Eine Art „Tag der offenen Tür“

Lilith Buddensiek ist auf dem Historikertag Teilnehmerin des Doktorandenforums mit dem Beitrag „Freiheit für meine Akte!“ Private Einsicht in die Stasiunterlagen als Mittel der Diktaturaufarbeitung.

 

ZOL: Wofür brauchen wir heute noch den Historikertag?

Buddensiek: Forschenden bietet der Historikertag die Gelegenheit eigene Ergebnisse zu präsentieren und von einem breit aufgestellten Fachpublikum diskutieren zu lassen. Dabei spielt der Aspekt des „Networkings“ mit Sicherheit eine bedeutende und – angesichts der aktuellen Entwicklung des Wissenschaftsbetriebs – stetig wachsende Rolle. Zugleich ist der Historikertag eine Art „Tag der offenen Tür“, bei dem sich wissenschafts- bzw. fachfremdes Publikum (darunter Schüler, Lehrer, Journalisten u.a.) einen Eindruck davon verschaffen kann, „was Geschichtswissenschaftler eigentlich so machen“. Dieser Bereich könnte bei der Organisation und Durchführung des Historikertages aber sicherlich noch stärker berücksichtigt werden.

 

ZOL: Ist die Institution „Historikertag“ heute noch zeitgemäß?

Buddensiek: Der Typus „kauziger Geschichtsprofessor“ scheint im Aussterben begriffen. Wer heute als Wissenschaftler erfolgreich sein möchte, muss neben den klassischen Tätigkeiten des Forschens und Lehrens zunehmend auch managen, verkaufen, „networken“ können. Für die letzten beiden Aspekte bietet der Historikertag die optimale Plattform und ist damit – zumindest in dieser Hinsicht – wohl so „zeitgemäß“ wie nie.

 

ZOL: Was sagt die Teilnahme am Historikertag über die Arbeit des Historikers aus?

Buddensiek: Im Zweifel: dass dem jeweiligen Historiker daran gelegen ist, die Ergebnisse seiner Arbeit zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen – sei es, weil er sich daraus gedanklichen Fortschritt erhofft, sei es, weil er auf die sich daraus ergebenden Kontakte angewiesen ist. (Nicht umsonst besteht die überwiegende Mehrheit der aktiven Historikertagsteilnehmer aus Angehörigen des sog. „Mittelbaus“.)

 

ZOL: Wie sinnvoll ist der Historikertag für die wissenschaftliche Arbeit der Geschichtswissenschaften?

Buddensiek: Das Forschen ist eine recht einsame Tätigkeit. Foren wie der Historikertag wirken motivierend, da sie die Möglichkeit bieten, Ergebnisse zu präsentieren und von einer (vergleichsweise) breiten Öffentlichkeit diskutieren zu lassen. Aus der Diskussion – wie auch aus den Vorträgen anderer –, können Impulse hervorgehen, die die eigene Forschung weiter voranbringen. Darüber hinaus können neu geknüpfte Kontakte zu weitergehendem Austausch führen und/oder neue Projekte hervorbringen.

 

ZOL: Das Thema des diesjährigen Historikertages lautet „Gespaltene Gesellschaften“. Wie interpretieren Sie dieses Thema?

Buddensiek: Homogene Gesellschaften gibt es nicht und hat es nie gegeben. Versuche, ethnische, religiöse und/oder soziale Ungleichheiten via Zwang zu beseitigen, sind allesamt ebenso grandios wie katastrophal gescheitert (man denke an die zahlreichen ethnischen, religiösen und/oder politischen „Säuberungen“ des 20. Jahrhunderts und die Zwangskollektivierungen der Stalinisten). Dass sich die (Dist)Utopie einer gleich(geschaltet)en Gesellschaft in der „westlichen“ Hemisphäre und darüber hinaus erneut wachsender Popularität erfreut, muss vor diesem Hintergrund ebenso verwundern wie erschrecken. Die Geschichtswissenschaft hat in dieser Situation nicht nur als „Auffrischer“ des kollektiven Gedächtnisses und/oder Korrektiv falscher Vergangenheitsvorstellungen wirksam zu werden; sie kann auch Beispiele eines konstruktiven Umgangs mit Vielfalt anführen und so Alternativen zu „Spaltungen“ und den damit einhergehenden Rufen nach Ab- und Ausgrenzung aufzeigen.

