Süße Erinnerungen

Eisverpackungen als Träger populärer russischer Geschichtserzählungen zwischen Stalin und Pin-up * Von Monica Rüthers * September 2016 Werbekampagnen funktionieren umso besser, je geschickter sie sich an populärkulturelle Vorstellungen und das Selbstverständnis ihrer jeweiligen Zielgruppe anpassen. Daher kann man davon ausgehen, dass regelmäßig auftauchende Motive und Klischees die Kunden ansprechen. Glaubt man der russischen Werbung für den heimischen Markt, vermögen Russen große Kälte und außerordentliche Hitze zu ertragen. Beweise dafür sind Polarexpeditionen, das winterliche Baden in Eislöchern und die Banja.

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Die Republik der Gerechten

Filme über Polen, die Juden retteten * Von Christian Prüfer und Piotr Forecki * Juli 2016 Oberflächlich betrachtet, hat das Thema der polnischen „Gerechten“, also jener Polen, die während des Holocaust Juden (zugleich polnische Staatsbürger) gerettet haben, nach den letzten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Jahr 2015 an Bedeutung gewonnen. Im Grunde jedoch hat sich mit dem Wahlsieg der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) nicht viel geändert. Die PiS ist eine populistische, national-katholische Gruppierung, die vorgibt, um den guten Ruf der Nation besorgt zu sein und nur ungern die dunklen Seiten der polnisch-jüdischen Geschichte anspricht.

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„Alles ganz authentisch, ungeschminkt und fernab von jeder Nostalgie“

Erinnerung an die DDR am Beispiel ostdeutscher Aktfotografie * Von Lisa Städtler * Juli 2016 Die historische Forschung fasst unter dem Begriff Ostalgie ganz grundsätzlich eine Form der Nostalgie für die DDR, die die sozialistische Vergangenheit romantisiert, und in ihrer extremsten Form sogar das repressive System des SED-Staates verleugnet. Die Kunsthistorikerin Elaine Kelly definiert Ostalgie als „an escapist and uncritical engagement with the past”. Ebenfalls aus einer historischen Perspektive schreibt Claire Hyland in ihrem Aufsatz Ostalgie doesn’t fit!, dass sich Ostalgie vor allem um Produkte der Populärkultur ranke. Die ostdeutsche Aktfotografie spielt in diesem Zusammenhang derzeit eine besondere Rolle. In den letzten Jahren erschienen drei Sammelbände, die den aktfotografischen Arbeiten von bis zu 24 ostdeutschen Künstlerinnen und Künstlern gewidmet sind: Schön nackt. Aktfotografie in der DDR (2009), Schöne Akte. Fotografien aus der DDR (2011) und Akt in der DDR. Eine Retrospektive (2014). Auf den Fotografien in den Sammelbänden sind zumeist nackte oder nur leicht bekleidete Frauen zu sehen, abgelichtet in der Natur, am Strand, in den Dünen, im Wald oder auch in Wohnhäusern. Kurze Texte, Geleitworte, Einleitungen oder abschließende Bemerkungen rahmen die Sammelbände. Die Aktbilder werden in ihrem Entstehungszusammenhang in der DDR verortet und erscheinen gerade aus diesem Grunde publizierungswürdig. Die Texte erfüllen also eine Deutungsfunktion hinsichtlich der DDR-Vergangenheit und sollen eine bestimmte Art der Erinnerung evozieren.

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Verordnete Geschichte? Zur Dominanz nationalistischer Narrative in Polen

Eine Einführung * Von Katrin Stoll, Sabine Stach und Magdalena Saryusz-Wolska * Juli 2016 Am 17. November 2015, drei Monate nach seiner Vereidigung als neuer Staatspräsident von Polen, lud Andrzej Duda ausgewählte Historiker, Publizisten, Museumsleiter und Politiker in seinen Wohnsitz, den Warschauer Belvedere-Palast, ein. Das Treffen war als programmatischer Auftakt für die Erarbeitung einer neuen geschichtspolitischen Strategie für Polen konzipiert. In seiner Eröffnungsrede ließ Duda keinen Zweifel daran, welch hohe Priorität der „richtige“ Umgang mit der Vergangenheit für Polen – und damit für sein eigenes Amtsverständnis – habe: „Geschichtspolitik zu betreiben, ist eine der wichtigsten Tätigkeiten des Präsidenten. Der Präsident ist der höchste Vertreter der Republik Polen. Es gibt eine große Erwartung ihm gegenüber, und ich möchte dieser gerecht werden.“

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Verordnete Geschichte?

