„And you’ll see why 1984 won’t be like 1984’“

Als im Sommer 2013 der Journalist Glen Greenwald vom Guardian die ihm zugespielten Informationen über die flächendeckende Überwachung der weltweiten Internetkommunikation durch den amerikanischen und britischen Geheimdienst publik machte, stieg in den USA und Großbritannien abermals ein Buch in den Verkaufsrankings der großen Online-Buchhändler – George Orwells „1984“. Als sich kurz darauf der unscheinbar wirkende Edward Snowden als der Whistleblower hinter den spektakulären Enthüllungen zu erkennen gab, war die auf das Buch Bezug nehmende Metaphernmaschinerie nicht mehr zu bremsen. „So are we living in 1984?“, fragte Ian Crouch kurz nach dem Erscheinen des Interviews in einem Blogbeitrag im „New Yorker“[1] und imaginierte Snowden und seine Kollegen als Mitarbeiter in einer Art von Ozeaniens Wahrheitsministerium, hinter deren technokratischer Normalität banaler Büroarbeiten sich eigentlich eine ganz andere, düstere und unheimliche Wirklichkeit versteckt. Mit ein wenig Fantasie, so Crouch, könne man sich den in einem Hotelzimmer in Hong Kong eingeschlossenen Snowden fast als Orwells Protagonisten Winston vorstellen, wäre jener etwas ambitionierter gewesen und hätte nach dem geglückten Überlaufen ins feindliche Eastasia seine Botschaften auf die Teleschirme daheim gesendet. Wie wir inzwischen wissen, ist alles noch viel schlimmer, als es die ersten Vergleiche von Snowdens Enthüllungen mit Orwells düsterer Kontrollwelt suggerierten.

Zur gleichen Zeit, als sich die Medienwelt an immer neuen Belegen für die Totalüberwachung durch die Geheimdienste berauschte, meldeten die Wirtschaftsnachrichten neue Umsatzrekorde für ein Unternehmen, ohne das die moderne Computer- und Kommunikationswelt nicht zu denken ist. Die Firma Apple konnte im letzten Quartal 2013 erneut ein Umsatzplus erzielen und weltweit so viele iPhones und iPads wie noch nie verkaufen. Und nicht nur Apples Umsätze boomen.

Wie passt das alles zusammen? Warum sind unbeeindruckt von PRISM und all den anderen, mit merkwürdigen Kürzeln versehenen Wunderprogrammen der Geheimdienste immer mehr Menschen bereit, solche mobilen Endgeräte zu kaufen und mit ihrem Alltag zu koppeln, deren Betriebssysteme und bunte App-Welten, deren Nutzungs- und Bewegungsdaten sperrangelweit für all diese Spyware offen sind? Eine Antwort ist erschreckend banal: Anders als dies die Medien mit ihrem Dauerfeuer an Enthüllungen suggerieren, regt diese Überwachungspraxis die stabile Mehrheit der Smartphone- und Tabletnutzer, der Poweremailer, Twitterer und Sozialnetzbewohner kaum auf, geschweige denn, dass sie deren Kommunikationsverhalten beeinflussen würde. Von einer breiteren politischen oder zivilgesellschaftlichen Mobilisierung kann angesichts des nicht abreißenden Stroms von Enthüllungen keine Rede sein. Dass sich ein paar mehr Journalisten und Besucher für den Chaos Communication Congress des gleichnamigen Computerclubs im Dezember 2013 in Hamburg interessiert haben, wird man nicht zur Trendwende stilisieren können. Jenseits des bei dem Thema vorhersehbaren Kulturpessimismus ist diese Unaufgeregtheit der Totalüberwachten höchst erklärungsbedürftig. Auch die These vom Verschwinden der Privatheit in den narzistischen Selbstdarstellungsuniversen des weltweiten Netzes erklärt das Phänomen nur bedingt. Antworten deuten sich an, wenn man diese paradoxe Situation unserer Gegenwart in eine weiter zurückgreifende historische Perspektive einbettet und sie in der Geschichte der Computerisierung und Internetrevolution verortet.

