Am Anfang von Kara Kafa zerdrückt eine Schrottpresse ein Auto, die Müllabfuhr zermalmt ein Sofa. Später fallen Häuser unter Abrissbirnen zusammen. Der Traum von Deutschland, das deuten die filmischen Aufnahmen von einstürzenden Altbauten und kaputten Symbolen der Wohlstandsgesellschaft an, hält der Realität nicht stand. Demontiert wird in diesem Film neben einem Auto, einer Kirche, einer Couch und einem Fahrrad auch das Versprechen von Wohlstand und Glück, das Deutschland Arbeitsmigrant*innen einst verhieß.
Korhan Yurtsevers in Deutschland gedrehter Spielfilm Kara Kafa („Schwarzkopf“) wurde 1979 von der türkischen Zensurbehörde mit der Begründung verboten, er verletze „die Ehre Deutschlands, der befreundeten Nation“[1] Yurtsever wurde angezeigt und floh mit den letzten Kopien seines Films kurz vor dem Militärputsch 1980 nach Berlin. Nun haben die Kurator*innen Jacqueline Nsiah und Can Sungu die restaurierte Fassung von Kara Kafa auf der diesjährigen Berlinale in die Filmreihe Fiktionsbescheinigung aufgenommen, die sich den Werken marginalisierter Regisseur*innen in Deutschland widmet. Zusammen mit dem autobiographischen Dokumentarfilm Mein Vater, der Gastarbeiter (1995) von Yüksel Yavuz wurden in der Reihe damit zwei Filme gezeigt, die das Leben von türkeistämmigen Arbeitsmigrant*innen in Westdeutschland aus gesellschaftskritischer und politischer Perspektive beleuchten.
Kara Kafa erzählt die Geschichte des Metallarbeiters Cafer, der seine Familie aus einem Dorf in Kappadokien 1979 nach Köln nachholt. Die Arbeit ist hart, doch Cafer ist zufrieden und hält nichts von gewerkschaftlicher Organisierung. Während sein Kollege Rıfat versucht, die Arbeiter*innen auf politischen Versammlungen zu mobilisieren, ist Cafer der Ansicht, die Arbeitsmigrant*innen sollten dankbar sein und sich den Verhältnissen fügen. Auf die Aussage eines Kollegen, die Gewerkschaften wollten die Augen der Arbeiter öffnen, antwortet er ironisch: „Als hätten wir bei all der Arbeit Zeit zu schlafen.“[2] Auch seine Frau Hacer ist anfangs dankbar, dass sie Arbeit in der Textilfabrik findet. Doch sie wird von ihrer Kollegin Nurhan politisiert, die ihr sagt: „Vor zehn Jahren habe ich auch mit Dankbarkeit angefangen zu arbeiten. Aber Dankbarkeit wofür?“
Im Verlauf des Films verstrickt sich die Familie immer weiter in die Widersprüche, die die Arbeitsmigration hervorbringt. Die Probleme, mit denen die Familie in Deutschland konfrontiert ist, haben strukturelle Ursachen: fehlende Kinderbetreuung, Aufenthaltstitel, prekäre Arbeitsverhältnisse, Diskriminierung und Rassismus. Weil die Eltern keine Kindertagesstätte für ihr neugeborenes Kind finden, beschließen sie, dass ihre Tochter aufpassen soll, statt in die Schule zu gehen. Die beiden älteren Kinder müssen schnell erwachsen werden, übernehmen den Haushalt, kochen, spülen, gehen einkaufen und hüten das Baby, während die Eltern in der Fabrik arbeiten. Der Sohn Kerem streift durch die Stadt, beobachtet Kinder beim Spielen und wünscht sich nichts mehr als ein Fahrrad. Doch sein Vater will lieber ein Auto kaufen, damit die Menschen in seinem Dorf sehen „was für ein Mann Cafer ist“. Der deutsche Junge Ulli reagiert auf Kerems Versuch, Freundschaft zu schließen, mit Rassismus. Während Kerem Ulli ein selbstgebautes Fahrzeug schenkt, zertrümmert dieser lieber sein ausrangiertes Fahrrad mit einem Hammer, als es Kerem zu geben. In einer Schlüsselszene verdichten sich diese Erfahrungen zu internalisiertem Rassismus: Migrantische Kinder spielen Polizei, sie verfolgen Ulli, der einen Arbeitsmigranten ohne Papiere spielen soll, mit Spielzeugpistolen, rufen rassistische Parolen, die sie zu hören bekamen, und verprügeln ihn.
