Ein Lobgesang auf die Bundesrepublik
 oder:

Warum das Haus der Geschichte in Bonn nicht reformierbar ist

von
Ronja Oltmanns

Mehr als 13 Millionen Menschen haben die Dauerausstellung „Unsere Geschichte. Deutschland seit 1945“ im Haus der Geschichte der Bundesrepublik in Bonn (HdG) seit seiner Eröffnung im Jahr 1994 gesehen; es gehört damit zu den meistbesuchten Museen in Deutschland.[1] Der Besuch kostet keinen Eintritt; das Museum ist somit besonders zugĂ€nglich. Als Teil der Museumsmeile in Bonn, unweit der historischen Orte der Hauptstadt der alten Bundesrepublik wie etwa dem Bundestag oder dem Bundeskanzleramt, ist es oft Ziel von FamilienausflĂŒgen und touristischen Reisen sowie regelmĂ€ĂŸiger Programmpunkt von Klassenfahrten und Studienreisen. Allein aufgrund dieser ungeheuren Reichweite ist es spannend, der Frage nachzugehen, welche Geschichte das HdG vermittelt.[2]

Die Dauerausstellung erzĂ€hlt die Geschichte der Bundesrepublik vom Kriegsende 1945 bis in die Gegenwart mithilfe von ĂŒber 7000 historischen Objekten. HĂ€ufig sind sie nicht hinter Glas, sondern können angefasst oder durchlaufen werden. Dadurch erscheint das Museum besonders nahbar. Die Ausstellung nimmt ihre Besucher_innen geradezu in sich auf. Den Objekten wird meist mit kurzen Bildunterschriften eine eindeutige Interpretation zugeschrieben. Gerahmt werden sie von ĂŒbergreifenden, zweisprachigen (deutsch/englisch) ErklĂ€rungstafeln, mit denen die Ausstellungsszenen gegliedert werden.[3]

Foto: Ronja Oltmanns (mit freundlicher Genehmigung des HdG Bonn), Dezember 2019.

Die Besucher_innen starten ihren Gang durch die Ausstellung im Erdgeschoss und bewegen sich der Chronologie folgend fort, wobei es auf dem Gang nach oben stetig heller wird. Am Ende stehen die Besucher_innen unter der Glaskuppel im Obergeschoss des Hauses.[4]

Der Weg zum Licht bedient die MeistererzĂ€hlung des Fortschritts, mit der die Geschichte der Bundesrepublik als die einer widerspruchsfreien Demokratisierung erscheint. Diese Form der Geschichtsdarstellung richtet ihre ErzĂ€hlung auf eine nationale Perspektive, WidersprĂŒche werden eingeebnet und komplexe ZusammenhĂ€nge stark vereinfacht.[5] Gestalterisch unterstĂŒtzt wird diese FortschrittserzĂ€hlung durch den Aufbau des Hauses: Aus der Dunkelheit der unmittelbaren Nachkriegszeit steigen die Besucher_innen zur lichtdurchfluteten Gegenwart empor. Im ‚Heute‘ angekommen, können sie sich sicher sein: ‚wir‘ haben es geschafft. Ein Hoch auf die Bundesrepublik!
Das ‚wir‘ ist dabei weiß und westdeutsch. Wie wird diese FortschrittserzĂ€hlung konstruiert? Welche Mittel werden dazu genutzt? Hier soll es vor allem um die Narrative gehen, die das HdG entwickelt hat und die eine entsprechende Wirkung auf gesellschaftliche Diskurse zu erzielen.[6]

 

Der Mythos der „Stunde Null“

Die erste Ausstellungsszene „Befreiung und Besatzung“ versetzt die Besucher_innen visuell und zum Teil auditiv in die unmittelbare Nachkriegszeit: Aus einem TrĂŒmmerhaufen ragt eine Panzerfaust, an ihm lehnt ein fahruntĂŒchtiges Fahrrad. DarĂŒber sind ein NS-Propagandaplakat und eine Reproduktion der KapitulationserklĂ€rung auf die nackte Mauer plakatiert.

Foto: Ronja Oltmanns (mit freundlicher Genehmigung des HdG Bonn), Dezember 2019.

Dunkles Licht, eine niedrige Decke und schmale GÀnge vermitteln den Eindruck von Enge und erzeugen Beklommenheit. In der Mitte des Raumes steht ein mÀchtiger schwarzer Quader, auf dem ein Hakenkreuz prangt.

Foto: Ronja Oltmanns (mit freundlicher Genehmigung des HdG Bonn), Dezember 2019.

In seinem dunklen Inneren geben unkommentierte Fotografien ohne Kontext Einblicke in die Gewaltgeschichte des Nationalsozialismus, wĂ€hrend seine Geschichte auf der Außenseite kurz abgehandelt wird. Die Exponate liegen in Vitrinen, die in die Außenwand eingelassen sind. Um sie zu betrachten, muss man nahe herantreten – die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus muss man als Besucher_in also suchen und wollen.

Foto: Ronja Oltmanns (mit freundlicher Genehmigung des HdG Bonn), Dezember 2019.

Der Nationalsozialismus wird auf diese Weise eingehegt und zu einem klar begrenzten PhĂ€nomen – 1945 erscheint als „Stunde Null“, als kompletter Neuanfang. Er wird somit aus der Geschichte der Bundesrepublik geradezu exkludiert, wodurch sie störungsfrei erzĂ€hlt werden kann.

