Heimat einmal anders

So hatte sich das der Heimatminister wohl nicht vorgestellt, als er im Dezember 2017 im Rahmen seiner „Heimatstrategie“ eine Förderoffensive für den Heimatfilm verkündete: „Heimatfilme zeigen den schönsten Teil unserer bayerischen Heimat… erinnern an die eigenen Wurzeln, an die vertraute Umgebung… Sie zeigen, dass es nirgends schöner ist als daheim“, ließ Markus Söder (CSU), inzwischen Ministerpräsident des Landes, seine Pressestelle im Dezember 2017 verbreiten.[1]Mit „Wackersdorf“ von Oliver Haffner kommt nun kurz vor der bayerischen Landtagswahl ein Film in die Kinos, der der von oben verordneten Heimatstrategie die Perspektive einer anderen, zivilgesellschaftlichen und widerständigen Heimat gegenüberstellt. Und diese wird auch nicht etwa von Geflüchteten bedroht, sondern von der bayerischen Staatsregierung selbst, die unter CSU-Chef Franz-Josef Strauß in den 1980er Jahren Hand in Hand mit der Atomwirtschaft eine Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) für nukleare Abfälle im oberpfälzischen Wackersdorf durchzusetzen versucht.

 

 „Niemand von uns kann die Zeit zurückhalten“

Stille, vereinzeltes Vogelgezwitscher, ein Wald, ein Feld im abendlichen Novemberdunst. Keine atemberaubende Landschaft, aber ruhig und beschaulich liegt er da, der Taxöldener Forst bei Wackersdorf. 1981. Schnitt und ein lautes Gewirr von Stimmen in einem Gasthaus, Bierkrüge, Zigarettenrauch, von Arbeit gezeichnete Gesichter, Oberpfälzer Dialekt. Ein Rednerpult, umrahmt von zwei Bergmannswimpeln: „Aufrichtig, gottesfürchtig und fleißig dabei, dies sind die bergmännischen Tugenden drei!“, steht auf einem von ihnen. Der Landrat Hans Schuierer zögert, bis er vor die versammelten Bergleute tritt, die Stimme gedämpft, die Sätze stocken, es falle ihm nicht leicht, er sei selber Genosse, „niemand von uns“ könne die Zeit zurückhalten, ein Strukturwandel sei unvermeidlich, wer schnelle Besserung erwarte, den müsse er enttäuschen, er wolle aber alles in seiner Macht stehende für neue Arbeitsplätze tun. Vorerst jedoch gelte es, durchzuhalten, wie es schon immer die Tugend der Bergleute gewesen sei. Seine Worte erregen den Unmut eines Knappen: „Das erzähl mal meiner Bank, dem Gerichtsvollzieher. Erst war die Arbeit weg, dann das Haus, und dann Frau und Kinder. Durchhalten… Für was soll ich durchhalten?“

Die Region um Wackersdorf ist Anfang der 80er Jahre vom Niedergang des einst zweitgrößten Braunkohlenreviers Westdeutschlands geprägt. Der letzte Tagebau muss 1982 schließen, neue Arbeitsplätze sind nicht in Sicht, Menschen verlassen die Gegend. Wie ein unverhofftes Wunder muss da dem sozialdemokratischen Landrat von Schwandorf ein Besuch aus der Landeshauptstadt München erscheinen. Der Staatsminister für Umwelt hat nicht nur seine Weißwürste mitgebracht, „verstehen’s, kulinarisch gibt’s da schon Unterschiede, Anteil Kalb, Anteil Schwein, Speckwürfel, Nitrat“, sondern auch ein ganz besonderes Angebot: „Zukunftsweisendes industrielles Großprojekt, blitzsaubere Sache, Hightech und so, alles in weißen Kitteln“, frohlockt der Staatsminister, während er die Weißwürste nach bayerischem Brauch mit seinen Händen zuzelnd verspeist, „und mindestens 3000 neue Arbeitsplätze“. Auch wenn dies „ein Sozi jetzt sicher nicht versteht“, fügt er mit schelmischem Lachen hinzu, dem Herrn Ministerpräsidenten lägen die vom Strukturwandel betroffenen Regionen eben „sehr am Herzen“.

