Film

Alle Beiträge zum Schlagwort

Elena Demke

Der Ort des Verbrechens – eine Beobachtung

Sergei Loznitsas Dokumentarfilm „Austerlitz“

Sergei Loznitsas Dokumentarfilm „Austerlitz“ * Von Elena Demke * Januar 2017 Der Film ist aus Sequenzen mit und ohne Ton, Nahaufnahmen und Totalen sowie dem Wechsel zwischen Innen und Außen komponiert. Die ersten Blicke auf schlendernde Menschen, die an einem gleißend-sonnigen, durch harte Schwarz-Weiß-Aufnahmen begünstigenden Tag mit seltsam großen Geräten zu telefonieren scheinen, werfen die ZuschauerInnen durch Bäume und Büsche, also aus dem Verborgenen. Erst langsam wird deutlich, dass die Leute Audioguides in den Händen halten. Nach und nach nehmen die ZuschauerInnen Kontakt auf mit den BesucherInnen des historischen Ortes, die ihrerseits mit Formen der Kontaktaufnahme befasst sind.

Hanno Hochmuth

Der Anti-Knopp

Martin Gressmanns Dokumentarfilm „Das Gelände“

Martin Gressmanns Dokumentarfilm „Das Gelände“ * Von Hanno Hochmuth * November 2016 „Meine Großmutter erzählte mir einmal, dass es in der Nazizeit in Berlin eine bestimmte Straße gegeben hätte, durch die man einfach nicht durchging, die man nicht betrat.“ Wie ein dunkles Märchen beginnt der Film, den Martin Gressmann über das Gelände der ehemaligen Prinz-Albrecht-Straße in Berlin gedreht hat. Hier befand sich seit 1933 die Zentrale der nationalsozialistischen Terrorherrschaft. In den Hauptquartieren der Gestapo, der SS und des SD, die 1939 zum Reichssicherheitshauptamt zusammengefasst wurden, wurden tausende Menschen verhört und gefoltert; hier wurde der Massenmord an den europäischen Juden organisiert. Nach 1945 fiel der stark kriegsbeschädigte Ort dem Vergessen anheim.

Henrik Bispinck

Zeitzeugenschaft zwischen politischer Unbedarftheit und Instrumentalisierung

Die Geschichte des Mario Röllig im Kino

Die Geschichte des Mario Röllig im Kino * Von Henrik Bispinck * November 2016 Wer sich mit der Aufarbeitung der Geschichte der DDR befasst hat, für den ist Mario Röllig mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Unbekannter. Er hat an zahlreichen TV-Dokumentationen und Dokumentarfilmen als Zeitzeuge mitgewirkt, er führt Besuchergruppen durch die Gedenkstätte in der ehemaligen Stasi-Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen, tritt vor Schulklassen auf, sogar ein dokumentarisches Theaterstück gibt es über ihn. Dass Röllig als Zeitzeuge so präsent ist, hängt wohl auch damit zusammen, dass seine Geschichte auf den ersten Blick sehr ungewöhnlich ist. Im Gegensatz zu vielen anderen Opfern der DDR-Diktatur, die öffentlich auftreten, ist er weder Bürgerrechtler, noch Intellektueller, er ist weder Kirchenmann noch Künstler.

Christoph Classen

Letzte Dinge im Ersten

"Terror" von Ferdinand von Schirach

"Terror" von Ferdinand von Schirach * Von Christoph Classen * November 2016 Knapp 6,9 Millionen Zuschauer haben „Terror“ allein in Deutschland gesehen, zeitgleich wurde die Produktion in Österreich und in der Schweiz ausgestrahlt. Anschließend konnten die Zuschauer telefonisch oder online über das Ende des Films abstimmen, und in allen drei Ländern schlossen sich Talk-Runden zum Thema an.

Dorothee Liehr

Snowdens Vermächtnis

Oliver Stones Film ist ein Plädoyer für den Kampf gegen Überwachung

Oliver Stones Film ist ein Plädoyer für den Kampf gegen Überwachung *Von Dorothee Lier* Oktober 2016 Der Coup, dessen Genese Oliver Stone in Snowden erzählt, ereignete sich vor dreieinhalb Jahren. Seitdem stellen die Snowden-Enthüllungen, im Film als Drama inszeniert, einen Meilenstein jüngster Zeitgeschichte dar. Denn die brisante Aufdeckung massenhafter anlassloser staatlicher Überwachung hat inzwischen strukturelle Veränderungen im Umgang mit dem permanenten Strom persönlicher Daten eingeleitet, der unser informationstechnologisch bestimmtes Leben und damit unsere Rechte als Bürgerinnen und Bürger sowie unsere Menschenwürde empfindlich tangiert.

