Quantitative Erforschung der ostdeutschen Transformationsgeschichte

 

Im Bereich der Transformationsforschung wird bisweilen den Geschichtswissenschaften noch keine eigenständige Rolle zugedacht. So werden etwa in der Einleitung eines Handbuchs zur Transformationsforschung zwar „welthistorische“ Beispiele von gesellschaftlichen und politischen Transformationen zur, wie es heißt, „Horizonterweiterung“ dargestellt. Allerdings wird die Historiografie dort nicht zu dem breiten, von Politik- sowie Kultur- über Rechts- bis hin zu Sozial- und Wirtschaftswissenschaften reichenden Feld der mit Transformationsforschung befassten Disziplinen gezählt.[1] Und gerade die quantifizierende Darstellung von gesellschaftlichem Wandel, also dessen eher zahlenmäßige und datenbasierte Beschreibung, wird immer noch vornehmlich als Domäne der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften betrachtet.

Die ostdeutsche Transformation bildet hiervon keine Ausnahme, ist sie doch intensiv von sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Forschung begleitet worden. Hierbei wurden die Entwicklungen in den ostdeutschen Bundesländern jedoch oftmals primär unter dem Gesichtspunkt der Angleichung an Westdeutschland betrachtet und zumeist erst ab 1990 beleuchtet, als die DDR schließlich zu einem Feld ungehinderter sozialwissenschaftlicher Erhebungen und Datenproduktion wurde. Untersuchungen von Historikern*innen zur Transformation Ostdeutschlands sind bislang noch rar.[2]

 

Zeitgeschichtliche Untersuchung der ostdeutschen Transformation

Gleichwohl kann eine genuin historische Betrachtung den Blickwinkel erweitern, während sie zum einen die Resultate und Materialien von Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern*innen zwar einbezieht, diese aber nicht einfach nur übernimmt, sondern ihrerseits als zeitgebundene Ergebnisse im geschichtlichen Kontext verortet. In diesem Sinne stellen quantitative Befunde zunächst einmal einen empirischen Rohbau dar, der noch historisch auszubauen und zu verputzen ist. Dafür wird das Datengerüst im gesellschaftlichen Rahmen der Zeit analysiert, und sich ergebende statistische Zusammenhänge werden auf historische Plausibilität überprüft.

Zum anderen bietet die geschichtliche Analyse eine umfassendere und integrative Perspektive, wenn sie nicht erst beim unmittelbaren Umbruch ansetzt, sondern dessen Vorgeschichte mitberücksichtigt. Beispielsweise lässt sich fragen, ob und inwieweit sozioökonomische Entwicklungen der 1990er-Jahre in den ostdeutschen Ländern schon durch soziale Anordnungen in der späten DDR vorgeformt waren. Mit der Betrachtung des Davor und Danach lassen sich neben den Brüchen auch mögliche Kontinuitäten über 1989/90 hinweg beobachten. Bereits im November 1990 hatte der – historisch so interessierte wie informierte – Soziologe M. Rainer Lepsius es als erforderlich angesehen, dass man bei der Erforschung der Transformation Ostdeutschlands „nicht erst 1989 oder 1985 ansetzen“ dürfe, sondern einen früheren Ausgangspunkt wählen müsse.[3] – Ein Anspruch, der bis heute (noch) nicht eingelöst ist.

 

Quantitative Quellen aus der Zeit vor 1989

Zur Abbildung von gesellschaftlichem Wandel, wie die Entwicklung politischer Einstellungen und sozioökonomischer Phänomene innerhalb sozialer Gruppen, eignen sich insbesondere quantitative Quellen. In erster Linie wird dabei auf zeitgenössisch erhobene Daten zurückgegriffen, die entsprechende wirtschaftliche und soziale Indikatoren wie auch politische Selbsteinschätzungen beinhalten und in der Regel deutlich größere Fallzahlen aufweisen, als dies qualitative Quellen, wie etwa Interviews, tun. Allerdings scheint man bei einer längerfristigen Perspektive auf die ostdeutsche Transformationsgeschichte hier bereits an eine Grenze zu stoßen, haftet doch Daten und Statistiken aus der Zeit vor dem Umbruch gemeinhin der Makel der Manipulation an.[4] Man sollte sich aber nicht täuschen lassen: Bei den amtlichen DDR-Statistiken wurde nicht durch direkte Zahlenfälschungen, sondern vielmehr mittels Verschweigen und selektiver Veröffentlichungspraxis Zensur betrieben.[5] Somit lassen sich Daten der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik (SZS), die teilweise bereits in Datenkompilationen veröffentlicht worden sind oder im Bundesarchiv zumeist als gedruckte Zahlenberichte vorliegen, durchaus nutzen.[6]

