Der Kurzfilm Trap von Anastasia Veber skizziert ein Bild der heutigen Jugend in Russland, es ist eine Geschichte voller Aggression, Aussichtslosigkeit und Spannung. Der zwanzigminütige Film zeigt den Alltag junger Athleten und ihrer Freund*innen, ein Leben an der Grenze zwischen Feiern und Arbeit, zwischen Trainingseinheiten und Schlägereien. Das Leben der Jugendlichen ist beherrscht von Schmerz und Wut, selten von Liebe. Die Alltagsgeschichten sind oft traurig und zuweilen abstoßend. Es taucht die Frage auf, inwiefern diese Geschichten lediglich marginal sind oder sie die Gegenwart der Jugend in Russland spiegeln?
Das Bild Russlands – ein Klischee?
Der, in russisch-litauischer Koproduktion, gedrehte Kurzfilm Trap, der derzeit im Rahmen der Sektion Berlinale Shorts läuft und soeben von der internationalen Kurzfilmjury mit dem goldenen Bären ausgezeichnet wurde, passt ziemlich genau in das Klischeebild Russlands, an das man sich im Westen mittlerweile gewöhnt hat: Graue Plattenbauten, das permanente Gefühl eines omnipräsenten Polizeistaates und ein von Aggressionen beherrschter Alltag.
Der Titel des Films Trap bezieht sich, so die Regisseurin, nicht nur auf die Allegorie des "Käfigs" und ist auch keine Anspielung auf einen Musikstil. Vielmehr bedeutet Trap einen bestimmten "(...)Lebensstil und eine Art, sich extrem zu fühlen, der von vielen jungen Menschen in jeder Ecke Russlands gelebt wird."[1] Anastasia Veber schildert ein von Aussichtslosigkeit geprägtes Leben der Menschen in Russland.
Der Lebensstil der Protagonist*innen des Films kann als Protest gegenüber dem System, in dem sie leben, gelesen werden. Veber zeichnet ein Bild der russischen Jugend, dass im Widerspruch zur offiziellen staatlichen Propaganda steht. Es sind Skizzen des Lebens junger Menschen, die marginal und normal zugleich sind.
Die Auswahl des Filmes für die Berlinale Shorts, erklärt sich nach Ansicht der Autorin dadurch, dass Trap und die darin gezeigten Probleme der Jugendlichen westlichen Zuschauer*innen bekannt scheinen. Dies betrifft sowohl das gängige Russland-Bild als auch viele, der im Film aufgeworfenen Fragen, die keineswegs nur russlandspezifisch sind. Anastasia Veber setzt die gegenwärtigen Herausforderungen denen junge Menschen überall ausgesetzt sind in den russischen Kontext, und zeigt was eine Existenz in einem repressiven Staat bedeuten kann. Trotz ihrer Randständigkeit eröffnen die Geschichten der Protagonist*innen einen Einblick in die Situation der heutigen Jugend in Russland.
Die erste Generation zwischen Systemtreue und den Alternativen des Westens?
Im Unterschied zur Generation ihrer Eltern und Großeltern befinden sich junge Menschen in Russland zwischen zwei großen Polen – dem System, in dem sie leben, und einem globalen Kontext, der durchaus andere Alternativen zu bieten hat. Zwar sind die Jugendlichen heute noch immer stark von einem autoritären Schulsystem, den staatlichen Medien und der Universitätsausbildung geprägt, dennoch haben sie im Vergleich zu ihren in der Sowjetunion aufgewachsenen Eltern weitaus mehr Möglichkeiten, Auswege aus dem System zu finden. Diese Auswege können sehr unterschiedlich sein und nicht selten dramatische Formen annehmen, was Anastasia Veber in ihrem Kurzfilm zeigt.
Selbst jene, die nie ins Ausland gereist sind, sehen die Welt und vor allem "den Westen", mit Blick auf die Popkultur und auf soziale Netzwerke, die ihnen jeweils unterschiedliche alternative Räume anbieten. Dabei verstärkt sich nicht selten die Sehnsucht nach dem anderen, dem westlichen Leben, womit sich der Konflikt zwischen den Generationen verschärft.
Diesen Befund bestätigen schließlich die Ergebnisse der Umfragen des Lewada-Zentrums aus dem Jahr 2021, nach denen fast die Hälfte der 18- bis 24jährigen Russ*innen auswandern wollen.[2] Sowohl die wirtschaftliche Situation als auch die politische Lage sind derzeit äußerst angespannt und befördern diesen Wunsch.
Und dennoch bleibt die russische Jugend apolitisch.[3] Die heute zwanzigjährigen Russ*innen kennen kein Leben ohne Putin. Es existiert eine ganze Generation, die kaum einen Sinn darin sieht, sich am politischen Leben zu beteiligen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sie die Politik ihres Präsidenten kritisieren oder sich in alternativen zivilgesellschaftlichen Gruppen sammeln würden.
Auch wenn im Januar 2021 die Unterstützung von Putin unter den Jüngeren, also den 18- bis 24jährigen, einen historischen Tiefstand von 54 % erreichte, betrug diese Zahl im Jahr 2018 noch ganze 80%.[4] Trotz der verbreiteten Bereitschaft auszuwandern, unterstützt ein großer Teil der jungen Menschen die nach außen aggressive und nach innen restriktive russische Politik. Diese Ambivalenz ist charakteristisch für die Beschreibung der russischen Jugend in der Gegenwart.
Zwar wird in Trap die aktuelle politische Situation nicht vordergründig thematisiert, sie kann jedoch mit Blick auf die Gefühlswelt der Protagonist*innen nachvollzogen werden. Die Geschichten der Jugendlichen scheinen zunächst marginal, dennoch ist zu befürchten, dass sich die russische Jugend, nicht nur in einem metaphorischen, sondern in einem ganz realen Trap (dt. Käfig) befindet. Ob sie darin verharrt, hängt nicht zuletzt von den Jugendlichen selbst ab.
Trap (Anastasia Veber), Russische Föderation, Litauen 2021
Auf der Berlinale 2022 ausgezeichnet mit dem Goldenen Bären für den besten Kurzfilm
[1] Der Film von Anastasia Veber läuft in der Sektion Berlinale Shorts der Berliner Filmfestspiele. Dazu auch die russische Website Moviestart. (zuletzt am 15.02.2022).
[2] Myl’nikov, Pavel: Mehr als 30 Millionen Russen wollen auswandern. (zuletzt am 13.02.2022).
[3] Golubeva, Anastasia: Sozialdemokrat, misstrauisch gegenüber den Behörden, unpolitisch. Das „Lewada-Zentrum” hat ein Porträt der russischen Jugend erstellt. (zuletzt am 13.02.2022).
[4] Golubeva, Anastasia: Putins Zustimmungsrate unter jungen Menschen ist innerhalb eines Jahres um 18 % gesunken. (zuletzt am 13.02.2022).
Gefangen im System: Trap
Ein Film über das Jungsein in Russland in der Sektion Berlinale Shorts