 

ZOL: Inwieweit haben Sie am historischen Lehrstuhl der Westfälischen Wilhelms-Universität die Vorbereitungen auf den Historikertag mitbekommen?

Buddensiek: Mitbekommen habe ich vor allem die vielen ausufernden „To-do“-Listen an der Pinnwand Markus Goldbecks, der als Teil des Ortskomitees für sämtliche organisatorische Fragen rund um den Historikertag zuständig ist. Ansonsten war (und ist) der Historikertag natürlich auch bei allen inhaltlich Beitragenden Thema – etwa bei Christoph Lorke, der als Vortragender wie Moderator in gleich mehreren Panels vertreten ist.

 

ZOL: Ist Münster als Studentenstadt geeignet als Austragungsort des Historikertages?

Buddensiek: Als Kleinstadt bietet Münster seinen Besuchern den Komfort des schnellen Orientierens, der kurzen Wege und des leichten Zusammenfindens. Zugleich gibt es in der Stadt – nicht zuletzt dank der vielen Studenten – eine sehr lebhafte Kaffee- und Ausgehkultur, die ein attraktives Parallel- und Abendprogramm garantiert. Thematisch bietet sich Münster aufgrund seiner eigenen Geschichtsträchtigkeit an (auf die seine Bewohner sehr stolz sind und von der sie, auf Nachfrage, gerne und ausführlich erzählen); mit Blick auf die Uni zudem als Standort des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ und des Sonderforschungsbereichs „Kulturen des Entscheidens“.

 

ZOL: Bekommt der Nachwuchs genügend Raum auf dem Historikertag?

Buddensiek: Soweit ich das überblicken kann: ja. Das Doktorandenforum und der damit im Zusammenhang stehende Posterwettbewerb bieten Promovenden die Gelegenheit, ihr eigenes Forschungsvorhaben – unabhängig von dessen jeweiligem Stand – zu präsentieren; in Werkstattgesprächen und Informationsveranstaltungen soll, laut Programm, speziell auf die Bedürfnisse von „Docs“ und „Postdocs“ eingegangen werden, eine „Meet´n´Greet Lounge“ dem gegenseitigen Kennenlernen sowie dem Austausch „in entspannter Atmosphäre“ dienen.

 

ZOL: Wie sinnvoll finden Sie das Doktorandenforum und den Poster-Wettbewerb? Und wie sind Sie mit der unkonventionellen Präsentationsform ihres Themas zurechtgekommen?

Buddensiek: Im Werkzeugkoffer des Geisteswissenschaftlers befindet sich ein ausladendes Fach für Worthülsen, dessen Inhalt vor allem dort zum Einsatz kommt, wo es in realiter (noch) nicht viel zu sagen gibt. Der Posterwettbewerb setzt erfrischend andere Prioritäten: Statt (verbaler) Komplexität zählen Anschaulichkeit und, nicht zuletzt: Reduktion.

Mir selbst haben der Plakatentwurf und dessen anschließende Umsetzung viel Spaß gemacht, auch wenn sich letztere, mangels passenden Bildmaterials, als umständlicher erwiesen hat, als erwartet.

 

ZOL: Welche Erwartungen haben Sie an den kommenden Historikertag? Gibt es etwas, worauf Sie sich jedes Mal freuen (oder auch nicht)?

Buddensiek: Leider bin ich in diesem Jahr andernorts stark eingebunden, sodass ich nicht mehr ganz so hemmungslos „stöbern“ kann, wie beim letzten Historikertag. Den ein oder anderen Vortrag werde ich mir dennoch anhören. Wie sonst auch werde ich es dabei besonders genießen, in jene Bereiche der „Zeitgeschichte“ hineinzuschnuppern, mit denen ich im meinem eigenen (Forschungs)Alltag nur wenig zu tun habe.

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