Problematischer sieht es hingegen mit Studien aus, die von den DDR-Gesellschaftswissenschaften produziert wurden. Spätestens seit den 1970er-Jahren waren die Sozialwissenschaftler*innen in der DDR starker politischer Reglementierung unterworfen. Nicht nur, dass sie ihre Fragebögen staatlicherseits genehmigen lassen mussten, auch waren ihnen keine bevölkerungsweiten Erhebungen gestattet, sondern lediglich Befragungen in gesellschaftlichen Teilgruppen. Auf diese Weise sollten empirische Befunde verhindert werden, die dem offiziell propagierten Bild des realexistierenden Sozialismus möglicherweise hätten widersprechen können. Trotz der mangelnden Repräsentativität und eingeschränkten Aussagekraft der Untersuchungen der DDR-Soziologie lassen sich in ihnen durchaus „interessante Detailerkenntnisse“[7] finden, die es lohnen, ausgewertet zu werden.[8] Mithin sind an diese Datensätze – wie generell an alle zu nutzenden (Daten-)Quellen – die klassischen Fragen einer historischen Quellenkritik zu stellen: Wer hat was, wann, wie und warum erhoben?

 

Erhebungen seit dem Umbruch

Die Rahmenbedingungen für sozialwissenschaftliche Erhebungen in Ostdeutschland verbesserten sich schlagartig mit dem Herbst 1989. Neben DDR-Forschungseinrichtungen wie dem Leipziger Zentralinstitut für Jugendforschung (ZIJ), das sogleich die neuen Möglichkeiten für „befreite“ Surveys zu nutzen wusste, entdeckten auch westdeutsche Institutionen die Noch-DDR als empirisches Feld. So führte beispielsweise bereits im Sommer 1990 das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) seine erste Ost-Stichprobe durch, in deren Konzeptionierung auch ostdeutsche Sozialwissenschaftler eingebunden waren. Ein Jahr darauf wurden die neuen Bundesländer zum ersten Mal in die größte deutsche Haushalts- und Personenbefragung, in den von der amtlichen Statistik durchgeführten Mikrozensus, einbezogen.

 

Datenarbeit

Die Daten aus bundesrepublikanischen Erhebungen, die mittlerweile bis in die Gegenwart reichen, liegen in der Regel als digitale Scientific-Use-Files vor, sodass sie sich relativ flexibel auswerten und filtern lassen. Dies ist von großem Vorteil, möchte man sie mit den bisweilen etwas starreren DDR-Daten zu übergreifenden Zeitreihen verknüpfen – wenngleich hierbei sicherlich nicht für alle statistischen Kategorien hundertprozentige Passgenauigkeit herzustellen ist.[9]

Wer das quantitative Quellenmaterial aus der erweiterten Transformationsphase Ostdeutschlands in historischen Sekundäranalysen zum Klingen bringt, wird interessante empirische Ergebnisse zutage fördern. Zum Beispiel zeigt sich, dass der Einkommensunterschied zwischen den vollbeschäftigten weiblichen Arbeitnehmerinnen und den männlichen Arbeitnehmern mit dem Übergang vom Sozialismus zum Kapitalismus einen spürbaren Rückgang erfuhr.[10] Beachtenswert ist etwa auch, dass sich vor der ersten freien Volkskammerwahl im März 1990 lediglich acht Prozent der wahlberechtigten Ostdeutschen dagegen aussprachen, ‚Die Republikaner‘ in der DDR zu verbieten.[11] Mittlerweile scheint laut aktuellen Wahlergebnissen und -umfragen ein merklich größerer Teil der Ostdeutschen solchen politischen Strömungen durchaus einen legitimen Platz im Parteienspektrum zuzumessen.

