Das folgende, hier gekürzte Interview führte Angelika Schaser am 2. Juli 2013 mit Adelheid von Saldern. Es wurde von Angelika Schaser transkribiert, von Adelheid von Saldern überarbeitet und anschließend der Werkstatt der Erinnerungen der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg zur Archivierung übergeben. Die Interviewpartnerinnen sowie Linde Apel von der FZH waren so freundlich, zeitgeschichte|online das Interview zur Verfügung zu stellen.
Schaser: Wie bist Du Historikerin geworden?
von Saldern: Ich sagte das schon einmal, und zwar in einem anderen Interview, das Du vielleicht kennst, nämlich in dem Buch „Versäumte Fragen“[1] , dass mich eine Lehrerin in der städtischen Oberrealschule in München, St. Anna, fasziniert hat mit der Art ihrer Darstellung der Mittelalterlichen Geschichte. Sicherlich war sie sehr konservativ, aber das habe ich damals gar nicht so mitbekommen. Stattdessen ist das Interesse für Geschichte geweckt worden. Auch im Studium habe ich eine Reihe von Lehrveranstaltungen in Mittelalterlicher Geschichte absolviert, bin dann aber doch zur Neueren Geschichte übergegangen und habe das auch nie bereut.
Schaser: Hattest Du ein Berufsziel?
von Saldern: Nein, nur das Ziel, nicht Lehrerin werden zu wollen.
Schaser: Aber keine konkrete Idee, was man werden könnte, wenn man nicht Lehrerin wird?
von Saldern: Nein, keine konkrete Idee, nur nicht Lehrerin.
Schaser: Du hattest im Laufe Deiner Karriere verschiedene Schwerpunkte. Ist jetzt im Rückblick einer dieser Schwerpunkt für Dich besonders wichtig gewesen?
von Saldern: Ein Ranking sozusagen meiner Schwerpunkte? Das kann ich wirklich nicht machen, weil die Schwerpunkte in der jeweiligen Zeit zu sehen sind. Also, eine Zeit lang, in den siebziger Jahren, bzw. seit Ende der sechziger Jahre, habe ich die Arbeiterbewegung als das für mich wichtige Thema angesehen. Später haben sich die Schwerpunkte etwas verändert. Sehr stark bin ich dann auf die Alltagsgeschichte eingegangen und noch etwas später auf die Kulturgeschichte, beginnend mit Arbeiterkultur, aber dann sehr schnell übergehend in die Analyse von massenkulturellen Erscheinungen. [Späterer Zusatz: Reizvoll war für mich, das Politische im Unpolitischen zu entdecken.] Das hat mich fasziniert. Immer, wenn ich von einem Themengebiet nicht viel verstehe, dann reizt mich das Gebiet besonders. Und so bin ich dann auch zur Geschlechtergeschichte gekommen, nachdem sich die Geschlechtergeschichte nach meiner Ansicht so entwickelt hat, dass sie methodisch und theoretisch interessant wurde, was nicht immer ganz am Anfang der Fall war.
Schaser: Wann bist Du auf das Gebiet aufmerksam gemacht geworden, oder was waren die Punkte, die Dich dann fasziniert haben?
von Saldern: Meinen diesbezüglichen ersten öffentlichen Vortrag in Hannover habe ich 1983 gehalten. Der Titel lautete: „Die Frau im Dritten Reich“. Der Vortrag ist auch veröffentlicht worden.[2] Ich habe den Aufsatz jetzt noch einmal gelesen. Ich kann zwar alles noch unterschreiben, habe sogar schon einmal Gisela Bock zitiert, aber ansonsten denke ich, dass dieser Aufsatz dann doch, ich würde sagen, recht einfach, solide und bieder ist.
Ich habe jetzt [zur Vorbereitung des Interviews] nicht nur mit Beate Wagner-Hasel telefoniert, die in den späten achtziger Jahren in Hannover war, sondern auch mit Sybille Küster, die bis 2010 bei Tilla Siegel in Frankfurt arbeitete, zuvor jedoch längere Jahre in Hannover lehrte und auch dort studiert hatte. Ferner sprach ich mit Jutta Schwarzkopf, die quasi meine Assistentin war (obwohl es diese Einrichtung für C3-Professoren eigentlich gar nicht gab). Diese Personen habe ich befragt, wie sie die Entwicklung des Historischen Seminars unter der Genderperspektive sehen und wie sie meine Rolle dabei einschätzen. Sie bestätigten mir, dass sich der größte Teil meines Lernprozesses erst in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre vollzogen hat.