 

Konstruktion einer demokratischen Tradition

Wenige Schritte weiter widmet die Ausstellung sich der Errichtung des Grundgesetzes der Bundesrepublik im Jahre 1949. Gerahmt wird dieses historische Ereignis u.a. durch die Hambacher Fahne von 1832 und ein Modell der Frankfurter Paulskirche, in der die Nationalversammlung 1849 eine Verfassung verabschiedete, die jedoch nie in Kraft trat. Die Verfassung der Weimarer Republik wird nicht genannt. Hier werden historische Ereignisse miteinander in Beziehung gesetzt, die durch ihre Kombination den Eindruck einer nahezu ungebrochenen zweihundert Jahre alten ‚deutschen‘ demokratischen Tradition erwecken. Dass die Verfassung der Weimarer Republik hier ausgelassen wird, ist im Sinne der FortschrittserzĂ€hlung notwendig. So hĂ€tte die Thematisierung der ersten deutschen Demokratie auch den Aufstieg des Nationalsozialismus beinhaltet. Dieser hĂ€tte damit nicht einfach als „Betriebsunfall“[7] dargestellt werden können, wodurch die ErzĂ€hlung der demokratischen Traditionslinie und damit der FortschrittserzĂ€hlung gestört worden wĂ€re. Zudem wĂŒrde man zumindest kurz auf die Revolution 1918/19 und die in diesem Kontext praktizierte Basisdemokratie eingehen mĂŒssen. Dadurch wĂ€re notwendigerweise die Bedeutung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und der linken Bewegungen herausgestellt worden, was WidersprĂŒche in der ErzĂ€hlung ĂŒber die DDR aufwerfen wĂŒrde.

 

Geschichte der DDR: Nur eine Gewaltgeschichte?

Die DDR wird ausschließlich als Gewaltgeschichte erzĂ€hlt und auf diese Weise delegitimiert. Auf den Fotografien, die die Ausstellung illustrieren, sind auffallend hĂ€ufig bewaffnete Menschen abgebildet und ein sowjetischer Panzer, der gegen den Massenaufstand von Arbeiter_innen am 17. Juni 1953 eingesetzt wurde, sĂ€umt den Weg der Besucher_innen.

Foto: Ronja Oltmanns (mit freundlicher Genehmigung des HdG Bonn), Dezember 2019.

Der Szene zur Errichtung des Grundgesetzes wird im selben Raum ein Abschnitt ĂŒber die DDR gegenĂŒbergestellt, in dem vor allem auf ihren diktatorischen Charakter verwiesen wird: Ausgestellte FDJ-Uniformen und Hinweise auf die Organisierung und Uniformierung der Jugend wecken Assoziationen mit der Hitlerjugend. Ein großes Schwarz-Weiß-Foto, das ein mit Stacheldraht umzĂ€untes Lager mit Wachturm und Warnschildern zeigt, dient als Blickfang. Das Foto erinnert unwillkĂŒrlich an die Konzentrations- und Vernichtungslager des Nationalsozialismus. Die Hinweistafel weist es als „sowjetische[s] Speziallage[r]“ aus. Unter dem Lagerfoto gibt es eine kurze Chronologie ĂŒber „Stalinistische Massenverbrechen“ von 1929 bis 1953 sowie kommentierte Fotos von Menschen, die politische Repression erlitten. „25 Jahre Arbeitslager wegen einer antistalinistischen Karikatur“[8] steht unter dem Foto eines Mannes. Die SBZ, die DDR und die UdSSR werden miteinander vermengt, wodurch sich der Eindruck verstĂ€rkt, dass es in erster Linie um eine Delegitimierung des politischen Systems geht. Dies funktioniert ĂŒber eine implizite Gleichsetzung der DDR mit dem Nationalsozialismus. Das Narrativ der „zwei Diktaturen auf deutschem Boden“[9] wird im Laufe der Ausstellung wieder aufgegriffen, indem die politische Justiz in der DDR in einem schwarzen Quader dargestellt wird. Dieses Gestaltungselement wird sonst nur mit Bezug auf den Nationalsozialismus verwendet.

Die GegenĂŒberstellung von BRD und DDR wird durch die farbliche Gestaltung der Ausstellung unterstĂŒtzt. So wird die DDR mit der Farbe rot gekennzeichnet, sodass sich ihre Geschichte eindeutig und auf den ersten Blick von derjenigen der BRD abgrenzt. Die Farbgebung tritt an exakt einer weiteren Stelle auf: bei der Thematisierung der Roten Armee Fraktion (RAF). Verbindungen zur DDR werden hier zusĂ€tzlich auf der Textebene hergestellt. Die RAF erscheint damit als Agentin der DDR in Westdeutschland. Auf diese Weise können die MissstĂ€nde in der damaligen BRD, die der RAF zeitweise hohe Zustimmungswerte in der westdeutschen Bevölkerung bescherten, unerwĂ€hnt bleiben. Dass ‚rot‘ hier nicht als Symbol fĂŒr ‚links‘ zu verstehen ist, zeigt die Gestaltung der Ausstellungsszene zur 68er-Bewegung: hier taucht die Farbe nicht auf. Die Farbgebung wird also genutzt, um das – aus der Perspektive der FortschrittserzĂ€hlung – Legitime vom Illegitimen zu trennen.

Die Grenze zwischen BRD und DDR wird zudem durch Gitterelemente gezogen, die an GefĂ€ngnisse erinnern. WĂ€hrend die BRD in großen luftigen RĂ€umen prĂ€sentiert wird, vermittelt die meist niedrigere Deckenhöhe fĂŒr die DDR ein GefĂŒhl von Enge und unterstreicht damit die ErzĂ€hlungen von Anpassungszwang und Repression.

Foto: Ronja Oltmanns (mit freundlicher Genehmigung des HdG Bonn), Dezember 2019.

Besonders eindrĂŒcklich wird diese gestalterische Suggestion in der Szene „Alltag in der Diktatur“: wĂ€hrend die Exponate und ErklĂ€rungstafeln die Besucher_innen wissen lassen, dass die DDR-FĂŒhrung jeden Lebensbereich ihrer BĂŒrger_innen kontrollierte, gĂ€ngelte und letztlich vorgab, bewegt man sich durch die Ausstellung, deren WĂ€nde hier eng zusammenstehen und nur eine mögliche GangfĂŒhrung zulassen. Am Ende der Szene steht eine große Erinnerungswand fĂŒr die Menschen, die von DDR-Grenzsoldaten erschossen wurden. Hier wird die Ausstellung regelrecht zur GedenkstĂ€tte.