Solche quantitativ-empirischen Befunde, die die Zeit vor, während und nach dem Umbruch miteinander verbinden, rufen geradezu nach historischer Kontextualisierung und zeitgeschichtlicher Erklärung.


[1] Vgl. Kollmorgen, Raj/Merkel, Wolfgang/Wagener, Hans-Jürgen: Transformation und Transformationsforschung: Zur Einführung, in: dies. (Hg.): Handbuch Transformationsforschung, Wiesbaden 2015, S. 11–27, hier S. 19–22 u. 25.
[2] So auch Hoffmann, Dierk/Schwartz, Michael/Wentker, Hermann: Die DDR als Chance. Desiderate und Perspektiven künftiger Forschung, in: Mählert, Ulrich (Hg.): Die DDR als Chance. Neue Perspektiven auf ein altes Thema, Berlin 2016, S. 23–70, hier S. 59–64.
[3] Lepsius, M. Rainer: Zur generellen Situation der Sozialwissenschaften in der bisherigen DDR und im vereinten Deutschland, in: Zapf, Wolfgang/Thurn, Georg (Hg.): Zur Lage der sozialwissenschaftlichen Forschung in der ehemaligen DDR. Wissenschaftliche Interessen, Forschungserfahrungen, Strukturprobleme, Kooperationswege (= WZB Paper, P 90-008), Berlin 1990, S. 16–19, hier S. 17.
[4] In dieser Hinsicht verweisen Pickel, Gert/Pickel, Susanne: Quantitative Verfahren der Transformationsforschung, in: Kollmorgen/Merkel/Wagener (Hg.): Handbuch Transformationsforschung (wie Anm. 1), S. 243–253, hier S. 244 auf das generelle Problem in der quantitativen Transformationsforschung, dass „es sich als ausgesprochen schwierig [erweist], zuverlässige statistische Vergleichsdaten aus der Vortransformationszeit zu erhalten“.
[5] Vgl. Ciesla, Burghard: Hinter den Zahlen. Zur Wirtschaftsstatistik und Wirtschaftsberichterstattung in der DDR, in: Lüdtke, Alf/Becker, Peter (Hg.): Akten. Eingaben. Schaufenster. Die DDR und ihre Texte. Erkundungen zu Herrschaft und Alltag, Berlin 1997, S. 39–55.
[6] Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Statistische Übersichten zur Sozialpolitik in Deutschland seit 1945 (Band SBZ/DDR); Verfasser: André Steiner unter Mitarbeit von Matthias Judt und Thomas Reichel, Bonn 2006.
[7] Berger, Horst: Sozialindikatorenforschung in der DDR. Wissenschaftstheoretische, forschungsorganisatorische und institutionelle Aspekte (= WZB Paper, FS III 97-408), Berlin 1997, S. 29.
[8] Viele Datensätze der DDR-Sozialwissenschaften sind in digitaler Form zusammen mit den eingesetzten Fragebögen und weiteren Materialien beim GESIS – Leibnitz-Institut für Sozialwissenschaften zugänglich.
[9] Siehe dazu auch die Einlassung des mit der Rekonstruktion längerer Datenreihen bestens vertrauten Ökonomen Anthony Atkinson; vgl. ders.: Ungleichheit. Was wir dagegen tun können, Stuttgart 2016, S. 65f.
[10] So ein Befund aus dem laufenden Promotionsprojekt des Autors: „Soziale Ungleichheit in Ostdeutschland 1980–2000. Die materiellen Lagen von Arbeitnehmerhaushalten im Wandel“.
[11] Ausgewertet nach: Institut für Soziologie und Sozialpolitik: Befragung zur Wahl 1990; März 1990, in: GESIS Datenarchiv, Köln; ZA6311; Fragetext: „Halten Sie den Beschluß der Volkskammer der DDR über das Verbot der Republikanischen Partei für richtig?“