Folgende Beobachtungen drängen sich dabei auf: Als erstes fällt ein deutlicher shift in der Rezeption des 1949 erschienenen Orwell-Buches auf. Dessen erste Karriere als Metaphernlieferant für das 20. Jahrhundert hat zunächst wenig mit den durch die Computertechnologie möglich gewordenen Formen von Kontrolle und Überwachung zu tun. „1984“ wurde wie auch schon sein Vorgänger „Die Farm der Tiere“ zunächst vor allem als eine Fundamentalkritik am Stalinismus bzw. Kommunismus gelesen. In den 1950er Jahren sahen das amerikanische Foreign Department, das FBI und die CIA das Buch noch als eine politische Waffe an und dachten über seine gezielte Verbreitung im Ostblock nach. Hinter dem Eisernen Vorhang wurde das auf dem Index stehende Buch heimlich als eindrucksvolle Kritik am Staatssozialismus gelesen. Es gehörte zum begehrten Diebesgut an den Ständen der Westverlage auf der Leipziger Buchmesse und fand mit etwas Glück in manchem Westpaket auch den Weg durch die Postkontrolle. Mit dem Buch erwischt zu werden, konnte etwa in der DDR noch bis weit in die 1970er Jahre hinein eine mehrjährige Haftstrafe nach sich ziehen. Der Wandel in der Rezeption des Buches und seine Wahrnehmung als eine Dystopie künftiger technologischer Entwicklungen setzte in den 1980er Jahren ein und dauert bis heute. An „1984“ faszinierte die Leser nunmehr, dass Orwell ziemlich genau Kontroll- und Überwachungstechniken beschrieben hatte, die im Zuge der Computerisierung der modernen Industriegesellschaften in den Bereich des Machbaren gerückt sind. Zur Zäsur dieses Bedeutungswandels wurde jenes Jahr, in dem Orwell seine düstere Zukunftsvision mit einem Zahlendreher verortet hatte – 1984. Es überrascht zunächst nicht, dass 1984 von den Medien im Westen zum Orwell-Jahr ausgerufen wurde. Die Wucht, mit der sein düsteres Zukunftsbild die Öffentlichkeit in diesem Jahr in ihren Bann zog, erklärt sich jedoch nicht allein aus der Magie der Jahreszahlen.

Mit wachsender Beunruhigung konstatierte die bundesdeutsche Öffentlichkeit am Anfang der 1980er Jahre eine bis dato ungeahnte Datensammelwut von Polizei, staatlichen Behörden und Wirtschaftsunternehmen, die durch den Einsatz von Computern und modernen Rechenzentren möglich wurde. Neue Techniken der Videoüberwachung eroberten den öffentlichen Raum, die von der Polizei nun auch gegen Demonstranten eingesetzt wurden. Alarmierend wirkte der im April 1983 in die Kinos kommende Film „Alles unter Kontrolle. Notizen auf dem Weg in den Überwachungsstaat“ von Niels Bolbrinker, Klaus Dzuck und Barbara Etz. In welche Richtung diese Überwachungsphantasien des Staates drängten, hatte BKA-Chef Horst Herold mit seiner Vision eines social engineering vorgegeben, in der Kriminalitätsprävention durch datengestützte Früherkennung abweichenden Verhaltens möglich schien. Die Suche nach den Terroristen der Rote Armee Fraktion und die dabei genutzte Methode der Rasterfahndung wurden zum Testfall für die „brave new world“. Den Vergleich zu Huxleys „Sonnenstaat“ hatte Herold mit einem Interview selbst in die Welt gesetzt, auch wenn er dies später notgedrungen per Gegendarstellung zu relativieren suchte.
Die Inflation der Orwell-Vergleiche hatte bereits ein Jahr zuvor begonnen. Der „Spiegel“ setzte mit seiner ersten Januarausgabe von 1983 und einem markigen Cover das Thema auf die Agenda. Die öffentliche Diskussion um die für April 1983 anberaumte, aufgrund von massiven Protesten vom Bundesverfassungsgericht schließlich untersagte Volkszählung heizte die Stimmung zusätzlich an. Das Thema Orwell dominierte nicht nur in der Bundesrepublik das gesamte Jahr 1984 und wurde medial immer wieder neu befeuert. Michael Radfords Verfilmung des Klassikers mit John Hurt und Richard Burton kam pünktlich zum „Jahrestag“ in die Kinos. Der Anglist Michael Walker verlieh dem Taschenbuch-Dauerbrenner bei Ullstein mit seiner Neuübersetzung eine zeitgemäße Sprache. Die Frankfurter Buchmesse lieferte mit ihrem Schwerpunkt „Orwell 2000“ einen Rahmen für die Flut von Sachbüchern und Orwell-Reminiszenzen.
Die mediale und kulturelle Verwertungswelle hatte einen wichtigen Effekt: Erstmals wurden in einer breiteren gesellschaftlichen Debatte die Gefahren offengelegt und diskutiert, die durch die computergestützte Sammlung und Auswertung personenbezogener Massendaten drohten. Insofern geht man nicht fehl, die Geburtsstunde des modernen Datenschutzes und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im Kontext des Orwell-Jahres 1984 anzusiedeln. Die negative Vision von Orwells „1984“ avancierte damit zu einer der wichtigsten und bis heute wirkungsmächtigen kritischen Metaphern des Computerzeitalters. Ihre Brisanz gewinnt sie nicht zuletzt aus dem bereits erwähnten doppelten Rezeptionskontext: Wer Kontroll- und Überwachungstechniken à la Ozeanien zu etablieren sucht, provoziert Vergleiche mit den totalitären Tendenzen des Stalinismus, auch wenn Orwell mit seinem Buch bekanntermaßen nicht allein diesen im Sinn hatte.