Foto: Ronja Oltmanns (mit freundlicher Genehmigung des HdG Bonn), Dezember 2019.

 

Die Geschichte der Bundesrepublik als ungebrochene FortschrittserzÀhlung

Die Geschichte der BRD wird als gegenlĂ€ufig zu jener der DDR dargestellt und ist die einer widerspruchsfreien Demokratisierung; sie vermittelt den Triumph der bĂŒrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft und des politischen Systems des Westens. Unmittelbar nach dem „Alltag in der Diktatur“ der DDR gelangt man in die glitzernde, ĂŒppige Welt des Wirtschaftswunders. Rock 'n Roll, Konsum, Wohlstand, ‚American Way of Life‘ – die Bundesrepublik der spĂ€ten 1950er Jahre ist schillernd.

Foto: Ronja Oltmanns (mit freundlicher Genehmigung des HdG Bonn), Dezember 2019.

RĂ€umlich verknĂŒpft wird diese Welt des Wohlstands mit der industriellen Massenproduktion am Fließband. Der Fordismus erscheint hier als Garant fĂŒr wirtschaftlichen Aufschwung und als Voraussetzung fĂŒr den Ausbau des Sozialstaats. Die Gewerkschaften werden wenige Schritte weiter großzĂŒgig bedacht; als institutionalisierter Sozialpartner sind sie fester Bestandteil des bundesrepublikanischen GefĂŒges und damit elementar fĂŒr die hier prĂ€sentierte FortschrittserzĂ€hlung. WidersprĂŒchliches – etwa ArbeitskĂ€mpfe jenseits sozialpartnerschaftlicher Regulierung[10] – finden keine ErwĂ€hnung. Kapitalistische Produktionsweise, Sozialpartnerschaft und Wohlfahrtstaat erscheinen als einzig gangbarer Weg, um eine prosperierende Nation und gesellschaftlichen Wohlstand zu erreichen. Dass etwa der Ausbau sozialstaatlicher Leistungen sowie die Öffnung der Bildungssysteme fĂŒr breitere Teile der Bevölkerung – und damit die (begrenzte) Teilhabe von Kindern aus Arbeiterfamilien an akademischer Bildung – durchaus auch eine Antwort auf Maßnahmen der sozialen Sicherung in der DDR und ein Mittel im Kalten Krieg waren, um die Überlegenheit des Westens zu demonstrieren, bleibt hier unerwĂ€hnt.[11]

 

Einebnung aller WidersprĂŒche

Episoden der westdeutschen Geschichte, die das Demokratisierungsnarrativ hĂ€tten irritieren oder gar infrage stellen können, werden entweder nicht genannt oder – wie beispielsweise die Spiegel-AffĂ€re – rĂ€umlich marginalisiert, sodass sie innerhalb der Ausstellung an Relevanz verlieren.

Andere PhĂ€nomene, die zeitgenössisch zu harten Auseinandersetzungen gefĂŒhrt hatten, wie die sozialen Bewegungen der 1970er und 1980er Jahre, werden widerspruchsfrei in die ErzĂ€hlung integriert, indem sie als Impulsgeberinnen dargestellt werden, deren Anliegen vom Staat dankend aufgegriffen worden seien: „Trotz massiver Proteste vieler BĂŒrger und ZusammenstĂ¶ĂŸen mit der Polizei bleibt die Übereinstimmung mit dem politischen System der Bundesrepublik im Grundsatz ungebrochen: Die parlamentarisch-rechtsstaatliche Demokratie greift Impulse auf, die von BĂŒrgerinitiativen und Protestgruppen ausgehen“, so der ErklĂ€rtext des Abschnitts 1974-1989[12]. Dass die staatliche Repression linker Bewegungen durchaus ein kontinuierliches Moment der bundesrepublikanischen Geschichte ist und die Beherrschung des Protests dabei selbst nicht selten von verfassungsrechtlichen GrundsĂ€tzen abwich und damit in Teilen zutiefst undemokratisch war, findet keine ErwĂ€hnung.[13]

Ein weiteres Beispiel fĂŒr die Marginalisierung des undemokratischen Handelns ist die ausfĂŒhrliche WĂŒrdigung von Willi Geiger. Als (Mit-)Verfasser des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, Bundesverfassungsrichter (1951-1977) und Richter am BGH (1950-1960) war er einer der politisch einflussreichsten MĂ€nner der Bundesrepublik.[14] In der Ausstellung unerwĂ€hnt bleibt jedoch, dass Geiger nicht nur im Nationalsozialismus Karriere gemacht hatte, sondern auch NS-TĂ€ter war.[15] An einem Bildschirm kann man den GesprĂ€chen Willi Geigers mit dem Journalisten Reinhard Appel lauschen. Nebenan befindet sich eine Vitrine zu den Verboten der KPD und der Sozialistischen Reichspartei (SRP), letztere eine Nachfolgepartei der NSDAP, durch das Bundesverfassungsgericht. Sowohl aufgrund der Person Geigers als auch wegen der rĂ€umlichen Anordnung hĂ€tte hier die Möglichkeit bestanden, einige der grundlegenden Demokratiedefizite der (frĂŒhen) Bundesrepublik zu thematisieren: unzureichende Entnazifizierung, ausufernder Antikommunismus, Protektion rechtsradikaler Organisationen. In diesem Zusammenhang wirkt es beinahe grotesk, dass eine ausgestellte Karikatur aus der DDR mit dem Titel „Das braune Haus von Bonn“, welche die NS-Belastung hoher Regierungsvertreter der BRD thematisiert, durch die Ausstellungsmacher_innen mit dem Kommentar „Zerrbild. Ehemalige Nationalsozialisten in Amt und WĂŒrden – so das DDR-Propagandabild von Westdeutschland“[16] versehen wurde.

