Kommentar zum Artikel „Flucht und Asyl“ von Ulrich Herbert
Von Phillip Ther * März 2016 Der Artikel bietet einen erhellenden Überblick über die Geschichte der Immigration in die Bundesrepublik Deutschland und die damit zusammenhängenden politischen Konflikte. Ulrich Herbert befasst sich zunächst mit den Gastarbeitern und den Aussiedlern. Letztere wurden seit 1957 als Nachfolger der Flüchtlinge und Vertriebenen angesehen, und besaßen deshalb einen ähnlich vorteilhaften Rechtsstatus, wanderten aber zumindest gegen Ende des Kalten Krieges vor allem aus wirtschaftlichen Motiven zu. Die dritte Gruppe, die der Autor am ausführlichsten behandelt, sind die Asylbewerber. Dagegen werden die Kriegsflüchtlinge aus dem zerfallenden Jugoslawien zwar kurz erwähnt, finden aber weniger Beachtung. Die Bundesrepublik nahm 1992-95 immerhin 350.000 Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien auf, insgesamt mussten dort im gleichen Zeitraum mindestens 2,5 Millionen Menschen fliehen. Wenn man die 1,5 Millionen Asylbewerber dazu zählt, die Ulrich Herbert für den Zeitraum von 1990-94 aufführt, sowie die 2,1 Millionen Spätaussiedler aus Osteuropa, relativiert sich auch die gegenwärtige Flüchtlingskrise ein wenig.
Berliner Welträume im 20. Jahrhundert
Ein Interview mit Jana Bruggmann und Tilmann Siebeneichner
Ein Interview mit Jana Bruggmann und Tilmann Siebeneichner * März 2016 Constanze Seifert interviewte Jana Bruggmann und Tilmann Siebeneichner von der Emmy Noether-Forschergruppe „Die Zukunft in den Sternen: Europäischer Astrofuturismus und außerirdisches Leben im 20. Jahrhundert“ zur Weltraumbegeisterung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Berlin. Ihr Workshop „Berliner Welträume im 20. Jahrhundert“ [1], der am 30. März 2015 stattfand, untersuchte die verschiedenen Formen und Funktionen der imaginativen wie praktischen Erschließung des Weltraums von der Gründung der Berliner Urania 1888 bis zu den Astronautenparaden in den 1970er Jahren. Am Beispiel der Urania und des Raketenflugplatzes in Berlin-Tegel erklären Jana Bruggmann und Tilmann Siebeneichner unterschiedliche Weltraumkonzepte sowie ihre Vermittlungsformen, deren Einflüsse bis in die Gegenwart hineinreichen.
Für die mutigsten Feiglinge der deutschen Geschichte...
Der Hamburger Gedenkort für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz
Der Hamburger Gedenkort für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz * Von Claudia Bade * Januar 2016 „Ein Denkmal für die mutigsten Feiglinge der deutschen Geschichte – die Deserteure aus dem Zweiten Weltkrieg“ – mit diesen scheinbar widersprüchlichen Worten umschreibt ein Bericht des „Hamburg-Journals“ im NDR-Fernsehen die Personengruppe, der in Hamburg ein neues Denkmal gewidmet ist. Widersprüchlich deshalb, weil die Deserteure der Wehrmacht tatsächlich jahrzehntelang von der deutschen Gesellschaft als „Feiglinge“ und „Verräter“ wahrgenommen und häufig ganz konkret beschimpft wurden. Im gleichen Atemzug werden diese Deserteure nunmehr als „mutig“ bezeichnet. Die Widersprüchlichkeit der Begriffswahl verdeutlicht also auch den Wandel in der Wahrnehmung der Wehrmachtsdeserteure.
„Das, was wir machen, ist alles andere als eine Texthuldigung“
Oder: Wann über „Mein Kampf“ gelacht werden darf
Oder: Wann über „Mein Kampf“ gelacht werden darf * Interview mit Sebastian Brünger * Von René Schlott und Mirko Winkelmann * Januar 2016 Sebastian Brünger, Zeithistoriker am Zentrum für Zeithistorische Forschung und Doktorand an der Humboldt-Universität Berlin, ist seit 2007 Mitglied der Theatergruppe Rimini Protokoll. Anlässlich der Berliner Erstaufführung gibt er Auskunft über ihr Projekt „Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 &2", an dem er als Dramaturg und Rechercheur mitgewirkt hat. Die Fragen stellten die Historiker René Schlott und Mirko Winkelmann: Wie kam es dazu, dass „Mein Kampf“ von Rimini Protokoll inszeniert wurde? • Welche persönliche Beziehung hast Du zum Gegenstand? • Du bist selbst Historiker. Wie hat das den Rechercheprozess für das Stück beeinflusst? • Welche Rolle spielt historisches Faktenwissen für das bzw. im Stück? • Seht Ihr Euer Stück in einer bestimmten Dokumentartheater-Tradition? • Darf man über „Mein Kampf“ lachen? Muss man es fürchten? • Trägt ein solches Stück nicht weiter zur Mythenbildung um Hitler und „Mein Kampf“ bei? ...