Vergegenwärtigt man sich die mobilisierende Wirkung, die die Vielzahl von Orwell-Reminiszenzen zu Beginn der 1980er Jahre für die entstehende neue soziale Bewegung der Datenschützer und Hacker hatte, überrascht eine weitere Beobachtung: Die Beunruhigung über die Orwellschen Ausmaße der durch die Computertechnologie möglich gewordenen Kontrolle und Überwachung hat den Siegeszug des Personal Computers im Verlauf der 1980er und den Aufstieg des Internet in den 1990er Jahren nicht verhindert, ja nicht einmal verzögert. Die Diffusion der Computer in alle Bereiche der Gesellschaft war nicht mehr aufzuhalten, in der Arbeitswelt ebenso wenig wie in Wissenschaft, Bildung, Kultur und Medien oder im gesamten Bereich von Konsum und Freizeit. Will man dieses Paradoxon erklären, kommt ein weiteres Ereignis des Jahres 1984 ins Spiel, das gerade auch wegen der damit verbundenen Mythen zu den wichtigen Zäsuren in der noch relativ jungen Geschichte der Computerisierung gezählt werden kann – die Präsentation des Apple Macintosh am 24. Januar 1984.  

Der Nachrichtenwert der bevorstehenden Markteinführung des von Apple entwickelten kompakten Rechners in den USA war enorm. Die Ankündigung des neuen Macintosh schaffte es auf die Titelseiten zahlreicher Zeitschriften und in die Abendnachrichten der großen amerikanischen TV-Sender. Weit wichtiger für den Erfolg des Computers war jedoch jenes Image, das Apple seinem Mac verlieh, indem es ihn im Kontext der allgegenwärtigen Erinnerung an Orwells düstere Zukunftswelt aus „1984“ präsentierte. Der zu diesem Zweck von Steve Jobs an den Regisseur Ridley Scott vergebene Auftrag für einen Werbespot, sollte sich trotz der enormen Kosten von 900.000 Dollar als sichere Investition erweisen. Scott standen für seinen Paukenschlag in der Geschichte der modernen Produktwerbung lediglich 60 Sekunden zur Verfügung. In dem inzwischen legendären Werbespot wird die Einführung des Macintosh als Weltrevolution inszeniert. Der Betrachter blickt auf eine düstere Szenerie: Mechanisch gleichgeschaltete Gestalten lassen die Verkündungen des auf einem Großbildschirm erscheinenden „Big Brother“ über sich ergehen. Plötzlich läuft eine junge Frau in Sportkleidung verfolgt von der Gedankenpolizei durch den Raum und bereitet dem Spuk mit dem beherzten Wurf eines Vorschlaghammers ein Ende: „On January 24th, Apple Computer will introduce Macintosh. And you’ll see why 1984 won’t be like ‚1984’.“ Der offensichtlich auf den behäbigen und übermächtigen Konkurrenten IBM („The big blue“) gemünzte und durch seine Aufführung beim Superbowl – dem amerikanischen Werbeplatz schlechthin – geadelte Werbespot arbeitete mit einem genialen Kunstgriff: Er entrückte den Mac aus einer bedrohlichen Welt, die alle mit der Computerisierung verbundenen Ängste und Befürchtungen spiegelte, und präsentierte ihn als ein Werkzeug individueller Befreiung. Ganz ähnliche Botschaften lieferte Steve Jobs, als er den Rechner am 24. Januar 1984 auf der Jahreshauptversammlung von Apple vor Mitarbeitern, Aktionären und Journalisten präsentierte. Auf der Bühne des zum Campus des De Anza College gehörenden Flint Center, unweit vom Firmensitz in Cupertino, holte Jobs das kleine kastenförmige Gerät aus einer Tasche, schloss es mit wenigen Handgriffen an und schob eine 3,5'' Diskette in das Laufwerk. Als die Präsentation seiner grafischen Benutzeroberfläche auf eine Großleinwand projiziert wurde, brandete im Saal Jubel auf. Der Apple-Chef war sich der Wirkung bewusst, die dieser technologische Durchbruch auf die Zuschauer im Saal ausüben würde. Beifall begleitete die ersten Screenshots, die ahnen ließen, was diese kopernikanische Wende in der Computerbedienung bedeuten könnte. Als Jobs den Macintosh per Software dann noch sprechen ließ, war der Saal nicht mehr zu halten.[2]

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The Lost 1984 Video: young Steve Jobs introduces the Macintosh
(http://youtu.be/2B-XwPjn9YY)

Ein Ritual, die „Stevenotes“, war etabliert. Es war die Form, in der der charismatische Apple-Chef künftig alle seine Produktneuheiten mit dem manipulativen Gestus von Verkündungen präsentieren sollte. Weitaus aufschlussreicher für das, was Apple mit seiner Imagekampagne bezweckte, war jedoch ein Auftritt von Steve Jobs wenige Tage später am 30. Januar 1984 vor der Boston Computer Society.[3] In seiner Rede beschwor Jobs nicht ohne aufgesetzte Dramatik eine Entscheidungsschlacht zwischen zwei Erzrivalen, dem nach Marktbeherrschung strebenden Giganten IBM, der die Potenziale des Personal Computers lange Zeit völlig unterschätzt habe, und Apple, dem einzig übriggebliebenen Konkurrenten, der die Dominanz von „big blue“ verhindern und die Freiheit der Computerwelt retten könnte. Und da war er dann wieder, der Verweis auf „1984“: „Wird big blue die gesamte Computerindustrie dominieren, das gesamte Informationszeitalter? Hatte George Orwell recht?“ – rief Jobs theatralisch in den Saal.