 

Migration als besondere Herausforderung der MeistererzÀhlung

Das Thema Migration in der Dauerausstellung macht deutlich, dass die MeistererzĂ€hlung des Fortschritts auch eine ausschließende Nationalgeschichtsschreibung ist. Migration wird zweckmĂ€ĂŸig ausschließlich dort thematisiert, wo sie entweder das Demokratisierungsnarrativ stĂŒtzt oder wo sich mit ihrer Auslassung die FortschrittserzĂ€hlung nicht hĂ€tte fortspinnen lassen. Die Arbeitsmigration des Gastarbeiterregimes etwa lĂ€sst sich nicht exkludieren, weil sie im bundesdeutschen Diskurs ĂŒber Migration sowie in der ErzĂ€hlung des HdG sowohl den Ausgangspunkt fĂŒr das Bekenntnis zum Einwanderungsland markiert – welches erst Ende der 1990er Jahren offiziell wurde, heute aber zum Wertekanon einer sich als aufgeklĂ€rt und tolerant verstehenden Bundesrepublik gehört – , als auch der Entstehung von rechtsradikalen Parteien und rassistischen Bewegungen eine vermeintliche BegrĂŒndung und RationalitĂ€t verleiht, die außerhalb der ‚deutschen‘ Gesellschaft liegt.

Gleich zu Beginn der Ausstellungsszene zur „Gastarbeiter“-Migration wird auf die GrĂŒndung der NPD 1964 hingewiesen. Die rĂ€umliche NĂ€he suggeriert hier einen kausalen Zusammenhang, der an spĂ€terer Stelle noch expliziter hergestellt wird. So bilden die Novellierung des Staatsangehörigkeitsgesetzes 1999 und das damit einhergehende öffentliche Bekenntnis zur EinwanderungsrealitĂ€t gemeinsam mit den massiven rassistischen AnschlĂ€gen zu Beginn der 1990er Jahre eine Ausstellungsszene. Auf der Tafel mit der Überschrift „Einwanderungsland“ ist zu lesen: „Die Integration der neuen MitbĂŒrger wĂ€chst zu einer zentralen Aufgabe fĂŒr Deutschland heran. Die FĂŒlle der Alltagskulturen und Weltbilder fĂŒhrt auch zu Spannungen und Konflikten“[17]. Die Migrationsbewegungen von 2015 werden direkt mit den rassistischen Mobilisierungen und AnschlĂ€gen verknĂŒpft: „Ablehnung: Steigende FlĂŒchtlingszahlen erzeugen Ängste und stĂ€rken rechtsextreme Bewegungen [...]“[18]. Rassismus erscheint hier als quasi ‚natĂŒrliche‘ Reaktion auf ‚Fremdheit‘, rassistische Gewalt als Überreaktion einiger weniger. Die Thematisierung von Migration dient hier in erster Linie der Entlastung und stĂ€rkt das Fortschritts- und Demokratisierungsnarrativ, obwohl es eigentlich beschĂ€digt werden mĂŒsste. Das funktioniert dadurch, dass Rassismus aus der deutschen Gesellschaft exkludiert und in ein diffuses ‚Außen‘ projiziert wird. So der Text einer Tafel zum Aufstieg der NPD in den 1960er Jahren: „Mit der Wahl demokratischer Parteien, auch mit Protestaktionen und Demonstrationen wehrt sich die Mehrheit der Deutschen dagegen“.[19] Oder zu den rassistischen Pogromen Anfang der 1990er Jahre: „NeonaziaufmĂ€rsche, auslĂ€nderfeindliche AnschlĂ€ge und Wahlerfolge rechtsextremistischer Parteien verĂ€ngstigen zu Beginn der 1990er Jahre die Bevölkerung in Ost und West“.[20] Hier wird der Anschein erweckt, als wĂ€re die weiße deutsche Mehrheitsgesellschaft ebenso betroffen gewesen wie jene Menschen, denen die rassistischen AnschlĂ€ge galten. ‚Störfaktoren‘ fĂŒr die DemokratisierungserzĂ€hlung bleiben auch hier unerwĂ€hnt: so stimmten große Teile der mehrheitsdeutschen Bevölkerung den rassistischen Gewalttaten zu und Politiker_innen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene haben sich wenig eindeutig gegen diese Taten ausgesprochen, einige Ă€ußerten sogar VerstĂ€ndnis gegenĂŒber dem „Unmut“ der deutschen Bevölkerung. Sowohl die Unionsparteien als auch die SPD nutzten die Pogromstimmung, um die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl durchzusetzen.[21]

Die GrĂŒndung der NPD wird in einem kleinen und schmalen schwarzen Quader dargestellt. Daran angelehnt werden die rassistischen Bewegungen der 1990er Jahre und diejenigen im Kontext des Jahres 2015 auf schwarzen WĂ€nden prĂ€sentiert, die sich von der hellen Gestaltung der Umgebung abheben.

Durch die so hergestellte, gestalterische Verbindung mit dem Nationalsozialismus erscheinen die rassistischen Bewegungen nach 1945 als letztlich historische PhĂ€nomene, die mit der deutschen Gesellschaft nichts zu tun hĂ€tten. Auf diese Weise gelingt es, den Rassismus – ebenso wie zu Beginn der Ausstellung den Nationalsozialismus – aus der Gesellschaft zu exkludieren. FĂŒr die 1990er Jahre wird dies zusĂ€tzlich durch die Gewichtung der Fotografien gestĂŒtzt: Blickfang ist hier nicht eine der Fotografien der zahlreichen BrandanschlĂ€ge, sondern eine Kerzenaktion gegen Neonazis in Dresden.

Dort, wo eingestanden werden muss, dass die Pogrome doch nicht nur von wenigen Neonazis begangen wurden, sondern „nachhaltig schockierend [
] fĂŒr viele der Mob [war], der zuschaut und applaudiert“[22], wird „der Mob“ jenseits der Mehrheitsgesellschaft verortet, indem groß auf der Wand das – in die Ikonographie dieser Jahre eingegangene – Bild des Mannes im Trainingsanzug prangt, der seine Hand zum Hitlergruß erhebt und einen nassen Fleck im Schritt hat. Rassismus erscheint so als ausschließliches Problem prekarisierter Bevölkerungsgruppen, nicht als grundlegendes strukturelles Problem in Staat, Politik und Gesellschaft. Diese Darstellung stĂŒtzt die DemokratisierungserzĂ€hlung, indem der Eindruck erweckt wird, dass sich ‚Deutschland‘ dem entschlossen entgegengestellt habe.

