20. Jahrhundert übergreifend

Süße Erinnerungen

Eisverpackungen als Träger populärer russischer Geschichtserzählungen zwischen Stalin und Pin-up * Von Monica Rüthers * September 2016 Werbekampagnen funktionieren umso besser, je geschickter sie sich an populärkulturelle Vorstellungen und das Selbstverständnis ihrer jeweiligen Zielgruppe anpassen. Daher kann man davon ausgehen, dass regelmäßig auftauchende Motive und Klischees die Kunden ansprechen. Glaubt man der russischen Werbung für den heimischen Markt, vermögen Russen große Kälte und außerordentliche Hitze zu ertragen. Beweise dafür sind Polarexpeditionen, das winterliche Baden in Eislöchern und die Banja.

US-Außenminister John Kerry und der Krieg. Essay über biographische Kontinuität und amerikanische Politik

Teil II: Kriegserfahrung und politisches Handeln 1985 – 2002 * Von Ariane Leendertz * Juli 2016 1984 wurde Kerry für den Staat Massachusetts in den US-Senat gewählt. Als Mitglied des Foreign Relations Committee, vor dem er vierzehn Jahre zuvor als junger Aktivist Rede und Antwort gestanden hatte, spezialisierte er sich auf die Themen Außen- und Sicherheitspolitik. Seine Rede hatte er 1971 mit einem hoffnungsvollen Wunsch enden lassen: In dreißig Jahren solle es in Amerika möglich sein, von „Vietnam“ als einem Ort zu sprechen, „where America finally turned and where soldiers like us helped it in the turning“.[8] Worauf bezog sich seine Hoffnung? Wie gestaltete sich sein Beitrag zu der erhofften Umkehr? Welche politischen Schlussfolgerungen leitete er aus seiner Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg ab?

Die Republik der Gerechten

Filme über Polen, die Juden retteten * Von Christian Prüfer und Piotr Forecki * Juli 2016 Oberflächlich betrachtet, hat das Thema der polnischen „Gerechten“, also jener Polen, die während des Holocaust Juden (zugleich polnische Staatsbürger) gerettet haben, nach den letzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Jahr 2015 an Bedeutung gewonnen. Im Grunde jedoch hat sich mit dem Wahlsieg der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) nicht viel geändert. Die PiS ist eine populistische, national-katholische Gruppierung, die vorgibt, um den guten Ruf der Nation besorgt zu sein und nur ungern die dunklen Seiten der polnisch-jüdischen Geschichte anspricht.

Extending the hand of reconciliation?

Remembering the Srebrenica genocide and its perpetrators in Serbia * Von Jelena Đureinović * Juli 2016 According to Heike Karge, there are three main reasons why the state of “past perfect” has not been and will not be achieved in the close future for the families of the victims of the Srebrenica genocide. Besides the enormous forensic challenge of the primary and secondary gravesites, which is why not all the victims have been buried yet, and the issue of the juridical versus moral justice, she emphasizes the important issue of the recognition of the executions in July 1995 as genocide.

Verordnete Geschichte? Zur Dominanz nationalistischer Narrative in Polen

Eine Einführung * Von Katrin Stoll, Sabine Stach und Magdalena Saryusz-Wolska * Juli 2016 Am 17. November 2015, drei Monate nach seiner Vereidigung als neuer Staatspräsident von Polen, lud Andrzej Duda ausgewählte Historiker, Publizisten, Museumsleiter und Politiker in seinen Wohnsitz, den Warschauer Belvedere-Palast, ein. Das Treffen war als programmatischer Auftakt für die Erarbeitung einer neuen geschichtspolitischen Strategie für Polen konzipiert. In seiner Eröffnungsrede ließ Duda keinen Zweifel daran, welch hohe Priorität der „richtige“ Umgang mit der Vergangenheit für Polen – und damit für sein eigenes Amtsverständnis – habe: „Geschichtspolitik zu betreiben, ist eine der wichtigsten Tätigkeiten des Präsidenten. Der Präsident ist der höchste Vertreter der Republik Polen. Es gibt eine große Erwartung ihm gegenüber, und ich möchte dieser gerecht werden.“

Verordnete Geschichte?

Zur Dominanz nationalistischer Narrative in Polen * Von Magdalena Saryusz-Wolska, Sabine Stach und Katrin Stoll * Juli 2016 In unserem Themenschwerpunkt untersuchen wir die neuesten geschichtspolitischen Praktiken und erklären ihren Erfolg aus der Kontinuität nationalistischer Narrative im öffentlichen Diskurs. Wir vertreten die These, dass das Propagieren eines einseitig positiven, triumphalen, nationalistischen Bildes der Vergangenheit keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal der neuen rechtskonservativen PiS-Regierung ist. Vielmehr greifen die Akteure auf altbekannte Motive der polnischen Geschichtskultur zurück – sowohl auf jene, die sie selbst in ihrer ersten Amtszeit von 2005 bis 2007 verwendeten, als auch auf solche, die viel tiefer in der polnischen Gesellschaft und Kultur verankert sind. Wie Geschichtspolitik in mehreren nationalistischen Gewändern daherkommt, wird anhand verschiedener Fallstudien gezeigt.

