Menschen und von Menschen geschaffene Artefakte erzeugen fortwährend eine Klanglandschaft: die rauschenden Autos auf der Straße, die knarzenden Dielen der Nachbarin und dieses Klackern aus dem Laptop, das auf ein baldiges Versagen der alten Festplatte hinweist. Diese Klanglandschaften verändern sich je nach zeitlichen, räumlichen und sozialen Bedingungen. Dem Einfluss der „Klänge“ auf das Leben der Menschen widmen sich die Sounds Studies, die allerdings immer noch vor grundlegenden archivalischen Problemen steht.
Viele Sounds, insbesondere jene, die ein Grundrauschen oder schlicht Lärm produzieren, sind insofern verloren, als dass sie archivalisch kaum fassbar sind. Der Anspruch der Sound Studies ist es, weit über die Erforschung von Musik und den Umgang mit ihr hinauszugehen.[1] Anders als Texte und Bilder sind Filme und alltägliche Sounds im Printformat kaum reproduzierbar (von Gerüchen gilt es an dieser Stelle ganz zu schweigen). Der Schub, den die Sound Studies im neuen Jahrtausend erfuhren, hing nicht zuletzt mit technischen Entwicklungen zusammen: Digitale Archive boten nun neue Möglichkeiten, Sounds zu konservieren.
Die Website „Conserve the Sound“ dokumentiert – von der Rechenmaschine aus den 1950er Jahren bis zum „Nintendo Entertainment System“ aus den 1980er Jahren – über 100 „Grundsounds“.[2] Die Mehrzahl dieser Sounds sind technisch erzeugt und erklangen eher im Alltag des 20. Jahrhunderts als in Extremsituationen: Kaffeemühlen statt Kanonen. Dies ist ausdrücklich nicht als Kritik, sondern als Lob zu verstehen, da so eine Reihe von Sounds erfahrbar werden, die sonst unter der Schwelle der Archivwürdigkeit liegen.
Die unmissverständlich einfach zu handhabende Seite „Conserve the Sound“ ermöglicht einen schnellen Zugriff auf die jeweiligen Sounds, die überall mit unbewegten Bildern und – nicht überall – mit Informationen zu Marke und Herstellungsjahr des jeweiligen Geräts begleitet sind. Durch ein interessantes Weblayout lädt „Conserve the Sound“ zum unwissenschaftlichen Stöbern und nicht zuletzt Erinnern ein. Fraglich bleibt, inwiefern die Seite wissenschaftlich nutzbar ist, denn die Aufnahmekriterien einzelner Soundquellen sind ziemlich unklar, einheitliche Zitationsvorgaben existieren nicht. Einige der Lücken, wie etwa die Abwesenheit des „Tamagotchi“-Fiepens, sind vor dem Hintergrund der urheberrechtlichen Lage durchaus verständlich.[3] Anderes ist schwerer nachzuvollziehen. So finanziert sich die Seite sowohl über die Medienstiftung Nordrhein-Westfalen, als auch über Crowd Funding und die Lizensierung des Sounds. Ob diese prekär wirkende Finanzierung der Grund für die geringe Beteiligung der Community (ein User-Upload steht seit Jahren bereit) und das enttäuschend langsame Wachstum der Seite ist, kann nur vermutet werden.
Mehr als ein neugieriges Stöbern wird die Seite für Zeithistoriker*innen kaum ermöglichen. Zudem stehen, meiner Meinung nach, bessere Alternativen bereit: In Vorbereitung auf diese Rezension holte ich den (über die Bundeszentrale für politische Bildung sehr günstig zu beziehenden) Band „Der Sound des Jahrhunderts“[4] hervor. Diesem liegt eine CD mit 81 Sounds bei, darunter auch Straßenaufnahmen und Reden in vollen Räumen – ausschnitthafte Klanglandschaften, statt im Vakuum ertönende Geräte. Ich verlor mich hierin und im riesigen Tonarchiv der BBC[5] viel mehr als auf der Website „Conserve the Sound“.
[1] Morat, Daniel, Der Klang der Zeitgeschichte. Eine Einleitung, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 8 (2011), H. 2 [zuletzt abgerufen am 08.02.2021].
[2] Säuberlich, Annika: Das große Rauschen, in: Süddeutsche Zeitung vom 10.01.2012, [zuletzt abgerufen am 08.02.2021].
[3] Appelt, Tom, Dank Essener Projekt leben vom Aussterben bedrohte Töne im Internet weiter, in: Der Westen vom 01.04.2013, [zuletzt abgerufen am 08.02.2021].
[4] Paul, Gerhard; Schock, Ralph (Hrsg.), Sound des Jahrhunderts. Geräusche, Töne, Stimmen 1889 bis heute. Bonn 2013.
[5] BBC, BBC Sound Effects (Beta), [zuletzt abgerufen am 08.02.2021].
Konservensound: Die Klangdokumentation „Conserve the Sound“
Eine Blog-Rezension