Der Erfolg des Macintosh – in den ersten Monaten nach dem Launch konnte Apple über 70.000 Einheiten verkaufen – ist sicher auch und gerade seiner für die damalige Zeit bahnbrechenden Benutzerfreundlichkeit zu verdanken. Auf lange Sicht hat jedoch vor allem das mit dem Macintosh etablierte Image des Personal Computers als einer kreativen Emanzipationsmaschine unser Verhältnis zu Computern geprägt und uns vielleicht auch gegen die Gefährdungen von totaler Kontrolle und Überwachung kurzsichtig gemacht. Schon 1984 war nicht zu übersehen, dass diese Werbebotschaft der Realität widersprach. Apple war längst ein normales Unternehmen mit Millionenumsätzen und hatte mit seinem aggressiven Marktgebahren die Unschuld der Garagentage von Steve Jobs und Steve Wozniak im Hippie-Kalifornien verloren. Aber der Mythos war nicht mehr aus der Welt zu kriegen und wurde von Apple und seiner wachsenden Jüngergemeinde immer wieder angekurbelt: „Think different!“ – Albert Einstein, Mahatma Gandhi, Bob Dylan, Thomas Edison, Martin Luther King, John Lennon und Yoko Ono, Maria Callas und all die anderen unangepassten Weltveränderer beglaubigten als Kronzeugen in den Werbebotschaften das alternative Image der Rechner mit dem Apfel-Logo. Die Bösen waren immer die anderen, am Anfang IBM, später Microsoft. Nur sie waren es, die nach totaler Kontrolle strebten, während Apple angeblich die Welt zum Guten veränderte. Letztlich profitierten auch die kommerziellen Rivalen von dem emanzipatorischen Image des Personal Computers, das Apple im Januar 1984 so eindrucksvoll in Szene setzte, während die Firma in der Folgezeit fast auf der Strecke geblieben wäre. Bis ihr Steve Jobs ein weiteres Mal mit seinen knallbunten iMacs neues Leben einhauchte. Zu erklären ist die durchschlagende Wirkung des Personal Computers und aller auf ihn aufbauenden Informations- und Kommunikationswerkzeuge des digitalen Zeitalters, wenn man sich vergegenwärtigt, auf welche gesellschaftlichen Dispositionen diese Werbebotschaften in den 1980er Jahren stießen. Es waren die zunehmend sozial ausdifferenzierten westlichen Wohlstandsgesellschaften, die nach dem emanzipatorischen Schub von 1968 einen wahren Heißhunger nach Individualität und Selbstverwirklichung entwickelten. Der Computer in der vom Macintosh erstmals zur Perfektion designten kompakten Form konnte individuell angeeignet und als Teil eines kreativen Lebensentwurfs veralltäglicht werden. Hinzu kamen die von Apples Markenimage produzierten Distinktionsgewinne, die auch noch in Zeiten geglaubt werden, da die Geräte zu uniformen Massenprodukten geworden sind. Von ihnen profitiert das Unternehmen bis heute, obwohl es mit der zentralistischen Produktstrategie seiner iTunes- und App-Stores wie auch mit seinen geschlossenen Geräte- und Zubehörsystemen längst selbst eine Form der Nutzerkontrolle praktiziert, die Vergleiche zu „1984“ provoziert.

Auch für diejenigen, die sich den neuen, in den 1980er Jahren aufkommenden digitalen Konsumwelten verweigerten, blieb der Computer ein positiv besetztes kreatives Werkzeug, mit dem man all den Big Brothers des Informationszeitalters immer wieder eins auswischen konnte, sei es als Hacker oder Whistleblower. So lange dies so bleibt, wird kaum jemand sein Smartphone oder sein Tablet aufgrund einer weiteren NSA-Enthüllung abschalten, zumal ein Ausstieg aus dem second life unserer zunehmend virtuellen Welt und ihren digitalisierten Kommunikationsformen nicht mehr möglich ist. So lange Kontrolle und Kreativität im digitalen Alltag so dicht beieinander liegen, wird auch Orwells „1984“ eine Projektionsfläche für die Ambivalenzen der Computermoderne bleiben.

 

 

[1] Vgl. Ian Crouch, So are we living in 1984?, in: The New Yorker, Blogpost v. 11. Juni 2013, letzter Zugriff: 01.08.2017.
[2] Vgl. The Lost 1984 Video: Young Steve Jobs introduces the Macintosh, letzter Zugriff: 01.08.2017.
[3] Vgl. McCracken, Harry: Exclusive: Watch Steve Jobs' First Demonstration of the Mac for the Public, Unseen Since 1984, letzter Zugriff: 01.08.2017. 