 

Auswahl im Sinne der MeistererzÀhlung

Sicher muss immer – ob im Museum oder bei einer Buchveröffentlichung – eine Auswahl der Geschichten getroffen werden, die erzĂ€hlt werden. Eine ‚vollstĂ€ndige‘ Geschichte kann es nicht geben. Diese Auswahl folgt jedoch bestimmten Kriterien – im HdG sind es die der nationalen FortschrittserzĂ€hlung. Hier wird die Geschichte einer durch Nationalsozialismus und Krieg zerstörten Nation erzĂ€hlt, die sich nach 1945 unmittelbar und zĂŒgig auf ihre ‚demokratischen Wurzeln‘ besonnen habe und immer weiter vorangeschritten sei, um heute liberal, aufgeklĂ€rt, tolerant und selbstbewusst zu sein. Um diese ErzĂ€hlung aufrecht zu erhalten, muss jedoch ein Großteil der Geschichte ausgespart werden. In der Konsequenz kommen Migrant_innen und Ostdeutsche nur dort vor, wo ihre Geschichte genutzt werden kann, um die FortschrittserzĂ€hlung der Bundesrepublik zu untermauern oder um PhĂ€nomene zu ‚erklĂ€ren‘, die nicht in die DemokratisierungserzĂ€hlung passen. Diverse andere Teile der Bevölkerung, zum Beispiel Afrodeutsche, werden fast vollstĂ€ndig ausgeschlossen. Die Art und Weise, wie den Todesopfern an der innerdeutschen Grenze gedacht wird, zeigt, dass es sich hier um eine regelrechte Instrumentalisierung handelt. Die Gedenkwand fĂŒr die Toten an der innerdeutschen Grenze inszeniert vor allem die Grausamkeit des DDR-Staats, indem leuchtende Bildschirme mit den PortrĂ€ts der Toten prĂ€sentiert werden und Dossiers ihre Biographien erzĂ€hlen.

Foto: Ronja Oltmanns (mit freundlicher Genehmigung des HdG Bonn), Dezember 2019.

Die Opfer des sogenannten NSU hingegen werden auf einem einzelnen DIN-A4-Blatt zusammengefasst, mit winzigen Fotos und ohne Lebensdaten der Menschen.

Foto: Ronja Oltmanns (mit freundlicher Genehmigung des HdG Bonn), Dezember 2019.

Die BrandanschlĂ€ge in Mölln und Solingen werden thematisiert, aber die Namen der Ermordeten nicht genannt. Auf einem kleinen Bildschirm, der einen Einblick in den „massiven Komple[x] rassistischer Gewalt seit 1990“[23] vermittelt (die allerdings verschleiernd als „fremdenfeindliche Gewalt“ bezeichnet wird), wird mit der ermordeten Polizistin ausgerechnet das einzige weiße deutsche Opfer des NSU beim Namen genannt.

 

Wie kommt es zu den Leerstellen?

Dass auf die FortschrittserzĂ€hlung ausgerichtete und damit sehr begrenzte und unterkomplexe VerstĂ€ndnis von Rassismus in der bundesdeutschen Gesellschaft fĂŒhrt schließlich auch dazu, dass Rassismus nicht als historisch gewachsene Struktur von Staat, Politik und Gesellschaft reflektiert wird. Eine Anerkennung dessen, dass es sich bei Rassismus um einen „Macht-Wissen-Komplex“[24] handelt, also tief im kollektiven Wissen, in Denktraditionen, Alltagspraktiken, Institutionen, Gesetzgebungen und auch in der Geschichtswissenschaft verankert ist, wĂŒrde zu einer anderen Interpretation und Darstellung der bundesdeutschen Geschichte fĂŒhren.[25]

Das Bedienen einer nationalen MeistererzĂ€hlung hat zur Folge, dass Migration nicht als etwas thematisiert wird, was es in der Geschichte der Menschheit immer gegeben hat, sondern als Ausnahme und als Problem. Migrant_innen werden als das ‚Andere‘ markiert, das in eine imaginĂ€r-homogene, weiß-deutsche Gesellschaft integriert werden mĂŒsste. So erklĂ€rt die Tafel mit der Überschrift „Kein Einwanderungsland?“ zum Thema „Gastarbeiter“: „[
] Die sozialen Folgen der Zuwanderung stellen die Kommunen vor neue Herausforderungen. Umfassende Konzepte zur Integration fehlen. Deutschland will kein Einwanderungsland sein [...]“.[26] Unter der Überschrift „Zusammenleben“ heißt es: „Die Tage der auslĂ€ndischen MitbĂŒrger ermöglichen Begegnungen und Kontakte zwischen Deutschen und Zugewanderten. Sie finden seit 1975 jĂ€hrlich statt und dienen dem gegenseitigen VerstĂ€ndnis sowie dem Abbau von Vorurteilen“[27]. Hier wird keine plumpe völkisch-rassistische ErzĂ€hlung bedient, nach der Migrant_innen per Definition keinen Platz in der Bundesrepublik hĂ€tten. Das Problem ist vielmehr in den Strukturen des Wissens und seiner BestĂ€nde zu suchen; es ist ein grundsĂ€tzliches Problem von nationalgeschichtlichen Museen. Die Geschichte des modernen Museums ist auf das Engste mit der Herausbildung moderner Nationalstaaten im 19. Jahrhundert verknĂŒpft. Im selben Zeitraum wurde Geschichte zu einer Leitwissenschaft und diente als Instrument, um den Nationalstaat und seine BĂŒrger_innen als Einheiten mit gemeinsamer Geschichte zu konstruieren. Im 19. und frĂŒhen 20. Jahrhundert bildete sich ein GeschichtsverstĂ€ndnis heraus, das von der Vorstellung eines immerwĂ€hrenden Fortschritts geprĂ€gt war. Gegenwart und Zukunft setzten somit notwendigerweise eine BeschĂ€ftigung mit der Vergangenheit voraus. Institution dieser Vermittlung von Geschichte und IdentitĂ€t waren die Museen: Sie wurden zu Orten, an denen sich Angehörige einer Gruppe in Abgrenzung zu anderen ihrer kollektiven IdentitĂ€t versicherten.[28] Diese Konstruktion des Nationalstaats ging einher mit der Vorstellung eines ‚ethnisch homogenen Volkes‘ und eines festen Territoriums. Das hat zur Folge, dass Migration in einem der Nationalgeschichte verpflichteten Museum kaum angemessen thematisiert werden kann und der (methodologische) Nationalismus nahezu zwingend eine Instrumentalisierung der Migrationsgeschichte hervorbringt. Die Dauerausstellung im HdG zeigt, dass dieses GeschichtsverstĂ€ndnis auch heute noch wirkmĂ€chtig sein kann.

