„Bin ich Deutsch genug?“
https://www.hdg.de/stiftung/Die Ausstellung „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“ im Haus der Geschichte * Von Sandra Vacca und David Christopher Stoop * April 2016 In den letzten Jahren hat eine steigende Zahl von Museen damit begonnen, sich mit der Geschichte der Migration auseinanderzusetzen. Obwohl der Arbeitskreis Migration des Deutschen Museumsbundes seit 2010 Handlungsempfehlungen für Museen diskutiert und 2015 einen entsprechenden Leitfaden veröffentlichte, haben viele Museen weiterhin Schwierigkeiten, die Normalität von Migration anzuerkennen und sie angemessen in ihre Dauerausstellungen zu integrieren. So ist etwa das Thema Einwanderung in der ständigen Ausstellung des Hauses der Geschichte nur als „Inselthema“ präsent, das lediglich als punktueller Zusatz zum nationalen Geschichtsnarrativ der Bundesrepublik erscheint. Zumindest in Wechselausstellungen (z.B. „Das neue Deutschland – von Migration und Vielfalt“ im Deutschen Hygiene-Museum Dresden) und in Neu-Lesungen bestehender Sammlungen (wie dem Projekt “NeuZugänge“ im Friedrichshain-Kreuzberg Museum oder dem Projekt „Blickwinkel“ im Kölnischen Stadtmuseum) wird das Thema Migration in den letzten Jahren vermehrt aufgegriffen. Sechzig Jahre nach dem ersten Anwerbeabkommen und siebzehn Jahre nach der ersten, vom Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland (DOMiD e. V.) organisierten Ausstellung zum Thema Migration mit dem Titel „Fremde Heimat“, setzt sich das Haus der Geschichte in Bonn in einer aktuellen Ausstellung mit der Geschichte der Einwanderung auseinander. Von Dezember 2014 bis August 2015 war die Wechselausstellung „Immer bunter. Einwanderungsland Deutschland“ in Bonn zu sehen. Sie wurde anschließend von Oktober 2015 bis April 2016 im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig gezeigt.
Wie klingt Auschwitz?
Drei Perspektiven auf "Son of Saul" * Von Jakob Mühle, Maren Francke und René Schlott * März 2016 Das preisgekrönte Holocaustdrama „Son of Saul” des ungarischen Regisseurs László Nemes zeigt einen Tag im Oktober des Jahres 1944 im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Im beklemmenden 4:3 Format heftet sich der Blick des Zuschauers an Saul Ausländer (eindrucksvoll gespielt von Géza Röhrig), einem Häftling des sogenannten jüdischen Sonderkommandos, das die Deutschen für den reibungslosen Ablauf der Massenvernichtung in den Gaskammern und Krematorien eingesetzt hatten. Der Protagonist Saul hetzt 107 Minuten lang durch das Lager. Er ist auf der Suche nach einem Rabbiner, um einen toten Jungen, den er für seinen Sohn hält, nach jüdischem Ritus zu begraben.
Von totalitären Schäferhunden und libertären Mauerkaninchen
Alles von Relevanz? Ein Beitrag über zweifelhafte wissenschaftliche Standards und die angezogene Handbremse in der akademischen Debattenkultur * Von Florian Peters * Februar 2016 Der Aufsatz der 26-jährigen Doktorandin versprach viel: Nicht weniger als „die zentrale Bedeutung der Human-Animal Studies für die neuere Totalitarismusforschung“ wollte „Christiane Schulte“ in ihrem „Beitrag zur Gewaltgeschichte des Jahrhunderts der Extreme“ unter Beweis stellen, der im Dezember 2015 in „Totalitarismus und Demokratie“ erschien, der Hauszeitschrift des Dresdner Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung.[1] Entsprechend steil waren die Thesen des Beitrags, der um die Frage „Waren deutsche Hunde […] immer schon deutsche Täter?“ kreiste und unter anderem mit der Behauptung aufwartete, direkte Nachfahren von Wachhunden aus den Konzentrationslagern Buchenwald und Sachsenhausen seien nach Kriegsende in den dortigen sowjetischen Speziallagern und sogar bei den DDR-Grenztruppen an der innerdeutschen Grenze eingesetzt worden. Das Problem: Sowohl die empirischen Belege für diese vermeintliche „Gewalttradition“, die „beide totalitären Diktaturen des 20. Jahrhunderts verband“, als auch die Identität der Doktorandin selbst waren offenbar frei erfunden.