 

„Obwohl das Neue vielleicht einfach nur großartig ist“

Mit dem gönnerhaften christsozialen Auftritt und den Weißwürsten aus München mag Hans Schuierer seine Probleme haben – er zerschneidet sie mit Messer und Gabel und entfernt nach Oberpfälzer Art erstmal die Pelle –, auf die „richtig große Geschichte“, die in Aussicht gestellte WAA, springt der Sozialdemokrat in seiner Not aber sofort an. Schuierer, gespielt von Johannes Zeiler, steht im Mittelpunkt von Haffners Film über die Auseinandersetzungen um die atomare Wiederaufarbeitungsanlage – um „Wackersdorf“, das neben anderen Provinzdörfern wie „Wyhl“, „Gorleben“ und „Brokdorf“ zu einem der zentralen Orte und Symbole der bundesdeutschen Atomdebatte und einer am Ende erfolgreichen Antiatomkraftbewegung wurde. Erzählt wird die Wandlung des Landrats vom anfänglichen WAA-Befürworter zu einem ihrer entschiedensten Gegner, der sich schließlich an der Seite der jungen Aktivistin Monika von der Bürgerinitiative Schwandorf (Anna Maria Sturm) einer mit allen Mitteln agierenden CSU-Regierung widersetzt.

Hans Schuierer glaubt an den Rechtsstaat. Verantwortliches staatliches Handeln, Grundrechte und -freiheiten, Wahrheit und Wahrhaftigkeit sind ihm nicht bloße Phrasen, sondern oberste Richtschnur als Landrat und Staatsbürger. Als die Polizei auf Geheiß „von ganz oben“ einen Holzbau der Atomgegner abreißen lässt, ohne dass dafür die rechtliche Genehmigung vorliegt, beginnt Schuierer an dem WAA-Projekt zu zweifeln. Er gibt sich nicht mehr zufrieden mit den drei dünnen Faltblättern, die ihm „der Karlheinz“, der junge, joviale, schnell ins Du wechselnde Atommanager Billinger von der DWK[2]mit seiner sanften Stimme überreicht: „Machen Sie sich da keine Sorgen. Ich werde Sie mit allen relevanten Informationen versorgen. Das ist auch ganz wichtig. Weil: Bei Einführung aller neuen und aller fortschrittlichen Technologie gibt es immer Bedenkenträger, Rückwärtsdenker, Angsthasen, für die alles Neue hauptsächlich eine Bedrohung darstellt, obwohl das Neue vielleicht einfach nur großartig ist.“ Anstelle der Werbebroschüren liest Schuierer nun die Bücher der atomkritischen Gegenexpertise, die in der Bundesrepublik in den Jahren zuvor entstanden ist. Auf seinem Schreibtisch liegt Robert Jungks „Der Atomstaat“. Und bei der Betrachtung des Bauplans entdeckt er einen 200 Meter hohen Schornstein, von dem vorher gar keine Rede war. „Das gewährleistet den Transport der radioaktiven Abfälle in höhere Luftschichten und minimiert somit die dauerhafte Belastung der unmittelbaren Umgebung“, erläutert ihm ein Planer unter den besorgten Blicken von Karlheinz.

 

„Ich werde diesen Krieg gewinnen“

Als Schuierer ankündigt, den baurechtlichen Genehmigungen seine Unterschrift zu verweigern, ist man in München alarmiert. Der Landrat wird nun vom Staatsschutz beobachtet. In der Ministerbesprechung werden „Maßnahmen“ erwogen, die sicherstellen, dass „den keiner mehr wählt“. Doch der neue, aufstrebende Staatssekretär, den Franz-Josef Strauß aus der Staatskanzlei geschickt hat, mit seinem Oberlippenbart unschwer als Peter Gauweiler zu erkennen, bewahrt da einen kühlen Juristenkopf: „Auf welche Weise steht uns denn dieser Mann da im Wege?“ – „Weil er sich weigert. Weil wir seine Unterschriften brauchen.“ – „Und warum brauchen wir seine Unterschriften?“ – „Ja, weil es im Gesetz so steht.“ – „Ganz genau. Weil es im Gesetz steht. Ja, was wäre da denn die einfache Lösung?“ Die Antwort ist eine Änderung des bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes, die als „Lex Schuierer“ bekannt wird. Die Staatsregierung kann die Genehmigungsverfahren nun an sich ziehen und die kommunalen Behörden übergehen. Der entmachtete Landrat wechselt nun endgültig zum gesellschaftlichen Widerstand auf der Straße und beim sonntäglichen Gottesdienst am Franziskus-Marterl, einem von Atomgegnern eigens errichteten Kapellenbau im Taxöldener Forst. Der Staatssekretär warnt ihn: „Wir greifen durch, und zwar mit aller Härte… Ich werde diesen Krieg gewinnen.“