Die Auswahl des ErzĂ€hlten im HdG ist zudem politisch, weil es in Museen auch stets um die Frage geht, wessen Geschichte erzĂ€hlt wird, wer sich reprĂ€sentiert fĂŒhlen kann und wer ausgeschlossen wird. Die (Nicht-)ReprĂ€sentation weist Menschen (k)einen Platz in der Geschichte und in der Gesellschaft zu.

 

Eine gefÀhrliche MeistererzÀhlung

Zwischen dem Anspruch des HdG an die eigene Geschichtsvermittlung und dem, was die Ausstellung leistet, klafft eine große LĂŒcke. So heißt es in der Einleitung zum Ausstellungskatalog: „AusdrĂŒcklich sollen nicht allgemeingĂŒltige Wahrheiten formuliert, kein gleichsam offizielles Geschichtsbild vorgegeben werden, das Haus der Geschichte will nicht normativ wirken“. Vielmehr solle die Vielschichtigkeit der Erinnerungskultur durch eine „multiperspektivische Darstellungsweise“ vermittelt werden. Schließlich „will [die Ausstellung] einen Beitrag leisten zum VerstĂ€ndnis unserer Gesellschaft und zur individuellen Selbstvergewisserung“.[29] Auch die erste Tafel der Ausstellung fordert dazu auf, sich eine Meinung zu bilden und zu diskutieren. Doch genau das macht die nationale MeistererzĂ€hlung des Fortschritts, die das HdG prĂ€sentiert, unmöglich. Wie kann man ĂŒber etwas diskutieren, das mit der AutoritĂ€t des Museums als unumstĂ¶ĂŸliche Wahrheit vermittelt wird? Wie soll eine Diskussion entstehen, wenn eben nicht auf Irritation und MultiperspektivitĂ€t gesetzt wird?

Die MeistererzĂ€hlung, welche die Inhalte der Dauerausstellung im Haus der Geschichte bestimmt, fĂŒhrt vielmehr zu einer Verteidigung des deutschen Nationalstaats mit all seinen rassistischen AusschlĂŒssen und gewaltvollen Instrumentalisierungen. Sie vermittelt den (vermeintlichen) Triumph der bĂŒrgerlich-kapitalistischen Gesellschaft. Und sie fördert Nationalismus und Überlegenheitsdenken. Das ist gefĂ€hrlich. Diese machtvolle ErzĂ€hlung, die eng mit der Entstehung des Nationalstaats verwoben und deren Ort das historische Nationalmuseum ist, wird nicht durch eine Umgestaltung von Teilen der Ausstellung aufzubrechen sein.
Notwendig wĂ€re ein kompletter Neuaufbau des HdG. Oder das Museum selbst mĂŒsste Objekt werden, an welchem gezeigt wird, wie Geschichte konstruiert wird und wie machtvoll diese MeistererzĂ€hlung in diesem Museum funktioniert.

In seinem jetzigen Zustand ist das HdG nur denjenigen zu empfehlen, die sich fĂŒr die Frage interessieren, wie Geschichte im Museum konstruiert wird und welche Narrative eines der großen HĂ€user zur Geschichte der Bundesrepublik pflegt. Ein kritischer Umgang mit dieser oder gar das viel beschworene Lernen aus der Geschichte kann hier nicht stattfinden.

 

Mein Dank gilt Thorsten Logge und Steffen MĂŒller fĂŒr zahlreiche Kommentare und Diskussionen.

 


