt, vor die Füße zu schießen, so dass derjenige sich wieder aufraffte und weiterlief. Es dauerte so zwei bis drei Stunden und war maßlos, wir konnten nicht mehr. Als es dunkel war, konnten wir endlich in die Baracke.
Als wir eintraten, nahmen wir einen furchtbaren Gestank wahr. Da haben wir gesehen, dass alle Tuberkulösen und Kranken dort waren. Es war Blut auf dem Boden, Leute spuckten, andere hatten Beine voller Wunden. „Meine Güte!“ Und niemand wurde behandelt, sondern sie wurden einfach da liegengelassen. Wenn Du morgens aufwachtest, war schon wieder jemand nicht mehr da, so war das dort.
Weil wir Italiener waren, wussten alle, dass wir von den Deutschen Verräter genannt und wie Verräter behandelt wurden. „Badoglio!“[2] Sie nannten uns Verräter, Badoglio, und alle anderen taten es ihnen nach... Dort gab es keine Befehle, es gab von morgens bis abends Stockschläge. Warum sie das taten? Weil wir irgendwann nicht mehr können würden. Wir hatten nicht einmal mehr die Kraft, nach Brot zu fragen oder nach dem bisschen, was sie uns gaben, oder es wurde uns gestohlen.
Wir waren 500 Leute, aber es gab nur 200 Mal Essgeschirr. Die ersten 200 Rasenden, die, die am stärksten waren, konnten sich etwas nehmen. Wir hatten weder Löffel noch irgendetwas anderes, es gab kein Wasser zum Spülen, nichts dergleichen. Der eine oder andere leckte mit seiner Zunge die Teller ab, mit den blutigen Zungen säuberten sie die Teller und warfen sie auf den Boden. Da mussten wir schnell machen, und auch unter uns mussten wir um das Geschirr kämpfen. Wenn du keins abbekamst, hattest du keins. Es war schrecklich. Das Schlimmste war, dass es auch unter uns zu Konkurrenz kam.
Wir wurden zum Arbeiten gebracht, und dort konntest du nicht mehr sagen, du würdest nicht arbeiten. Wir wurden immer bewacht, mit Stockhieben, da musstest du mitkommen. Wir mussten die Fahrzeuge wegräumen, die durch den Krieg beschädigt worden waren, von den Bomben. Von morgens bis abends mussten wir diese Arbeit tun. Von denen, die im Lager andere Arbeiten verrichten mussten, haben wir von Morden erfahren, die im Lager verübt wurden. Sie haben gesehen, wie Menschen umgebracht wurden, erschossen, erhängt oder in Gruben ertränkt wurden.

Wir waren 500 Leute in einer Baracke, die Baracken waren zweigeteilt. Männer und Frauen, es gab auch Frauen, verurteilte Frauen. Die Armen, sie waren noch viel schlechter dran als wir. Tagsüber mussten sie sowieso arbeiten, aber nachts mussten sie außerdem den deutschen Soldaten zur Verfügung stehen. Stell dir das mal vor, die Ärmsten! Wir hatten drei Tote in 45 Tagen, und weitere drei Tote sind in den Tagen nach der Befreiung gestorben, das italienische Heer hat später allen sechs die silberne Tapferkeitsmedaille verliehen.
45 Tage, dann kamen die Amerikaner und die Engländer, wir konnten Schüsse hören. Also erhielten die Deutschen den Befehl, alles wegzuschaffen oder zu zerstören. Man sollte nicht mehr sehen, dass es hier ein solches Lager gegeben hatte, also wurde alles zerstört und wir Italiener entlassen. Unterlüß war eine Abteilung von Bergen-Belsen und wurde als Vernichtungslager eingestuft. Es war der Ort mit den vielen Toten und der Ort unserer Qualen. Es war bekannt, alle wussten es...
Als wir am Morgen das Lager verließen, arbeiteten wir auf den Bahnhöfen, wir sollten ein- und ausladen. Und weißt du, was die Wachen taten? Sie gaben uns leere Benzinkanister und sagten: „Ihr müsst die Benzinkanister tragen.“ Wir nahmen zwei, in jede Hand einen. „Nein, ihr müsst vier tragen!“ Zwei in einer Hand konntest du aber nicht tragen, also musstest du ein Stück Stoff finden, um sie zu verbinden. So beladen ließen sie uns durch die ganze Stadt laufen, durch das Zentrum, um zu sagen: Das sind die italienischen Offiziere, die Badoglio, die Verräter, das sind sie... Wir wurden dem Spott ausgesetzt, und wer es wusste, spuckte...(...) Sie gaben dir Stockschläge, und du musstest still sein, denn wenn du nur eine falsche Bewegung machtest, würde es schlimmer werden, also ertrugst du es und basta.

Unterlüß wurde einfach geschlossen, sie bekamen den Befehl, und es gibt keine Dokumente darüber. Weder in der Schweiz noch in Arolsen[3] wussten sie etwas über die Existenz dieser Lager. Diese kleinen Lager waren von Leuten kommandiert worden, die im Krieg verletzt worden waren, die zum Beispiel ihr Bein verloren hatten oder ihr Augenlicht. Es waren Leute, die gegen uns waren und ihre Wut an uns ausließen, an all den armen Menschen, die dort waren.

Entlassungsschein der Gestapo vom 9.4.1945. Foto: privat. All rights reserved.

Entlassungsschein der Gestapo vom 9.4.1945. Foto: privat. All rights reserved.