„Das Buch der Deutschen“
Thomas Vordermayer über die Arbeit an der Edition von Hitlers „Mein Kampf“ * Von Annette Schuhmann * Januar 2016 Am 8. Januar 2016 stellt das Institut für Zeitgeschichte in München die kommentierte Gesamtausgabe: „Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition" vor. Gut drei Jahre haben Historiker/innen des Instituts unter Leitung von Christian Hartmann an einer, im wörtlichen Sinne zu verstehenden, vollständigen Kommentierung dieser Kampfschrift gearbeitet. Der Zeitdruck, unter dem sie dabei standen, war enorm, schließlich erlosch das Urheberrecht im Besitz des Freistaates Bayern am 1. Januar 2016. Die Arbeiten an der Kommentierung wurden von großem öffentlichen Interesse und nicht selten kontrovers begleitet. Dies ist ein durchaus seltener Glücksfall für unsere Profession, der aber ebenfalls für Anspannung sorgte und die Mitarbeiter des IfZ wiederholt mit Forderungen nach der Legitimation des Projektes konfrontierte. In unserem Interview sollte es jedoch nicht um den Sinn der Edition gehen, den wir ohnehin nicht bezweifeln. Wichtiger waren für uns Fragen nach der Organisation des Forschungsprozesses, nach den persönlichen Eindrücken und dem „Leseerlebnis“, nach einer möglichen ironischen Distanz, die eine solche Arbeit begleiten kann, und danach, wie man als Wissenschaftler damit umgeht, auf ewig mit dem Titel „Mein Kampf“ in Verbindung gebracht zu werden. ..
Flucht und Asyl
Zeithistorische Bemerkungen zu einem aktuellen Problem * Von Ulrich Herbert * Dezember 2015 Massenmigration, das hat dieser Überblick gezeigt, ist keine vorübergehende Ausnahme, deren Ende man erwarten kann, sondern in seiner modernen Form seit etwa einhundert Jahren feststellbar und sich stetig ausweitend. Außer in den Fällen der Vertreibung ethnischer Minderheiten ist sie in der Regel die Folge wirtschaftlicher Ungleichheiten und Ungleichzeitigkeiten, oft im Kontext von bewaffneten Auseinandersetzungen und Bürgerkriegen, und zwar im regionalen und nationalen Raum ebenso wie im kontinentalen oder globalen Rahmen. Sie entzieht sich als solche wertender Betrachtung – Migration an sich ist weder gut noch schlecht. Kulturelle Begegnung, Vermischung, Kommunikation ist der eine Teil davon; Sklaverei, Ausbeutung, Zwangsarbeit, Entwurzelung, Xenophobie der andere. Dabei zeigt der Blick in die Geschichte der Wanderungsbewegungen zum einen etwas von der Langfristigkeit, der Diversität, der räumlichen und zeitlichen Dimension dieser Prozesse und von den relativ begrenzten Möglichkeiten, sie außer mit kriegerischer Gewalt zu steuern. Das behütet einen vor allzu großem Optimismus, was die politische Einflussnahme angeht. Er zeigt zum anderen aber auch, dass es richtig ist, Migration und die davon ausgehenden Auswirkungen nicht als den Sonderfall, sondern als das Normale zu betrachten, das uns lange, immer erhalten bleiben wird. Und die Vorstellung, es gebe eine „Lösung“ der Migrationsproblematik, ist ein gewichtiger Teil der Problematik selbst...
Paris – Syrien
Öffentlichen Debatte nach den Anschlägen vom 13. November 2015 in Paris * Von Teresa Koloma Beck * Dezember 2015 Am Abend des 13. November 2015 kamen in Paris mindestens 150 Menschen in einer Serie koordinierter Anschläge ums Leben. Politische Gewalt dieses Ausmaßes hat es in Europa seit den Zuganschlägen von Madrid am 3. April 2004 nicht mehr gegeben. Rasch werden Verbindungen der Täter zur militärisch im Irak und Syrien operierenden bewaffneten Gruppe »Islamischer Staat« (IS) deutlich. Seitdem scheint die Agenda der europäischen Politik von diesem Thema bestimmt: Wie war das möglich? Und was ist nun zu tun?
Die Komplexität von Integration
Was wir von der Geschichte der „Gastarbeiter“ lernen können, die von den fünfziger bis in die siebziger Jahre nach Deutschland kamen, erscheint vielen Kommentatoren und Zeitanalysten offensichtlich zu sein: Die Bundesrepublik hat damals total versagt, weil sie an eine Integration der Arbeitsmigranten nicht einmal gedacht hat.
Die Angst vor dem Schornsteinfeger
Wieder einmal: Osten gegen Westen?
Die aktuellen Diskussionen über das europäische Bemühen und Versagen im Umgang mit der großen Zahl von Flüchtlingen sind sehr stark bestimmt von einem Dualismus zwischen Ost und West. So banal diese Feststellung jedem auch nur oberflächlichen Zeitungsleser erscheinen muss, so viele Fragen und Probleme eröffnet sie doch.