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Im Bereich der Transformationsforschung wird bisweilen den Geschichtswissenschaften noch keine eigenständige Rolle zugedacht. So werden etwa in der Einleitung eines Handbuchs zur Transformationsforschung zwar „welthistorische“ Beispiele von gesellschaftlichen und politischen Transformationen zur, wie es heißt, „Horizonterweiterung“ dargestellt. Allerdings wird die Historiografie dort nicht zu dem breiten, von Politik- sowie Kultur- über Rechts- bis hin zu Sozial- und Wirtschaftswissenschaften reichenden Feld der mit Transformationsforschung befassten Disziplinen gezählt.[1] Und gerade die quantifizierende Darstellung von gesellschaftlichem Wandel, also dessen eher zahlenmäßige und datenbasierte Beschreibung, wird immer noch vornehmlich als Domäne der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften betrachtet.

Die ostdeutsche Transformation bildet hiervon keine Ausnahme, ist sie doch intensiv von sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Forschung begleitet worden. Hierbei wurden die Entwicklungen in den ostdeutschen Bundesländern jedoch oftmals primär unter dem Gesichtspunkt der Angleichung an Westdeutschland betrachtet und zumeist erst ab 1990 beleuchtet, als die DDR schließlich zu einem Feld ungehinderter sozialwissenschaftlicher Erhebungen und Datenproduktion wurde. Untersuchungen von Historikern*innen zur Transformation Ostdeutschlands sind bislang noch rar.[2]

 

Zeitgeschichtliche Untersuchung der ostdeutschen Transformation

Gleichwohl kann eine genuin historische Betrachtung den Blickwinkel erweitern, während sie zum einen die Resultate und Materialien von Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern*innen zwar einbezieht, diese aber nicht einfach nur übernimmt, sondern ihrerseits als zeitgebundene Ergebnisse im geschichtlichen Kontext verortet. In diesem Sinne stellen quantitative Befunde zunächst einmal einen empirischen Rohbau dar, der noch historisch auszubauen und zu verputzen ist. Dafür wird das Datengerüst im gesellschaftlichen Rahmen der Zeit analysiert, und sich ergebende statistische Zusammenhänge werden auf historische Plausibilität überprüft.

Zum anderen bietet die geschichtliche Analyse eine umfassendere und integrative Perspektive, wenn sie nicht erst beim unmittelbaren Umbruch ansetzt, sondern dessen Vorgeschichte mitberücksichtigt. Beispielsweise lässt sich fragen, ob und inwieweit sozioökonomische Entwicklungen der 1990er-Jahre in den ostdeutschen Ländern schon durch soziale Anordnungen in der späten DDR vorgeformt waren. Mit der Betrachtung des Davor und Danach lassen sich neben den Brüchen auch mögliche Kontinuitäten über 1989/90 hinweg beobachten. Bereits im November 1990 hatte der – historisch so interessierte wie informierte – Soziologe M. Rainer Lepsius es als erforderlich angesehen, dass man bei der Erforschung der Transformation Ostdeutschlands „nicht erst 1989 oder 1985 ansetzen“ dürfe, sondern einen früheren Ausgangspunkt wählen müsse.[3] – Ein Anspruch, der bis heute (noch) nicht eingelöst ist.

 

Quantitative Quellen aus der Zeit vor 1989

Zur Abbildung von gesellschaftlichem Wandel, wie die Entwicklung politischer Einstellungen und sozioökonomischer Phänomene innerhalb sozialer Gruppen, eignen sich insbesondere quantitative Quellen. In erster Linie wird dabei auf zeitgenössisch erhobene Daten zurückgegriffen, die entsprechende wirtschaftliche und soziale Indikatoren wie auch politische Selbsteinschätzungen beinhalten und in der Regel deutlich größere Fallzahlen aufweisen, als dies qualitative Quellen, wie etwa Interviews, tun. Allerdings scheint man bei einer längerfristigen Perspektive auf die ostdeutsche Transformationsgeschichte hier bereits an eine Grenze zu stoßen, haftet doch Daten und Statistiken aus der Zeit vor dem Umbruch gemeinhin der Makel der Manipulation an.[4] Man sollte sich aber nicht täuschen lassen: Bei den amtlichen DDR-Statistiken wurde nicht durch direkte Zahlenfälschungen, sondern vielmehr mittels Verschweigen und selektiver Veröffentlichungspraxis Zensur betrieben.[5] Somit lassen sich Daten der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik (SZS), die teilweise bereits in Datenkompilationen veröffentlicht worden sind oder im Bundesarchiv zumeist als gedruckte Zahlenberichte vorliegen, durchaus nutzen.[6]

