US-Außenminister John Kerry und der Krieg. Essay über biographische Kontinuität und amerikanische Politik
Essay über biographische Kontinuität und amerikanische Politik * Von Ariane Leendertz * Mai 2016 Der Vietnamkrieg, prophezeite das Magazin Der Spiegel im Sommer 1971, ist für die USA auch dann noch nicht zu Ende, wenn der letzte G.I. Indochina verlassen hat. In der Tat wurde der Vietnamkrieg Amerikas Vergangenheit, die nicht vergehen wollte. Die gesellschaftlichen und politischen Nachwirkungen des Krieges spürte das Land bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts. Konkurrierende Deutungen der Ereignisse prägten politische Kultur und öffentliche Debatten, gegensätzliche Positionen blieben auf Jahrzehnte latent, emotionale und ideologische Blockaden erschwerten einen vergangenheitspolitischen Konsens. Die politische Biographie des amerikanischen Außenministers John Kerry ist untrennbar mit dieser Geschichte verflochten.
Patriotische Geschichtsschreibung im Staatsauftrag
Polens neue Rechtsregierung bricht mit der historischen Legitimation des Neuanfangs von 1989 * Von Florian Peters * Mai 2016 Nachdem die nationalkonservative polnische Regierung in den ersten Monaten ihrer Amtszeit bereits das Verfassungsgericht lahmgelegt und den öffentlichen Rundfunk nach parteipolitischen Kriterien gesäubert hat, nimmt sie nun die Geschichtspolitik ins Visier: Ende April verabschiedete der Sejm mit den Stimmen der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) und der rechtspopulistischen Kukiz-Bewegung eine Gesetzesnovelle zum „Institut des Nationalen Gedächtnisses“ (Instytut Pamięci Narodowej, IPN), mit der das polnische Äquivalent zur ostdeutschen Gauck-Behörde zum zentralen Instrument einer „patriotischen“ Geschichtspolitik umgebaut werden soll. Das kurz vor der Eröffnung stehende, multiperspektivisch angelegte Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig würde der Kulturminister hingegen am liebsten zu einem regionalgeschichtlichen Zentrum für Militaria-Enthusiasten degradieren. Während die regierungsnahen Medien neu aufgetauchte Stasi-Unterlagen zur öffentlichen Demontage des Solidarność-Führers und Freiheitssymbols Lech Wałęsa nutzen, fördert die PiS-Regierung den Kult der antikommunistischen Widerstandskämpfer der späten 1940er Jahre nach Kräften. Anstelle der kompromissbereiten Solidarität der friedlichen Revolutionäre von 1989 soll offenbar der rücksichtslose „Patriotismus“ dieser sogenannten „verfemten Soldaten“ (żołnierze wyklęci) zur neuen Leitlinie staatlicher Geschichtspolitik in Polen werden. Damit stellt die Partei Jarosław Kaczyńskis die historische Legitimation des demokratischen Neuanfangs seit 1989 grundsätzlich infrage.
Raster oder Mode?
Die Sonderausstellung "Masse und Klasse. Gebrauchsgrafik in der DDR" im Berliner Werkbundarchiv/Museum der Dinge * Von Andreas Ludwig * Mai 2016 Wer die Sonderausstellung des Berliner Werkbundarchiv/Museum der Dinge zur Gebrauchsgrafik in der DDR besucht, wandert zunächst durch die Präsentation der Geschichte des Industriedesigns in Deutschland seit der Wende zum 20. Jahrhundert. Derart historisch situiert, wird in "Masse und Klasse" die DDR-spezifische Form des Nützlichen und des Schönen exemplarisch herausgearbeitet und zugleich eine Revision der Sammlungsbestände des Museums vorgenommen. Für die Besucher/innen ist "Masse und Klasse" die Aufforderung, sich mit der Gestaltung der Alltagsästhetik als eher beiläufige Begleitung von Lebensverhältnissen auseinanderzusetzen, und das ist anregend.
