Als „Gedächtnismaschine“ (Leif Kramp) prägt das Fernsehen nicht nur die Wahrnehmung und Interpretation tagesaktueller Momente, sondern auch die Erinnerungskultur einer (zuschauenden) Gesellschaft und ihre Perzeption der Historie. Dies gilt auch für Ostdeutschland und seine DDR-Vergangenheit. Doch deren fernseh-mediale Repräsentation steht seit Jahrzehnten in der Kritik. War zunächst von „Kolonisierung“ des ostdeutschen Fernsehbetriebs und einem willentlich herbeigeführten Identitätsverlust auf den Heim-Bildschirmen die Rede, wurden später überregionale Sender mit dem Vorwurf konfrontiert, Ostdeutschland in ihren Programmen vernachlässigt zu haben. Dieser Tadel untermauerte die seit 1990 von verschiedenen Seiten beständig vorgetragene These, weder die gegenwärtige Befindlichkeit der Ostdeutschen noch ihre Geschichte finde ausreichend Beachtung in der Öffentlichkeit der bundesdeutschen Vereinigungsgesellschaft.
Dass für den Fernsehbereich eine solche Einschätzung nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, legen einzelne Studien nahe. Dennoch ist vor einer Überspitzung zu warnen. Viel hängt von der Perspektive ab, denn man kann es auch so sehen: Mit der Auflösung des Deutschen Fernsehfunks (DFF) 1991 und der nachfolgenden Gründung Dritter Programme, widmeten sich nun drei Sender den ostdeutschen Belangen (nämlich der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg (ORB) für Brandenburg und der Norddeutsche Rundfunk (NDR) für Mecklenburg-Vorpommern). Und häufiger noch als vor 1990 berichteten westdeutsche Programme über Ostdeutschland. In erster Linie aber, übersehen die Kritiker die Vielschichtigkeit dessen, was die DDR vor und hinter der Kamera der bundesdeutschen Fernsehwelt hinterließ, sei es in Form von Institutionen, Medienmenschen und -formaten, journalistischer Praxis, Zuschauerverhalten oder auch als Programmgegenstand und historische Referenzquelle selbst.
So war das Fernsehen nicht nur eine Stätte der Gedächtnisproduktion, sondern als Institution selbst ein Personalverband mit Vergangenheitsprägung, etwas, das gerade in und nach gesellschaftlichen Umbruchzeiten virulent wurde. Rückblickend offenbart sich ein hybrides, mehrdimensionales Zusammenspiel von Einflussgrößen, Zeitkonstellationen und Bildkräften. Zusammengenommen bildet es das fernseh-mediale Nachleben (oder auch Erbe) der DDR und ist in der Summe umfangreicher als bislang angenommen. Drei Zugriffe sollen dies veranschaulichen: die DDR-Zeit erstens als personelle und konzeptionelle Bezugsquelle, zweitens als individuell-journalistischer Erfahrungshorizont und drittens als Erinnerungssujet.
Ost-Personal auf Sendung
Dass bereits 1991 von einer „Kolonisierung“ des ostdeutschen Fernsehens gesprochen wurde, hing nicht nur mit dem rigiden Agieren des eingesetzten bayerischen Chef-Abwicklers Rudolf Mühlfenzl und seines westdeutschen Beraterstabs zusammen, sondern auch mit der Wahrnehmung der weiteren Personalentwicklung an der Spitze des DFF, sowie der zum 1. Januar 1992 anlaufenden Sender ORB und MDR. So wurden auf die Intendantenstühle der beiden neu gegründeten Regionalsender mit Hansjürgen Rosenbauer und Udo Reiter zwei westdeutsche Fernsehmacher gewählt. Vor allem die leitenden MDR-Posten in Leipzig wurden mit westlichen Kollegen besetzten, was die ostdeutsche Presse kritisch kommentierte. Betrachtet man jedoch die restliche Einstellungspolitik, dann wird erkennbar, dass das Gros der Beschäftigten in Redaktion und Technik aus dem Osten bzw. dem ostdeutschen Fernsehbetrieb stammte. Insofern findet man hier eine unverkennbare Kontinuitätslinie vor.