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Veröffentlicht im Februar 2014

Als im Sommer 2013 der Journalist Glen Greenwald vom Guardian die ihm zugespielten Informationen über die flächendeckende Überwachung der weltweiten Internetkommunikation durch den amerikanischen und britischen Geheimdienst publik machte, stieg in den USA und Großbritannien abermals ein Buch in den Verkaufsrankings der großen Online-Buchhändler – George Orwells „1984“. Als sich kurz darauf der unscheinbar wirkende Edward Snowden als der Whistleblower hinter den spektakulären Enthüllungen zu erkennen gab, war die auf das Buch Bezug nehmende Metaphernmaschinerie nicht mehr zu bremsen. „So are we living in 1984?“, fragte Ian Crouch kurz nach dem Erscheinen des Interviews in einem Blogbeitrag im „New Yorker“[1] und imaginierte Snowden und seine Kollegen als Mitarbeiter in einer Art von Ozeaniens Wahrheitsministerium, hinter deren technokratischer Normalität banaler Büroarbeiten sich eigentlich eine ganz andere, düstere und unheimliche Wirklichkeit versteckt. Mit ein wenig Fantasie, so Crouch, könne man sich den in einem Hotelzimmer in Hong Kong eingeschlossenen Snowden fast als Orwells Protagonisten Winston vorstellen, wäre jener etwas ambitionierter gewesen und hätte nach dem geglückten Überlaufen ins feindliche Eastasia seine Botschaften auf die Teleschirme daheim gesendet. Wie wir inzwischen wissen, ist alles noch viel schlimmer, als es die ersten Vergleiche von Snowdens Enthüllungen mit Orwells düsterer Kontrollwelt suggerierten.

Zur gleichen Zeit, als sich die Medienwelt an immer neuen Belegen für die Totalüberwachung durch die Geheimdienste berauschte, meldeten die Wirtschaftsnachrichten neue Umsatzrekorde für ein Unternehmen, ohne das die moderne Computer- und Kommunikationswelt nicht zu denken ist. Die Firma Apple konnte im letzten Quartal 2013 erneut ein Umsatzplus erzielen und weltweit so viele iPhones und iPads wie noch nie verkaufen. Und nicht nur Apples Umsätze boomen.

Wie passt das alles zusammen? Warum sind unbeeindruckt von PRISM und all den anderen, mit merkwürdigen Kürzeln versehenen Wunderprogrammen der Geheimdienste immer mehr Menschen bereit, solche mobilen Endgeräte zu kaufen und mit ihrem Alltag zu koppeln, deren Betriebssysteme und bunte App-Welten, deren Nutzungs- und Bewegungsdaten sperrangelweit für all diese Spyware offen sind? Eine Antwort ist erschreckend banal: Anders als dies die Medien mit ihrem Dauerfeuer an Enthüllungen suggerieren, regt diese Überwachungspraxis die stabile Mehrheit der Smartphone- und Tabletnutzer, der Poweremailer, Twitterer und Sozialnetzbewohner kaum auf, geschweige denn, dass sie deren Kommunikationsverhalten beeinflussen würde. Von einer breiteren politischen oder zivilgesellschaftlichen Mobilisierung kann angesichts des nicht abreißenden Stroms von Enthüllungen keine Rede sein. Dass sich ein paar mehr Journalisten und Besucher für den Chaos Communication Congress des gleichnamigen Computerclubs im Dezember 2013 in Hamburg interessiert haben, wird man nicht zur Trendwende stilisieren können. Jenseits des bei dem Thema vorhersehbaren Kulturpessimismus ist diese Unaufgeregtheit der Totalüberwachten höchst erklärungsbedürftig. Auch die These vom Verschwinden der Privatheit in den narzistischen Selbstdarstellungsuniversen des weltweiten Netzes erklärt das Phänomen nur bedingt. Antworten deuten sich an, wenn man diese paradoxe Situation unserer Gegenwart in eine weiter zurückgreifende historische Perspektive einbettet und sie in der Geschichte der Computerisierung und Internetrevolution verortet.