Zur Dominanz nationalistischer Narrative in Polen * Von Magdalena Saryusz-Wolska, Sabine Stach und Katrin Stoll * Juli 2016 In unserem Themenschwerpunkt untersuchen wir die neuesten geschichtspolitischen Praktiken und erklären ihren Erfolg aus der Kontinuität nationalistischer Narrative im öffentlichen Diskurs. Wir vertreten die These, dass das Propagieren eines einseitig positiven, triumphalen, nationalistischen Bildes der Vergangenheit keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal der neuen rechtskonservativen PiS-Regierung ist. Vielmehr greifen die Akteure auf altbekannte Motive der polnischen Geschichtskultur zurück – sowohl auf jene, die sie selbst in ihrer ersten Amtszeit von 2005 bis 2007 verwendeten, als auch auf solche, die viel tiefer in der polnischen Gesellschaft und Kultur verankert sind. Wie Geschichtspolitik in mehreren nationalistischen Gewändern daherkommt, wird anhand verschiedener Fallstudien gezeigt.

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Des Kaisers neue Kleider

Eine Analyse des aktuellen rechtskonservativen Geschichtsdiskurses in Polen * Von Karol Franczak und Magdalena Nowicka * August 2016 Einer der Gründe für den Erfolg der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) in der polnischen Öffentlichkeit ist ihr konsequentes Eintreten für eine Geschichtsnarration, die, Michel Foucault folgend, als Gegen-Geschichte bezeichnet werden kann[1]. Dabei handelt es sich um ein affirmatives Geschichtsbild, welches bis vor Kurzem noch von der Mehrheit der polnischen Eliten als radikal und manipuliert bezeichnet wurde. Diese Gegen-Geschichte kehrt die vorherrschende Interpretation der Ereignisse um: der Erfolg des Runden Tisches von 1989 wird als eine verräterische Absprache der Opposition mit den kommunistischen Machthabern dargestellt, die führenden Akteure des Transformationsprozesses werden als käufliche Eliten beschrieben und die letzten hundert Jahre der polnischen Geschichte als Epoche ungebrochenen Heroismus‘ erzählt. Diese Gegen-Geschichte ist im heutigen Polen ein Instrument der Abrechnung.

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Die „Verstoßenen Soldaten“

Embleme eines Erinnerungsbooms * Von Maria Kobielska * Juli 2016 Als Wissenschaftlerin, die sich mit der aktuellen polnischen Erinnerungskultur – und damit auch mit dem eigenen kulturellen Umfeld – beschäftigt, kann ich den neuesten Erinnerungsboom kaum übersehen. Dabei handelt es sich vor allem um das forcierte Gedenken an die sogenannten „Verstoßenen Soldaten“. Die polnische Erinnerungskultur konzentriert sich gegenwärtig in hohem Maße auf die militärische und politische Geschichte des Landes, auf große historische Ereignisse und die Leistungen der polnischen Armee. Diese Erinnerungskultur ist männlich, katholisch, ethnisch polnisch, zentralisiert, antikommunistisch und in jeder Hinsicht normativ. Zwar gibt es darin auch innovative, abweichende und kritische Elemente, diese nehmen jedoch stets auf die beschriebene Fokussierung der Erinnerungskultur Bezug, reagieren darauf und verarbeiten sie. Der „Boom der Verstoßenen“ treibt diese Form des Gedenkens allerdings ins Extreme.