Als Cafer seine Arbeit verliert, macht er die Gewerkschaften dafür verantwortlich und gerät in eine Krise. Während seine Frau Hacer in der Frauenbewegung politisch aktiv wird und sich durch die Solidarität, die sie dort erfährt, ihrer Rechte bewusst wird, fängt Cafer an zu trinken und zu spielen. Er kommt nicht damit zurecht, dass Hacer nun das Geld nach Hause bringt und sich nichts mehr sagen lässt. Hacer diskutiert derweil in der sozialistischen migrantischen Frauengruppe über Ausbeutung und Gleichberechtigung, verteilt Flugblätter und nimmt an einer antifaschistischen Demonstration teil. In dieser Szene verschwimmen die Grenzen von Fiktion und Dokumentarischem: Der Regisseur Korhan Yurtsever nahm die Schauspieler*innen zu einem nächtlichen Fackelmarsch in Köln mit und drehte dort. Als Hacer auf der Straße von einem Arbeitsmigranten belästigt wird, der sie beim Verteilen von linksgerichteten Flugblättern beobachtet hat und ihr aufgrund ihres Aktivismus – gemäß einem gängigen zeitgenössischen antikommunistischen Diskurs – Promiskuität unterstellt, konfrontiert ihr Sohn Kerem seinen Vater. „Sie belästigen deine Frau auf der Straße und du spielst hier Karten. Was für ein Mann bist du?“ Dass Hacer sich allein gegen die Übergriffe wehren kann, verstärkt nur die Krise, in die Cafer gerät, als sein Sohn seine Männlichkeit in Frage stellt.
Besonders stark ist Kara Kafa, wo der Film die Widersprüche und Ambivalenzen aufbrechender Geschlechterverhältnisse offenlegt, die durch die Arbeitsmigration verursacht werden. Der Film zeigt, wie durch das Migrationsregime Ungleichheitsverhältnisse intersektional verflochten sind und sich gegenseitig verstärken. Cafer sagt Sätze wie „In Deutschland sind Frauen und Männer gleich“ oder „In Deutschland schlägt man niemanden“ – und wird doch Hacer und Kerem gegenüber gewalttätig, als sich die Machtverhältnisse in der Familie verschieben. Hacer wehrt sich und ruft: „Ich will, dass du diese Faust gegen diejenigen erhebst, die dich in diese Position gebracht haben.“
Schuld an der Unterdrückung, das betonen die Migrantinnen in den Treffen ihrer sozialistischen Frauengruppe, sind nicht die Männer, sondern das kapitalistische System. „Die Befreiung der Frau geht einher mit der Befreiung der Gesellschaft“, lautet das Credo. Nur „Hand in Hand, Schulter an Schulter“ mit den Männern, die unter den Verhältnissen ebenso litten wie die Frauen, könne die Gleichberechtigung gelingen. Am Ende ist es Hacer, die Cafer die Augen öffnet. Er belauscht eine Versammlung, in der Hacer die Gewalt ihres Mannes gegenüber einer Frau verteidigt, die ihren gewalttätigen Mann verlassen will. Nicht gegen die Männer solle man sich auflehnen, so Hacer, sondern gegen die kapitalistischen Chefs. „Das Heim zu zerstören“, spalte nur die Einheit der Arbeiterklasse. Als Cafer das hört, begreift er, dass sich die Emanzipation seiner Frau nicht gegen ihn richtet. Am Ende bleibt die Gleichberechtigung der Frauen doch ein Nebenwiderspruch, der sich zugunsten des Arbeitskampfes unterordnen muss.
Kara Kafa wirft mit seiner dezidiert linken, politischen Haltung einen kritischen Blick auf deutsche Verhältnisse und bietet damit eine intersektionale Perspektive auf die Arbeitsmigration, abseits von lange dominierenden Opfernarrativen vom genügsamen, unpolitischen ‚Gastarbeiter‘. Von Cafers German Dream bleibt am Ende nichts übrig. Und dennoch endet der Film hoffnungsvoll mit Aufnahmen von Fußball spielenden migrantischen Kindern und symbolträchtig einstürzenden alten Gebäuden, unterlegt mit einem Lied des Sängers Ruhi Su, in dem es kämpferisch heißt: „Wenn wir uns nicht erheben, wird unser Elend nicht enden“.
Eine ähnlich gesellschaftskritische Wirkung mit anderen Mitteln entfaltet der Dokumentarfilm Mein Vater, der Gastarbeiter, in dem der Regisseur Yüksel Yavuz den Spuren seines Vaters folgt, der 1968 als Arbeitsmigrant nach Deutschland ging. In eindringlichen Szenen geht Yavuz der Frage nach, welche Spuren sein Vater Cemal Yavuz während seiner 16 Jahre in Deutschland hinterlassen hat – und welche Spuren die Arbeitsmigration bei seinem Vater hinterlassen hat. „Die Industriearbeit hat eine merkwürdige Eigenschaft. Sie hinterlässt keinerlei persönliche Spuren außer denen am eigenen Körper“, heißt es im Film. „Nicht das fertige Produkt, sondern die Körper der Arbeiter erzählen davon, wie viel Kraft es kostet, ein Schiff zu bauen.“ Während er für seine Familie im kurdischen Dorf mit den Jahren zu einem Fremden wurde, der jeden Sommer mit einem Koffer voller Geschenke zu Besuch kam, arbeitete sein Vater in Deutschland „wie ein Wahnsinniger daran, Spuren zu hinterlassen, geachtet und unersetzbar zu sein“, so Yavuz. Und kannte doch nur drei Wege in Deutschland: den zur Werft, den zum Fischmarkt und den ins Café.