Folgende Beobachtungen drängen sich dabei auf: Als erstes fällt ein deutlicher shift in der Rezeption des 1949 erschienenen Orwell-Buches auf. Dessen erste Karriere als Metaphernlieferant für das 20. Jahrhundert hat zunächst wenig mit den durch die Computertechnologie möglich gewordenen Formen von Kontrolle und Überwachung zu tun. „1984“ wurde wie auch schon sein Vorgänger „Die Farm der Tiere“ zunächst vor allem als eine Fundamentalkritik am Stalinismus bzw. Kommunismus gelesen. In den 1950er Jahren sahen das amerikanische Foreign Department, das FBI und die CIA das Buch noch als eine politische Waffe an und dachten über seine gezielte Verbreitung im Ostblock nach. Hinter dem Eisernen Vorhang wurde das auf dem Index stehende Buch heimlich als eindrucksvolle Kritik am Staatssozialismus gelesen. Es gehörte zum begehrten Diebesgut an den Ständen der Westverlage auf der Leipziger Buchmesse und fand mit etwas Glück in manchem Westpaket auch den Weg durch die Postkontrolle. Mit dem Buch erwischt zu werden, konnte etwa in der DDR noch bis weit in die 1970er Jahre hinein eine mehrjährige Haftstrafe nach sich ziehen. Der Wandel in der Rezeption des Buches und seine Wahrnehmung als eine Dystopie künftiger technologischer Entwicklungen setzte in den 1980er Jahren ein und dauert bis heute. An „1984“ faszinierte die Leser nunmehr, dass Orwell ziemlich genau Kontroll- und Überwachungstechniken beschrieben hatte, die im Zuge der Computerisierung der modernen Industriegesellschaften in den Bereich des Machbaren gerückt sind. Zur Zäsur dieses Bedeutungswandels wurde jenes Jahr, in dem Orwell seine düstere Zukunftsvision mit einem Zahlendreher verortet hatte – 1984. Es überrascht zunächst nicht, dass 1984 von den Medien im Westen zum Orwell-Jahr ausgerufen wurde. Die Wucht, mit der sein düsteres Zukunftsbild die Öffentlichkeit in diesem Jahr in ihren Bann zog, erklärt sich jedoch nicht allein aus der Magie der Jahreszahlen.

Mit wachsender Beunruhigung konstatierte die bundesdeutsche Öffentlichkeit am Anfang der 1980er Jahre eine bis dato ungeahnte Datensammelwut von Polizei, staatlichen Behörden und Wirtschaftsunternehmen, die durch den Einsatz von Computern und modernen Rechenzentren möglich wurde. Neue Techniken der Videoüberwachung eroberten den öffentlichen Raum, die von der Polizei nun auch gegen Demonstranten eingesetzt wurden. Alarmierend wirkte der im April 1983 in die Kinos kommende Film „Alles unter Kontrolle. Notizen auf dem Weg in den Überwachungsstaat“ von Niels Bolbrinker, Klaus Dzuck und Barbara Etz. In welche Richtung diese Überwachungsphantasien des Staates drängten, hatte BKA-Chef Horst Herold mit seiner Vision eines social engineering vorgegeben, in der Kriminalitätsprävention durch datengestützte Früherkennung abweichenden Verhaltens möglich schien. Die Suche nach den Terroristen der Rote Armee Fraktion und die dabei genutzte Methode der Rasterfahndung wurden zum Testfall für die „brave new world“. Den Vergleich zu Huxleys „Sonnenstaat“ hatte Herold mit einem Interview selbst in die Welt gesetzt, auch wenn er dies später notgedrungen per Gegendarstellung zu relativieren suchte.
Die Inflation der Orwell-Vergleiche hatte bereits ein Jahr zuvor begonnen. Der „Spiegel“ setzte mit seiner ersten Januarausgabe von 1983 und einem markigen Cover das Thema auf die Agenda. Die öffentliche Diskussion um die für April 1983 anberaumte, aufgrund von massiven Protesten vom Bundesverfassungsgericht schließlich untersagte Volkszählung heizte die Stimmung zusätzlich an. Das Thema Orwell dominierte nicht nur in der Bundesrepublik das gesamte Jahr 1984 und wurde medial immer wieder neu befeuert. Michael Radfords Verfilmung des Klassikers mit John Hurt und Richard Burton kam pünktlich zum „Jahrestag“ in die Kinos. Der Anglist Michael Walker verlieh dem Taschenbuch-Dauerbrenner bei Ullstein mit seiner Neuübersetzung eine zeitgemäße Sprache. Die Frankfurter Buchmesse lieferte mit ihrem Schwerpunkt „Orwell 2000“ einen Rahmen für die Flut von Sachbüchern und Orwell-Reminiszenzen.
Die mediale und kulturelle Verwertungswelle hatte einen wichtigen Effekt: Erstmals wurden in einer breiteren gesellschaftlichen Debatte die Gefahren offengelegt und diskutiert, die durch die computergestützte Sammlung und Auswertung personenbezogener Massendaten drohten. Insofern geht man nicht fehl, die Geburtsstunde des modernen Datenschutzes und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im Kontext des Orwell-Jahres 1984 anzusiedeln. Die negative Vision von Orwells „1984“ avancierte damit zu einer der wichtigsten und bis heute wirkungsmächtigen kritischen Metaphern des Computerzeitalters. Ihre Brisanz gewinnt sie nicht zuletzt aus dem bereits erwähnten doppelten Rezeptionskontext: Wer Kontroll- und Überwachungstechniken à la Ozeanien zu etablieren sucht, provoziert Vergleiche mit den totalitären Tendenzen des Stalinismus, auch wenn Orwell mit seinem Buch bekanntermaßen nicht allein diesen im Sinn hatte.