1986 war in Loccum eine Konferenz über Frauen- und Geschlechtergeschichte. Dazu war ich zwar eingeladen, habe aber im letzten Moment [Späterer Zusatz: wohl wegen der Kinder] abgesagt, wie so häufig in dieser Zeit; doch habe ich offensichtlich einen Kommentar vorbereitet oder eine Art Zusammenfassung. Der Text ist schon sehr viel differenzierter, deshalb muss [zwischenzeitlich] etwas geschehen sein.
Im Sommersemester 1989 habe ich das erste frauen- und geschlechterspezifische Seminar gehalten, das erzählte mir Sybille Küster. Sie hat mir auch die Literaturliste zu diesem Seminar geschickt. Ich weiß, dass Gisela Bock darauf stand, ferner Karin Hausen, also die [damaligen] „Pionierinnen“, und Ute Frevert. Die junge Studentin (damals war sie noch Studentin), Sibylle Küster, und noch eine andere [Studentin], namens Karen Heinze, haben alles Mögliche versucht, mich auf den neuesten Stand [zu bringen und mich auf] die methodischen und theoretischen Fragenstellungen, die wichtig waren, aufmerksam zu machen. Das fand ich faszinierend, und seitdem, denke ich, ist das Interesse [an diesem Themenbereich] nicht mehr verschwunden, daran habe ich festgehalten.
1993 ist mein Buch erschienen über Neues Wohnen in Hannover[3], worin es einen Exkurs gibt über Gertrude Polley[4], die kennst Du ja jetzt auch [von einem kürzlich gehaltenen Vortrag in Heidelberg]. Es war dies ein Text, den ich verfasst habe mit diesen beiden, [damals bereits] fortgeschrittenen Studierenden (oder schon Doktoranden, das weiß ich jetzt nicht mehr ganz genau). Und wir haben zu dritt diesen Fall interpretiert. Interessanterweise (das erwähnte ich ja, glaube ich, schon in dem öffentlichen Vortrag vor ein paar Tagen), ist dieser Text nie von den Kolleginnen und Kollegen zitiert worden, obwohl ich ihn dann nochmals in gekürzter Form auf Englisch veröffentlicht und auch in meinen Aufsätzen immer wieder darauf hingewiesen habe. Wenn 1993 das Buch „Neues Wohnen“ veröffentlicht wurde, dann müssen wir eine geraume Zeit zuvor schon über Geschlechterfragen diskutiert haben. Kurzum: Damals, gegen Ende der achtziger Jahre, muss sozusagen (wie man in Bayern sagt), der Groschen gefallen sein.
Schaser: Mein Eindruck ist, dass Du maßgeblich dafür verantwortlich bist, dass frauen- und geschlechtergeschichtliche Themen in Hannover bearbeitet worden sind. Deshalb die Frage: Als Du die ersten Arbeiten vergeben hast zu Frauen- und Geschlechterthemen, weißt Du noch, wie die Kollegen darauf reagiert haben?
von Saldern: Also diese Frage zeigt, dass Du vom hannoverschen Historischen Seminar keine Ahnung hast. Es ist nie geschehen, dass Kollegen mir gesagt haben, bitte mach dieses Thema nicht, das ging gar nicht, entsprach nicht den Umfangsformen unseres Seminars. Was sich manche Kollegen vielleicht gedacht haben, ist eine andere Sache. Doch kann man allgemein sagen, dass das Historische Seminar den Gender-Themen gegenüber sehr offen war. Beate Wagner-Hasel hat immer geschlechterspezifische Themen angeboten. Ich habe als Dekanin -- [19]88 war das – die Forschungsschwerpunkte im Fachbereich in einer Broschüre festgehalten, damit man überhaupt von uns innerhalb der Universität Kenntnis nimmt, denn diese war ja doch noch von den Schwerpunkten der früheren Technischen Hochschule geprägt. Vor ein paar Tagen habe ich erneut in diese Broschüre geschaut: Da gab es Frauengeschichte, ausgeführt z.B. von Mechthild Rumpf, von Regine Becker-Schmidt bei den Sozialpsychologen, später von [Gudrun-]Axeli Knapp. Bei uns Historikern war es eben – 1988, als diese Broschüre herausgekommen ist –, nur Beate Wagner-Hasel. Bei meiner Person steht über Geschlechtergeschichte nichts drin, was auch berechtigt war, weil ich ja [19]88 außer dem von mir genannten Vortrag, der in Schriftform erschienen ist, auf diesem Gebiet noch nichts vorzuweisen hatte.