Dominierten in der zeitgenössischen Berichterstattung Bilder von „bürgerkriegsähnlichen Schlachten“ am Bauzaun, von angereisten Autonomen und knüppelnden, CS-Gas einsetzenden Polizisten, so bindet Haffners Film diese Dokumentaraufnahmen zwar zurückhaltend ein, verortet die Auseinandersetzung aber vor allem im Lokalen, in der Region. „Heimat“ wird hier zunächst einmal unter der ansässigen Bevölkerung zum Spannungsfeld zwischen der Hoffnung auf Arbeit mit der Perspektive, vor Ort bleiben zu können, und der unmittelbaren Bedrohung des eigenen Lebens und der umgebenden Natur durch die von außen aufgezwungene Nuklearanlage – ein Riss, der durch die Familien geht. Das muss Schuierer anfangs auch in der eigenen Familie erfahren. Und als er die Seiten wechselt, kündigen ihm einige seiner Genossen die Freundschaft auf, etwa der Wackersdorfer SPD-Bürgermeister, der die künftigen Gewerbesteuereinnahmen durch die WAA bereits für einen neuen Kindergarten und eine Umgehungsstraße eingeplant hat.

 

„Von der Staatsregierung verkaufte und verratene Heimat“

Die Sympathien des Films gehören dann aber doch den lokalen Atomgegnern, die trotz anfänglichen gegenseitigen Misstrauens und heterogener Zusammensetzung – Alte, Junge, Bürgerliche, Linksalternative, Mitglieder der Kirchengemeinde – recht problemlos zusammenfinden. „Heimat“ ist hier nicht nur von der Atomanlage bedroht, sondern mehr noch von einem Demokratie und Rechtsstaat aushöhlenden Regierungshandeln, das Jungks Bild vom „Atomstaat“ schon ziemlich nahekommt. „Heimat“ dient mithin als positiver Bezugspunkt einer Partizipation von unten, einer Zivilgesellschaft, die mit dem Mut zum Ungehorsam demokratische Werte gegen staatliche Willkür verteidigt. Und in der Rede von Hans Schuierer auf einer von Polizeihundertschaften umstellten Kundgebung bündeln sich dann all diese Motive: „Das hier ist der Aufschrei einer Region, die sich in einer friedlichen Demonstration dagegen wehrt, dass die bayrische Staatsregierung unsere Rechte und unsere Meinungen mit Füßen tritt und mit Polizeigewalt unterdrückt… Wir wollen nicht mehr, als unsere, von der Staatsregierung verkaufte und verratene Heimat schützen und vor radioaktiver Verseuchung bewahren… Wir haben eine staatsbürgerliche Verpflichtung für uns, für unsere Kinder und zukünftigen Generationen… Hier entscheidet sich die Zukunft des demokratischen Bayerns… Wir in der Oberpfalz – wir dulden keine Demokratur à la Franz-Josef Strauß.“