Vergegenwärtigt man sich die mobilisierende Wirkung, die die Vielzahl von Orwell-Reminiszenzen zu Beginn der 1980er Jahre für die entstehende neue soziale Bewegung der Datenschützer und Hacker hatte, überrascht eine weitere Beobachtung: Die Beunruhigung über die Orwellschen Ausmaße der durch die Computertechnologie möglich gewordenen Kontrolle und Überwachung hat den Siegeszug des Personal Computers im Verlauf der 1980er und den Aufstieg des Internet in den 1990er Jahren nicht verhindert, ja nicht einmal verzögert. Die Diffusion der Computer in alle Bereiche der Gesellschaft war nicht mehr aufzuhalten, in der Arbeitswelt ebenso wenig wie in Wissenschaft, Bildung, Kultur und Medien oder im gesamten Bereich von Konsum und Freizeit. Will man dieses Paradoxon erklären, kommt ein weiteres Ereignis des Jahres 1984 ins Spiel, das gerade auch wegen der damit verbundenen Mythen zu den wichtigen Zäsuren in der noch relativ jungen Geschichte der Computerisierung gezählt werden kann – die Präsentation des Apple Macintosh am 24. Januar 1984.  

Der Nachrichtenwert der bevorstehenden Markteinführung des von Apple entwickelten kompakten Rechners in den USA war enorm. Die Ankündigung des neuen Macintosh schaffte es auf die Titelseiten zahlreicher Zeitschriften und in die Abendnachrichten der großen amerikanischen TV-Sender. Weit wichtiger für den Erfolg des Computers war jedoch jenes Image, das Apple seinem Mac verlieh, indem es ihn im Kontext der allgegenwärtigen Erinnerung an Orwells düstere Zukunftswelt aus „1984“ präsentierte. Der zu diesem Zweck von Steve Jobs an den Regisseur Ridley Scott vergebene Auftrag für einen Werbespot, sollte sich trotz der enormen Kosten von 900.000 Dollar als sichere Investition erweisen. Scott standen für seinen Paukenschlag in der Geschichte der modernen Produktwerbung lediglich 60 Sekunden zur Verfügung. In dem inzwischen legendären Werbespot wird die Einführung des Macintosh als Weltrevolution inszeniert. Der Betrachter blickt auf eine düstere Szenerie: Mechanisch gleichgeschaltete Gestalten lassen die Verkündungen des auf einem Großbildschirm erscheinenden „Big Brother“ über sich ergehen. Plötzlich läuft eine junge Frau in Sportkleidung verfolgt von der Gedankenpolizei durch den Raum und bereitet dem Spuk mit dem beherzten Wurf eines Vorschlaghammers ein Ende: „On January 24th, Apple Computer will introduce Macintosh. And you’ll see why 1984 won’t be like ‚1984’.“ Der offensichtlich auf den behäbigen und übermächtigen Konkurrenten IBM („The big blue“) gemünzte und durch seine Aufführung beim Superbowl – dem amerikanischen Werbeplatz schlechthin – geadelte Werbespot arbeitete mit einem genialen Kunstgriff: Er entrückte den Mac aus einer bedrohlichen Welt, die alle mit der Computerisierung verbundenen Ängste und Befürchtungen spiegelte, und präsentierte ihn als ein Werkzeug individueller Befreiung. Ganz ähnliche Botschaften lieferte Steve Jobs, als er den Rechner am 24. Januar 1984 auf der Jahreshauptversammlung von Apple vor Mitarbeitern, Aktionären und Journalisten präsentierte. Auf der Bühne des zum Campus des De Anza College gehörenden Flint Center, unweit vom Firmensitz in Cupertino, holte Jobs das kleine kastenförmige Gerät aus einer Tasche, schloss es mit wenigen Handgriffen an und schob eine 3,5'' Diskette in das Laufwerk. Als die Präsentation seiner grafischen Benutzeroberfläche auf eine Großleinwand projiziert wurde, brandete im Saal Jubel auf. Der Apple-Chef war sich der Wirkung bewusst, die dieser technologische Durchbruch auf die Zuschauer im Saal ausüben würde. Beifall begleitete die ersten Screenshots, die ahnen ließen, was diese kopernikanische Wende in der Computerbedienung bedeuten könnte. Als Jobs den Macintosh per Software dann noch sprechen ließ, war der Saal nicht mehr zu halten.[2]

 

The Lost 1984 Video: young Steve Jobs introduces the Macintosh
(http://youtu.be/2B-XwPjn9YY)

Ein Ritual, die „Stevenotes“, war etabliert. Es war die Form, in der der charismatische Apple-Chef künftig alle seine Produktneuheiten mit dem manipulativen Gestus von Verkündungen präsentieren sollte. Weitaus aufschlussreicher für das, was Apple mit seiner Imagekampagne bezweckte, war jedoch ein Auftritt von Steve Jobs wenige Tage später am 30. Januar 1984 vor der Boston Computer Society.[3] In seiner Rede beschwor Jobs nicht ohne aufgesetzte Dramatik eine Entscheidungsschlacht zwischen zwei Erzrivalen, dem nach Marktbeherrschung strebenden Giganten IBM, der die Potenziale des Personal Computers lange Zeit völlig unterschätzt habe, und Apple, dem einzig übriggebliebenen Konkurrenten, der die Dominanz von „big blue“ verhindern und die Freiheit der Computerwelt retten könnte. Und da war er dann wieder, der Verweis auf „1984“: „Wird big blue die gesamte Computerindustrie dominieren, das gesamte Informationszeitalter? Hatte George Orwell recht?“ – rief Jobs theatralisch in den Saal.