Dieses identitätsstiftende Vergangenheitsbekenntnis zum Personal fand in der Besetzung der Moderator*innen-Stellen seine Fortschreibung. Diese wurden zum Teil vom DFF übernommen, zum Teil neu rekrutiert, wobei die Neuen auch hier meist ostdeutsch sozialisiert waren. Ohnehin konnten sich in den 1990er Jahre eine ganze Reihe von Moderator*innen mit DDR-Vergangenheit auch auf Sendeplätzen der überregionalen Sender etablieren wie Carmen Nebel, Jens Riewa, Maybrit Illner, Wolfgang Lippert und andere. Dass die neue Moderatorenriege zu regionalen, bisweilen sogar nationalen Stars wurde, dafür sorgten Zeitschriften wie „Super-Illu“ oder „FF-Dabei“ mit besonderer Fokussierung auf die neuen Bundesländer. Sie verbreiteten die Konterfeis und Stargeschichten zu hunderttausenden unter den ostdeutschen Fernsehnutzer*innen. Inmitten eines zerbrechenden Gesellschaftsgefüges, vermittelten ihre Tele-Gesichter das Gefühl einer ersatzweisen Aufwertung der gebeutelten „Ostler“ und bauten eine mediale Brücke in die neue Zeit. Zwar wurde bei einer Reihe von beliebten Moderator*innen dann später eine frühere IM-Tätigkeit festgestellt, was zweifellos als belastende Erbschaft erschien. Doch galt diese Auseinandersetzung als spezifisch ostdeutsch und Teil einer „kollektiven Vergangenheitsbewältigung“, mit der die Sender nicht grundsätzlich in Frage gestellt wurden.
„Anschlusskommunikation“ als Erfolgsrezept
Was das Programmkonzept anbetraf, setzte insbesondere der MDR nicht auf völligen Neuanfang. Neben Familienunterhaltung und Volksmusik boten rund ein Dutzend übernommene Sendungen und Formate aus DDR-Zeiten Anschluss an Bekanntes, wie beispielsweise „Außenseiter-Spitzenreiter“ oder „Achims Hitparade“. Zum Konzept gehörte ebenfalls die gezielte Wiederholung nicht nur von DEFA- und DDR-Fernsehproduktionen, sondern auch das Recyceln und Kompilieren alten Materials, die zu neuen Sendungen à la „Ein Kessel Buntes – Spezial“ zusammengefügt wurden. Erklärte Absicht von MDR-Intendant Udo Reiter war es dabei, die Menschen dort abzuholen, wo sie mit ihrer Mediensozialisation standen, was auch den Rückgriff auf das „DDR-Erbe“ beinhaltete. Aus der Landespolitik kam zudem sowohl in beiden Sendegebieten die klare Order an die Fernsehmacher, das Entstehen einer regionalen Identität zu befördern. Die Orientierung auf Regionalität und Volkstümlichkeit hatte dabei allerdings schon zu DDR-Zeiten begonnen. Erinnert sei an Unterhaltungssendungen wie „Oberhofer“ bzw. „Thüringer Bauernmarkt“ oder „Klock 8, achtern Strom“, und verstärkte sich nach 1989 im DFF. Das Ergebnis bestätigte Reiters Konzeption: Unter allen Dritten Programmen stieg der MDR im Lauf der 1990er Jahre zu dem Sender auf, der in seinem Sendegebiet prozentual das meiste Fernsehpublikum besaß.
Aufklärungsfernsehen im Geist von ‘89
Auch der ORB versuchte mit etablierten Formaten wie „Du und Dein Garten“ an alte Gewohnheiten anzuknüpfen. Doch im Unterschied zum MDR überwog der Anspruch, eine eigene Programmstruktur mit innovativen Formaten zu entwickeln, nicht zuletzt bedingt durch die Nähe zur Kulturhauptstadt Berlin und dem Sender Freies Berlin (SFB). Im Profil und in der Finanzpraxis einer „schlanken Anstalt“, wie es Intendant Hansjürgen Rosenbauer vertrat, führte dies zunächst allerdings zu erheblichen Start- und Akzeptanzschwierigkeiten, und der ORB brauchte letztlich bis Mitte der 1990er Jahre, um sich als anerkannter Landessender zu profilieren, der vor allem auf dem Gebiet Information punkten konnte.