Problematischer sieht es hingegen mit Studien aus, die von den DDR-Gesellschaftswissenschaften produziert wurden. Spätestens seit den 1970er-Jahren waren die Sozialwissenschaftler*innen in der DDR starker politischer Reglementierung unterworfen. Nicht nur, dass sie ihre Fragebögen staatlicherseits genehmigen lassen mussten, auch waren ihnen keine bevölkerungsweiten Erhebungen gestattet, sondern lediglich Befragungen in gesellschaftlichen Teilgruppen. Auf diese Weise sollten empirische Befunde verhindert werden, die dem offiziell propagierten Bild des realexistierenden Sozialismus möglicherweise hätten widersprechen können. Trotz der mangelnden Repräsentativität und eingeschränkten Aussagekraft der Untersuchungen der DDR-Soziologie lassen sich in ihnen durchaus „interessante Detailerkenntnisse“[7] finden, die es lohnen, ausgewertet zu werden.[8] Mithin sind an diese Datensätze – wie generell an alle zu nutzenden (Daten-)Quellen – die klassischen Fragen einer historischen Quellenkritik zu stellen: Wer hat was, wann, wie und warum erhoben?

 

Erhebungen seit dem Umbruch

Die Rahmenbedingungen für sozialwissenschaftliche Erhebungen in Ostdeutschland verbesserten sich schlagartig mit dem Herbst 1989. Neben DDR-Forschungseinrichtungen wie dem Leipziger Zentralinstitut für Jugendforschung (ZIJ), das sogleich die neuen Möglichkeiten für „befreite“ Surveys zu nutzen wusste, entdeckten auch westdeutsche Institutionen die Noch-DDR als empirisches Feld. So führte beispielsweise bereits im Sommer 1990 das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) seine erste Ost-Stichprobe durch, in deren Konzeptionierung auch ostdeutsche Sozialwissenschaftler eingebunden waren. Ein Jahr darauf wurden die neuen Bundesländer zum ersten Mal in die größte deutsche Haushalts- und Personenbefragung, in den von der amtlichen Statistik durchgeführten Mikrozensus, einbezogen.

 

Datenarbeit

Die Daten aus bundesrepublikanischen Erhebungen, die mittlerweile bis in die Gegenwart reichen, liegen in der Regel als digitale Scientific-Use-Files vor, sodass sie sich relativ flexibel auswerten und filtern lassen. Dies ist von großem Vorteil, möchte man sie mit den bisweilen etwas starreren DDR-Daten zu übergreifenden Zeitreihen verknüpfen – wenngleich hierbei sicherlich nicht für alle statistischen Kategorien hundertprozentige Passgenauigkeit herzustellen ist.[9]

Wer das quantitative Quellenmaterial aus der erweiterten Transformationsphase Ostdeutschlands in historischen Sekundäranalysen zum Klingen bringt, wird interessante empirische Ergebnisse zutage fördern. Zum Beispiel zeigt sich, dass der Einkommensunterschied zwischen den vollbeschäftigten weiblichen Arbeitnehmerinnen und den männlichen Arbeitnehmern mit dem Übergang vom Sozialismus zum Kapitalismus einen spürbaren Rückgang erfuhr.[10] Beachtenswert ist etwa auch, dass sich vor der ersten freien Volkskammerwahl im März 1990 lediglich acht Prozent der wahlberechtigten Ostdeutschen dagegen aussprachen, ‚Die Republikaner‘ in der DDR zu verbieten.[11] Mittlerweile scheint laut aktuellen Wahlergebnissen und -umfragen ein merklich größerer Teil der Ostdeutschen solchen politischen Strömungen durchaus einen legitimen Platz im Parteienspektrum zuzumessen.