[1]  Vgl. Das Haus der Geschichte feiert Geburtstag, in: General-Anzeiger, 14.6.2019, (Stand: 18.6.2021).
[2] Es irritiert, dass sich die Geschichtswissenschaft bisher kaum mit dem HdG auseinandergesetzt hat, wĂ€hrend es eine ausfĂŒhrliche Diskussion zum Deutschen Historischen Museum sowie kritische Interventionen in die dort prĂ€sentierte Geschichtsschreibung gibt. Vgl. Irmgard ZĂŒndorf / Jan-Holger Kirsch (Hg.), Geschichtsbilder des Deutschen Historischen Museums. Die Dauerausstellung in der Diskussion, in: Zeitgeschichte-online (2007), (Stand: 21.6.2021); Dörte Lerp / Susann Lewerenz, Museen hacken, oder: Das „revolutionĂ€re Potential der Partizipation“, in: AutorInnenkollektiv Loukanikos (Hg.), History is unwritten. Linke Geschichtspolitik und kritische Wissenschaft. Ein Lesebuch, MĂŒnster 2015, S. 252-267. Das HdG wurde bereits vor der Eröffnung von Hans Mommsen wegen der Fokussierung des Hauses auf die IdentitĂ€tsstiftung kritisiert, vgl. Hans Mommsen, Verordnete Geschichtsbilder. Historische MuseumsplĂ€ne der Bundesregierung, in: Gewerkschaftliche Monatshefte (1/1986), S. 13-24, hier S. 13-15, (Stand: 21.6.2021).
[3] Zudem gibt es fĂŒr 33 Stationen einen Audioguide auf Französisch, Deutsch, Spanisch, Englisch, Deutsch in leichter Sprache, Deutsche GebĂ€rdensprache und Audiodeskription.  
[4] Ein Wegweiser durch die Ausstellung mit einer Übersicht zu den einzelnen Stationen, (Stand: 1.6.2021).
[5] Vgl. Konrad H. Jarausch / Martin Sabrow, „MeistererzĂ€hlung“ – Zur Karriere eines Begriffs, in: Dies. (Hg.), Die historische MeistererzĂ€hlung. Deutungslinien der deutschen Geschichte nach 1945, Göttingen 2002, S. 9-32, hier S. 16; Konrad H. Jarausch, Die Krise der nationalen MeistererzĂ€hlungen. Ein PlĂ€doyer fĂŒr plurale, interdependente Narrative, in: Historical Social Research 24 (2012), S. 273-291, hier S. 275, (Stand: 20.6.2021). MeistererzĂ€hlungen funktionieren durch „eine dramatische Darstellung in Form einer leicht erzĂ€hlbaren Geschichte; sie transportieren eine ideologische Botschaft mit konkreten Handlungsanweisungen; sie schlagen eine BrĂŒcke zwischen wissenschaftlichen Forschungen und allgemeingesellschaftlichen Geschichtsbildern; und sie dienen durch emotionale Appelle schließlich der kollektiven IdentitĂ€tsbildung“, ebd.
[6] Eine Kritik des Museums aus fachlicher Perspektive, die sich daran abarbeitet, welche geschichtswissenschaftlichen Standards (nicht) eingehalten werden, wird nicht geleistet. Ich beziehe mich hier auf Jorma Kalela, der kritisiert hat, dass sich der Umgang von Historiker_innen mit public histories/Geschichte in der Öffentlichkeit meist darin erschöpft, sie als unwissenschaftlich zu verwerfen und damit die Auseinandersetzung ausschließen, vgl. Jorma Kalela, Making History. The Historian and Uses of the Past, Basingstoke, New York/NY 2012, S. x. Das HdG muss in der Tat auch nach geschichtswissenschaftlichen Standards kritisiert werden. Eine quellenkritische AnnĂ€herung an die Exponate ist z.B. nicht möglich, weil viele von ihnen völlig unkommentiert bleiben oder aber eine – bisweilen unzulĂ€ssige – Interpretation festgeschrieben wird, anstatt Informationen zur Quelle wie z.B. Entstehungsjahr, -zusammenhang, Überlieferung etc. zu geben und die Deutung offen(er) zu lassen. Die Auseinandersetzung darĂŒber muss jedoch an anderer Stelle stattfinden.
[7] Helmut Krausnick, zit. nach Astrid M. Eckert, Notwendige Kooperation. Westdeutsche Zeitgeschichte als transnationales Projekt in den 1950er Jahren, in: Ulrich Pfeil (Hg.), Die RĂŒckkehr der deutschen Geschichtswissenschaft in die „Ökumene der Historiker“. Ein wissenschaftsgeschichtlicher Ansatz, MĂŒnchen 2008, S. 133-152, hier S. 150 FN 70.
[8] Kapitel: 1945-1949. Last der Vergangenheit und Teilung Deutschlands, Unsere Geschichte. Deutschland seit 1945, Dauerausstellung (Dezember 2017- ), Haus der Geschichte, Bonn.
[9] Edgar Wolfrum, Diktaturen im Europa des 20. Jahrhunderts. Ein neuer zeitgeschichtlicher Förderschwerpunkt der Stiftung Volkswagenwerk, in: VfZ 40 (1992), S. 155-158, hier S. 155.
[10] Vgl. dazu Peter Birke, Wilde Streiks im Wirtschaftswunder. ArbeitskÀmpfe, Gewerkschaften und soziale Bewegungen in der Bundesrepublik und DÀnemark, Frankfurt/M., New York/NY 2007.
[11] Vgl. Bernd Stöver, Der Kalte Krieg 1947-1991. Geschichte eines radikalen Zeitalters, MĂŒnchen 2011, S. 216; Christoph Butterwegge, Krise und Zukunft des Sozialstaates, 3. erw. Aufl., Wiesbaden 2006, S. 63-73.
[12] Kapitel: 1974-1989. Neue Herausforderungen, Unsere Geschichte. Deutschland seit 1945, Dauerausstellung (Dezember 2017- ), Haus der Geschichte, Bonn.
[13] Erinnert sei hier exemplarisch an das verfassungswidrige Verbot der KPD 1956 mit seinen weitreichenden Folgen fĂŒr die linke Bewegung oder an den Radikalenbeschluss 1972. Vgl. dazu Josef Foschepoth, Verfassungswidrig!. Das KPD-Verbot im Kalten BĂŒrgerkrieg, Göttingen, Bristol/CT 2017; Alexander von BrĂŒnneck, Politische Justiz gegen Kommunisten in der Bundesrepublik Deutschland, 1949–1968, Frankfurt/M. 1978; Dominik Rigoll, Staatsschutz in Westdeutschland. Von der Entnazifizierung zur Extremistenabwehr, Göttingen 2013.
