Den Soldaten in den Landungsbooten zittern die Hände, sie übergeben sich und beten. Dann beginnt der Beschuss aus den deutschen Maschinengewehren. Unzählige Soldaten sterben in der Brandung und am Strand. Der Tod im Krieg wird in all seinen schaurigen Facetten aufgezeigt: aufgerissene Bäuche, abgetrennt Körperteile und zerschossene Köpfe. Die Gewalt ist nur schwer zu ertragen, doch auch wer wegschaut, hört noch die Schreie der sterbenden Soldaten.
Fast jede:r kennt diese Szene aus Steven Spielbergs Saving Private Ryan (Der Soldat James Ryan, 1998). Sie definiert den Film ebenso wie die gesellschaftliche Vorstellung der Landung alliierter Truppen in der Normandie 1944. Dabei „entzieht sich das chaotische und komplexe Ereignis Krieg [eigentlich] prinzipiell der visuellen Repräsentation“[1]. Weder historische Fotografien noch filmische Fiktionen können die Realität des Krieges - die Gerüche, die Geräusche, die Todesangst - einfangen. In der Landungsszene versucht Spielberg trotzdem, sich der Kriegserfahrung möglichst realistisch anzunähern.
Dies gelingt ihm, indem er nicht nur die Gewalt an sich darstellt, sondern vor allem, wie die Soldaten auf sie reagieren. Seine kinematographischen Techniken sind heute fast zum Standard in Kriegs- und Actionfilmen geworden: Durch eine verwackelte Kameraführung, die immer nah an den Kämpfenden bleibt, zieht der Film die Zuschauenden noch weiter ins Geschehen hinein. Auch das Sounddesign hat denselben Effekt. Der Lärm der Schlacht ist ohrenbetäubend, Gespräche darum oft nur schwer zu verstehen. Nach einer Detonation in unmittelbarer Nähe des Protagonisten, Captain Henry Miller, wird der Ton dumpf und wummernd. Mit ihm betrachten die Zuschauer:innen in erschütterter Stille das Blutbad am Strand.
Eigentlich müsste diese schonungslose Darstellung der brutalen Gewalt Saving Private Ryan zu einem mustergültigen Anti-Kriegsfilm machen, vergleichbar vielleicht mit Filmen wir Acopalypse Now (1979), Full Metal Jacket (1987) oder dem erst kürzlich erschienenen Im Westen nichts Neues (2022).
Bei einer näheren Betrachtung der Handlung muss man jedoch zu einem anderen Schluss kommen. Obwohl Saving Private Ryan mit grausamen Bildern die Kriegsgewalt darstellt und das massenhafte Sterben kritisiert, hinterfragt er nie den Sinn des Kriegs an sich. Der Kampf gegen Nazi-Deutschland, an dem die Soldaten um Captain Henry Miller am Rande ihrer eigentlichen Mission fast beiläufig teilnehmen, ist für Spielberg jedes Opfer wert. Auch an der patriotischen Bedeutung des Kriegs lässt er keinen Zweifel: Der Film beginnt und endet mit einer amerikanischen Flagge, die die gesamte Leinwand ausfüllt.
Der Zweite Weltkrieg eignet sich, anders als zum Beispiel der Erste Weltkrieg oder der Vietnamkrieg, nicht als historische Kulisse für einen Anti-Kriegsfilm. Die klare Einteilung in Gut und Böse lässt keinen Raum, um die moralischen Grautöne von Kriegen auszuhandeln. Der Sieg über den Nationalsozialismus rechtfertigt in der Rückschau die von den Soldaten erbrachten Opfer. Spielberg betont dies mit Nachdruck durch das gleich zweimal im Film wiederholte Zitat aus einem Brief von Abraham Lincoln, indem er den Kriegstot als ein „Opfer auf dem Altar der Freiheit“ bezeichnet.
Die Darstellung schonungsloser Gewalt alleine macht noch lange keinen Anti-Kriegsfilm. Hierfür müsste der Film auch die entmenschlichende Kriegsmaschinerie, die Unfähigkeit der politischen Verantwortungsträger:innen oder die Sinnlosigkeit des Kriegstods thematisieren. All dies tut Saving Private Ryan nicht, ganz im Gegenteil. Seine Botschaft lautet: Manche Kriege sind es trotz aller Opfer wert, gefochten zu werden. Vor dem Hintergrund des aktuellen gesellschaftlichen Diskurses erscheint der Film damit 25 Jahre nach seiner Veröffentlichung wieder sehr aktuell.
[1] Gerhard Paul, Kriegsbilder-Bilderkriege, in: APuZ 31 (2009), S. 39-46, hier: S. 39, (zuletzt: 13.02.2023).
Schonungslose Gewaltdarstellungen alleine machen noch keinen Anti-Kriegsfilm
Saving Private Ryan