Solche quantitativ-empirischen Befunde, die die Zeit vor, während und nach dem Umbruch miteinander verbinden, rufen geradezu nach historischer Kontextualisierung und zeitgeschichtlicher Erklärung.


[1] Vgl. Kollmorgen, Raj/Merkel, Wolfgang/Wagener, Hans-Jürgen: Transformation und Transformationsforschung: Zur Einführung, in: dies. (Hg.): Handbuch Transformationsforschung, Wiesbaden 2015, S. 11–27, hier S. 19–22 u. 25.
[2] So auch Hoffmann, Dierk/Schwartz, Michael/Wentker, Hermann: Die DDR als Chance. Desiderate und Perspektiven künftiger Forschung, in: Mählert, Ulrich (Hg.): Die DDR als Chance. Neue Perspektiven auf ein altes Thema, Berlin 2016, S. 23–70, hier S. 59–64.
[3] Lepsius, M. Rainer: Zur generellen Situation der Sozialwissenschaften in der bisherigen DDR und im vereinten Deutschland, in: Zapf, Wolfgang/Thurn, Georg (Hg.): Zur Lage der sozialwissenschaftlichen Forschung in der ehemaligen DDR. Wissenschaftliche Interessen, Forschungserfahrungen, Strukturprobleme, Kooperationswege (= WZB Paper, P 90-008), Berlin 1990, S. 16–19, hier S. 17.
[4] In dieser Hinsicht verweisen Pickel, Gert/Pickel, Susanne: Quantitative Verfahren der Transformationsforschung, in: Kollmorgen/Merkel/Wagener (Hg.): Handbuch Transformationsforschung (wie Anm. 1), S. 243–253, hier S. 244 auf das generelle Problem in der quantitativen Transformationsforschung, dass „es sich als ausgesprochen schwierig [erweist], zuverlässige statistische Vergleichsdaten aus der Vortransformationszeit zu erhalten“.
[5] Vgl. Ciesla, Burghard: Hinter den Zahlen. Zur Wirtschaftsstatistik und Wirtschaftsberichterstattung in der DDR, in: Lüdtke, Alf/Becker, Peter (Hg.): Akten. Eingaben. Schaufenster. Die DDR und ihre Texte. Erkundungen zu Herrschaft und Alltag, Berlin 1997, S. 39–55.
[6] Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Statistische Übersichten zur Sozialpolitik in Deutschland seit 1945 (Band SBZ/DDR); Verfasser: André Steiner unter Mitarbeit von Matthias Judt und Thomas Reichel, Bonn 2006.
[7] Berger, Horst: Sozialindikatorenforschung in der DDR. Wissenschaftstheoretische, forschungsorganisatorische und institutionelle Aspekte (= WZB Paper, FS III 97-408), Berlin 1997, S. 29.
[8] Viele Datensätze der DDR-Sozialwissenschaften sind in digitaler Form zusammen mit den eingesetzten Fragebögen und weiteren Materialien beim GESIS – Leibnitz-Institut für Sozialwissenschaften zugänglich.
[9] Siehe dazu auch die Einlassung des mit der Rekonstruktion längerer Datenreihen bestens vertrauten Ökonomen Anthony Atkinson; vgl. ders.: Ungleichheit. Was wir dagegen tun können, Stuttgart 2016, S. 65f.
[10] So ein Befund aus dem laufenden Promotionsprojekt des Autors: „Soziale Ungleichheit in Ostdeutschland 1980–2000. Die materiellen Lagen von Arbeitnehmerhaushalten im Wandel“.
[11] Ausgewertet nach: Institut für Soziologie und Sozialpolitik: Befragung zur Wahl 1990; März 1990, in: GESIS Datenarchiv, Köln; ZA6311; Fragetext: „Halten Sie den Beschluß der Volkskammer der DDR über das Verbot der Republikanischen Partei für richtig?“

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