[14] Geiger war als Referent von Justizminister Thomas Dehler fĂŒr die Ausarbeitung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes verantwortlich, welches in Aussicht auf das kommende Verbotsverfahren gegen die KPD verfasst wurde. Das Verfahren wurde im selben Jahr beantragt. Nach dem Verbot der KPD 1956 wurde es zum wichtigen Instrument der juristischen Verfolgung von (vermeintlichen) Kommunist_innen. Mit den §§ 42 und 47 BVerfGG, welche die Zuwiderhandlung gegen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgericht ahndeten, wurde nicht nur die FortfĂŒhrung der illegalen KPD bestraft, sondern es machte sich jede_r strafbar, die_der „auf irgendeine Weise die gesetzwidrige Wirksamkeit der verbotenen Partei fördert[e]“ (zit. nach BrĂŒnneck, Politische Justiz, S. 135). Dies ließ eine legale kommunistische politische BetĂ€tigung kaum noch zu. Den Radikalenbeschluss von 1972 erklĂ€rte das Bundesverfassungsgericht 1975 auf Grundlage eines Gutachtens von Geiger fĂŒr verfassungskonform. Einen Antrag der Bundesregierung, der Deutschen National-Zeitung des rechtsradikalen Verlegers Gerhard Frey das Grundrecht auf freie MeinungsĂ€ußerung zu entziehen, wies das Gericht unter Beteiligung von Geiger hingegen zurĂŒck. Vgl. zum KPD-Verbot: Foschepoth, Verfassungswidrig!, S. 95-96, 122-123, 204-205; zu Geiger vgl. Helmut Kramer, Ein vielseitiger Jurist. Willi Geiger (1909-1994), in: Kritische Justiz, 27 (1994), S. 232-237, hier S. 234, 237 sowie die entsprechenden Entscheidungen des BVerfG: BVerfGE 38, 23-25 (Urteil vom 2.7.1974); BVerfGE 39, 334 (Urteil vom 22.5.1975).
[15] In seiner Dissertation von 1941 rechtfertigte er Berufsverbote u.a. fĂŒr Juden_JĂŒdinnen. Zudem war er als Staatsanwalt des Sondergerichts Bamberg fĂŒr mindestens fĂŒnf Todesurteile verantwortlich, vgl. Kramer, Ein vielseitiger Jurist, S. 233.
[16] Kapitel: 1949-1955. Jahre des Aufbaus in Ost und West, Unsere Geschichte. Deutschland seit 1945, Dauerausstellung (Dezember 2017- ), Haus der Geschichte, Bonn.
[17] Kapitel: 1989 bis heute. Deutsche Einheit und globale Herausforderungen, Unsere Geschichte. Deutschland seit 1945, Dauerausstellung (Dezember 2017- ), Haus der Geschichte, Bonn.
[18] Ebd.
[19] Kapitel: 1963-1974. KontinuitÀt und Wandel, Unsere Geschichte. Deutschland seit 1945, Dauerausstellung (Dezember 2017- ), Haus der Geschichte, Bonn.
[20] Kapitel: 1989 bis heute. Deutsche Einheit und globale Herausforderungen, Unsere Geschichte. Deutschland seit 1945, Dauerausstellung (Dezember 2017- ), Haus der Geschichte, Bonn.
[21] Vgl. Patrice G. Poutrus, UmkĂ€mpftes Asyl. Vom Nachkriegsdeutschland bis in die Gegenwart, Berlin 2019, S. 171. Zur Instrumentalisierung der rassistischen Gewalt durch die Parteien vgl. Ronja Oltmanns, „Wer die MißbrĂ€uche des Asylrechts nicht bekĂ€mpft, der fördert [
] AuslĂ€nderfeindlichkeit.“ Die Instrumentalisierung der rassistischen AnschlĂ€ge und Pogrome Anfang der 1990er Jahre fĂŒr die faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl, in: Sozial.Geschichte Online, 27 (2020), (Stand: 20.6.2021).
[22] Kapitel: 1989 bis heute. Deutsche Einheit und globale Herausforderungen, Unsere Geschichte. Deutschland seit 1945, Dauerausstellung (Dezember 2017- ), Haus der Geschichte, Bonn.
[23] Norbert Frei u.a., Zur Rechten Zeit. Wider die RĂŒckkehr des Nationalismus, 2. Aufl., Berlin 2019, S. 180.
[24] Maria Alexopoulou, Blinde Flecken innerhalb der zeithistorischen Forschung in Deutschland. Eine Antwort auf Martin Sabrows Kommentar „Höcke und Wir“, Zeitgeschichte-online, Februar 2017.
[25] Maria Alexopoulou, Producing Ignorance. Racial Knowledge and Immigration in Germany, in: History of Knowledge (2018), (Stand: 21.6.2012). Alexopoulou hat darauf hingewiesen, dass die bundesrepublikanische Geschichte aus rassismuskritischer Perspektive anders zu interpretieren wĂ€re. So muss bspw. die als Forschungskonsens anerkannte Liberalisierung in den 1970er Jahren in Westdeutschland ĂŒberdacht und revidiert werden, wenn man die rechtliche Stellung der „Gastarbeiter_innen“ einbezieht, vgl. Maria Alexopoulou, Vom Nationalen zum Lokalen und zurĂŒck? Zur Geschichtsschreibung in der Einwanderungsgesellschaft Deutschland, Archiv fĂŒr Sozialgeschichte, 56 (2016), S. 463–484, hier S. 469f.
[26] Kapitel: 1963-1974. KontinuitÀt und Wandel, Unsere Geschichte. Deutschland seit 1945, Dauerausstellung (Dezember 2017- ), Haus der Geschichte, Bonn.
[27] Ebd.
[28] Vgl. Thomas Thiemeyer, Geschichte im Museum. Theorie – Praxis – Berufsfelder, TĂŒbingen 2018, S. 17-29.
[29] Alle Zitate: Hans W. HĂŒtter, Vergangenheit kennen, Gegenwart verstehen, in: Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hg.), Unsere Geschichte. Deutschland seit 1945, S. 7-13, hier S. 10, 15. Das Direktorium des HdG scheint sich der Problematiken seiner Geschichtsdarstellung also bewusst zu sein.

Zitation

Ronja Oltmanns, Ein Lobgesang auf die Bundesrepublik
 oder: . Warum das Haus der Geschichte in Bonn nicht reformierbar ist , in: Zeitgeschichte-online, , URL: https://dev.zeitgeschichte-online.de/geschichtskultur/ein-lobgesang-auf-die-bundesrepublik-oder

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