„Belgium is a beautiful city“* und andere Verzerrungen beim Blick auf Belgien

* Von Claudia Kemper * Dezember 2016 Wenn der nunmehr designierte US-Präsident Donald Trump während einer Wahlkampfveranstaltung Belgien von Brüssel nicht zu unterscheiden weiß und insgesamt ein eher schwaches geographisches Grundwissen zu erkennen gibt, können Europäer resigniert bis gelassen reagieren. Lausige Geographiekenntnisse gehören zu den eher kleineren Problemen dieser neuen Präsidentschaft. Dennoch passt es in das Gesamtbild, wenn ausgerechnet Belgien zum Opfer solcher Marginalisierungen wird, die auch auf dem europäischen Kontinent verbreitet sind. Die Frankfurter Buchmesse 2016 zum Beispiel warb für ihren Ehrengast „Flandern und die Niederlande“ mit dem Slogan „Dies ist, was wir teilen“ und begründete in einer Pressemitteilung, auf Grenzüberwindungen und Gemeinsamkeiten zu schauen, denn keine „Nation“ sei zu Gast, „sondern ein Sprach- und Kulturraum“. Also Flandern statt Belgien, womit sich einige geschichtspolitische und erinnerungskulturelle Fragen auftun, die über die Buchmesse hinausreichen.

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The Day after in Washington

Eine Woche Konferenz- und Archivreise in den USA * Von René Schlott * November 2016 Die US-amerikanische Hauptstadt erwacht an einem grauen, regnerischen Novembermorgen. Hinter ihr liegt eine lange, dramatische Wahlnacht, die gut 12 Stunden zuvor begann. Als CNN-Anchorman Wolf Blitzer am frühen Abend zu den Wahlpartys beider Kandidaten nach New York City schaltet, spricht der Beobachter der Trump-Party unter Verweis auf einen Berater im Trump-Lager davon, dass ein Wunder geschehen müsse, um diese Wahl zu gewinnen. Alles rechnet mit einem Clinton-Sieg...

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Geträumte Räume, geräumte Träume

Warum das Trauma von der Räumung der Mainzer Straße Ende 1990 bis heute eine Aufarbeitung erschwert * Von Jakob Saß * November 2016 Eigene Schuld einzugestehen, ist schwer, noch dazu öffentlich. Am 12. November 1990, inmitten der Umbruchszeit der Wiedervereinigung, begann der Straßenkampf um die besetzen Häuser in der Mainzer Straße in Berlin-Friedrichshain. Zwei Tage später, am 14. November eskalierte die Räumung, dabei standen sich etwa 3.000 Polizeibeamte und 500 Hausbesetzer gegenüber – es kam zu einem massiven und brutalen Polizeieinsatz, der nicht nur das Ende des „kurzen Sommers der Anarchie“[1] einleitete, sondern auch die Auflösung des rot-grünen Senats.

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Besitzen und Benutzen, Geben und Nehmen

Die Dinge in der Alltagsgeschichte * Von Dorothee Wierling * Dezember 2016 Meiner Ansicht nach gibt es nichts Soziales in den Dingen. Alles, was wir meinen können, wenn wir über „the social life of things“ sprechen, ist das, was wir durch unser (soziales) Handeln den Dingen an Bedeutung zufügen. Außerhalb unserer Interaktion existiert nichts Soziales, weswegen es mir angemessener erscheint, über das Soziale an den Dingen zu sprechen, indem wir untersuchen, wie die Dinge in den Dienst des Sozialen gestellt werden.

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„Ich sehe aus wie Alain Delon“

Vor 45 Jahren: Breschnew und Brandt baden gemeinsam auf der Krim * Von Susanne Schattenberg * Oktober 2016 Am 16. September 1971 empfing Leonid Breschnew Willy Brandt in Simferopol, bewirtete ihn dort mehrere Stunden, um ihn, wie Brandt der festen Überzeugung war, „unter den Tisch zu trinken“....