Information gehörte zu den Bereichen, in denen sich überraschende DDR-Wurzeln entdecken lassen. Dies zeigt die Geschichte der Sendung „OZON – Das Umweltmagazin“, die am 21. November 1989 noch im DDR-Fernsehen mit dem Thema „Luft zum Atmen“ und den langjährigen Öko-Aktivisten Reimar Gilsenbach und Matthias Platzeck als Studiogäste an den Start ging. Was in der Öffentlichkeit als Fernseh-Neuanfang und Sieg der Umweltbewegung gefeiert wurde, hatte auf Seiten des Teams der Sendung eine lange Vorgeschichte. Sie reichte bis in das Jahr 1983 und das Agrar-Fernsehmagazin „Kreisläufe“ zurück, wo bis zum Verbot im Sommer 1989 immer wieder umweltkritische Beiträge eingestreut worden waren. Das bis 2016 laufende und vielfach ausgezeichnete Magazin verstand sich als ostdeutsches Korrektiv in Umweltfragen mit einem eindeutigen politisch-aufklärerischen Impetus, das auch über unbequeme Themen wie die ökologischen Folgen der Kriegsbombardierungen im Irak und in Jugoslawien in den 1990er Jahren berichtete. Man praktizierte nicht wissenschaftliches Infotainment, sondern bevorzugte ernsthafte Darstellung und strebte konkrete Veränderung vor Ort an. Nicht zuletzt deshalb erreichten die Sendungen vergleichsweise hohe Einschaltquoten und erzeugten ein reges Zuschauer- und Medienecho.
Die Ausgestaltung der neuen Sendung lag wesentlich in der Hand der ostdeutschen Journalisten um Hartmut Sommerschuh und Moderator Hellmuth Henneberg, die sie ganz im Geist des 1989er Umbruchs und der DDR-Umweltbewegung produzierten. Die Macher der Sendung waren gut mit den alternativen Gruppen und etablierten Vereinigungen der Natur- und Umweltschutzbewegung vernetzt, die wiederum in der Sendung ein Sprachrohr ihrer Anliegen sahen. Als „Ozon“ 2004 eingestellt werden sollte, setzte sich der Kreis der Unterstützer*innen nicht nur aus Fernsehzuschauer*innen zusammen, sondern auch aus zahlreichen Umweltverbänden, Kirchen, Ministerien, Instituten und Vereinen.
„Ozon“ transportierte keine Ostalgie, sondern verstand sich als ostdeutsche Stimme in einer westdeutsch dominierten Vereinigungsgesellschaft. In diesem Sinne war die Sendung weniger ein mediales Erbe der alten DDR, als vielmehr ein Emblem zurückeroberter Mündigkeit aus den Revolutionstagen. Zugleich machte genau das seinen regional-politischen Identitätskern aus. Die Geschichte der Sendung spiegelt überdies gewisse Wandlungsprozesse im Fernsehen wider. Insbesondere nach der Fusion von ORB und SFB zum Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) im Jahr 2003 wurde senderintern der politisch-diktierte Unterton und der investigativ-kritische Zeigefinger-Journalismus als veraltete Darstellungsform hinterfragt. Im Ergebnis erschien „Ozon“ dann ab 2005 als „Magazin für Wissenschaft und Umwelt“, das seine Inhalte in Form von wissenschaftlicher Unterhaltung präsentierte. Damit ging ein Stück ostdeutsch geprägtes Aufklärungsfernsehen zu Ende.