Zehn Jahre, nachdem Cemal Yavuz in die Türkei zurückgegangen ist, kehrt er mit seinem Sohn zurück an die alten Orte in Hamburg. Sie besuchen „Klein-Istanbul“, eine zum verfestigten Provisorium gewordene Barackensiedlung am Rande der Werft, in der Cemal Yavuz lebte; 12 Quadratmeter pro Arbeitsmigrant. Dort spielen inzwischen die Enkelkinder der Arbeitsmigrant*innen auf der Straße. Die Frage, was von den Jahren harter Arbeit übriggeblieben ist, verdichtet sich in einer Szene, in der Yüksel und Cemal Yavuz dessen alten Arbeitsplatz, eine Hamburger Werft besuchen. Der Vater hat nur gute Worte für den früheren Arbeitgeber übrig, erzählt davon, wie angesehen er selbst im Unternehmen war. Dann erfährt er von seinem Sohn, dass der Werftbesitzer ihnen keine Drehgenehmigung für Yavuz‘ alten Arbeitsplatz gegeben hat. Nicht einmal allein darf der Vater das Gelände betreten, auf dem er 15 Jahre gearbeitet hat. „Ein undankbarer Mensch“, sagt der Vater ungläubig, „ich habe in dieser Firma 15 Jahre hart gearbeitet. Meine besten Jahre habe ich dafür gegeben.“ In seinem Gesicht spiegelt sich die Kränkung. Auf der Werft, so Cemal Yavuz, arbeiteten 700 türkeistämmige Arbeiter*innen unter schwersten Arbeitsbedingungen, und trugen so dazu bei, dass das Unternehmen expandieren konnte. Viele Arbeiter*innen wurden krank und arbeitsunfähig. Was Cemal Yavuz von seinen 16 Jahren in Deutschland bleibt, ist die Erkenntnis, ausgebeutet worden zu sein.
1984 kehrte Cemal Yavuz ohne Rechte und ohne Rente zurück in sein kurdisches Dorf. Dort fahren auch zehn Jahre später, als Yüksel Yavuz seine Eltern besucht, im Hintergrund noch Panzer und das türkische Militär setzt Wälder in Brand. Das Jahr der Rückkehr und der Verlust seiner Rentenansprüche legen nahe, dass Cemal Yavuz Deutschland im Rahmen der Rückkehrprämie verließ, mit der sich der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl der Hälfte der türkeistämmigen Arbeitsmigrant*innen entledigen wollte.[3] Mit dem 1983 verabschiedeten Rückkehrhilfegesetz bekamen Arbeitsmigrant*innen 10.500 D-Mark ausgezahlt, wenn sie in ihre Herkunftsländer zurückkehrten. Ihre eingezahlten Rentenbeträge wurden zurückerstattet, im Gegenzug verloren sie jegliche Rentenansprüche des Arbeitgeberanteils. „Es ist“, sagt seine Frau Güzel Yavuz, „als wäre er nie dagewesen.“
Der Anspruch des Fiktionsbescheinigung-Programms ist es, so das Statement der Kurator*innen, durch die „Zeugenschaft von innen, nicht vom Rand“, die den Filmen gemein ist, „den weißen deutschen Blick mit vielfältigen, intersektionalen Perspektiven zu parieren“. Eben jene Binnenperspektive, die nicht in erster Linie versucht, die Erfahrungen der Migrant*innen für ein deutsches Publikum zu übersetzen und verstehbar zu machen, zeichnet die Besonderheit von Kara Kafa und Mein Vater, der Gastarbeiter aus. Sie sind Zeugnisse (post-)migrantischer Erfahrungen, die in dieser Vielschichtigkeit und politischen Aussagekraft auch 61 Jahre nach dem deutsch-türkischen Anwerbeabkommen noch marginalisiert sind. Und sie zeigen in der Retrospektive, welche unschätzbaren Einblicke in migrantische Lebenswelten sowie in die bundesdeutsche Zeitgeschichte entstehen, wenn sich der Blick umkehrt.
Türkei 1979. Regie: Korhan Yurtsever. 82 Minuten
Deutschland 1995. Regie: Yüksel Yavuz. 52 Minuten
[1] Vgl. Programmankündigung, die wiederum die Begründung der Zensurbehörde zitiert.
[2] Die Zitate in diesem Text stammen aus Korhan Yurtsevers Kara Kafa und Yüksel Yavuz' Mein Vater, der Gastarbeiter.
[3] Claus Hecking: Kohl wollte offenbar jeden zweiten Türken loswerden. In: Der Spiegel (01.08.2013), [zuletzt abgerufen am 30. April 2023].
Verkehrte Versprechen von Wohlstand und Glück in Deutschland
Intersektionale Perspektiven in Filmen von Korhan Yurtsever und Yüksel Yavuz