Schaser: Du sagtest richtig, an anderen Universitäten ging es nicht so vornehm zu, aber Du musst ja trotzdem Kontakt gehabt haben, oder die Kollegen müssen sich direkt oder indirekt geäußert haben, wenn sie z.B. Zweitgutachten übernommen haben.
von Saldern: Das war überhaupt kein Problem am Institut. Auch mein Kollege Helmut Bley, der von Hamburg kam und dann Afrikanische Geschichte lehrte und sich im Laufe der Zeit sogar auf Afrikanische Geschichte spezialisierte, hat selbstverständlich mitgemacht. Ebenso mein Kollege Herbert Obenaus, der aus einer ganz anderen Richtung kam und methodisch vielleicht eher konventionell dachte. Mit ihm habe ich übrigens ein Seminar über die Entstehung der Familie abgehalten. Das müsste schon in den achtziger Jahren gewesen sein, weil wir uns an dem Buch von Heidi Rosenbaum „Formen der Familie“[5], das damals mit großer, siebzehntausender Auflage erschienen war, orientiert haben. Und das ist 1982 erschienen, also muss das Seminar auch so in der Mitte der achtziger Jahre gelaufen sein. Der Kollege hatte von Geschlechtergeschichte überhaupt keine Ahnung, und trotzdem haben wir mit großem Erfolg, zumindest was die Quantität der Zuhörer anbelangt, dieses Seminar abgehalten.
Wie weit Kenntnis und Offenheit auseinanderfielen, kann man vielleicht an diesem Beispiel nachvollziehen: Ein Kollege einer Bekannten hatte Geschlechtergeschichte mit adeligen Geschlechtern in Verbindung gebracht und zunächst einmal gar nicht verstanden, was der Begriff beinhaltet. Solche Art von Fragen waren natürlich seitens einiger Kollegen immer mal zu hören, auch in Prüfungen. […] Aber es war doch prinzipiell eine Neugierde da und eine Offenheit. Das hat das Institut auch ausgezeichnet, was aber eigentlich mehr eine Auszeichnung für Insider war, beziehungsweise für Amerikaner, Briten, weniger für unsere KollegInnen in Deutschland.
Schaser: Dann kommen wir schon zu einer ganz anderen Frage, die Deine eigene Karriere betrifft. Die Frage, ob Du ein Vorbild hattest.
von Saldern: Ein Vorbild? Nein. Nein. Erstens halte ich nicht viel von Vorbildern und zweitens wüsste ich nicht, wen ich jetzt nennen sollte.
Schaser: Gab es denn irgendjemanden, den Du als Mentor, Berater für diese Fragen der beruflichen Karriere empfunden hast? Oder Mentorin?