 

Was denken Sie heute über ihre Zeit als Gefangener?

Also ich muss sagen, dass es eine Erfahrung war, die mich reifer gemacht hat. Ich bin als Schüler und, sagen wir mal, Jungspund eingezogen worden und bin als Mann rausgekommen. Die Gefangenschaft hat aus mir einen Mann gemacht. Ich habe verstanden, was Leben heißt und Tod. Ich war dabei, habe ihn begleitet, verstehst du? Ich habe das echte Leben gesehen, vom Nullpunkt. Wir hatten nichts mehr, und wir haben uns irgendwie durchgeschlagen. Wir waren nicht so grausam, wie sie sagen. Wir waren Menschen, die reagieren mussten. Und wir haben unsere Würde behalten, gegenüber den Deutschen. Eine ganz bestimmte Würde, die haben wir behalten. Wir mussten zwar oft das von der Erde kratzen, was sie uns hinwarfen, wie es die Hunde oder Katzen machen, aber wir taten es, um zu überleben. Sandbostel war meine Universität, dort habe ich viele Leute kennengelernt, gute Menschen, die intelligent waren.

Haben Sie für ihre Zeit als Gefangener in Deutschland eine finanzielle Entschädigung bekommen?

Ob Deutschland mir Geld gegeben hat?
Ja, aber die Entschädigung war nicht für mich als Militär, sondern für mich als Häftling eines Vernichtungslagers. Ich wollte sie nicht nehmen. Ich wollte sie nicht, weil ich Deutschland bekämpft habe. Es ist nicht so, dass ich gearbeitet hätte und dafür Geld bekommen sollte. Ich habe das Geld der A.N.R.P.[4] gespendet, damit haben wir ein Buch gemacht, und mit dem Rest haben wir ein Forschungsstipendium für meine Frau bezahlt. Ich selbst habe nicht eine Lira davon gehabt.
Es ist ein wunderschönes Buch entstanden - die Gefangenschaft der Väter aus den Augen der Kinder. Es geht darum, wie die Kinder erfahren, verstanden und reflektiert haben, dass ihre Väter in Gefangenschaft waren. Es ist sehr interessant, aber wenig verbreitet. Es ist in unserem Umfeld geblieben, in Campobasso, weil es von dieser Region handelt, über die Gefangenen aus Molise. Es ist so interessant, weil es das erste Mal ist, dass nicht die Zeitzeugen sprechen, sondern ihre Nachfahren.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Deutschland heute?

Sehr gut, ich schätze die Deutschen enorm, ich bewundere sie. Alle Deutschen, die ich getroffen habe, nach dem Krieg, waren gute Menschen. Sie waren in Ordnung, ernsthafte Menschen. Es war die Ernsthaftigkeit der Deutschen oder des deutschen Volkes, die mich berührt hat. Die Ernsthaftigkeit hat mich berührt, weil wir nicht ernst sind, wir sind Clowns. Man muss es kennen, um das zu verstehen. Je nördlicher man kommt, umso mehr siehst du den Unterschied. In Rom flegelt einer mit dem anderen rum, und je höher du kommst, desto weniger wird dann geredet, und es wird ruhiger....Und dann kommst du nach Deutschland, und natürlich, es ist das Höchste: Dort siehst du saubere Straßen, niemand wirft ein Papier auf die Straße, im Gegensatz dazu, bei uns.... Es gibt so viele Unterschiede. Ich bin der Meinung, dass die Deutschen so derart ernst sind und so im Guten herausragend sein können und im Schlechten genauso. In der Tat, sie haben sechs Millionen Juden umgebracht, ein anderes Volk hätte dies nicht tun können. Aber das taten sie, weil sie angepasst waren. Das Gefährliche an den Deutschen ist, dass sie sich anpassen.

Wollen Sie der Generation, die den Krieg nicht gesehen hat, etwas sagen?

Ja, das was ich immer sage, ich will nicht durch mein Leiden in Erinnerung bleiben, ich teile nicht alles, was in Büchern steht. In den Tagebüchern, in denen sie weinen, die Kälte, das Elend, die Kartoffeln... Das ist was Normales. Für jemanden, der in den Krieg geht, der Soldat wird, ist das normal, das ist stinknormal. An uns muss sich erinnert werden, weil wir Mut hatten, nicht in Italien, sondern in Deutschland, Nein zu sagen. Wir haben Nein gesagt in Deutschland, und das ist es, was sie über uns erzählen sollen. Das bedeutet moralische Integrität. Deshalb sollte man sich an uns erinnern, nicht wegen dem Leid. Das Leid vergeht, wer denkt jetzt noch an das Leid? Und betrüblicherweise können wir das Leiden nicht ungeschehen machen.

 

Das Interview mit Michele Montagano führte Sarah Mayr am 18. Juli 2014 in Meran, gedolmetscht hat Roberta Gibertoni.

 

 

[1] Italienische Elitehochschule in Pisa.
[2] Marschall Pietro Badoglio wurde vom italienischen König Viktor Emanuel III, im Sommer 1943 zum Ministerpräsidenten ernannt. Er führte Waffenstillstandsverhandlungen mit den Alliierten und leitete damit einen Seitenwechsel ein.
[3] Im deutschen Bad Arolsen befindet sich der Internationale Suchdienst
[4] Associazione Nazionale Reduci dalla Prigionia: Italienische Vereinigung der ehemaligen Militärinternierten.


 

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Michele Montagano

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* 1921 in Italien

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