Des Kaisers neue Kleider

Eine Analyse des aktuellen rechtskonservativen Geschichtsdiskurses in Polen * Von Karol Franczak und Magdalena Nowicka * August 2016 Einer der Gründe für den Erfolg der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) in der polnischen Öffentlichkeit ist ihr konsequentes Eintreten für eine Geschichtsnarration, die, Michel Foucault folgend, als Gegen-Geschichte bezeichnet werden kann[1]. Dabei handelt es sich um ein affirmatives Geschichtsbild, welches bis vor Kurzem noch von der Mehrheit der polnischen Eliten als radikal und manipuliert bezeichnet wurde. Diese Gegen-Geschichte kehrt die vorherrschende Interpretation der Ereignisse um: der Erfolg des Runden Tisches von 1989 wird als eine verräterische Absprache der Opposition mit den kommunistischen Machthabern dargestellt, die führenden Akteure des Transformationsprozesses werden als käufliche Eliten beschrieben und die letzten hundert Jahre der polnischen Geschichte als Epoche ungebrochenen Heroismus‘ erzählt. Diese Gegen-Geschichte ist im heutigen Polen ein Instrument der Abrechnung.

Die „Verstoßenen Soldaten“

Embleme eines Erinnerungsbooms * Von Maria Kobielska * Juli 2016 Als Wissenschaftlerin, die sich mit der aktuellen polnischen Erinnerungskultur – und damit auch mit dem eigenen kulturellen Umfeld – beschäftigt, kann ich den neuesten Erinnerungsboom kaum übersehen. Dabei handelt es sich vor allem um das forcierte Gedenken an die sogenannten „Verstoßenen Soldaten“. Die polnische Erinnerungskultur konzentriert sich gegenwärtig in hohem Maße auf die militärische und politische Geschichte des Landes, auf große historische Ereignisse und die Leistungen der polnischen Armee. Diese Erinnerungskultur ist männlich, katholisch, ethnisch polnisch, zentralisiert, antikommunistisch und in jeder Hinsicht normativ. Zwar gibt es darin auch innovative, abweichende und kritische Elemente, diese nehmen jedoch stets auf die beschriebene Fokussierung der Erinnerungskultur Bezug, reagieren darauf und verarbeiten sie. Der „Boom der Verstoßenen“ treibt diese Form des Gedenkens allerdings ins Extreme.

Kampfbilder

Der visuelle Diskurs der rechtskonservativen Presse in Polen * Von Magdalena Saryusz-Wolska * Juli 2016 Geschichtspolitik manifestiert sich nicht nur in Worten und Taten, sondern auch in den dazugehörigen Bildern. Die öffentliche Ikonosphäre, um den treffenden Begriff des polnischen Kunsthistorikers Mieczysław Porębski zu nutzen, ist ein interessantes Analyseobjekt, in dem aktuelle Tendenzen der polnischen Geschichtspolitik beobachtet werden können. Obwohl die allermeisten Texte, die derzeit in den Medien erscheinen, illustriert werden, finden Bilder wenig Beachtung in der diskursanalytischen Forschung. Dabei sind es oft erst Fotografien, Zeichnungen oder Collagen, die unsere Aufmerksamkeit auf die schriftlichen Äußerungen lenken. „Ein ausdrucksstarkes Titelbild erhöht den Verkauf um zwanzig- bis dreißigtausend Exemplare“ schätzt Rafał Kalukin, ein Publizist der linksliberalen, polnischen Ausgabe der Wochenzeitschrift „Newsweek“.

Eine Begegnung mit dem „Anderssein“

„Wie die anderen“ gibt Einblick in den Alltag einer österreichischen Kinder- und Jugendpsychiatrie * Von Ina Friedmann * Juni 2016 Die Dokumentation gewährt einen nüchternen, aber keinesfalls emotionslosen Einblick in den Alltag einer Kinder- und Jugendpsychiatrie, der nicht nur die vielfältigen Tätigkeitsfelder der ÄrztInnen, TherapeutInnen, SozialarbeiterInnen und PädagogInnen darstellt, sondern auch vorherrschende negative Stereotype auflöst. Es geht nicht mehr um die Unterdrückung von Individualität, um die Anpassung an gesellschaftliche Erwartungen um jeden Preis, sondern darum, einen Weg zu finden, mit dem eigenen Selbst umzugehen. Dennoch bleibt am Ende die Frage, die schließlich alle betrifft: Ist es zwingend notwendig, oder gar erstrebenswert, so zu sein „wie die anderen“?