Nostalgie-Eventisierung
Im überregionalen Fernsehalltag der 1990er und 2000er Jahre herrschte über weite Strecken eine blasse, bisweilen unterrepräsentative Berichterstattung über „den Osten“ vor. Unterbrochen wurde diese Sendepraxis allerdings durch punktuelle Konjunkturen und Highlights. So bildete die DDR insbesondere im Umfeld von Jahres- und Feiertagen wie dem 9. Oktober, 9. November und 3. Oktober ein zentrales Thema im Fernsehprogramm. Dabei überwogen in den Filmangeboten, aber auch in den Dokumentationen und Reportagen in der Regel Erzählstränge und Narrative, die das „Diktaturgedächtnis“ bedienten. Stellte dieses Feiertagsritual ein zyklisch wiederkehrendes Phänomen mit hoher Aufmerksamkeitsrate dar, sorgten wiederum unregelmäßige Events wie die Nostalgie-Shows dafür, dass die DDR quasi boom-artig ins mediale Bewusstsein der Fernsehzuschauer*innen gerückt und nun andersherum dem „Arrangementgedächtnis“ erheblicher Sendeplatz eingeräumt wurde.
Insbesondere das Jahr 2003 war das große Jahr der DDR-Shows. Sie liefen im Spätsommer im ZDF, MDR, SAT 1, RTL und Pro 7 unter den Titeln: „Die Ostalgie-Show“ (ZDF), „Die DDR-Show“ (RTL), „Meyer & Schulz: Die ultimative Ostshow“ (SAT 1) oder auch „Ein Kessel DDR“ (MDR). Darin wurden prominente Gäste – meist Moderator*innen und Schauspieler*innen – zuschauernah inszeniert, indem diese aus ihren sonstigen Rollen schlüpften, der sie ihre Bekanntheit verdankten. Kindheitsbilder und Jugenderinnerungen von Leuten wie Nachrichtensprecher Jens Riewa, Politiker Gregor Gysi oder Sportlerin Katarina Witt schufen eine Brücke der Identifikation für die Zuschauer*innen, ein partielles Verschmelzen von Promi und Normalo am Bildschirm. Sie waren zugleich erinnernde Subjekte und Gegenstand der Erinnerung und fungierten als Expert*innen für den informationsbedürftigen Moderator aus dem Westen. Hauptthema war das harmlos-heitere bis kuriose Alltagsleben „von damals“, untermalt mit Archivbildern aus der konsumorientierten Ära Honecker der 1970er und 1980er Jahre. Während der Sendestoff die sozialistische Diktaturvergangenheit war, folgten sowohl Format als auch Sende-Intention den Marktstrategien der Gegenwart: Die „DDR“ war demnach ein zu verkaufendes Medienprodukt. Die Shows wurden zu einem riesigen Quotenerfolg, und zwar in Ost und West. Die „Ostalgie-Show“ des ZDF erreichte 22 Prozent Marktanteil, die RTL-Show, für die Katarina Witt auf einer Pressekonferenz im FDJ-Blauhemd warb, sogar 25 Prozent. Allein in den alten Bundesländern sahen vier Millionen Zuschauer*innen die RTL-Show.
Nachahmung nach Westmodell
Im Gegensatz zum Amüsement der Durchschnittszuschauer*innen herrschte in Öffentlichkeit und Feuilleton Entrüstung: „Was um Himmels Willen soll ein Westler damit anfangen? Mit diesem Heimatabend Ost, ja, Vertriebenenabend Ost auf einem gesamtdeutschen Sender?“, fragte irritiert der Berliner Tagesspiegel am 23. August 2003. Der Soziologe Wolfgang Engler bescheinigte eine Verfälschung der DDR-Geschichte, Bürgerrechtler*innen attestierten eine Opfer-Verhöhnung. Bemerkenswert war in diesem Zusammenhang, dass es der Privatsender RTL war, der sich mit 30 Prozent der Einspielzeit für den Rückblick und Diktaturverweis am stärksten um Geschichtskontextualisierung bemühte, wohingegen das ZDF auf eine historische Einrahmung völlig verzichtet hatte. Dennoch: Auch wenn der Wert der erinnerungskulturellen Fernseharbeit für das kollektiven DDR-Gedächtnis verständlicherweise strittig ist, kann davon ausgegangen werden, dass diese TV-Inszenierungen einen eigenen Beitrag dazu leisteten, den Weg für eine Geschichtsbetrachtung jenseits des Diktatur-Paradigmas zu ebnen.