von Saldern: Mein Doktorvater, Franz Schnabel (Uni München) war 1966 gestorben. Außerdem hatte er generell Frauen nicht sehr ernst genommen. Anders Wilhelm Treue. Ohne ihn wäre ich wohl als junge Mutter nicht in Hannover „angekommen“, wie man so schön sagt. Das Problem war nur, dass ich mich im Laufe der siebziger Jahre mit ihm aus hochschulpolitischen Gründen verkracht habe, und dann fiel jegliche Förderung völlig weg. Ich war ja recht links eingestellt, obwohl ich nie in einer links von der SPD angesiedelten Organisation Mitglied gewesen bin. Und insofern habe ich dann eigentlich niemanden mehr gehabt, der mich weiter gefördert hätte. Ich habe allerdings mit einem Teil meiner Kollegen am Institut (und auch außerhalb des Instituts[6]) zusammengearbeitet. Im Seminar war es vor allem Helmut Bley und zeitweise auch Irmgard Wilharm. Zusammen mit einigen jüngeren [Kollegen] – dazu gehörte dann auch teilweise Beate Wagner-Hasel – hatten wir einen Kreis gebildet und unsere Erfahrungen wechselseitig ausgetauscht. Das hat mir auch sehr geholfen, obwohl ich als Quereinsteiger Jahre gebraucht, habe, um einigermaßen in die hochschulpolitische Art des Miteinander-Agierens und Kommunizierens sozialisiert zu werden. Diese hat ja durchaus Spezifika, die einem nicht so ohne weiteres von Natur aus liegen, da muss man schon einige Erfahrung gesammelt haben. Als Assistentin lernst Du das natürlich leichter, weil man dann im Laufe der Zusammenarbeit Hinweise bekommt, wie Du Dich zu verhalten hast, wie man zu reagieren hat, das fängt ja schon in Briefen bei der Anrede an und hört bei hochschulpolitischen Entscheidungen auf.
Schaser: Wenn Du von Dir selbst als Quereinsteigerin sprichst: Was meinst Du damit? Dass Du mit einem Drittmittelprojekt habilitiert hast? Oder was bezeichnest Du als Quereinsteiger?
von Saldern: …., dass ich eine Universität nie von innen gesehen habe, außer als Studentin.
Schaser: Das heißt, Du hast, als Du an der Habilitation gearbeitet hast mit DFG-Mitteln, nicht in der Uni gearbeitet hast, sondern das zu Hause gemacht?
von Saldern: Neben der Wiege. Es handelte sich nicht nur um eine allgemeine Arbeit über Citizenship, sondern es ging bei der Habilitationsarbeit um die Göttinger Arbeiterbewegung. So konnte ich, weil ich ja in Göttingen wohnte, am ehesten ins Archiv gehen. Ich hatte damals eine Lücke entdeckt, weil die Erforschung der Arbeiterbewegung erst im Entstehen begriffen war und weil die bereits vorhandenen Studien vorrangig Industriegebiete behandelten. Und ich habe mir nun die Frage gestellt, wie es hier in einer deutschen Mittelstadt bzw. Universitätsstadt aussah, einer Stadt, die nicht von der Industrie beherrscht wurde. Die Rezensionen, die ich noch alle habe –, übrigens auch die über die Promotionsarbeit –, sind sehr gut ausgefallen. Nur das half mir auf Dauer nichts, weil offenbar der „Makel“ des Tenure-Tracks dann doch viel stärker gewichtet wurde.
[1] Rüdiger Hohls, Konrad H. Jarausch (Hrsg.), unter Mitarbeit von Torsten Bathmann: Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, Stuttgart 2000.
[2] Adelheid von Saldern: Die Situation der Frau im Dritten Reich, in: Historisches Museum (Hg.), 1933 und danach, Hannover 1983, S. 37-67.
[3] Dies.: Neues Wohnen: Wohnungspolitik und Wohnkultur im Hannover der zwanziger Jahre, Hannover 1993.
[4] Vgl. Exkurs: „Eine Sensation stößt ins Leere.“ Gertrude Polley im Mittelpunkt eines Diskurses (gemeinsam mit Karen Heinze und Sybille Küster), in: Adelheid von Saldern: Neues Wohnen. Wohnungspolitik und Wohnkultur im Hannover der Zwanziger Jahre, Hannover 1993, S. 69-94.
[5] Heidi Rosenbaum: Formen der Familie. Untersuchungen zum Zusammenhang von Familienverhältnissen, Sozialstruktur und sozialem Wandel in der deutschen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts, Frankfurt/M. 1982 (mehrere Auflagen folgten).
[6] [Späterer Zusatz: Hier vor allem mit den Stadtsoziologen Ulfert Herlyn, Wulf Tessin und mit dem Architekturhistoriker Sid Auffarth].
Die Anfänge der Geschlechtergeschichte
Interview mit Adelheid von Saldern, emeritierte Professorin für Neuere Geschichte am Historischen Seminar der Leibniz Universität Hannover