Das alles sieht man durchaus mit Sympathie und denkt dabei auch an den heutigen Protest gegen ein bayerisches Polizeiaufgabengesetz, über den die Süddeutsche Zeitung nicht von ungefähr mit der Schlagzeile „Das Wackersdorf-Gefühl“ berichtete.[3]Man bewundert die schauspielerischen Leistungen, sei es etwa Fabian Hinrichs in seiner Rolle als eloquenter Atomverkäufer, der noch Goethe und eine ihm nachgesagte „panoramic ability“ mit den glücklichen Verheißungen atomarer Wiederaufarbeitung in Verbindung zu bringen weiß. Dem auf dem Münchner Filmfest mit dem Publikumspreis ausgezeichneten Film geht es um eine Würdigung des Bürgerwiderstands und Hans Schuierers im Besonderen. Mit diesem Fokus geraten legitimerweise andere, freilich damit zusammenhängende Faktoren für das 1989 verkündete Ende des WAA-Baus, der bis dato bereits 10 Milliarden Mark verschlungen hat, in den Hintergrund – wirtschaftliche Rentabilität und eben auch die aufwendigen, für Atomindustrie und Staatsregierung keineswegs problemlos verlaufenden juristischen Verfahren angesichts von 881.000 Einwendungen.[4]Der Film wendet den Heimatbegriff geschickt gegen eine selbstherrliche CSU-Alleinregierung, von der man immer schon einmal gerne gewusst hätte, was die Produktion von Millionen Jahre strahlendem Atommüll eigentlich mit konservativen Werten zu tun hat.

 

In der narrativen Heimatfalle: Über Gut und Böse

Und doch liegt in dieser engagierten Heimatperspektive, dem Genre des anderen Heimatfilms auch ein narratives Problem: Das Gute und Böse sind hier manchmal vielleicht doch etwas zu eindeutig verteilt. Der stets integren lokalen Heldenfigur des Hans Schuierer stehen die bisweilen karikaturhaft überzeichneten, von außen kommenden Gegenspieler gegenüber. Da verkörpert etwa der Staatssekretär den idealtypischen eiskalten Technokraten, wie ihn der „Atomstaat“ nun einmal hervorbringt. Da werden die Atomgegner zu stets sympathischen, solidarischen Statisten, die auf ihren Versammlungen etwas klischeehaft Parolen wie „Aufruhr, Widerstand – es gibt kein ruhiges Hinterland!“ anstimmen oder Antiatomplakate im kunterbunten Alternativkotten aufhängen. All das mag durchaus Teil der Wirklichkeit in den 1980er Jahren gewesen sein, aber man wünschte sich dann doch noch komplexere Figuren in ihren nicht geradlinigen Entwicklungen und Widersprüchen, wie das der Film eingangs wenigstens anreißt. Oder eine genauere erzählerische Betrachtung des Widerstandsmilieus in seinem durchaus spannungsvollen Verhältnis von Einheimischen und Zugereisten, im breiten Spektrum von konservativen Naturschützern bis linksradikalen Autonomen mit fürwahr unterschiedlichen Protestformen und politischen Vorstellungen.

Diese Einwände gehen einem beim Betrachten des fraglos sehenswerten Films durch den Kopf. Da hört man plötzlich eine wutschnaubende Stimme, sieht den hochroten Kopf von Franz-Josef Strauß, wie er vor der lautstark protestierenden Schwandorfer Bevölkerung steht: „Wenn Sie einen Funken demokratischer Disziplin, einen Funken von menschlichem Anstand, einen Funken von normaler Verhaltensweise hätten, dann würden Sie jetzt Ihr Maul halten“. Und man fragt etwas verlegen in sich hinein: Vielleicht gab es in diesem Konflikt damals doch auch einfach Gut und Böse?

 

Der Film „Wackersdorf“ läuft seit 20.9. in den Kinos.

Wackersdorf, Regie: Oliver Haffner, Deutschland 2018
Verleih: Alamode-Film
Trailer

 

[1]SÖDER: HEIMATMINISTERIUM FÖRDERT DIE UMSETZUNG DES INTERNATIONALEN FESTIVALS DES NEUEN HEIMATFILMS 2019 – Heimatminister übergab Förderbescheid in Höhe von rund 28.500 Euro.
[2]Deutsche Gesellschaft für Wiederaufarbeitung von Kernbrennstoffen.
[3]In Bayern wächst das Wackersdorf-Gefühl", Süddeutsche Zeitung online, 12.5.2018.
[4]Grundlegend zum Konflikt um Wackersdorf jetzt: Janine Gaumer, Wackersdorf. Atomkraft und Demokratie in der Bundesrepublik 1980-1989, München 2018.

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Oliver Haffners Film „Wackersdorf“ über den Widerstand gegen den „Atomstaat“

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