„Akzente für die Öffentlichkeit“

Silke Satjukow war u.a. auf dem Historikertag in Göttingen 2014 mit dem Beitrag „Besatzungskinder“ in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften zu hören

 

ZOL: Wofür brauchen wir heute noch den Historikertag?

Satjukow: Nach wie vor stellt der Historikertag ein wesentliches Forum der Verständigung unter uns Historiker*innen dar: „Nie war er so wertvoll wie heute!“ Im Zeitalter einer galoppierenden Spezifizierung der historiographischen Subdisziplinen und einer höchst ausdifferenzierten Medienlandschaft wirkt er wie ein wohltuendes Elixier. Denn es ist der Historikertag, der Vertreter*innen der Subdisziplinen mit Kolleg*innen, die im Schuldienst, in Medien und Verlagen und in den vielen Zweigen der Public History tätig sind, zusammenbringt. Er fungiert als Arena, die entgrenzt und Verständigungen über die Tellerränder hinaus ermöglicht – gerade dadurch setzt er regelmäßig viel beachtete Zeichen in der allgemeinen Öffentlichkeit.

 

ZOL: Wie sinnvoll ist der Historikertag für die wissenschaftliche Arbeit innerhalb der Geschichtswissenschaft?

Satjukow: Auch die geistes- und geschichtswissenschaftliche Forschung gerät mehr und mehr in die Gefahr, unter die Fuchtel quantitativer Paradigmen zu geraten: Wir sollten alles dafür tun, die Qualitäten unseres Forschens nicht zugunsten von Quantitäten zu opfern. Der Historikertag steht für den Geist der Qualität, denn der persönliche Austausch, mündliche Dialoge und Debatten machen es erforderlich, auf das wissenschaftlich Wesentliche und auf das gesellschaftlich und politisch Relevante zu fokussieren.

 

ZOL: Ist die Institution „Historikertag“ heute noch zeitgemäß?

Satjukow: Genau genommen, nennt sich diese Veranstaltung ja auch im 21. Jahrhundert noch „Deutscher“ Historikertag. Damit er auch in Zukunft zeitgemäß bleibt, wünschte ich mir nicht nur eine Vertiefung der bereits angesprochenen Entgrenzungen in Bezug auf die historischen Disziplinen, sondern auch in Bezug auf benachbarte Fachgebiete: Um glaubwürdig, relevant und wirksam zu bleiben, müssen wir Diskussionen über die Fächer und die Akademie und über unser Land hinaus anregen. Und: Ein „Historikertag in Deutschland“ sollte bei Kolleg*innen zumindest in Europa als Einladung verstanden werden. Die Zusammenarbeit mit „Partnerländern“ seit 2012 empfinde ich daher als Richtung weisend und ausbaufähig.

 

ZOL: Inwiefern stellt der Historikertag eine neue Form der Ökonomisierung der Geschichtswissenschaft dar?

Satjukow: Schauen wir noch einmal auf den Titel: Die kommende Konferenz in Münster firmiert als 52. Veranstaltung einer Reihe, die 1893 in München ihren Anfang nahm. Gerade auch, wenn man sich dieser bereits mehr als ein Jahrhundert währenden Tradition gewahr wird, zeigt sich einer der zentralen Imperative eines solchen Forums: Historikertage sollten einer hastigen und unmittelbar an monetären Renditen orientierten Wissenschaft entgegenwirkten. Bitte verstehen Sie mich aber nicht falsch: Das heißt selbstverständlich auch, dass wir die weiterhin drängenden Problemstellungen des weiten Feldes der auch kommerziell genutzten Vergangenheitsdarstellungen, der Public Histories, der Geschichtspräsentation und der Geschichtsaneignung in der Mediengesellschaft kritisch und konstruktiv begleiten.    

 

ZOL: Was sagt die Teilnahme am Historikertag über die Arbeit von Historiker*innen aus?

Satjukow: Ich hatte es schon angedeutet: Der Historikertag vermag zwar nicht das Schaffen „der Zunft“ zu dokumentieren – aber er vermag durch die Präsentation und Diskussion von Ergebnissen immer noch Agenden und Akzente für die Öffentlichkeit unserer Gesellschaft zu setzen. Das gelingt aufgrund des hohen Wettbewerbs um Aufmerksamkeit zwar weniger als früher, gerade deshalb aber müssen wir darüber nachdenken, wie wir auch über wirkmächtige Formen der Wortmeldung wenigstens eine gewisse gesellschaftliche und politische Wirksamkeit entfalten können. Es muss dabei bleiben, dass eine Teilnahme am Historikertag nicht bloß eine Partizipation am disziplinären Austausch, sondern zugleich auch an der Res publica ist.

 

ZOL: Haben Sie den Eindruck, dass gewisse Bereiche der Geschichtswissenschaft auf dem Historikertag zu kurz kommen, bzw. sind andere Bereiche eventuell überrepräsentiert?

Satjukow: Probleme scheinen mir weniger in inhaltlichen Bereichen, als vielmehr an den Zulassungsusancen oder deren Wahrnehmung zu liegen. Vor allem unter Nachwuchswissenschaftlern geht die Klage, dass Panelvorschläge mit bekannten, renommierten Kolleg*innen scheinbar eine Poolposition eingeräumt bekommen, während Einreichungen weniger etablierter Fachleute oftmals keine Chance hätten, obwohl sie durchaus am Leitthema orientiert gewesen seien. Solche Schieflagen sollte es nicht geben.

 

ZOL: Das Thema des diesjährigen Historikertages lautet „Gespaltene Gesellschaften“. Wie interpretieren Sie dieses Thema?

Satjukow: Bitte ersparen Sie mir eine Interpretation dieses Leitmotivs – jedes Panel und jeder Vortrag in Münster wird seinen ureigensten Beitrag dazu leisten. Solche  Begriffscontainer versuchen ja, möglichst wenig zu definieren und stattdessen ein breites Spektrum an Optionen zu eröffnen. Manchmal stellen sie eben aufgrund ihrer interpretatorischen Relativitäten den kleinsten gemeinsamen Nenner dar. Die Paradoxa solcher Behälter sind Chance und Fluch zugleich.

 

ZOL: Bekommt der Nachwuchs genügend Raum auf dem Historikertag?

Satjukow: Ja, der Historikertag hat sich in Bezug auf die kommenden Generationen von Historikern gut entwickelt, finde ich. Diese Veranstaltung sollte jedoch nicht nur ein Forum für Nachwuchswissenschaftler bieten, sondern auch für junge Experten aus der Praxis außerhalb des „Elfenbeinturms“.

 

ZOL: Welche bedeutenden Momente vergangener Historikertage haben Sie geprägt oder sind Ihnen in Erinnerung geblieben?

Satjukow: Das kann ich nur summarisch und emotional beantworten. Ich schätze die unerwartete Begegnung sehr – mit Kolleg*en aus anderen Fachgebieten, aus der Praxis, gerade auch den Austausch mit Leuten aus den Verlagen und aus den Institutionen der politischen Bildung. Ein gelungener Historikertag ist entgrenzt und entgrenzend.

 

ZOL: Welche Erwartungen haben Sie an den kommenden Historikertag?

Satjukow: Ich erhoffe mir einige weitere, spontane und in meinem sonstigen Berufsalltag eher seltene Begegnungen.

 

 

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