Doch wie originär waren die Shows eigentlich? Nun, humorvoll wurde über die DDR schon vorher gesendet: Im Dezember 1995 trat Entertainer Harald Schmidt im blauen DDR-Trainingsanzug vor die Kamera und inszenierte eine DDR-Show, in der er die „Aktuelle Kamera“ und den sächsischen Dialekt parodierte. Im Jahr 1998 präsentierte Spiegel-TV das unernste Fernsehfeature „Die Nackten und die Roten“ über die FKK-Kultur in der DDR; 2002 lief auf SAT 1 die gelobte Dokumentation „Busen, Broiler und Bananen“. Selbst unmittelbar vor Anlaufen der DDR-Shows wurden thematische Dokumentationen wie „Der nackte Osten“ im MDR (9. Juni 2003) ausgestrahlt. Hinzu kam der große Erfolg des Spielfilms „Good bye, Lenin!“ von Wolfgang Becker, in dessen Fahrwasser die Shows anliefen.
Formal prägend für die DDR-Shows waren im deutschen Sprachraum vor allem die 1999 ausgestrahlte, 12-teilige Dokumentationsserie „Pop 2000“ des WDR, in der die 50-jährige Geschichte von Popmusik und Jugendkultur in Ost und West erzählt wurde. Darin berichtete beispielsweise Tatort-Kommissar Bernd Michael Lade über seine Zeit als Punk in der DDR. Ästhetisch auffällig war die Blue-Screen-Aufzeichnungen von Interviews vor historischen Archivausschnitten. Ein weiterer wichtiger Vorläufer war die „80er Show“ von RTL, die sich ebenfalls der Popkultur in der DDR widmete und mit Prominenten wie Kai Pflaume, Henry Maske, Andrea Kiewel oder Axel Schulz aufwartete. Das Konzept für die „80er Shows“ hatte RTL wiederum von den erfolgreichen „80s Shows“ im britischen Fernsehen übernommen. Dort trafen die Sendungen bereits Ende der 90er Jahre einen Nerv. Insofern war die Ostalgie-Welle von 2003 im Fernsehen kein Novum.
Fazit
Für die 1990er und 2000er Jahre lässt sich ein Prozess der medialen Geschichtswerdung der DDR im Fernsehen beobachten, ein Übergang von der unmittelbaren Realität und Erfahrung zum Stoff und zur Erinnerung. In dieser Phase hatte die DDR nach ihrem Ende zwar keinen dominanten, jedoch einen festen Platz in der bundesdeutschen Fernsehlandschaft, sei es als personeller oder konzeptueller Nachlass, als arbeits- und medienbiographische Prägung oder auch als erinnerungskulturelles Fabrikat. Dabei handelt es sich jedoch nicht um „ein“ oder „das“ Nachleben der zweiten deutschen Diktatur nach 1990, sondern um einen Mix von Elementen – der systemkritische spirit der Sendung „OZON“ zeigt exemplarisch, wie divers die Bezugnahmen zur DDR als Erbe ausfallen konnten.
Darüber hinaus legen erste Stichproben zu Personal und Programmgestaltung nahe, den Vorgang der Abwicklung und Neugründung des DDR- bzw. ostdeutschen Regionalfernsehens stärker als bisher unter dem Gesichtspunkt seiner Kontinuitätslinien zu betrachten. Hierbei kann von einem partiellen Fortleben einer spezifischen (Medien-)Kultur und Kulturelite ausgegangen werden. Sozialisation, Ausbildung und Arbeitsleben bildeten zusammen mit der allgemeinen Diktatur- und Alltagserfahrung ein biographisches Gepäck, das als Bindeglied zwischen Zuschauer*innen, Fernsehmacher*innen und Sender wirkte. Dabei ging es vordergründig um die Schaffung von medialen Momenten kultureller Identifikation – aus dem vormaligen Staat DDR wurde die Heimatregion Ostdeutschland. Hintergründig aber galt es, eine Zuschauerklientel zu sichern. Insofern war die westdeutsch geführte Übernahmepolitik beim MDR und ORB auch Kalkül.
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Showtime
Die DDR als mediales Erbe im TV