Der Erfolg des Macintosh – in den ersten Monaten nach dem Launch konnte Apple über 70.000 Einheiten verkaufen – ist sicher auch und gerade seiner für die damalige Zeit bahnbrechenden Benutzerfreundlichkeit zu verdanken. Auf lange Sicht hat jedoch vor allem das mit dem Macintosh etablierte Image des Personal Computers als einer kreativen Emanzipationsmaschine unser Verhältnis zu Computern geprägt und uns vielleicht auch gegen die Gefährdungen von totaler Kontrolle und Überwachung kurzsichtig gemacht. Schon 1984 war nicht zu übersehen, dass diese Werbebotschaft der Realität widersprach. Apple war längst ein normales Unternehmen mit Millionenumsätzen und hatte mit seinem aggressiven Marktgebahren die Unschuld der Garagentage von Steve Jobs und Steve Wozniak im Hippie-Kalifornien verloren. Aber der Mythos war nicht mehr aus der Welt zu kriegen und wurde von Apple und seiner wachsenden Jüngergemeinde immer wieder angekurbelt: „Think different!“ – Albert Einstein, Mahatma Gandhi, Bob Dylan, Thomas Edison, Martin Luther King, John Lennon und Yoko Ono, Maria Callas und all die anderen unangepassten Weltveränderer beglaubigten als Kronzeugen in den Werbebotschaften das alternative Image der Rechner mit dem Apfel-Logo. Die Bösen waren immer die anderen, am Anfang IBM, später Microsoft. Nur sie waren es, die nach totaler Kontrolle strebten, während Apple angeblich die Welt zum Guten veränderte. Letztlich profitierten auch die kommerziellen Rivalen von dem emanzipatorischen Image des Personal Computers, das Apple im Januar 1984 so eindrucksvoll in Szene setzte, während die Firma in der Folgezeit fast auf der Strecke geblieben wäre. Bis ihr Steve Jobs ein weiteres Mal mit seinen knallbunten iMacs neues Leben einhauchte. Zu erklären ist die durchschlagende Wirkung des Personal Computers und aller auf ihn aufbauenden Informations- und Kommunikationswerkzeuge des digitalen Zeitalters, wenn man sich vergegenwärtigt, auf welche gesellschaftlichen Dispositionen diese Werbebotschaften in den 1980er Jahren stießen. Es waren die zunehmend sozial ausdifferenzierten westlichen Wohlstandsgesellschaften, die nach dem emanzipatorischen Schub von 1968 einen wahren Heißhunger nach Individualität und Selbstverwirklichung entwickelten. Der Computer in der vom Macintosh erstmals zur Perfektion designten kompakten Form konnte individuell angeeignet und als Teil eines kreativen Lebensentwurfs veralltäglicht werden. Hinzu kamen die von Apples Markenimage produzierten Distinktionsgewinne, die auch noch in Zeiten geglaubt werden, da die Geräte zu uniformen Massenprodukten geworden sind. Von ihnen profitiert das Unternehmen bis heute, obwohl es mit der zentralistischen Produktstrategie seiner iTunes- und App-Stores wie auch mit seinen geschlossenen Geräte- und Zubehörsystemen längst selbst eine Form der Nutzerkontrolle praktiziert, die Vergleiche zu „1984“ provoziert.

Auch für diejenigen, die sich den neuen, in den 1980er Jahren aufkommenden digitalen Konsumwelten verweigerten, blieb der Computer ein positiv besetztes kreatives Werkzeug, mit dem man all den Big Brothers des Informationszeitalters immer wieder eins auswischen konnte, sei es als Hacker oder Whistleblower. So lange dies so bleibt, wird kaum jemand sein Smartphone oder sein Tablet aufgrund einer weiteren NSA-Enthüllung abschalten, zumal ein Ausstieg aus dem second life unserer zunehmend virtuellen Welt und ihren digitalisierten Kommunikationsformen nicht mehr möglich ist. So lange Kontrolle und Kreativität im digitalen Alltag so dicht beieinander liegen, wird auch Orwells „1984“ eine Projektionsfläche für die Ambivalenzen der Computermoderne bleiben.

 

 

[1] Vgl. Ian Crouch, So are we living in 1984?, in: The New Yorker, Blogpost v. 11. Juni 2013, letzter Zugriff: 01.08.2017.
[2] Vgl. The Lost 1984 Video: Young Steve Jobs introduces the Macintosh, letzter Zugriff: 01.08.2017.
[3] Vgl. McCracken, Harry: Exclusive: Watch Steve Jobs' First Demonstration of the Mac for the Public, Unseen Since 1984, letzter Zugriff: 01.08.2017. 

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„And you’ll see why 1984 won’t be like 1984’“

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Orwell, der Apple Macintosh und die Ambivalenzen der Computermoderne

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