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„Colonia Dignidad“

Die Geschichte einer deutschen Sekte in Chile zwischen Erinnerung, Musealisierung und historischer Aufarbeitung * Von Meike Dreckmann * September 2016 Spätestens seit der Film „Colonia Dignidad - Es gibt kein zurück“ von Florian Gallenberger in die deutschen Kinos kam, weckte die Geschichte der deutschen Sektengemeinschaft „Colonia Dignidad“ das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit. Vor allem aber sorgte der Film, so der Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, für einen „künstlerischen Anstoß“ im bisher eher schwerfällig verlaufenden Aufarbeitungsprozess der Geschichte dieser Sekte. Das Auswärtige Amt beschloss in diesem Jahr die Aufhebung der Archivsperre und somit die Freigabe des Aktenbestandes des Auswärtigen Amtes der Jahre 1986 bis 1996 für Wissenschaft und Medien. Zudem erhob der Bundesaußenminister die Geschichte der Colonia Dignidad zur Fallstudie, die in die Curricula der Berliner Diplomatenschule aufgenommen werden soll. Er erklärte in diesem Zusammenhang: „Es gibt Fälle, in denen das Handeln nach Recht und Gesetz nicht reicht.“ Für diese Fälle soll die Geschichte der „Colonia Dignidad“ nun Lehrstück sein.

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Aus aktuellem Anlass:

Fundamentalopposition: Die ambivalente Anlehnung der AfD an „68“ * Von von David Bebnowski * September 2016 Tatsächlich bezieht die AfD politstrategische Inspiration von Theorien aus dem Ideenreservoir linker Politik, indem sie diese für sich umwertet. Möchte man die rechtspopulistische Partei in der Debatte stellen, so lohnt ein Blick auf dieses thematisierungsbedürftige und bislang nur wenig verstandene Phänomen.

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Extending the hand of reconciliation?

Remembering the Srebrenica genocide and its perpetrators in Serbia * Von Jelena Đureinović * Juli 2016 According to Heike Karge, there are three main reasons why the state of “past perfect” has not been and will not be achieved in the close future for the families of the victims of the Srebrenica genocide. Besides the enormous forensic challenge of the primary and secondary gravesites, which is why not all the victims have been buried yet, and the issue of the juridical versus moral justice, she emphasizes the important issue of the recognition of the executions in July 1995 as genocide.

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Globalisierung am Wohnzimmertisch

Unbürokratisches Engagement für Flüchtlinge: Zum Tod von Rupert Neudeck * Von Frank Bösch * Juni 2016 m März 2016 besuchte ich Rupert Neudeck in seinem Troisdorfer Reihenhaus nahe Köln. Der Grund für diesen Besuch war ein Zeitzeugengespräch, das ich im Rahmen meiner aktuellen Forschungen führen wollte. Nach der Lektüre seiner Korrespondenz mit Spitzenpolitikern, Intellektuellen und Journalisten hätte man vermuten können, er habe in einer gut ausgestatteten NGO-Zentrale gearbeitet, etwa wie bei Greenpeace. Seine Briefe trugen jedoch allesamt die Anschrift dieser bescheidenen Privatadresse. Neudeck hatte hier nach Feierabend von seinem Wohnzimmertisch aus internationale Hilfseinsätze organisiert und dies in einem Ausmaß, wie man es in der Bundesrepublik bisher nicht kannte.

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Dreißig Jahre Tschernobyl

Zur Aktualität der Reaktorkatastrophe * Von Joachim Radkau * April 2016 Was können wir aus der Geschichte der Atomtechnik für die Energiewende lernen? In langen Gesprächen, die ich gemeinsam mit Lothar Hahn und Klaus Töpfer führte, kristallisierte sich vor allem ein Punkt heraus: In der Frühphase der Atomenergiewirtschaft hatte sich ungeachtet aller Differenzen eine Community an Fachleuten herausgebildet. Sie alle kannten einander und trafen sich auf den Fachkonferenzen der Welt. Sie spielten, wenn es darauf ankam, einander die Bälle zu. Diese Community war entscheidend für den Aufstieg der Atomkraft, ungeachtet aller von Anfang an herrschenden Bedenken. Eine solche Community gibt es als Basis für die Energiewende bislang kaum. Stattdessen ertönt unendlich viel Polemik und es herrschen oft destruktive Kritikformen. Soweit ich es beurteilen kann, sind die Vorkämpfer der Energiewende derzeit in viele unterschiedliche Szenen aufgesplittert: in Anhänger der Windkraft und der Solartechnik, der zentralen und der dezentralen Energieerzeugung, der Förderung energiesparender Technologien, und schließlich der Bioenergie und Geothermie. Hier fehlt die Kommunikation zwischen den VertreterInnen der verschiedenen Konzepte, eine konstruktive Kritik und nicht zuletzt Solidarität untereinander. Das ist eine Herausforderung, der sich die junge Generation stellen sollte.

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