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Kampfbilder

Der visuelle Diskurs der rechtskonservativen Presse in Polen * Von Magdalena Saryusz-Wolska * Juli 2016 Geschichtspolitik manifestiert sich nicht nur in Worten und Taten, sondern auch in den dazugehörigen Bildern. Die öffentliche Ikonosphäre, um den treffenden Begriff des polnischen Kunsthistorikers Mieczysław Porębski zu nutzen, ist ein interessantes Analyseobjekt, in dem aktuelle Tendenzen der polnischen Geschichtspolitik beobachtet werden können. Obwohl die allermeisten Texte, die derzeit in den Medien erscheinen, illustriert werden, finden Bilder wenig Beachtung in der diskursanalytischen Forschung. Dabei sind es oft erst Fotografien, Zeichnungen oder Collagen, die unsere Aufmerksamkeit auf die schriftlichen Äußerungen lenken. „Ein ausdrucksstarkes Titelbild erhöht den Verkauf um zwanzig- bis dreißigtausend Exemplare“ schätzt Rafał Kalukin, ein Publizist der linksliberalen, polnischen Ausgabe der Wochenzeitschrift „Newsweek“.

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Zwischen nationalen und globalen Identitäten

Zur gesellschaftlichen Konstruktion des Fremden aus soziologischer Sicht * Von Benjamin Köhler * Juni 2016 Um die vergleichsweise hohe Zahl der Einwanderung von Geflüchteten und Vertriebenen im Jahr 2015 zu beschreiben, wurde quer durch alle Medien, ob Nachrichtenagenturen, Fernsehsender, Tages- oder Wochenzeitungen, von Flüchtlingsströmen oder Fluchtwellen gesprochen. Dies erweckt den Anschein, es handele sich um eine homogene Gruppe, die als nicht dazugehörig oder exotisch empfunden wird und sich fundamental von dem unterscheiden soll, was hierzulande als bekannt und normal angesehen wird. Dahinter steht die Frage nach der nationalen Identität, in der Handlungsspielräume und -grenzen derjenigen, die dazugekommen sind oder noch dazukommen werden, ausgehandelt werden und die damit soziale Beziehungen als fremd oder nicht fremd festlegt.

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Patriotische Geschichtsschreibung im Staatsauftrag

Polens neue Rechtsregierung bricht mit der historischen Legitimation des Neuanfangs von 1989 * Von Florian Peters * Mai 2016 Nachdem die nationalkonservative polnische Regierung in den ersten Monaten ihrer Amtszeit bereits das Verfassungsgericht lahmgelegt und den öffentlichen Rundfunk nach parteipolitischen Kriterien gesäubert hat, nimmt sie nun die Geschichtspolitik ins Visier: Ende April verabschiedete der Sejm mit den Stimmen der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) und der rechtspopulistischen Kukiz-Bewegung eine Gesetzesnovelle zum „Institut des Nationalen Gedächtnisses“ (Instytut Pamięci Narodowej, IPN), mit der das polnische Äquivalent zur ostdeutschen Gauck-Behörde zum zentralen Instrument einer „patriotischen“ Geschichtspolitik umgebaut werden soll. Das kurz vor der Eröffnung stehende, multiperspektivisch angelegte Museum des Zweiten Weltkriegs in Danzig würde der Kulturminister hingegen am liebsten zu einem regionalgeschichtlichen Zentrum für Militaria-Enthusiasten degradieren. Während die regierungsnahen Medien neu aufgetauchte Stasi-Unterlagen zur öffentlichen Demontage des Solidarność-Führers und Freiheitssymbols Lech Wałęsa nutzen, fördert die PiS-Regierung den Kult der antikommunistischen Widerstandskämpfer der späten 1940er Jahre nach Kräften. Anstelle der kompromissbereiten Solidarität der friedlichen Revolutionäre von 1989 soll offenbar der rücksichtslose „Patriotismus“ dieser sogenannten „verfemten Soldaten“ (żołnierze wyklęci) zur neuen Leitlinie staatlicher Geschichtspolitik in Polen werden. Damit stellt die Partei Jarosław Kaczyńskis die historische Legitimation des demokratischen Neuanfangs seit 1989 grundsätzlich infrage.

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