Wolfgang Reichmann

Kriegsende der Kontraste

Über "Ein Gespür für den Frieden!" von Alexander Kluge und Gabriel Heim

Über "Ein Gespür für den Frieden!" von Alexander Kluge und Gabriel Heim * Von Wolfgang Reichmann * September 2016 Das literarische und filmische Gesamtwerk Alexander Kluges kreist um zentrale historische Daten. Im Vorwort seiner im Jahr 2000 erschienenen Chronik der Gefühle, die das seit den frühen 1960er Jahren entstandene erzählerische Werk gemeinsam mit neuen Texten in zwei umfangreichen Bänden zusammenfasste, führt Kluge programmatisch verschiedene für ihn und sein Schreiben prägende zeitgeschichtliche Zäsuren an...

Ina Friedmann

Eine Begegnung mit dem „Anderssein“

„Wie die anderen“ gibt Einblick in den Alltag einer österreichischen Kinder- und Jugendpsychiatrie

„Wie die anderen“ gibt Einblick in den Alltag einer österreichischen Kinder- und Jugendpsychiatrie * Von Ina Friedmann * Juni 2016 Die Dokumentation gewährt einen nüchternen, aber keinesfalls emotionslosen Einblick in den Alltag einer Kinder- und Jugendpsychiatrie, der nicht nur die vielfältigen Tätigkeitsfelder der ÄrztInnen, TherapeutInnen, SozialarbeiterInnen und PädagogInnen darstellt, sondern auch vorherrschende negative Stereotype auflöst. Es geht nicht mehr um die Unterdrückung von Individualität, um die Anpassung an gesellschaftliche Erwartungen um jeden Preis, sondern darum, einen Weg zu finden, mit dem eigenen Selbst umzugehen. Dennoch bleibt am Ende die Frage, die schließlich alle betrifft: Ist es zwingend notwendig, oder gar erstrebenswert, so zu sein „wie die anderen“?

Jakob Mühle, Maren Francke, René Schlott

Wie klingt Auschwitz?

Drei Perspektiven auf "Son of Saul"

Drei Perspektiven auf "Son of Saul" * Von Jakob Mühle, Maren Francke und René Schlott * März 2016 Das preisgekrönte Holocaustdrama „Son of Saul” des ungarischen Regisseurs László Nemes zeigt einen Tag im Oktober des Jahres 1944 im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Im beklemmenden 4:3 Format heftet sich der Blick des Zuschauers an Saul Ausländer (eindrucksvoll gespielt von Géza Röhrig), einem Häftling des sogenannten jüdischen Sonderkommandos, das die Deutschen für den reibungslosen Ablauf der Massenvernichtung in den Gaskammern und Krematorien eingesetzt hatten. Der Protagonist Saul hetzt 107 Minuten lang durch das Lager. Er ist auf der Suche nach einem Rabbiner, um einen toten Jungen, den er für seinen Sohn hält, nach jüdischem Ritus zu begraben.

Christoph Classen

Eiszeit

"Bridge of Spies" von Steven Spielberg

"Bridge of Spies" von Steven Spielberg * Von Christoph Classen * Januar 2016 Die erste Szene des Films beobachtet einen Maler, der in einem schäbigen Hotelzimmer an einem Selbstporträt arbeitet. Der Künstler ist ein unscheinbarer Mann mittleren Alters mit Glatze, und der Blick der Kamera fällt abwechselnd auf ihn, sein Gesicht im Spiegel und das fast fertige Bild. Kein Zweifel, hier ist ein Könner am Werk. Doch, das wird rasch klar, bei aller Ähnlichkeit des Porträts ist der Mann nicht das, was er vorgibt zu sein. Er ist kein harmloser Künstler, sondern ein sowjetischer Agent in den USA...

Magdalena Saryusz-Wolska

Geschichtspolitik in Polen

Die Debatten um den preisgekrönten Film "Ida" von Pawel Pawlikowski

Debatten um den Film "Ida" von Pawel Pawlikowski * Von Magdalena Saryusz-Wolska * November 2015 „Ida“, ein Film in schlichter Schwarz-Weiß-Optik, im kaum noch verwendeten, archaisch anmutenden Bildformat 3:4 und mit dezenter Jazzmusik im Hintergrund, erzählt die Geschichte von Anna / Ida (Agata Trzebuchowska), einer katholischen Novizin, die von ihrer Tante Wanda (Agata Kulesza), einer Richterin im stalinistisch geprägten Polen erfährt, dass sie Jüdin ist. Die Handlung spielt irgendwo in Polen, in den düsteren, spätherbstlichen Tagen des Jahres 1962. Die beiden Frauen machen sich auf eine Reise in ihr Heimatdorf. Hier wird sich herausstellen, dass ihre Familie knapp zwanzig Jahre zuvor von einem Bauern, der sie während des Krieges verstecken sollte, ermordet wurde...