„Bin ich Deutsch genug?“
https://www.hdg.de/stiftung/Die Ausstellung „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“ im Haus der Geschichte * Von Sandra Vacca und David Christopher Stoop * April 2016 In den letzten Jahren hat eine steigende Zahl von Museen damit begonnen, sich mit der Geschichte der Migration auseinanderzusetzen. Obwohl der Arbeitskreis Migration des Deutschen Museumsbundes seit 2010 Handlungsempfehlungen für Museen diskutiert und 2015 einen entsprechenden Leitfaden veröffentlichte, haben viele Museen weiterhin Schwierigkeiten, die Normalität von Migration anzuerkennen und sie angemessen in ihre Dauerausstellungen zu integrieren. So ist etwa das Thema Einwanderung in der ständigen Ausstellung des Hauses der Geschichte nur als „Inselthema“ präsent, das lediglich als punktueller Zusatz zum nationalen Geschichtsnarrativ der Bundesrepublik erscheint. Zumindest in Wechselausstellungen (z.B. „Das neue Deutschland – von Migration und Vielfalt“ im Deutschen Hygiene-Museum Dresden) und in Neu-Lesungen bestehender Sammlungen (wie dem Projekt “NeuZugänge“ im Friedrichshain-Kreuzberg Museum oder dem Projekt „Blickwinkel“ im Kölnischen Stadtmuseum) wird das Thema Migration in den letzten Jahren vermehrt aufgegriffen. Sechzig Jahre nach dem ersten Anwerbeabkommen und siebzehn Jahre nach der ersten, vom Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland (DOMiD e. V.) organisierten Ausstellung zum Thema Migration mit dem Titel „Fremde Heimat“, setzt sich das Haus der Geschichte in Bonn in einer aktuellen Ausstellung mit der Geschichte der Einwanderung auseinander. Von Dezember 2014 bis August 2015 war die Wechselausstellung „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“ in Bonn zu sehen. Sie wurde anschließend von Oktober 2015 bis April 2016 im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig gezeigt.
Dreißig Jahre Tschernobyl
Zur Aktualität der Reaktorkatastrophe * Von Joachim Radkau * April 2016 Was können wir aus der Geschichte der Atomtechnik für die Energiewende lernen? In langen Gesprächen, die ich gemeinsam mit Lothar Hahn und Klaus Töpfer führte, kristallisierte sich vor allem ein Punkt heraus: In der Frühphase der Atomenergiewirtschaft hatte sich ungeachtet aller Differenzen eine Community an Fachleuten herausgebildet. Sie alle kannten einander und trafen sich auf den Fachkonferenzen der Welt. Sie spielten, wenn es darauf ankam, einander die Bälle zu. Diese Community war entscheidend für den Aufstieg der Atomkraft, ungeachtet aller von Anfang an herrschenden Bedenken. Eine solche Community gibt es als Basis für die Energiewende bislang kaum. Stattdessen ertönt unendlich viel Polemik und es herrschen oft destruktive Kritikformen. Soweit ich es beurteilen kann, sind die Vorkämpfer der Energiewende derzeit in viele unterschiedliche Szenen aufgesplittert: in Anhänger der Windkraft und der Solartechnik, der zentralen und der dezentralen Energieerzeugung, der Förderung energiesparender Technologien, und schließlich der Bioenergie und Geothermie. Hier fehlt die Kommunikation zwischen den VertreterInnen der verschiedenen Konzepte, eine konstruktive Kritik und nicht zuletzt Solidarität untereinander. Das ist eine Herausforderung, der sich die junge Generation stellen sollte.
Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus
Auszug aus der Studie * Von Christian Mentel und Niels Weise * Februar 2016 Mit der im Februar 2016 veröffentlichten, von Frank Bösch, Martin Sabrow und Andreas Wirsching herausgegebenen Studie „Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus - Stand und Perspektiven der Forschung“ entsprechen das Institut für Zeitgeschichte München – Berlin (IfZ) und das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) der Bitte der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM), in einer Bestandsaufnahme den aktuellen Forschungsstand und den bestehenden Forschungsbedarf zur Aufarbeitung der frühen Nachkriegsgeschichte von Bundesministerien und Behörden in der Bundesrepublik Deutschland und der Ministerien und Behörden der DDR in Bezug auf die NS-Vergangenheit zu ermitteln. Im Folgenden wird die um umfangreiche Nachweise gekürzte Schlussbetrachtung der hier in vollständiger Fassung abrufbaren Studie, die von Mai bis Oktober 2015 erarbeitet wurde, bereitgestellt.
Die Komplexität von Integration
Was wir von der Geschichte der „Gastarbeiter“ lernen können, die von den fünfziger bis in die siebziger Jahre nach Deutschland kamen, erscheint vielen Kommentatoren und Zeitanalysten offensichtlich zu sein: Die Bundesrepublik hat damals total versagt, weil sie an eine Integration der Arbeitsmigranten nicht einmal gedacht hat.
Vom „Teufel Alkohol“ in der DDR
Westdeutschland 1988 – Opium für’s Volk
„Die Straßen sind überschwemmt von Drogen. Es gibt sie gegen Depressionen und gegen Schmerzen. Wir haben sie alle genommen. Wir hätten sogar Vitamin C gespritzt, wenn’s verboten gewesen wär.“
Trainspotting, 1996
Der Fall Reinefarth, 1944-2014
Informationen zum Foto:
Reinefarth war als Leiter der Waffen-SS und der Polizei verantwortlich für die Massaker der SS an der polnischen Zivilbevölkerung im Verlauf des Warschauer Aufstandes. In Polen wurde er der „Schlächter von Wola“ genannt. Auf dem Foto ist er mit Jakub Bondarenko, dem Kommandeur des III. Kuban-Kosakenregiments während des Warschauer Aufstandes in der Nähe der Wolska-Straße zu sehen.