„Halbheiten“
Auf der Hitlerwelle von Marx zu ISIS
Auf der Hitlerwelle von Marx zu ISIS * Von René Schlott und Mirko Winkelmann * Januar 2016 Auf dem Kamm der neuen Hitler-Welle, die derzeit durch das Land und die Medien rollt, am selben Tag, an dem das Institut für Zeitgeschichte die kommentierte Ausgabe von „Mein Kampf“ vorstellt, gastiert die Theatergruppe Rimini-Protokoll mit ihrer neuen Produktion am HAU HAU Hebbel am Ufer Berlin. Ein Fernseher mit Bildern des Eichmann-Prozesses, ein künstliches Weihnachtsbäumchen, unter dem noch verpackte Geschenke liegen, ein Mülleimer, meterhohe Regalwände und ein Brief, der bei der deutschen Forschungsstation in der Antarktis nachfragt, ob „Mein Kampf“ in deren Bibliothek vorhanden sei. So beginnt die Inszenierung mit dem Titel „Adolf Hitler: Mein Kampf, Band 1 & 2“, die die Regie- und Theatergruppe Rimini Protokoll zuerst im September 2015 in Weimar auf die Bühne brachte und die just am Tag der vielbeachteten Veröffentlichung der kommentierten Edition des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) am ausverkauften Berliner HAU zu sehen war. Die Idee, das 800-Seiten Werk als Theaterstück aufzuführen, entstand vor drei Jahren. Anlass war das absehbare Ende der urheberrechtlichen Schutzfrist von Hitlers „Mein Kampf“ zum 1. Januar 2016. Bis dato unterband die bayerische Landesregierung eine Publikation dieses Werkes in Deutschland, das bis 1945 knapp 12,5 Millionen Mal gedruckt worden war. Die Frage nach dem richtigen Umgang mit dieser wichtigen programmatischen Schrift des Nationalsozialismus und mit ihrem Verfasser wurde hierdurch freilich nicht geklärt. Sie bot seither regelmäßig Anlass zu heftigen Debatten, in denen nicht zuletzt auch die Haltung der deutschen Gesellschaft zur nationalsozialistischen Vergangenheit verhandelt wurde.
„Das Buch der Deutschen“
Ein Gespräch mit Thomas Vordermayer über die Arbeit an der Edition von Hitlers „Mein Kampf“*
Thomas Vordermayer über die Arbeit an der Edition von Hitlers „Mein Kampf“ * Von Annette Schuhmann * Januar 2016 Am 8. Januar 2016 stellt das Institut für Zeitgeschichte in München die kommentierte Gesamtausgabe: „Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition" vor. Gut drei Jahre haben Historiker/innen des Instituts unter Leitung von Christian Hartmann an einer, im wörtlichen Sinne zu verstehenden, vollständigen Kommentierung dieser Kampfschrift gearbeitet. Der Zeitdruck, unter dem sie dabei standen, war enorm, schließlich erlosch das Urheberrecht im Besitz des Freistaates Bayern am 1. Januar 2016. Die Arbeiten an der Kommentierung wurden von großem öffentlichen Interesse und nicht selten kontrovers begleitet. Dies ist ein durchaus seltener Glücksfall für unsere Profession, der aber ebenfalls für Anspannung sorgte und die Mitarbeiter des IfZ wiederholt mit Forderungen nach der Legitimation des Projektes konfrontierte. In unserem Interview sollte es jedoch nicht um den Sinn der Edition gehen, den wir ohnehin nicht bezweifeln. Wichtiger waren für uns Fragen nach der Organisation des Forschungsprozesses, nach den persönlichen Eindrücken und dem „Leseerlebnis“, nach einer möglichen ironischen Distanz, die eine solche Arbeit begleiten kann, und danach, wie man als Wissenschaftler damit umgeht, auf ewig mit dem Titel „Mein Kampf“ in Verbindung gebracht zu werden. ..
Paris – Syrien
Über zu kurze Wege in der öffentlichen Debatte nach den Anschlägen vom 13. November 2015 in Paris
Öffentlichen Debatte nach den Anschlägen vom 13. November 2015 in Paris * Von Teresa Koloma Beck * Dezember 2015 Am Abend des 13. November 2015 kamen in Paris mindestens 150 Menschen in einer Serie koordinierter Anschläge ums Leben. Politische Gewalt dieses Ausmaßes hat es in Europa seit den Zuganschlägen von Madrid am 3. April 2004 nicht mehr gegeben. Rasch werden Verbindungen der Täter zur militärisch im Irak und Syrien operierenden bewaffneten Gruppe »Islamischer Staat« (IS) deutlich. Seitdem scheint die Agenda der europäischen Politik von diesem Thema bestimmt: Wie war das möglich? Und was ist nun zu tun?
Es war einmal eine Aufnahmegesellschaft…
Frankreich oder die Krise der republikanischen Willkommenskultur
Am 16. September 2015 wiederholte der Premierminister Frankreichs und gebürtige Spanier Manuel Valls vor der Nationalversammlung die „Berufung Frankreichs, Menschen aufzunehmen, die wegen ihres Gedankenguts verfolgt werden oder die Gefahr an Leib und Leben ausgesetzt sind“[1].